Redebeitrag von Simon Wiesgickl für den Ostermarsch Nürnberg am 2. April 2018

 

- Sperrfrist, Redebeginn: 02.04.2018, ca. 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich stehe hier als angehender Pfarrer und zugleich als Religionswissenschaftler. Drei Jahre habe ich an der Uni gearbeitet und mich intensiv mit verschiedenen religiösen Traditionen beschäftigt. Dabei ging es mir nicht so sehr um noch die letzten Feinheiten der Lehren oder den Streit zwischen den Religionen. Auch die Frage, wie man gemeinsam beten kann oder nicht, hat mich nicht interessiert. Meine Frage war stets das befreiende Potenzial von Religion. Herauszufinden, welche Träume an eine bessere und andere Welt, die Religionen hüten. Das ist für mich auch die Botschaft von Ostern. Es geht nicht um Geschenke, auch nicht darum, Kindern eine Freude zu machen, sondern es geht um die Friedensbotschaft in einer Welt voller Unfrieden. Dass trotz Hass, Gewalt und Krieg am Ende der Frieden stärker ist.

„We shall overcome“: 50 Jahre Ermordung Martin Luther King

Das könnte die Botschaft von Religionen angesichts des Unfriedens weltweit sein. Religionen haben etwas zum Frieden beizutragen – das ist meine Überzeugung. Nämlich den Traum, dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen. Ein Mann, der diese Tradition verkörpert hat, ist vor fast genau 50 Jahren gestorben. Martin Luther King war bestimmt für viele der Grund, warum sie sich für Politik interessiert haben. Bestimmt sind auch einige von euch wegen Martin Luther King auf die Straße gegangen. Vor Kurzem hat mir eine Friedensfreundin erzählt, dass sie, als sie von der Ermordung Martin Luther Kings gehört hat, sich geschworen hat, ihr Leben für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Der Traum, den King zusammen mit anderen geträumt hat, ist größer als der Rassismus, der ihn bekämpft. Das muss man sich immer wieder sagen. Gerade mit Blick auf die USA, wo 50 Jahre nach Martin Luther King Schwarze immer noch sehr viel wahrscheinlicher in Armut leben, ins Gefängnis kommen oder Opfer von Polizeigewalt werden als Weiße. Wo ein Rassist Präsident ist.

Erbe der Religionen: Nie wieder stille Zuschauer!

Doch davon will ich gar nicht so viel sprechen. Stattdessen möchte ich von einem Weggefährten von Martin Luther King erzählen, der leider viel zu wenig bekannt ist. Bevor Martin Luther King 1963 seine berühmte Rede beim March of Washington gehalten hat, stand der Präsident des American Jewish Congress auf der Bühne: Dr. Joachim Prinz. Ein unbequemer Rabbi, der sich in der Weimarer Republik mit den Mächtigen angelegt hat. Der nach Amerika emigrieren musste und dort als Präsident des American Jewish Congress die Solidarität mit der Bürgerrechtsbewegung stark gemacht hat.

In seiner Rede sagt Joachim Prinz, dass aus seiner jüdischen Geschichte eine Solidarität mit den unterdrückten Schwarzen folgt. Dass er viele Dinge gelernt hat, als Rabbi in Berlin unter Hitler. Das wichtigste dabei war, dass Frömmelei und Hass nicht das dringendste Problem sind. Das drängendste, das schamvollste und das tragischste Problem ist Stille. Deutschland war eine Nation von stillen Zuschauern geworden. Still im Angesicht von Hass, Brutalität und Massenmord.

Wenn heutzutage Politiker der CSU von einem jüdisch-christlichen Erbe schwadronieren, dann finde ich das widerlich. Denn genau das ist ja das Erbe: Die jüdische Geschichte mit dem Christentum ist eine Geschichte der Verfolgung, der Auslöschung. Darauf weisen jüdische Intellektuelle immer wieder hin. Wenn von einem gemeinsamen Erbe und gemeinsamen Werten gesprochen wird, dann kann ich höchstens akzeptieren, dass es um gemeinsame Solidarität geht und die Verpflichtung nie wieder zu schweigen. Wenn stattdessen dieses Erbe benutzt wird um eine andere Religion auszugrenzen und Unfrieden zu stiften, dann ist das zum Kotzen. Mit seinem Satz, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, wärmt Seehofer eine eklige Suppe auf und wir sollten uns weigern, sie auszulöffeln. Religionswissenschaftlich ist sein Satz völlig bescheuert. Es gibt keinen Wissenschaftler, der eine Unterscheidung zwischen einer Religion und den Gläubigen für sinnvoll hält: Was die CSU da macht gefährdet stattdessen den sozialen Frieden.

Sozialer Frieden: „Diese Wirtschaft tötet“

Frieden ist nicht nur das Schweigen der Waffen. Der Ökumenische Rat der Kirchen als Zusammenschluss aller großen Kirchen weltweit hat dazu immer wieder das Wort ergriffen. Zum Frieden gehört genauso der soziale Frieden. Frieden in der Wirtschaft. Dazu nur einige Stichworte. Wenn ein hochbezahlter Politiker, der seit seinem 23. Lebensjahr im Bundestag sitzt sagt, dass Hartz 4 nichts mit Armut zu tun hat, dann trägt auch das nicht zum Frieden bei. Die ganze Diskussion um die Tafeln und Armut verkürzt ja eine Debatte. Armut ist nicht nur materielle Armut. Da geht es nicht nur um das Essen. Bei Armut geht es vor allem um Teilhabe. Dass Menschen egal welcher Herkunft und welcher Schicht am öffentlichen Leben partizipieren können, dass sie nicht ausgeschlossen sind und wie Dreck behandelt werden. Papst Franziskus sagte in seinem ersten Schreiben 2013: „Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die 'Wegwerfkultur' eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht. Am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht 'Ausgebeutete', sondern Müll, 'Abfall'.“ Das sind harte Worte. Aber sie beschreiben eine Realität. Die Realität einer „Wirtschaft, die tötet“. Das ist nicht nur die Meinung des Papstes, sondern auch die anderen Kirchen und viele Glaubensgemeinschaften weltweit stimmen überein. Der Kapitalismus ist nicht nur in seinen Auswüchsen, sondern in seiner Grund-Logik tödlich. Wir brauchen neue Ideen und andere Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens. Stattdessen verteilt die neue Bundesregierung an jeden ein bisschen was, ohne Kreativität. Und stabilisiert so einen Status Quo, der nicht tragbar und nicht zukunftsfähig ist.

Immer noch aktuell: Mehr Kreativität für den Frieden wagen

Insbesondere auf dem Gebiet der Friedenspolitik versagt die Große Koalition völlig. Die bestehenden Militäreinsätze werden vom Bundestag aufgestockt. Innerhalb der EU eine schnelle Eingreiftruppe aufgebaut und mit neuen Kommandozentren die Konfrontation mit Russland militärisch vorbereitet. In der letzten Legislaturperiode haben die Waffenexporte einen neuen Rekord erreicht. Im Dezember 2017 publizierte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri die globale Rüstungsexportbilanz für das Vorjahr. Demnach verkauften international agierende Rüstungskonzerne 2016 weltweit weitaus mehr Kriegswaffen als in den Jahren zuvor. Besonders stark konnten deutsche Waffenhersteller zulegen. Und für die neue Legislaturperiode will die Verteidungsministerin von der Leyen den Rüstungsetat deutlich steigern.

Vor inzwischen 8 Jahren hat sich die damalige Ratsvorsitzende Margot Kässmann mit von der Leyens Vorgänger zu Guttenberg angelegt. Sie hat gesagt: Nichts ist gut in Afganisthan und gefordert, mehr Kreativität für den Frieden auszuprobieren. Stattdessen dauern die Konflikte an. Die Bundesregierung spricht von Fluchtursachen bekämpfen und genehmigt mehr Waffenexporte.

