Redebeitrag von Ulrich Scholz für den Ostermarsch Berlin am 31. März 2018

 

- Sperrfrist, Redebeginn: 31.03.2018, ca. 11 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Zwei Infrastrukturen

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte über zwei Infrastrukturen sprechen, über die, die für die Daseinsvorsorge erforderlich ist, und über die militärische.

Die Bundeswehr bietet jungen Männern und Frauen im Projekt „Junge Erwachsene ohne Schulabschluss“ an der Bundeswehrfachschule Hannover die Perspektive, einen Hauptschulabschluss nachträglich zu erwerben. Dort erhalten sie Unterricht, Hausausgabenbetreuung, Nachhilfe und werden bei Freizeitaktivitäten betreut. Über einen der Betreuungsfeldwebel heißt es auf bundeswehrkarriere.de: „Er ist ein militärischer Führer mit viel Herzblut. Für viele ist er zu einer Vaterfigur geworden.“

Die Kaserne ist Schulersatz, der Feldwebel Vaterersatz, die Militärkarriere Berufsersatz. Wie ist das möglich?

Die Arbeitenden in den Schulen engagieren sich sehr dafür, dass ihre jeweilige Schule für jedes Kind gut ist, egal, mit welchem Förderbedarf. Aber überall kämpfen sie mit den gleichen Problemen: Mangel an voll ausgebildetem Personal, Mangel an geeigneten Unterrichtsräumen und Unterrichtsmaterialien und Mangel an Zeit. Und dann gibt es Kinder, denen man eigentlich mehr helfen müsste. Da gibt es welche, die kaum geschlafen haben, die fast die ganze Nacht auf waren, oder solche, die kein Frühstück hatten und in der Schule auch keins bekommen, andere wollen die Schultoilette nicht benutzen, und so weiter.

Unterfinanzierte Schulen, schulisches Scheitern und die entsprechenden Abstiegskarrieren gibt es nicht nur in Deutschland. Aber Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das die Ideologie der schwarzen Null radikal durchsetzt und diese Ideologie auch den Nachbarstaaten aufzwingt. Und es ist eines der wenigen Länder, in denen Kinder für den Armeedienst rekrutiert werden. Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verbietet es, Minderjährige zu rekrutieren, auch dann, wenn sie und ihre Eltern dank Hartz IV vom sozialen Abstieg bedroht sind.

Die Ideologie der Schwarzen Null führt, wie man sieht, bis ans Kasernentor und bis an die Abgründe, die dahinter liegen. Investive Ausgaben = Konsumausgaben, das ist die Ideologie der Schwarzen Null. Ihre Ideologen behaupten unter anderem, dass der Wert der Zahlungsmittel verschwinden würde, wenn man damit den Bau einer Straße, einer Schule oder eines anderen Gebäudes finanzieren würde. Sie behaupten, der Wert wäre dann weg, weil die entsprechenden Zahlungsmittel aus dem Haushalt verschwinden und der Gebäudewert in diesem Haushalt gar nicht auftaucht. Diese haushalterische Regel, sie heißt „Schuldenbremse“, gilt tatsächlich in den öffentlichen Haushalten, aber nur da. Dass eine Investition in die Daseinsvorsorge genau dasselbe ist wie eine Ausgabe für den Verbrauch, das ist ökonomisch gesehen Schwachsinn. Aus den Gewerkschaften, vom Internationalen Währungsfonds, auch von Mitgliedern des Sachverständigenrats, die das immer wieder klargestellt haben, hört man diese Kritik nur noch selten, weil die Regierungspolitiker diese einfache Sache, die man ihnen seit mehr als zehn Jahren immer wieder erklärt, sowieso nicht hören wollen.

