Redebeitrag für den Ostermarsch Bonn am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
Liebe Bonner Friedens-Community,

ich freue mich, hier bei Euch in der Stadt der Vereinten Nationen reden zu dürfen!

Die Frauen-Zeitschrift „Emma“ von Alice Schwarzer, die jetzt so viele Artikel zur Friedensfrage veröffentlicht, hat einen Slogan: „Bleibt mutig!“.

„Bleibt mutig!“ - das möchte ich uns allen zurufen. In den letzten Jahren haben wir so viele schlimme Nachrichten gehört und gesehen - Corona, Klima, Krieg - da will man am liebsten gar nichts mehr hören und nichts mehr sehen. Aber Ihr seid hier: darüber freue ich mich sehr!

Was gibt uns Mut?

Mir fallen dazu eine Reihe Beispiele ein, die trotz allem Mut machen:

  • Die Charta der Vereinten Nationen ist unbestritten in Kraft.
  • Das Friedensgebot des Grundgesetzes ist vorhanden.1
  • Viele Rüstungskontrollverträge sind zwar gekündigt oder ausgelaufen, können aber aktualisiert und neu beschlossen werden.
  • Der Atomwaffenverbotsvertrag ist in Kraft. ICAN, IPPNW und andere arbeiten damit.
  • Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist seit Jahren etabliert. Sie hat im Ukrainekrieg von 2014 bis 2022 eine wichtige Rolle bei der Lösung humanitärer Probleme gespielt.
  • Gewaltfreier Widerstand und Soziale Verteidigung sind machbar. In vielen Fällen ist es Menschen gelungen, sich gewaltfrei gegen übermächtige Angreifer zu verteidigen. Paxchristi, der Bund für Soziale Verteidigung und andere haben das dokumentiert.
  • Deutschland könnte seine Sicherheit ohne Militär gewährleisten, und es gibt ein Szenario, mit welchen ganz praktischen Schritten Deutschland dahin kommen könnte. Wer das Szenario noch nicht kennt: sicherheitneudenken.de.
  • Aus der Friedens- und Konfliktforschung wissen wir, wie Frieden gemacht wird.

Und vielleicht noch ein Punkt für diejenigen, die auf eine höhere, als die menschliche Weisheit hoffen: auch so etwas wie Gottvertrauen gibt es, und manche von uns können sich auch darauf stützen.

Was können wir jetzt tun: wir, die wir nicht Regierungsmitglieder und nicht Top-Diplomaten sind, sondern normale Leute „von unten“? Ich bin sicher, Ihr macht da schon sehr viel Gutes und habt viele eigene Ideen.

Manchmal werden wir Pazifisten und Pazifistinnen von Politik und Medien attackiert. Das kann einen schon mal verunsichern. Und manchmal fangen wir selbst in der Friedensbewegung Streit miteinander an. Das stört und macht kraftlos.

Daher möchte ich eine weitere kleine Anregung geben: Wir können gemeinsam lesen, gemeinsam nachdenken und gemeinsam lernen, wie Frieden gemacht wird. Dazu möchte ich Euch ein Buch der Friedensforscherin Hanne-Margret Birckenbach ans Herz legen: „Friedenslogik verstehen. Frieden hat man nicht, Frieden muss man machen.“

Frau Birckenbach beschreibt, welche Prinzipien Regierungen beachten sollen, wenn sie einen Krieg verhindern oder beenden wollen. Sie beschreibt auch, wie man das Ausmaß der Gewalt in einem laufenden Konflikt vermindern kann. Man muss einen anderen, einen „friedenslogischen“ Blick auf Konflikte lernen.

Frau Birckenbach schlägt vor, sich an fünf Leitlinien zu orientieren:

  • 1. Gewalt vorbeugen
  • 2. Konflikte weiterentwickeln
  • 3. gelingende Dialoge organisieren
  • 4. Interessen entlang internationaler Normen weiterentwickeln
  • 5. mit eigenen Fehlern rechnen und Fehler als Chance begreifen

Gut daran ist: dieselben Prinzipien gelten für alle Konflikte.

Das heißt: mit dem Handwerkszeug von Frau Birckenbach können wir unsere eigenen Konflikte angehen. Wir können dann zum Beispiel besser einschätzen, wie wir mit den vielen neu auftretenden Friedensgruppen und Andersdenkenden umgehen sollten.

Wenn wir das im Kleinen schaffen, können wir viel überzeugender Politiker*innen gegenüber treten und erklären, was wir von ihnen in der Bundespolitik und der internationalen Diplomatie erwarten. Sie sollen sich nicht dafür einsetzen, „Feinde“ zu bekämpfen. Sie sollen danach streben, die Feindschaft zu beseitigen, also die schlechten Beziehungen zwischen Staaten und zwischen Gesellschaften zu verbessern.

Wenn wir selbst ausprobiert haben, wie Frieden geht, haben wir bessere Chancen, als Friedensbewegung eine starke, breite gesellschaftliche Kraft zu werden. Dann können wir unseren Politiker*innen den Rücken freihalten für mutige Schritte hin zu Friedensverhandlungen, Abrüstung und friedensfördernde internationale Zusammenarbeit in Europa und weltweit.

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

vielleicht kennt Ihr das alles schon, vielleicht habt Ihr das sogar schon von Euren Kindern gelernt - die sind ja oft weiter als meine Generation. Ich hoffe, ich konnte ein bisschen Lust bei Euch wecken, Frieden selbst zu machen!

„Was keiner wagt, das sollt ihr wagen.
Was keiner sagt, das sagt heraus.
Was keiner denkt, das wagt zu denken.
Was keiner anfängt, das führt aus.“
(Lothar Zenetti)

Informiert Euch über das friedenslogische Denken und Handeln! Organisiert Euch, redet miteinander, findet Gemeinsamkeiten, übernehmt Verantwortung, verzeiht Euch Eure Fehler und stärkt Euch gegenseitig!

Ich hoffe, wir können von hier aus Alice Schwarzer und ihrer Zeitschrift „Emma“ zurufen:

„Ja - wir bleiben mutig!“

Und am Ende setzen sich unsere Ideen des „Frieden schaffen ohne Waffen!“ durch: „We shall overcome!“

Vielen Dank!

 

Stefanie Intveen ist aktiv beim Kölner Friedensforum.

 

Anmerkungen: