Redebeitrag für den Ostermarsch Weimar am 8. April 2023

 

- Sperrfrist: 8. April 2023, Redebeginn: 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

„War does not decide, who is right, only, who is left.“
„Krieg entscheidet nicht darüber, wer recht hat, nur, wer übrig bleibt“ oder
Frieden kann nicht erkämpft, er muss verhandelt werden.

In diesen Zeiten großer geistiger Verwirrung und einseitiger Fixierung auf Waffen als den angeblich einzigen Mittel Gewalt zu begegnen, möchte ich im Folgenden zu vier Begriffen etwas Orientierung anbieten:

I. Frieden

II. Friedenslogik

III. Gewaltfreiheit

IV. und dem Leitsatz: Global denken, alltäglich handeln

I. Frieden

Anfang der 90er Jahre habe ich in Tübingen beim Verein für Friedenspädagogik gearbeitet und hatte die Aufgabe Filme und Ausstellungen zu einer Reihe von Themen zusammenzustellen, unter anderem zu dem Stichwort „Frieden“. Dieser Begriff tauchte im Register von Medienkatalogen gar nicht auf oder mit dem Verweis „siehe Krieg“. Das ist ungefähr so, als ob Ihnen ein Autohändler nicht seine neuesten Modelle anpreist, sondern Sie auf den Schrottplatz schickt. Da stimmt etwas nicht, denn natürlich ist Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg, Frieden ist sogar die Norm, die von den Vereinten Nationen seit 1945 immer weiter entwickelt wurde – als Reaktion auf all die staatlich organisierten Verbrechen vor und während des Zweiten Weltkrieges. (vgl. https://dgvn.de/un-im-ueberblick/geschichte-der-un )

Doch, was heißt das praktisch, wie lässt sich „Frieden“ definieren? Ich habe einen Vorschlag: „Frieden herrscht, wenn für alle die Menschenrechte komplett realisiert sind.“ Das ist überschaubar und umfassend zugleich: Es geht um 30 Artikel in der Universalen Deklaration der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, darin werden sämtliche individuellen und gesellschaftlichen Lebensbereiche aufgeführt und zugleich die Staaten mit ihrem Gewaltmonopol in die Schranken gewiesen. Dieser Katalog entstand nicht zufällig in Reaktion auf die staatlich organisierten Verbrechen vor 1945 und aus der bitteren Erkenntnis, dass Staaten nicht – wie es theoretisch ihre Aufgabe wäre – den einzelnen durch das Gewaltmonopol des Staates vor Verletzung seiner Rechte bewahrt haben, sondern Millionen Menschen systematisch entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. In Weimar muss man nur knapp 10 km auf den Ettersberg gehen um zu verstehen, was damit gemeint ist: Das Lager Buchenwald gehörte seit 1937 zum Stadtgebiet.

Die Menschenrechte sind im Rahmen der Vereinten Nationen immer weiter entwickelt worden inklusive Regelungen, die unsere Umwelt, unsere Lebensgrundlagen schützen sollen.

Wie könnte das praktisch aussehen?

Hier vorn stehen auf einer blauen Fahne mit unserem Planeten in der Mitte lauter farbige Schachfiguren, ihre schwarzen und weißen Uniformen haben sie abgelegt und es gibt neue Regeln: Rauswerfen gilt nicht mehr und die Bauern dürfen laufen wie die Könige. Also die große Harmonie, konfliktfrei, harmlos wie eine Kinderbuchgeschichte, so wie Bullerbü?

Das von Astrid Lindgren beschriebene Leben in einem kleinen schwedischen Dorf wird gern herablassend als Beispiel für naive Friedenssehnsüchte abgetan, doch es lohnt sich näher hinzuschauen: Niemand hungert dort, das Land, das Wasser und die Luft sind nicht verseucht, es gibt keinen Müll, keine Ressourcenverschwendung, es gibt keine Waffen, die Kinder müssen sich vor nichts fürchten und können alle zur Schule gehen. Und ja, Magd und Knecht haben nicht dieselben Rechte wie die Bauern, diese kleine Welt ist nicht perfekt, doch wenn wir auch nur diese Verhältnisse für alle Menschen weltweit realisieren könnten, wäre das ein großer Fortschritt. Und natürlich war auch das Leben in Bullerbü nicht statisch, es veränderte sich und so gesehen ist „Frieden“ nicht allein ein Ziel, sondern eine Wegbeschreibung, weg von Krieg und Gewalt zu friedlicheren Verhältnissen.

Dabei geht es nicht allein um ein kleines schwedisches Dörfchen, es geht gedanklich um die gesamte Zeit, die hinter und vor uns liegt, es geht um den ganzen Planeten und es geht um die vielen Rollen, in denen wir unterwegs sind und die uns zum Teil in widerstreitende Anforderungen zwingen: Als Mitglied einer Familie, als Mitarbeiter*in in einem Betrieb, als Vertreter*in einer Organisation, Partei oder Kirche oder als Bürger*in eines Staates. Praktisches Beispiel: Eigentlich gab es von den ethischen Anforderungen her keinen Grund für mich, in der Gedenkstätte Buchenwald jemals Dienstschluss zu machen und nach Hause zu fahren – oder ist umgekehrt ein Familienleben wichtiger als jeder Job?

Und schließlich gibt es neben Zeit, Raum und Verantwortlichkeiten noch die vierte Dimension, in der wir Mitglieder der Weltgesellschaft permanent gefordert sind: Die dauernde Spannung zwischen Menschenrechten und dem Streben von einigen nach absoluter Macht

Denn: Nicht alle sind daran interessiert Verhältnisse zu schaffen, in denen die Rechte aller gewahrt werden. Die Missachtung und Ausgrenzung anderer, brutaler Hass bis zu der Bereitschaft zur Durchsetzung der eigenen Interessen über Leichen zu gehen sind nicht aus der Welt und nicht allein mit Freundlichkeit zu überwinden – wir sind weiterhin mit unzähligen Konflikten auf allen Ebenen der Weltgesellschaft konfrontiert. Die Eskalation von Meinungsverschiedenheiten zu offenem Streit zu Konflikt und Krieg sind meist verkoppelt mit zunehmender verletzender Gewalt und abnehmender Phantasie, wie aus dieser Spirale herauszukommen ist. Die Kriegslogik geht unter anderem von dem Leitsatz aus „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ und zieht so tendenziell immer mehr Menschen in einen Konflikt hinein. Konflikte gibt es jede Menge, doch wir sollten uns nicht von ihnen mental gefangen nehmen lassen, denn wir werden viel Phantasie brauchen um jenen entgegenzutreten die sagen: Es gibt nicht viele Möglichkeiten, es gibt nur zwei und Du musst Dich entscheiden: Dafür oder dagegen, Freund oder Feind - bis zur existenziellen Konfrontation: Du oder ich.

Und neben all den zerstörerischen Kriegen haben wir es noch mit einer weiteren bitteren Wahrheit zu tun: Wir brauchen gar keine Kriege, um unsere Lebensgrundlagen zu ruinieren, es genügt, unseren verschwenderischen Lebensstil einfach fortzusetzen.

Doch wie kommen wir da heraus? Damit bin ich bei meinem zweiten Stichwort:

II. Friedenslogik

„Ein Held ist, der aus einem Feind einen Freund macht“ Schon wieder so eine naive Idee? Mitnichten. Der Satz ist uralt und stammt aus einem Text des Talmud – und weist darauf hin, dass die Überwindung von Feindschaft alles andere als einfach, doch wörtlich not-wendig ist. (vgl. http://www.editiondaslabor.de/blog/2012/12/05/ein-held-ist-der-aus-einem-feind-einen-freund-macht/

Eine Spur zu diesem Thema führt hier in Weimar zu einem kleinen Kreuz in der Herderkirche geformt aus langen Nägeln des zerstörten Daches der ehemaligen Kathedrale von Coventry: Durch den deuschen Luftangriff wurden am 14. November 1940 über 580 Menschen getötet – und der damalige Dompropst Richard Howard reagiert mit „Father, forgive“ „Vater, vergib“ und zitierte damit aus dem Lukasevangelium Worte, die Jesus am Kreuz gesagt haben soll. (vgl. https://www.ekd.de/27031.htm)

Diese Reaktion hatte nach dem Krieg weltweit Folgen, die internationale Nagelkreuzgemeinschaft setzt sich vielfältig für Versöhnung und Frieden ein und seit diesem März gehört neben der Gemeinde in der Herderkirche, dem Augustinerkloster in Erfurt und der evangelischen Gemeinde in Eisenach auch die Jenaer Stadtkirche zur Internationalen Nagelkreuzgemeinschaft

Dieser Ausflug in die jüdische und christliche Überlieferung sei erlaubt, da gerade jetzt neben Ramadan auch Pessach und Ostern gefeiert werden und diese Feste sehr viel mit unserem Thema zu tun haben.