Dabei sollte jedem klar sein, dass wer Waffen sät und damit Kriege unterstützt auch Flüchtlinge ernten wird. Doch weit gefehlt. Überhaupt das Denken scheint bei vielen Regierenden ja gar nicht mehr so beliebt zu sein. So sagte der polnische Ministerpräsident auf der Münchener Unsicherheitskonferenz: „Wir brauchen mehr Kampfpanzer und weniger Denkfabriken. Von denen haben wir genug.“ Wer so daherredet, bei dem müssten es schon ganz schön viele Denkfabriken sein, damit es überhaupt etwas hilft.

Was ist Pazifismus? Unbequem, beharrlich und auf dem Weg

Jemen, Syrien, Afrin, Palästina, Nordkorea, Konflikt mit Russland. Die Weltlage scheint immer komplexer und bedrohlicher. Angesichts der vielfältigen Konflikte, gibt es nicht die eine Lösung. Oder doch? Eine konsequente Friedenspolitik ist wahrscheinlich in keiner dieser Weltgegenden der einfachste Weg. Aber immer der sinnvollste!

In einer bunten, vielfältigen Welt und einem pluralistischen Land brauchen wir Anstrengungen für den Frieden. Orte, die für den Frieden begeistern wollen, wie beispielhaft das Friedensmuseum Nürnberg, das sein 20jähriges Jubiläum feiert. Menschen, die für den Frieden auf die Straße gehen. So wie wir heute. Es braucht mehr Investitionen in den sozialen Frieden. Es kann nicht sein, dass über größere Verteidigungsbudgets verhandelt wird, aber die Schultoiletten in einem beschissenen Zustand sind.

In der Zeit kritisiert die Autorin Evelyn Finger einen „friedensseligen Osterpazifismus: Für den Frieden sein und sich wie Jesus fühlen“. Geht's noch? Ich glaube sie hat nicht verstanden, was Pazifismus bedeutet. Und – ich bin ja auch angehender Pfarrer – was Jesus gesagt hat. Ja, Pazifismus ist friedensselig. „Selig sind, die friedfertig sind.“ Aber der andere Teil lautet „Wehe den Reichen, die auf Kosten der Armen leben“, „Wehe den Populisten, die nach billigem Beifall, statt nach der Wahrheit suchen“. Da ist Pazifismus militant und unbequem. Rassismus, sozialer Spaltung und Kriegstreiberei stellen wir uns entgegen. Mit Worten, Ungehorsam und solidarisch.

Eine andere Welt ist möglich: Für eine friedliche und solidarische Zukunft

Zum Schluß noch eine kleine persönliche Anekdote. Ich bin 31 Jahre alt. Das ist genauso alt, wie der neue österreichische Kanzler, Sebastian Kurz. Viele in meinem Alter sind jetzt mit dem Jobeinstieg beschäftigt, damit eine Familie zu gründen, oder ein Haus zu bauen. Doch mit Blick auf Sebastian Kurz, Jens Spahn und wie sie alle heißen, hat meine Generation noch eine andere Aufgabe. Nämlich sich der konservativen Revolution entgegenzustellen. Deutlich zu machen, dass eine Welt der Konkurrenz und des ständigen Kampfes keine wünschenswerte Zukunft ist. Dass Solidarität und Frieden möglich sind.

Lasst uns gemeinsam kämpfen für eine andere Welt. Eine Welt, die bunt und vielfältig ist. Die auf Gerechtigkeit und Frieden aufbaut. In der die Träume von Martin Luther King und anderen nicht umsonst geträumt sind, sondern Wirklichkeit werden. Wir sind keine stillen Zuschauer, sondern beginnen heute für diese Zukunft zu streiten.

 

Simon Wiesgickl ist Vikar in der Evang.-Luth. Kirchengemeinde Nürnberg-Lichtenhof.