Redebeitrag für den Ostermarsch Flensburg am 8. April 2023

 

- Sperrfrist: 8. April 2023, Redebeginn: 10 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Herzlich Willkommen zum Oster-Friedensmarsch hier in Flensburg,

einer Stadt, die das Thema Krieg und Frieden in Ihrer Losung hat: »Friede ernährt, Unfriede verzehrt«. Kurz und knapp ist damit eigentlich alles gesagt, was man über Krieg wissen müsste, wenn da nicht immer Diejenigen wären, die dieses Wissen ignorieren. Diese Ignoranz aber ist kein Zufall und auch kein Produkt von Dummheit. Sie ist politisch gewollt. Denn, um Karl Krauss zu zitieren: „Als zum erstenmal das Wort »Friede« ausgesprochen wurde, entstand auf der Börse eine Panik. Sie schrien auf im Schmerz: Wir haben verdient! Lasst uns den Krieg! Wir haben den Krieg verdient!“.

Kriege fallen eben nicht vom Himmel. Sie sind kein Naturereignis. Und doch tun die meisten so. So stellt Sigmund Graff fest: „Das Furchtbarste an jedem Krieg ist der Umstand, daß die Menschen ihn wie ein Naturereignis - etwa wie einen Blitzschlag, ein Erdbeben, eine Springflut - hinzunehmen pflegen, während er in Wirklichkeit ein mit ihrer eigenen Duldung und Mithilfe von Menschenhand vorbereitetes Unternehmen ist, bei dem man den Initiatoren und Managern auch noch die sichersten Plätze reserviert“.

Und schon Bismarck wusste: „Die Majorität hat gewöhnlich keine Neigung zum Kriege. Der Krieg wird durch Minoritäten oder in absoluten Staaten durch Beherrscher oder Kabinette entzündet“. Und diese Entzündung erfolgt eben nie ohne Zweck. Dabei aber gibt es immer zwei Zwecke: Den Zweck, den man der Menge erzählt, damit diese den Krieg zu führen bereit ist, und den Zweck, der tatsächlich verfolgt wird. Wie Clausewitz ausführte: „Die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden“.

Capital Bra, ein Rapper – und damit ist mein Redebreitrag auch für die Jugend anschlussfähig – bringt das mit dem Zweck präzise auf den Punkt: „Und alle reden vom Weltfrieden aber machen trotzdem Krieg, weil sie das Geld lieben“.

Nun, die offiziellen Narrative des Ukraine-Krieges sind bekannt: Putin kämpft gegen Nazis und die Ukraine kämpft für die europäischen Rechte der Freiheit usw. Doch schon Goethe wusste: „Sie streiten sich, so heißt's um Freiheitsreche: / Genau besehn, sind's Knechte gegen Knechte“. Und eben das ist es, worum es bei Kriegen geht: Knechtschaft. Vor allem die Knechtschaft unter dem Kapital. Denn wie Jean Jaurès es pointierte: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“.

Ja, Russland hat einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Aber damit befindet sich Russland in guter Gesellschaft, denn auch die USA, Frankreich, England usw. haben schon gerne völkerrechtswidrige Kriege begonnen. Die deutsche Geschichte müssen wir da erst gar nicht bemühen. Und in allen Kriegen spielt Geld die zentrale Rolle. Sei es als Rohstoff, als Transportweg, als Absatzmarkt. Um die Völker, um die Menschen geht es dabei nie. Wenn nun Olaf Scholz verkündet, dass man Waffen liefern müsse und das ukrainische Volk nicht fallen lassen dürfe – dann sollte er beantworten, warum man das jemenitische Volk (als nur ein Beispiel) fallen lassen darf und mit dessen Invasoren fleißig Geschäfte macht.

Neben dem Geschäft aber dient der Krieg auch der Politik selbst. Wie Walter Benjamin sagte, gipfeln alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik „in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg“. Mit dem Krieg verschwindet die Komplexität, gibt es nur noch einfache Schemen von Freund und Feind. Mit dem Krieg überholen sich Diskussionen und Begründungen für das politische Handeln, die Existenz des Feindes reicht als solches aus. Krieg bietet eine Bühne der Selbstinszenierung wie es der Frieden nicht Mal bei Olympiaden schafft.

Ich möchte exemplarisch an dieser Stelle auf den Friedensnobelpreisträger Obama eingehen. Er schafft es nämlich sogar, die innere Widerspruchstiefe seiner Aussagen als gleißendes Licht der Humanität darzustellen. Er sagte einmal: „Der Mut und die Opfer von Soldaten sind ruhmreich, sie verleihen ihrer Hingabe für ihr Land Ausdruck, für die Sache und ihre Waffenbrüder. Aber der Krieg selbst ist niemals ruhmreich, und wir dürfen ihn auch nie als ruhmreich darstellen“. Die Unterscheidung von Soldaten und Krieg ist elegant, aber natürlich Nonsens. Und dieser Nonsens entlarvt sich direkt darin, dass er sogar unterstreicht, dass die Opfer der Soldaten für ihr Land, für die Sache und ihresgleichen getätigt würden. Was aber soll die Sache sein? Und da wären wir wieder bei den Zwecken.

Nun, zu Russland hatte Obama als er noch Präsident war, Folgendes zu sagen: „Amerika möchte ein starkes, friedliches und blühendes Russland. Die Tage, an denen Großmächte andere souveräne Staaten behandeln konnten wie Schachfiguren, sind vorbei“. Uiuiui. Das klingt doch toll. Aber mal kurz überlegt: Wie viele souveräne Staaten hat Russland in den letzten 70 Jahren überfallen? Und wie viele haben die USA überfallen oder deren Regierungen weggeputscht? Indirekt hat Obama schlicht zugegeben, dass andere souveräne Staaten für die USA bis dahin nur Schachfiguren gewesen sind. Und jetzt die Kernfrage: Warum sollte sich dies geändert haben? Hat es natürlich nicht, denn wie der Friedensnobelpreisträger klargestellt hat: „Ich bin nicht gegen alle Kriege. Ich bin gegen dumme Kriege. Ich bin gegen voreilige Kriege“.

Voreilig ist der Ukraine-Krieg nicht gerade. Er hat eine lange Geschichte, aber in diese politischen Details möchte ich hier gar nicht eintauchen. Vielmehr möchte ich beim Krieg und seinem Wesen bleiben. Denn Krieg ist nur möglich, wenn er vorbereitet wird. Es sind eben nicht die Völker, die nach Krieg rufen. Sie müssen erst zum Rufen gebracht werden. Und eben daran arbeiten die von Bismarck benannten Minderheiten schon seit Jahrhunderten. Sie arbeiten daran, indem sie uns von klein auf an den Krieg als etwas Normales, etwas Natürliches, etwas Notwendiges präsentieren. Sei es in den Schulen, in den Hochschulen, in den Theatern oder sonst wo. So wusste schon Thomas Hobbes: „Es ist unleugbar, daß Krieg der natürliche Zustand der Menschen war, bevor die Gesellschaft gebildet wurde, und zwar nicht einfach der Krieg, sondern der Krieg aller gegen alle“. Damit erklärt er den Krieg als dauerhaften Naturzustand, der nur durch Staatenbildung eingedämmt werden kann. Das fanden die Kapitalisten und Politiker richtig gut, stützt sich ihre Macht doch auf diesem Verständnis.

Und gänzliche Kriegsenthusiasten verklären den Krieg dann wie Heraklit zum Vater aller Dinge. Das ist die perverseste Umdeutung meines Erachtens, denn die Zerstörung wird zur Schöpfung umgedeutet. Aber das Töten eines Menschen hat so gar nichts mit dem Gebähren eines Babys gemein. Vor allem aber wird Heraklit immer zu kurz zitiert, denn das ganze Zitat lautet: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien“. Was er also wirklich mahnt ist, dass Krieg Herrschaft bedeutet und die Menschen in Herrscher und Beherrschte einteilt. In Knechte und Knechtende.

Und so sollen wir alle fein folgsam sein und den gesponnenen Weltsicht-Käfig der Kriegstreiber nicht in Frage stellen. Wir sollen gerne und freudig unsere Arbeitsleistung und unser Geld zur Verfügung stellen, damit Waffen Menschen töten. Doch wie Hemingway sagt: „Denke niemals, dass der Krieg, egal wie erforderlich oder wie begründet er ist, kein Verbrechen ist“. Und wer für sich in Anspruch nimmt ein vernünftiger Mensch zu sein, der muss sich dem Verbrechen widersetzen. Denn die Wahrheit hat Shakespeare treffend benannt: „Es wird mit Blut kein fester Grund gelegt, / kein sicheres Leben schafft uns Andrer Tod“.

Und so möchte ich mit Spinoza zum Ende kommen: „Friede ist nicht Abwesenheit von Krieg. Friede ist eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen und Gerechtigkeit“. Gerade diese Geisteshaltung aber hat in den letzten Jahren gelitten. In der Pandemie setzte die Politik auf Kontrolle statt Vertrauen, auf Ausgrenzung und Feindbilder statt auf Gerechtigkeit und auf Misstrauen statt Güte. Entsprechend leicht haben es jetzt die Profiteure des Krieges. Und entsprechend notwendig sind Friedensmärsche geworden. Wir brauchen lautstarke und andauernde Stimmen für den Frieden. Stimmen, die sich nicht von den falschen Logiken der Gewalt und des Krieges in die Irre führen lassen. Stimmen, die nicht den Geldinteressen hinterherlaufen. Und so freue ich mich, Sie alle hier zu sehen und gemeinsam mit Ihnen für den Frieden zu gehen. Wir alle sind eine Stimme der Güte und des Vertrauens und zusammen gewinnt unsere Stimme an Kraft. Auf das diese Kraft so groß wird, dass auch die Gerechtigkeit wieder an all den Orten des Krieges auf unserem Planeten einkehren kann.

 

Christian Dewanger ist ehem. Flensburger Stadtpräsident.