Redebeitrag für den Ostermarsch Baden-Württemberg in Stuttgart am 8. April 2023

 

- Sperrfrist: 8. April 2023, Redebeginn: 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

In wenigen Wochen sind es 75 Jahre seit der Staatsgründung Israels und seit der Nakba, der palästinensischen Katastrophe. Wir erleben eindrucksvolle Proteste gegen die geplante Schwächung der Justiz in Israel, die allerdings die Situation der Palästinenser:innen wenig im Blick haben. Hilflos sahen sich Betende in der Al-Aqsa Moschee in dieser Woche israelischer Gewalt ausgesetzt. Darauf folgten palästinensische Raketen aus dem Gazastreifen und die Bombardierung durch Israel.

Neu ist, dass ein ausschließlich jüdischer Anspruch auf das palästinensische Westjordanland nun offizielle Regierungspolitik ist.

Knapp 700.000 Siedler:innen leben schon in 279 Siedlungen im Westjordanland und Ostjerusalem. Diese israelischen Kolonien und ihr Ausbau sind völkerrechtswidrig. Eine Besatzungsmacht darf ihre Staatsbürger:innen nicht in den von ihr besetzten Gebieten ansiedeln.

Palästinenser:innen wird ihr Land und damit ihre Existenz weggenommen. So hat Israel rund ein Drittel des Westjordanlandes als Militärgelände in Besitz genommen, außerdem Naturparks und archäologische Stätten ausgewiesen. Aus diesen Gebieten werden die Palästinenser:innen vertrieben, israelische Siedlungen aber zugelassen.

Seit Jahren reißt die israelische Militärverwaltung palästinensische Häuser ab. Sie seien ohne Baugenehmigung gebaut. Doch was passiert, wenn ein Palästinenser einen Bauantrag stellt? Von 2016-2020 durften nur 24 von 2.550 Palästinenser:innen, die im von Israel kontrollierten C-Gebiet, also dem größten Teil des Westjordanlandes, einen Antrag gestellt hatten, bauen. Das ist unter 1%. Gleichzeitig wurden im selben Gebiet 8.356 Genehmigungen für israelische Wohnungen erteilt.

Im vergangenen Berichtsjahr für den UN-Menschenrechtsrat ließ Israel 320 Wohngebäude, 138 mit ausländischer Hilfe erbaute Gebäude, 50 Wasser- und Abwassereinrichtungen sowie eine Schule abreißen. Dies ist ein schwerer Bruch der 4. Genfer Konvention und könnte ein Kriegsverbrechen darstellen. In Ostjerusalem, das Israel völkerrechtswidrig annektiert hat, mussten über 100 palästinensische Familien ihre Häuser im letzten Jahr selber zerstören, weil sie sonst die hohen Gebühren der Stadt für die eigene Hauszerstörung bezahlen müssten.

Ende Oktober zählten die Vereinten Nationen 4208 Abrissbefehle, die noch nicht vollzogen sind. 56 palästinensischen Schulen droht die Schließung und der Abriss. 6.550 Schüler:innen sind davon betroffen. Dabei sind Bildung und Wohnraum doch Menschenrechte!

Auch in anderen Fällen sind Palästinenser:innen ungeschützt. So müssen nach israelischem Recht jüdische Eigentumsansprüche auf Grundbesitz in Ostjerusalem vor 1948 restituiert werden während Ansprüche von Palästinenser:innen an Eigentum in Westjerusalem vor 1948 nicht geltend gemacht werden können.

Die Gewalt der Siedler:innen, meist unter israelisch-militärischem Schutz, hat zugenommen. Sie treiben Tiere auf die Felder der palästinensischen Bauern, fällen deren Bäume, zerstören die Käseproduktion und terrorisieren die Familien mit Molotov Cocktails, Hunden und Schusswaffen bis diese aufgeben und wegziehen. „Wir Ökumenische Begleiter:innen werden inzwischen fast täglich Zeug:innen solcher Übergriffe“, schrieb uns ein pax christi Freiwilliger, der gerade Bauern und ihre Herden begleitet. Jede gewaltsame Vertreibung durch Hauszerstörungen, Zwangsräumungen oder durch die Unterlassung von Schutzmaßnahmen könnte ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht sein.

All diese Rechtsverletzungen sind gut dokumentiert. Seit dem 5. Februar 2021 ermittelt der Internationale Strafgerichtshof zu möglichen Kriegsverbrechen. Die Bundesregierung hatte zuvor versucht, das zu verhindern. In einem Brief an den Internationalen Strafgerichtshof argumentierte sie, Palästina sei kein Staat. Der Internationale Strafgerichtshof hat aber festgestellt, dass für das besetzte Palästina das Rom-Statut gilt. Auch von der neuen Bundesregierung hören wir nicht, dass sie sich für die Aufklärung möglicher Kriegsverbrechen in den besetzten palästinensischen Gebieten einsetzt. Anders im Fall der überfallenen Ukraine. Wir fordern, wie es im Ostermarsch-Aufruf heißt: Keine Doppelstandards beim Eintreten für die Einhaltung des Völkerrechts.

