Redebeitrag für den Ostermarsch Heidelberg am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Deeskalieren, Verhandeln ‒ Gemeinsame Sicherheit statt Aufrüstung

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Ostermärsche haben mittlerweile eine lange, über 60jährige Tradition. Einer friedlicheren Welt sind wir aber in dieser Zeit leider nicht nähergekommen. Durchgängig herrschte in den letzten Jahren in über 30 Ländern Krieg. Durch den russischen Einmarsch in der Ukraine eskalierte im Februar letzten Jahres ein weiterer, mitten in Europa, mit dramatischen Auswirkungen auf die ganze Welt. Und nun droht die rechtsradikale neue Regierung in Israel einen neuen Krieg im Nahen Osten anzufachen.

Die Ostermärsche entstanden aus den Kampagnen für nukleare Abrüstung, doch Atomwaffen sind eine massive Bedrohung für die Menschheit und das Leben auf dem Planeten geblieben. Und heute, durch die Gefahr einer Ausweitung des Ukraine-Krieges, ist das Thema so brisant wie seit langem nicht mehr. Da die USA mittlerweile auch fast sämtliche Rüstungskontrollabkommen beerdigt haben, konstatierte das „Bulletin der Atomwissenschaftler“ im Januar „eine Zeit nie dagewesener Gefahr“ und schob die Zeiger ihrer Weltuntergangsuhr auf 90 Sekunden vor Mitternacht vor.

Die Eskalationsgefahr nahm seither noch zu. So stürzte kürzlich eine US-Drohne nach Kontakt mit russischen Kampfjets ins Schwarze Meer, liefern die Briten hochgiftige Uran-Munition an die Ukraine und stationiert Russland im Gegenzug taktische Atomwaffen in Weißrussland. Moskau will dies als Gegenstück zur Stationierung von Atombomben in Deutschland und anderen europäischen Länder verstanden wissen und deren „nuklearen Teilhabe“.
Damit deutsche Piloten im Rahmen dieser „Teilhabe“ selbst Atomwaffen abwerfen können, will die Bundesregierung für zig Milliarden Euro neue, dafür taugliche Bomber anschaffen. Und die USA wollen noch ab diesem Jahr neue US-Mittelstreckenraketen im Osten Europas stationieren, darunter auch die Hyperschallrakete Dark Eagle. ‒ Aus Sicht Russlands eine Bedrohung, ähnlich wie vor gut sechzig Jahren die sowjetischen Atomraketen auf Kuba für Washington. Putin hat letztes Jahr die russischen Atomwaffen in Alarmbereitschaft versetzt, die USA halten ohnehin einen erheblichen Teil ihres Arsenals in eine hoher Alarmstufe („round-the-clock alert“) und auch die Biden-Administration hält an der Option eines nukleares Erstschlags fest.

Dieser Wahnsinn muss gestoppt werden. Die Atommächte müssen dazu genötigt werden, einen Erstschlag auszuschließen und endlich ihren Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag nachzukommen und abzurüsten. Die Bundesregierung muss den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen und alle Atomwaffen aus Deutschland beseitigen.

Neben einem Einsatz von Atomwaffen, möglicherweise allein aufgrund von Fehleinschätzungen gegnerische Aktionen, besteht auch die reale Gefahr, dass Schäden an ukrainischen Kernkraftwerken zu einer nuklearen Katastrophe führen. So steht das auf russischer Seite der Front liegende AKW Saporischschja und dessen Stromversorgung immer wieder unter ukrainischem Beschuss.

Es sollte sich also von selbst verstehen, dass weitere Eskalationsschritte im Krieg in der Ukraine, wie die Lieferung von Kampfpanzern, Kampfflugzeugen oder Uranmunition unbedingt eingestellt werden müssen und alles für ein rasches Ende der Kampfhandlungen getan werden muss.

Wir sind uns, denke ich einig, dass der russische Einmarsch in die Ukraine ein Bruch des Völkerrechts war. Viele wollen aber nicht mehr gelten lassen, dass er eine Vorgeschichte hatte und dass viele vor einer solchen Konsequenz der Konfrontationspolitik der USA und NATO gegen Russland gewarnt hatten, mit der die in 1990er Jahren begonnene Politik der Entspannung, Abrüstung und Rüstungskontrolle beendet wurde.

Außerhalb des Westens sieht man das klarer. Eine deutliche Mehrheit aller Staaten hat zwar in den Abstimmungen der UN-Vollversammlungen die russische Invasion verurteilt, drängt gleichzeitig aber vor allem auf eine politische Lösung. Viele, teils gewichtige Länder, wie Indien und Südafrika stimmten ‒ trotz Ablehnung des russischen Vorgehens ‒ den Resolutionen jedoch nicht zu, da sie ihnen zu einseitig sind und den Hintergrund des Krieges ausblenden: dazu zählt die Ausweitung der NATO bis an die Grenzen Russland ‒ entgegen verbindlicher Zusagen und die Weigerung der USA und NATO ernsthafte Verhandlungen über russische Sicherheitsinteressen aufzunehmen sowie auch die völkerrechtswidrige Einmischung des Westens beim Putsch 2014 in der Ukraine und die Missachtung des völkerrechtlich verbindlichen Minsker Abkommens, wodurch der Krieg Kiews gegen die Donbass-Republiken bis zum russischen Einmarsch weiterging. [Dass Minsk II vor allem dazu dienen sollte, Kiew Zeit zur Aufrüstung zu geben, wurde von Ex-Kanzlerin Merkel und ihrem damaligen französischen Kollegen Holland unlängst ja auch zugegeben.]