Auch die jetzige Bundesregierung hat ihren Finanzminister von Anfang an betonen lassen, an der Schwarzen Null festzuhalten, weil sie plant und weil das vielleicht das wichtigste Vorhaben dieser Regierung ist, die Rüstungsausgaben alljährlich so zu erhöhen, dass in wenigen Jahren, 2024, genau doppelt so viel Geld beim Militär ausgegeben werden wird wie letztes Jahr, 2017. Mindestens 33 Mrd. Euro pro Jahr mehr. Allein mit den für ein Jahr geplanten Mehrausgaben für das Militär könnte der Bund also den gesamten über zweieinhalb Jahrzehnte aufgelaufenen Investitionsstau bei den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland auflösen, das waren nach Berechnungen der kommunalen Verbände 2017 nämlich 34 Mrd. Euro. Die zusätzlichen Rüstungsausgaben der anderen Jahre könnten und müssten dringend in die anderen Infrastrukturen investiert werden, und genau das will die Bundesregierung nicht. Das zu verhindern ist Regierungsprogramm. Die Schuldenregel soll für alles andere gelten, nur nicht für das Militär.

In Berlin, das ist eine „wachsenden Stadt“ mit maroden Kitas, Krankenhäusern und Schulen, in Berlin reichen die Einnahmen nicht einmal für die selbstverständliche Aufgabe aus, in den nächsten Jahren eine ausreichende Anzahl von Schulplätzen zur Verfügung zu stellen. In dieser Not sollen nun ein paar Dutzend Schulen an einen Erbbaurechtsnehmer – die Wohnungsbau-GmbH HOWOGE – übertragen werden, von der die Bezirke die Schulen dann mieten müssen. Als Folge dieser Privatisierung soll die GmbH laut Erbbaurechtsgesetz Nutzen aus den Schulen ziehen und könnte beispielsweise geeignete Außenflächen als Werbeflächen vermieten, wo dann die Bundeswehr den Militärdienst als normalen Beruf und sogar Dienst am Frieden anpreist. Das wäre wieder ein Geländegewinn für die Bundeswehr. Die Volksinitiative „Unsere Schulen“ von Gemeingut in Bürger/innenhand richtet sich gegen die Privatisierung von Schulen und wird von der Bildungsgewerkschaft GEW unterstützt.

Das Thema Infrastruktur hat auch damit zu tun, dass die Bundesregierung den Militarismus zum normalen Betriebszustand der Politik machen will. Der NATO-Generalsekretär hat im November 2017 verlangt, dass „die gesamte zivile Infrastruktur – Straßen, Schienennetze und Flughäfen – militärischen Anforderungen entsprechen muss“.1 Diese Anforderung ist fürchterlich. Und quasi als ausführender Ausschuss hat die EU-Kommission vor vier Tagen, am 27. März 2018, ihren Aktionsplan für einfachere Transporte von Panzern und anderem Militärgerät in Europa vorgestellt.2 Bei der Umsetzung wird Deutschland „Rahmennation“ sein. Die NATO-Alliierten haben im September 2016 eine Bestandsaufnahme der Transportinfrastruktur hier in Europa begonnen,3 und schon ist der EU-Aktionsplan da. Der Regierungsapparat funktioniert reibungslos, wir kennen das aus zwei Weltkriegen, wenn es darum geht, die europäischen Armeen schneller nach Osten umgruppieren zu können4. Die Steuermittel dafür kratzen sie bei der Daseinsvorsorge zusammen. Die Daseinsvorsorge zu privatisieren, um bei steigenden Rüstungsausgaben5 die Schuldenregel einzuhalten, das darf nicht das Modell für andere Kommunen in Deutschland werden, das sollten wir versuchen gemeinsam zu verhindern.

 

Anmerkungen:

1. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/483 –, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/006/1900634.pdf

2. DPA: Brüssel präsentiert Plan für einfachere Panzertransporte in Europa: http://www.eu-info.de/dpa-europaticker/285496.html

3. Siehe Fußnote 1

4. ORF-News: „Sollen einfacher werden“: http://orf.at/stories/2414401/2414410/

5. Steigerung um mehr als 7 Prozent jährlich

 

Ulrich Scholz ist Lehrer an einer Sekundarschule in Tempelhof, der Johanna-Eck-Schule, und aktiv in der AG Friedenserziehung und Friedenspolitik der Bildungsgewerkschaft GEW in Berlin.