Vor 75 Jahren mussten rund 750.000 Palästinenser ihre Häuser verlassen. Mehr als 400 palästinensische Dörfer und Stadtteile wurden systematisch zerstört. Eine Rückkehr in die Heimat verwehrte ihnen der Staat Israel. Er entschied, die Vertreibung fortzusetzen statt endlich einem Staat Palästina zuzustimmen oder gleichen Rechten für alle Einwohner:innen

In Israel und in Palästina hat die Friedensbewegung Verbündete. Wie hier, gibt es auch dort Menschen, die für Recht statt Gewalt und für einen gerechten Frieden eintreten. In Palästina sind es z.B. die Menschenrechtsverteidiger:innen. Das Wort „Frieden“ ist dort nach dem nicht ernsthaft betriebenen Friedensprozess verpönt. Sechs Menschenrechtsorganisationen, die Beiträge zu den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs leisten, sind von der israelischen Regierung als terroristische Organisationen eingestuft worden. In der EU wird sekundiert: Die holländische Regierung hat bereits begonnen, die Entwicklungszusammenarbeit mit einer dieser Organisationen einzustellen. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie sich dem nicht anschließt.

In Israel sind es Organisationen wie die Rabbiner für Menschenrechte, die mit pax christi bereits ein Projekt des Zivilen Friedensdienstes durchgeführt haben. Im Austausch mit diesen Initiativen kann man lernen wie wichtig es ist, für ein Ende der Besatzung einzutreten und dies auch von unseren Politiker:innen zu fordern.

In den vergangenen Jahren wurden mit dem Verweis auf die Staatsräson Waffen nach Israel exportiert. Dass das Land immer mehr nach rechts driftet, hat am Kurs der Bundesregierung gegenüber Israel nichts geändert. Die Rüstungszusammenarbeit trägt aber dazu bei, dass sich die jahrzehntelange Besatzung verfestigt. Wir fordern den Stopp aller Rüstungsexporte, auch nach Israel.

Fast zehn Jahre hat es gedauert bis man den Krieg in Afghanistan einen Krieg nennen durfte. Derzeit wird dieser Krieg von einer Enquete Kommission im Bundestag aufgearbeitet und Expert:innen werden gehört. Dort heißt es: „Der Krieg gegen den Terror“ und der „regime change“ in Afghanistan scheiterte auch, weil die USA die Nordallianz unterstützten, die Menschenrechte verletzte und korrupt war. Und weil darüber hinaus die Taliban vom politischen Prozess ausgeschlossen wurden. Für die Bundeswehr fehlte eine Exit-Strategie, wie es die Friedensbewegung immer wieder gefordert hatte. Sie nahm statt dessen 2010 einen Strategiewechsel vor. Aufständische durften nun militärisch bekämpft werden, bevor man selbst angegriffen wurde. Auch hatte US-Präsident Bush mit dem Irakkrieg 2003 das Interesse am Aufbau Afghanistans verloren.

Heute, zwei Jahre nach dem kopflosen Abzug aus Afghanistan sind laut UNICEF über 15 Millionen Kinder in Afghanistan auf Hilfe angewiesen. Fast eine Million Kinder unter fünf Jahren sind akut mangelernährt und brauchen Behandlung. Der Winter, mit Temperaturen von bis zu -20 Grad Celsius, hat die Lage enorm verschlechtert. Zum wirtschaftlichen Kollaps, fehlendem Essen und Wetterextremen kommen schwere Krankheiten hinzu. UNICEF bittet zu Ostern um Hilfe für die Kinder in Afghanistan.

Was gibt uns Hoffnung auf einen Ausweg aus der Militärlogik? Wir feiern Ostern als Fest des Lebens. Jesus starb, weil er den Mächtigen gewaltlos widerstanden hat. „Steck dein Schwert weg. Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen,“ sagte er bei seiner Verhaftung zum gewaltbereiten Petrus. Wir vertrauen darauf, dass Jesu Weg der aktiven Gewaltlosigkeit und einer weltweiten Geschwisterlichkeit die Alternative ist zu einer Militärlogik, die in den Untergang führt. Deshalb gehört der Ostermarsch zu Ostern.

Ich schließe mit einer Hymne an den Frieden von Christ:innen aus dem Kongo:

  • Friede, der du allein es bist, der dem Menschen ermöglicht, in Ruhe zu leben: bleibe bei uns, die wir dich täglich suchen.
  • Friede, du Tochter der Stille: verwurzele in uns die Abscheu der Kriege!
  • Friede, du Gegner der Gewalttaten, der du kein Blut der Menschen kannst fließen sehen: lehre uns den Respekt vor jedem Menschen. Bleibe bei uns und orientiere unsere Herzen.

Danke und frohe Ostern

 

Wiltrud Rösch-Metzler ist Vorsitzende des pax christi Diözesanverbandes Rottenburg-Stuttgart.