Aus Sicht dieser Länder hätte der Krieg wohl durch ein Einlenken der NATO-Staaten verhindert werden können. Doch ‒ um es an Ostern mit den Worten von Papst Franziskus zu sagen ‒ sie bellten vor den Toren Russlands und verstanden nicht, „dass die Russen imperial sind und keiner fremden Macht erlauben, sich ihnen zu nähern“.

Die UN-Resolutionen verlangen selbstverständlich die Wahrung der territoriale Integrität der Ukraine, doch vor allem pochen sie auf die Beilegung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine, den USA und ihren europäischen Verbündeten und einen „umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden“ „durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel“.

Die Mehrheit der Welt stellt sich nicht nur gegen die Fortsetzung des Krieges. Auch mit seinem Wirtschaftskrieg ist der Westen weitgehend isoliert. Gerade einmal fünf Nicht-NATO-Staaten beteiligen sich daran, der Rest lehnt die eigenmächtig verhängten, umfassenden Handels- und Finanzblockaden vehement ab, durch den auch die Versorgung und Wirtschaft ihrer Länder massiv in Mitleidenschaft gezogen werden. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang auch die westliche Doppelmoral, indem sie auf die US- und NATO-Kriege der letzten Jahrzehnte verweisen.

Der Westen hat sich aber den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach Verhandlungslösungen konsequent verweigert. Bald nach Kriegsbeginn hatten Kiew und Moskau Verhandlungen aufgenommen, die nach Aussagen Beteiligter, wie dem ehem. israelischen Premier Naftali Bennet, erfolgversprechend waren. Sie wurden aber von den NATO-Staaten blockiert

Stattdessen wird seither die ukrainische Armee mit enormen Mengen an Waffen hochgerüstet. Spätestens mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten an NATO-Waffen wurden Deutschland und seine Verbündeten zur Kriegspartei und längst wurde der Abwehrkampf der ukrainischen Armee zum Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland. „Wir führen derzeit die Mission der NATO aus, ohne dass sie eigenes Blut vergießen muss,“ brachte es der ukrainische Verteidigungsminister Resnikow gut auf den Punkt.

Dabei hatte Bundeskanzler Scholz vor einem Jahr, als die Forderungen nach Lieferung schwerer Waffen laut wurden, selbst noch vor der Gefahr eines Welt- oder gar Atomkrieges dadurch gewarnt. Nun werden sogar schwere Leopard-2-Panzer an die ukrainische Front gesandt, dorthin ‒ und das sollte man in Deutschland nicht vergessen ‒ wo vor 80 Jahren ihre Vorgänger in der Wehrmacht, die Kampfpanzer Panther und Tiger rollten. Und außerdem gibt es bis zu 178 ausgemusterte Leopard 1 noch obendrauf ‒ zur Freude der Rüstungskonzerne, deren Chefs und Aktionäre aus der Champagnerlaune ohnehin nicht mehr herauskommen.

Die massive Aufrüstung verschärft den Krieg und verlängert ihn. „Jeder weitere Tag Krieg bedeutet für die betroffenen Menschen mehr Leid und Zerstörung, mehr Verwundete und Tote“ heißt es zurecht in einem neuen, von namhaften Gewerkschafts- und SPD-Mitgliedern unterzeichneten Appell ‒ und dies auf beiden Seiten der Front.

Militärisch zu gewinnen ist der Krieg von keiner Seite, da sind sich die meisten militärischen Experten einig. Auch der US-Generalstabschef Mark Milley ist überzeugt, dass die ukrainische Armee erreicht hat, was möglich war und viel mehr nicht drin ist. Er und deutsche Ex-Generäle, wie Harald Kujat und Erich Vad, drängen daher ebenfalls auf Verhandlungen. Sie warnen vor einer Wiederholung der Fehler im Ersten Weltkrieg, wo 2016 die Kämpfe von verantwortungslosen Führern trotz des militärischen Patts fortgeführt und so Millionen Soldaten getötet wurden.