Also eine Abkehr von Abschreckung, Aufrüstung und Kriegslogik?

Ja. Es geht darum anstelle der permanenten Gewalt- und Kriegsrhetorik auf etwas Anderes zu setzen, was die diesjährige Preisträgerin des Göttinger Friedenspreises, Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach „Friedenslogik“ genannt hat. (https://www.goettinger-friedenspreis.de/2023-prof-dr-hanne-margret-birckenbach , vgl. auch https://www.hanne-margret-birckenbach-wellmann.de/ )

In ihrem Buch „ Friedenslogik verstehen“ beschreibt sie ausführlich die Grundlagen einer Politik, die auf Prävention, Mediation und Konfliktbearbeitung setzt, beschrieben mit Beispielen aus der ganzen Welt. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass die Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung in die Praxis etwa der Mitgliedsorganisationen des „Forums ziviler Friedensdienste“ https://www.forumzfd.de/de/mitgliedsorganisationen ,

einfliessen und dann wieder wissenschaftlich reflektiert und weiterentwickelt werden. In ihrer Dankesrede für den Göttinger Friedenspreis hat sie folgende fünf Arbeitsfelder skizziert, in denen zivilgesellschaftliche Akteure – also wir – für eine Friedensentwicklung im Krieg um die Ukraine wirken können:

  • 1. Den friedenspolitischen Diskurs in Gang halten und ihn erweitern, also Denk-, Dialog- und Kooperationsräume offenhalten, gerade mit friedensorientierten Personen in der Ukraine, Russland und Belarus. Hierzu gehören z.B. die Preisträgerinnen des Weimarer Menschenrechtspreises Irina Scherbakova für „Memorial“ aus Russland und Olga Karatch, Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation "Nash Dom - Unser Haus"

  • 2. Oasen von Friedensentwicklung ausweiten und verbinden, also Orte zu bewahren, an denen weiterhin miteinander und nicht übereinander geredet wird. Die Organisation OWEN schafft es seit Jahren bis heute, die Gesprächsfäden zwischen Frauen aus Mittel- und Osteuropa zu erhalten, trotz enormer Belastungen auf allen Seiten. ( https://www.owen-berlin.de/ )

  • 3. Globale Normen und zivilgesellschaftliche Ansätze integrieren, zum Beispiel durch die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus Russland, der Ukraine und Belarus, wie durch die Organisation „connection e.V.“ https://de.connection-ev.org/.
    (Flyer liegen unten auf dem Tisch) Dazu gehört auch, die Engführung der hiesigen Diskussionen allein auf Deutschland oder Europa zu überwinden und zum Beispiel Friedensvorschläge aus Lateinamerika zur Beendigung des Krieges in der Ukraine überhaupt wahrzunehmen. ( vgl. Friedensforum 2/2023 S. 16ff https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/startseite

  • 4. Zugänge zum Friedensdiskurs lebensnah verbreiten, indem die Verknüpfungen zwischen persönlichen Erfahrungen in Mikrokonflikten und den Interpretationen des weltpolitischen Geschehens beachtet werden. Mit dem Ansatz auf der individuellen Ebene kann das verbreitete Ohnmachtsgefühl durch eine den eigenen Fähigkeiten entsprechende Einflussnahme erfolgreich angegangen werden.

  • 5. Multiperspektivische Friedensdialoge wagen: Weltweit werden positive Erfahrungen im Umgang mit Konflikten gesammelt, die hier viel zuwenig wahrgenommen werden; dabei ist es Dank internet leicht möglich sich schlau zu machen über Organisationen wie den Weltfriedensdienst (www.wfd.de )
    den Bund für soziale Verteidigung ( https://www.soziale-verteidigung.de/) ,
    die Freiwilligendienste in der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden https://friedensdienst.de/ )
    die war resisters international, https://wri-irg.org/en oder eben das wissenschaftliche Engagement der Mitglieder in der „Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung“ ( https://afk-web.de/ )

Sie können sich all die Hinweise mit weblinks auch zuschicken lassen, dazu brauchen Sie mir nur eine kleine email zusenden.

Doch wenn wir Gewalt als Konfliktbearbeitung ausschließen, weil es angesichts der drohenden Eskalation bis hin zum Atomkrieg schlicht unsere Existenz auf diesem Planeten kosten kann,

was bleibt dann übrig? Damit bin ich bei meinem letzten Begriff, der Gewaltfreiheit.

III. Gewaltfreiheit

Gewaltfreiheit bedeutet nicht Machtlosigkeit, sondern bewussten Verzicht auf verletzende Gewalt, im Englischen mit „nonviolence“ beschrieben.

Ihre wichtigsten Vertreter, Mahatma Gandhi und Martin Luther King haben nicht Konflikte vermieden, sondern auch dramatisiert, (wie mit dem Salzmarsch oder dem Busboykott in Montgomery (https://www.history.com/topics/black-history/montgomery-bus-boycott)

um Ungerechtigkeit wie die Rassentrennung sichtbar zu machen. Diese Diskriminierung war in der Verfassung der USA nicht vorgesehen und doch Realität, Ähnlich war das Selbstbild Großbritanniens, in dessen Weltreich es theoretisch nicht Menschen erster und zweiter Klasse geben sollte. So konnten Gandhi und King an einen Grundkonsens appellieren, der bislang nicht realisiert war. Doch funktioniert das mit Autokraten und Diktatoren, die sich dafür gar nicht interessieren? Putin träumt aktuell von einer Wiedergeburt eines starken Russlands und er ist derzeit nicht der einzige Staatspolitiker, der sich mehr für die Durchsetzung seiner Machtinteressen als die Menschenrechte interessiert – und auch in den Demokratien sind wir vor solchen Bestrebungen nicht sicher.

Ich habe vor Jahren in der Gedenkstätte Buchenwald gemeinsame Seminare von Soldaten und Kriegsdienstverweigeren geleitet und gesagt, dass dieser Ort für alle schwierig ist: Für Pazifisten, da das KZ nur durch Militärgewalt befreit werden konnte, für Soldaten, da nach 1945 vielfach das Militär an der Neuerrichtung von Lagern beteiligt war. Insofern gibt es keine einfachen Antworten und als Ausweg bleibt die Aufgabe, sich nicht an den Autorkraten zu zerreiben, sondern nach Menschen zu suchen, die auf der „anderen Seite“ mit dazu beitragen können, aus der Gewaltspirale auszusteigen.

Ich möchte daran erinnern, dass schon vor 1945 alle Alliierten deutsche Emigranten dazu benutzt haben, gegen die Kampfbereitschaft der Hitler-Truppen zu agieren und sich darauf vorzubereiten, dass irgendwann dieser mörderische Krieg beendet sein wird und ein neues Deutschland aufzubauen ist – tatsächlich sind es dann erstmal zwei geworden.

Gibt es tatsächlich niemanden aus den verfeindeten Staaten, mit denen Zivilisten wie wir reden könnten? Irrtum: Auch in Weimar leben Menschen aus Russland und der Ukraine, die sich noch vor kurzem nicht hätten träumen lassen, dass sie sich einmal anhand dieser Nationalitäten sortieren sollten – unter anderem gehören hier zur russisch-orthodoxen Gemeinde Menschen aus Russland und der Ukraine und das ist doch eigentlich ein Hoffnungszeichen.

Ich komme zum letzten Punkt, der nach allem schon Gesagten knapp ausfallen wird:

IV: Global denken, alltäglich handeln

In vielen Parteien, Organisationen, Freundeskreisen und Familien zerstreiten sich derzeit Menschen über Verantwortlichkeiten, die gar nicht ihrer Reichweite entsprechen:

Wir sind weder Bundeskanzler, noch Außenministerin oder für Rüstungsprogramme zuständig. Ja, wir müssen uns ein differenziertes Bild machen und möglichst überprüfen, was uns erzählt wird, doch dann, nach dem „Global denken“ sollte es an´s Handeln gehen, beim Einkaufen, Energie einsparen, Petitionen unterstützen, sich einmischen und zuhören – die Liste der Möglichkeiten ist lang (sie liegt hier vorn zum Mitnehmen!)

Zugleich sollten wir gnädig mit uns sein, da wir bei weitem nicht so viel mit unseren begrenzten Kräften bewegen können wie wir gern wollen.

Doch immerhin, Sie sind gekommen und – wie bei den Demonstrationen der Jugendlichen von „Fridays for Future“ hier in Weimar - werden auch hier für alle Teilnehmenden über „plant for the planet“ wieder Bäume gepflanzt: (https://www1.plant-for-the-planet.org/wfz-embangweni?site=site_UV8VYlrAiqCLC7m)

Im Lauf der letzten Jahre sind es inzwischen mehr als 14.000 geworden.

Ich danke Ihnen!

 

Daniel Gaede ist ehem. Pädagogischer Leiter der Gedenkstätte Buchenwald in Weimar.