Redebeitrag von Sabine Lösing für den Ostermarsch Düsseldorf am 31. März 2018

 

- Sperrfrist: Redebeginn 31.03.2018, ca. 10 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

„Die EU auf dem Weg zur Aufrüstungs- und Interventionsunion“

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

selten war es so wichtig wie heute, dass wir uns hier versammeln, um gegen Krieg und Militarismus zu protestieren.

 

NATO-Russland

Was mir mit am meisten Sorgen macht ist, dass es ganz den Anschein hat, als könnten es manche Leute gar nicht abwarten, endgültig in einen Neuen Kalten Krieg mit Russland einzutreten.

Doch eigentlich sind wir da ja eh schon mittendrin: Die NATO hat in den letzten Jahren zahlreiche anti-russischen Rüstungsinitiativen auf den Weg gebracht, insbesondere das Raketenabwehrsystem.

Darauf hat Russland seinerseits die Rüstungsmaschine noch einmal richtig angefeuert – Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede am 1. März 2018 ja eine ganze Reihe neuer Rüstungsprojekte, vor allem im Raketenbereich, angekündigt.

Für eine Antwort auf die Frage, wer sich hier von wem wohl mehr bedroht fühlen dürfte, reicht ein Blick in die Rüstungsausgaben: Die beliefen sich im Falle der NATO-Staaten im Jahr 2017 auf 945 Mrd. Dollar, bei Russland waren es etwa 60 Mrd.

Dennoch befinden uns also schon in einem heiklen Rüstungswettlauf, als kurz nach Putins Rede der Giftgasanschlag auf den britischen Spion Sergej Skripal verübt wurde.

Nun wissen wir alle nicht, was passiert ist. Was wir aber wissen ist, dass es doch erhebliche Zweifel an einer russischen Täterschaft gibt.

Das focht aber weder die britische Regierung noch die in ihrem Kielwasser mit an der Eskalationsschraube drehenden übrigen EU-Staaten an, Russland ohne Vorlage irgendeines Beweises zu beschuldigen und neuerliche Sanktionen zu verhängen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

so rutschen wir tatsächlich immer tiefer in den Neuen Kalten Krieg!

Und auch Deutschland ist Schauplatz dieses neuen Kalten Krieges - nicht zuletzt lagern auch hier US-Atomwaffen im Rahmen der Nuklearen Teilhabe der NATO.

Diese Waffen müssen weg! Noch 2010 forderten alle damaligen Bundestagsfraktionen ihren Abzug – also auch SPD und Union.

Heute aber wird wieder offen über die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa diskutiert – eigentlich haben wir ja gehofft, wenigstens diese Debatten lägen lange hinter uns.

Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, sich für eine neue Abrüstungsinitiative einzusetzen. Sich von der Nuklearen Teilhabe zu verabschieden, wäre ein erster wichtiger vertrauensbildender Schritt in Richtung Russland.

 

Afrin [GroKo-Exporte]

Allerdings, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

dürfen wir uns natürlich auch keinen falschen Illusionen hingeben, wie es um den Abrüstungswillen der Großen Koalition bestellt ist.

Das hat sich ja nicht zuletzt beim zweiten derzeit brandgefährlichen Konflikt gezeigt: Syrien und hier insbesondere der türkische Einmarsch in Afrin.

Und auch hier ist Deutschland mitbeteiligt: Die Türkei ist einer der eifrigsten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter.

Selbst nach dem Beginn  der türkischen Offensive wurden zwischen dem 20. Januar und dem 27. Februar noch Rüstungsexporte im Wert von knapp 4,4 Millionen Euro an die Türkei genehmigt.

Da ist es doch ein wenig zynisch, wenn die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat, die deutsche Exporttätigkeit „einschränken“ und die Rüstungsexportrichtlinien „überarbeiten“ zu wollen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

die deutschen Rüstungsexportrichtlinien verbieten – Zitat „Exporte in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind, sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der UN-Charta vorliegt.“

Artikel 51 der UN-Charta, damit ist das Selbstverteidigungsrecht gemeint.

Doch selbst ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages kam kürzlich zu dem Ergebnis, das türkische Agieren gehe weit über die Selbstverteidigung hinaus. Außerdem lägen auch keine schlüssigen Hinweise vor, dass es sich hier insgesamt um einen Fall handele, der irgendetwas mit Selbstverteidigung zu tun hätte.

Auch die anfänglichen Ankündigungen, keine Waffen an Länder zu liefern, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, wurden inzwischen total verwässert.

So wurde vor wenigen Tagen gemeldet, dass die neue Regierung die Lieferung von acht Patrouillenbooten an Saudi-Arabien genehmigt hat.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

die deutschen Rüstungsexportrichtlinien müssen nicht so sehr überarbeitet werden: sie müssen endlich eingehalten werden!

Und genau dazu besteht kein Interesse!

Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, die Türkei und Saudi-Arabien zur Einstellung der Kampfhandlungen zu drängen und die Rüstungsexporte in diese Länder kategorisch auf null zu setzen.

 

GroKo [Einsätze]

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

überhaupt haben es die Vorhaben, die die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat, ja durchaus in sich.

Aus meiner Sicht sind es vor allem die neuen Mandate der Bundeswehr-Einsätze, die friedenspolitisch zu denken geben sollten.

Da wäre zunächst der Einsatz im Irak: Da wird zwar das Kontingent reduziert, das war bisher aber eh nicht ausgeschöpft worden. Viel wichtiger ist, dass des Einsatzgebiet nun ganz Irak umfasst und die Bundeswehr damit immer tiefer in die dortigen Konflikte verstrickt wird.

Dann ist da der Mali-Einsatz: Der wird um 100 auf 1.100 Soldaten erhöht.

Am weitesten geht der Afghanistan-Einsatz: Das dortige Mandat wird deutlich aufgestockt: um 320 auf 1.300 Soldaten!

Auch der Auftragsschwerpunkt dieser Soldaten verschiebt sich wieder weg von Trainingsmaßnahmen hin zu Kampfhandlungen.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

damit geht der Afghanistan-Einsatz nun in sein 17. Jahr! Und es hat auch nicht den Anschein, dass er bald endet. Bei ihrem Afghanistan-Besuch vor wenigen Tagen meinte Verteidigungsministerin von der Leyen, man müsse einen „langen Atem haben.“

Ja wie lange meinen die westlichen Staaten denn noch die immer selben Militärstrategien anwenden zu  müssen, die das Land nur immer weiter in Chaos und Konflikte stürzen.

Wir fordern deshalb keine Aufstockung, sondern den Abzug der Bundeswehr-Soldaten aus Afghanistan und den anderen Einsatzgebieten!

 

EU-Militarisierung

Für diesen neuen Militarisierungsschub werden national enorme Summen mobilisiert.

Vor allem aber spielt sich hier derzeit auf der EU-Ebene enorm viel ab.

Symptomatisch war der Auftritt von EU-Kommissionschef Jean Claude Juncker bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz vor wenigen Wochen.

In seiner dortigen Rede klopfte er sich verbal regelrecht auf die Schulter als er meinte, im letzten Jahr seien mehr Fortschritte im Bereich der europäischen Militärpolitik erzielt worden, als die letzten 20 Jahre zuvor.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

leider hat Juncker recht! Im Gegensatz zu ihm, der diese Entwicklung gut heißt, lehnen wir sie aber kategorisch ab. Wir wollen keine militarisierte Europäische Union! Wir wollen ein friedliches und soziales Europa!

Und tatsächlich: Wenn ich mir einmal die wichtigsten jüngsten Initiativen anschaue, dann kann einem Angst und Bange werden.

Es gibt einen konkreten Grund, weshalb sich in jüngster Zeit die Militarisierungsspirale immer schneller dreht: Bis kürzlich war es Großbritannien, das stets Versuchen, den EU-Militärapparat auszubauen, enge Grenzen gesetzt hatte.

Seitdem sich die britische Bevölkerung aber am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der EU entschieden hat, ist es mit dieser Bremserfunktion vorbei.

Und hier dürfte auch der Grund liegen, weshalb gerade Militärpolitiker den Briten kaum eine Träne nachweinen. Denn sie versprechen sich nun die Umsetzung all der Maßnahmen, die über viele Jahre hinweg von Großbritannien blockiert worden waren.

Am unverhohlensten trat Elmar Brok, damals Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlamentes unmittelbar nach dem Referendum vor die Presse. Zitat: "Der Brexit hat auch gute Seiten. Jahrelang haben uns die Briten aufgehalten. Jetzt geht es endlich voran."

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

viel Zeit ließen sich die Protagonisten des jüngsten Rüstungsschubes nicht, um die sich bietende Gelegenheit beim Schopf zu packen: Schon am 27. Juni 2016 preschten die damaligen Außenminister Frankreichs und Deutschland, Jean-Marc Ayrault und Frank-Walter Steinmeier vor.

Sie legten das offensichtlich schon vor dem Brexit-Referendum ausgearbeitete Papier „Ein  starkes  Europa in einer unsicheren Welt“ vor. Kernforderung darin war der Ausbau der Europäischen Union zu einem militärischen Globalakteur unter deutsch-französischer Führung.

Nur einen Tag später, am 28. Juni 2016, wurde eine neue EU-Globalstrategie als wichtigstes außen- und sicherheitspolitisches Grundsatzdokument angenommen.

Darin heißt es unter anderem, man benötige die militärischen Fähigkeiten, um auch „autonom“, also von der NATO und damit den USA unabhängig handeln zu können.

Ziel sei es - Zitat – „militärische Spitzenfähigkeiten“ aufzubauen und dies erfordere – ebenfalls Zitat – „eine tragfähige, innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie.“

Am 14. September 2016 kündigte Kommissionchef Jean-Claude Juncker dann auf Grundlage zuvor formulierter deutsch-französischer Vorschläge eine Reihe von Maßnahmen an.

Die wichtigsten davon sind aus meiner Sicht erstens ein EU-Hauptquartier für Militäreinsätze.

Viele Jahre war es so, dass die EU, wenn sie einen Militäreinsatz durchführen wollte, erst einmal bei den Nationalstaaten hausieren gehen musste, wer das Hauptquartier dafür stellt.

Seit Juni 2017 existiert aber ein solches Hauptquartier. Anfangs soll es vor allem Trainingseinsätze leiten, perspektivisch aber alle denkbaren Einsätze.

Zweitens wurde im Dezember 2017 die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ – englisch PESCO – beschlossen.

Damit werden große Teile der EU-Militärpolitik auf eine Kleingruppe ausgelagert. Und wer Teil dieser Gruppe sein möchte, musste sich verpflichten, bestimmte Rüstungskriterien zu erfüllen. Dazu gehört eine regelmäßige reale Erhöhung der Rüstungsausgaben oder auch die Bereitstellung von Kampftruppen. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, kann mit einer Mehrheitsentscheidung aus PESCO ausgeschlossen werden, wodurch ein enormer Rüstungsdruck erzeugt wird.

Und drittens sind wir aktuell noch mitten in der Debatte um die Aufstellung eines EU-Rüstungshaushaltes. Der soll noch dieses Jahr verabschiedet werden. Nächstes Jahr soll er in abgespeckter Form an den Start gehen. Für den nächsten EU-Haushalt sind dann insgesamt 38,5 Mrd. Euro für Rüstungsforschung- und Beschaffung vorgesehen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

das war bis kürzlich undenkbar, da es der EU-Vertrag eigentlich verbietet, militärische Maßnahmen aus dem EU-Budget zu finanzieren. Deshalb tarnt die Kommission den Haushalt kurzerhand als wettbewerbsfördernde Maßnahme.

Augenblicklich hat es den Anschein, als würde die Kommission mit diesem Taschenspielertrick durchkommen. Sollte dies der Fall sein, würde dieser Haushalt den erstmaligen und großangelegten offiziellen Einstieg der EU in die Rüstungsfinanzierung.

Das wird den Charakter der EU verändern und die Balance noch weiter Richtung Militär verschieben.

Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen von Verteidigungsministerin von der Leyen jüngst bei der Münchner Sicherheitskonferenz wohl direkt als Drohung zu verstehen – Zitat:

„Es geht um ein Europa, das auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann. […] Der Aufbau von Fähigkeiten und Strukturen ist das eine. Das andere ist der gemeinsame Wille, das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen, wenn es die Umstände erfordern.“

Wohin die Reise gehen soll, hat die EU-Kommission im Juni 2017 mit ihrem Reflexionspapier zur EU-Verteidigungspolitik beschrieben. Dort wird als Wunschszenario einer EU im Jahr 2025 geschrieben - Zitat:

„Die EU wäre in der Lage, anspruchsvollste Operationen zum besseren Schutz Europas durchzuführen […]. Die zunehmende Handlungsfähigkeit auf EU-Ebene würde sich auf eine verstärkte Integration der Verteidigungskräfte der Mitgliedstaaten stützen. […] Diese Verteidigungskräfte würden vorausstationiert werden und stünden permanent zum raschen Einsatz im Namen der Union zur Verfügung.“

 

Liebe Freundinnen du Freunde,

ich habe es schon gesagt: eine solche EU wollen wir nicht!

Wir wollen eine friedliche und soziale Union und die hat nichts mit diesen Plänen der Kommission zu tun.

 

Sabine Lösing ist Mitglied des Europäischen Parlaments für Die Linke.