Zu Verhandlungen über Waffenruhen kommt man nicht, wenn man den Rückzug des Gegners zur Vorbedingung macht, wie es von westlicher Seite geschieht, sondern nur, wenn man von den aktuellen Realitäten ausgeht. Und natürlich werden, um zu Ergebnissen zu kommen, Kompromisse nötig sein. Selbstverständlich sind Verhandlungen nun nach mehr einem Jahr Krieg und all den Gräueln und den dabei geschaffenen Fakten viel schwieriger als letztes Jahr. Dennoch fehlt es nicht an guten Vorschlägen.
Dabei dürfen Verhandlungsansätze nicht auf Russland und Ukraine beschränkt werden, sondern müssen selbstverständlich den gesamten zugrunde liegenden Konflikt Russlands mit den USA und NATO berücksichtigen. Moskau hat im Dezember Vorschläge dazu vorgelegt, neben einer Neutralität der Ukraine u.a. auch breite demilitarisierte Zonen auf beiden Seiten der Grenzen zwischen Russland und NATO und den Verzicht der Stationierung von Atomwaffen außerhalb des eigenen Territoriums. Es wäre durchaus denkbar, dass mit westlichen Zugeständnissen in diese Richtung territoriale Zugeständnisse Russlands erreicht werden können. Allein der Verzicht der USA auf die Stationierung von Mittelstreckwaffen in Europa könnte vermutlich einiges bewegen.

Im Westen weisen viele die Forderung nach Waffenstillstand und Verhandlungen empört zurück, da die Aussicht, dass Russland so Teilerfolge erzielen würde, ihr Gerechtigkeitsgefühl verletzt. Das Böse, der Aggressor dürfe nicht auch noch belohnt werden. Doch warnt u.a. auch Papst Franziskus davor, den Ukrainekrieg auf eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse zu reduzieren. Das berge die Gefahr, dass man nur dessen Ungeheuerlichkeit sieht und nicht das ganze Drama. „Um zum Frieden zu kommen müssen wir uns“, so Franziskus wörtlich, „von dem üblichen Schema des „Rotkäppchens“ lösen: Rotkäppchen war gut, und der Wolf war der Bösewicht.“

Bereits jetzt hat der Krieg weit über 100.000 Tode gefordert und alle, die für seine Fortsetzung und mehr Waffen an die Front sind, müssen sich fragen lassen, wieviel weitere Todesopfer ihnen die vage Aussicht, auf mehr Gerechtigkeit durch Rückeroberung einiger Gebiete wert ist.

Zudem ist die Frage was gerecht und nachhaltig für den Frieden wäre, gar nicht so einfach zu beantworten. Müssten doch neben dem Recht der Ukraine auf Wahrung ihrer territorialen Integrität auch das gleichwertige Recht der Bevölkerung der überwiegend russischen Gebiete auf Selbstbestimmung beachtet werden. Eine ganze Reihe erfahrener Experten hat z.B. vorgeschlagen, die Frage der Zugehörigkeit der russischsprachigen Gebiete nicht mit militärischer Gewalt, sondern durch neue, glaubwürdige, von der UNO organisierte und überwachte Referenden zu entscheiden. Es ist klar, dass solche Vorschläge im Moment von keiner Seite akzeptiert würden und dass generell Verhandlungen auch im besten Fall ein sehr langwieriger, komplizierter Prozess sein wird. Das wichtigste ist daher, dass zunächst einmal die Waffen schweigen.

Nach Mexiko, Indien und Brasilien hat nun auch China die Initiative dazu ergriffen. Das von der chinesischen Führung vorgelegte 12-Punkte-Papier setzt dabei auf völkerrechtliche Prinzipien und kann nach Ansicht vieler Experten einen guten Rahmen bilden. Putin hat den 12 Punkte-Plan als Basis akzeptiert. Kiew hat sich bereit erklärt, mit Peking darüber zu reden.
Wir fordern die Bundesregierung und die EU auf, sich endlich der Friedensinitiative aus China und den anderen Ländern des Südens anzuschließen, sich aktiv für den Stopp des Krieges zu engagieren und Waffenlieferungen zu stoppen

Wir sind gleichzeitig entschieden dagegen, dass der Krieg in der Ukraine nun als Vorwand für ein gigantisches Aufrüstungsprogramm genutzt wird, das zukünftig Jahr für Jahr Zig weitere Milliarden fürs Militär verschlingen soll. Hochrüstung verhindert keine Kriege, sondern macht sie wahrscheinlicher und verbrät Gelder, die dringend in anderen Bereichen gebraucht werden ‒ für Bildung, Gesundheit, ein solidarisches Sozialsystem, Maßnahmen gegen den Klimawandel und zur Bekämpfung der weltweiten Armut.

Wir lehnen die Politik der Konfrontation und der Wirtschaftskriege, wie sie auch gegen China betrieben wird, entschieden ab und setzen uns ein, für eine Politik der Entspannung, der gemeinsamen Sicherheit in Europa und der internationalen Zusammenarbeit zur Bewältigung der großen globalen Herausforderungen Frieden, Hunger, Klima- und Umweltschutz und gerechte Entwicklung.

Wir fordern zudem:

  • die Beendigung der umfassenden Wirtschaftsblockaden, die weltweit massive schädliche Auswirkungen haben.
  • Rüstungsexporte zu stoppen
  • und Flüchtende und Deserteure ungeachtet ihrer Herkunft aufzunehmen

Vielen Dank.

 

Joachim Guilliard ist aktiv beim Friedensbündnis Heidelberg und Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg.