Einleitung

Afrika im Fadenkreuz der Geopolitik

von Werner Ruf

Einen "überraschenden kleinen Krieg" nennt François Heisbourg, französischer Militärexperte und derzeit Präsident des NATO-nahen International Institute for Strategic Studies in London die Intervention Frankreichs in Mali.(1) Doch selbst Heisbourg, der die Intervention als unvermeidbar rechtfertigt, stellt angesichts der Erfahrungen in Afghanistan und im Irak die Frage nach der Exit-Strategie, um sie sofort zu verwerfen: Die richtige Frage sei, wofür man Krieg führe. Interventionen müssten bezahlbar, ihr Ziel erreichbar sein, dann sei die Exit-Frage nicht mehr wesentlich. Genau da aber beißt sich die Katze in den Schwanz, wenn der Autor schließt, dass Frankreich ohne die Hilfe der USA und der EU kaum in der Lage sein wird, den selbst erteilten Auftrag zu erfüllen.

Damit stellt sich gleich ein ganzes Bündel von Fragen:

1. Warum zieht Frankreich, das gerade seine Truppen aus Afghanistan abgezogen hat, in Mali nun genau jene Begründung heran, es müsse dem islamistischen Terror gegen die Bevölkerung ein Ende setzen? Oder geht es um die Kontrolle über die gigantischen Energie-Ressourcen der ganzen Region?

In jüngster Zeit wurden im Raum von Mauretanien bis Niger große neue Öl- und Gasfelder entdeckt, an deren Ausbeutung vor allem die französische Total, die italienische ENI und die algerische SONATRACH (unter den weltgrößten Energiekonzernen auf Platz 11) beteiligt sind. In Mali selbst gibt es Gold, Diamanten und Phosphat. Letzteres wird immer wichtiger für die weltweite Düngemittel-Produktion.

Und es gibt Hinweise auf Vorkommen von Uran in der Region um Kidal in Mali. Das benachbarte Niger aber ist der drittgrößte Uranproduzent der Welt, Frankreichs über 80 Atomkraftwerke beziehen von dort 70 % ihres Brennstoffs. Ausgebeutet wird das Uran unter unsäglichen Bedingungen für Mensch und Umwelt von der halbstaatlichen französischen Firma Areva, die sich auf ihrer Homepage den größten Atomanlagenbauer der Welt nennt.

Durch Niger wird die riesige fast 4.000 km lange Gas-Pipeline gebaut, die, finanziert von SONATRACH und Gazprom, von Nigeria zur algerischen Mittelmeerküste geführt wird. Die derzeitigen Geostrategien richten sich nicht nur auf die Sicherung der "eigenen" Rohstoffe und ihrer Transportwege, sondern auch auf die Kontrolle der Fördergebiete und Transportwege der konkurrierenden Mächte.

2. Noch immer betrachtet Frankreich seine ehemaligen westafrikanischen Kolonien als sein angestammtes Hoheitsgebiet. Mit all diesen 1960 formal unabhängig gewordenen Staaten hat Frankreich größtenteils geheime Militärabkommen geschlossen und in den letzten fünfzig Jahren über zwanzig Mal dort militärisch interveniert. Allein in Tschad, von wo eine Pipeline durch Kamerun an den Golf von Guinea führt, intervenierte Frankreich seit 1968 mehrfach und konnte sein Engagement durch eine EU-Mission von 3.700 Mann (EURFOR-Tschad) in den Jahren 2008 - 2009 kurzfristig entlasten. Die politisch- ökonomisch-militärische Verflechtung Frankreichs mit seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien findet ihren Ausdruck in jenem Françafrique genannten System aus Dominanz, Korruption und Kriminalität, das seit 1960 die ehemaligen Kolonien an Frankreich bindet.(2)

3. Die rohstoffreichen Sahelstaaten Tschad, Niger, Mali, Mauretanien und Burkina Faso gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit über zehn Jahren bleiben die regelmäßigen Regenfälle aus mit katastrophalen Folgen für die Nomaden, deren Herden weitestgehend vernichtet sind. Als Vorwand für den Kampf um die Rohstoffe dient schon lange der "Krieg gegen den Terror": Seit der Entführung von 32 deutschen, österreichischen und schweizerischen Touristen im Jahre 2003 steht die Terroristenbekämpfung im Sahel auf der internationalen Agenda. Sie lieferte 2005 den Hauptgrund für große Manöver der USA in der Region, so das Manöver Flintlock, das mit mehreren tausend Soldaten seither jährlich stattfindet. Gleichfalls im Jahr 2003 erklärten die USA, sie wollten ihre Öleinfuhr aus dem subsaharischen Afrika von damals 13 % auf 25 % im Jahre 2015 erhöhen.(3) 2007 gründeten sie das African Command, kurz Africom, ein eigenes Oberkommando für Afrika, dessen offizielle Hauptaufgabe die Terrorismusbekämpfung ist und das, da kein afrikanischer Staat sich zur Aufnahme der Einrichtung bereit erklärte, seinen Sitz ebenso wie das für Westeuropa zuständige EUCOM in Stuttgart-Möhringen hat.

4. Die Rivalitäten in der multipolaren Welt werden schärfer: China hat seine Präsenz in Afrika ausgebaut, betreibt massiv Ressourcensicherung, hat in Niger als Konkurrent von Areva Schürfrechte für Uran erworben und ist am großen land grabbing in Mali beteiligt. Es ist wohl kein Zufall, dass China, das sich gegenüber UN-Missionen bisher äußerst zurückhaltend verhielt, im Rahmen der geplanten UN-Mission in Mali 500 bis 600 Soldaten zur Verfügung stellen will.(4)

So erweist sich der "Terrorismus" im Sahel, der schon für die Einrichtung von Africom hatte Pate stehen dürfen, als guter Vorwand für militärische Interventionen. Doch auch dieses Szenario hat sich differenziert: Agierte 2003 noch die aus Algerien stammende GSPC (Groupe Islamique de Prédication et de Combat), die sich 2005 in AQIM (Al Qaeda im Islamischen Maghreb) umbenannte, als einzige Gruppierung in diesem riesigen Raum, so agieren dort jetzt weitere Banden, wie MUJAO (Mouvement pour l`Unicité et le Jihad en Afrique Occidentale), Ansar ed-Din, eine islamistische Gruppe, die sich hauptsächlich auf Tuareg-Kriegern rekrutiert, die einst im Solde Gaddhafis standen und eine säkulare Gruppe, die MNLA (Mouvement pour la Libération de l`Azawad), die sich ebenfalls aus Tuareg rekrutiert und vorgibt, für einen unabhängigen Staat der Tuareg zu kämpfen.(5)

Die in den westlichen Medien mit Horrormeldungen über Gräueltaten im Namen der shari`a präsentierten Banden - dies gilt vor allem für AMI - betreiben jedoch ein sehr irdisches Geschäft: Durch die Wüste führt die wichtigste Straße des Handels mit kolumbianischem Kokain in Richtung Europa. Hinzu kommen das Abpressen von Schutzgeldern von den Tausenden afrikanischen Migranten, die durch die Wüste ans Mittelmeer streben, und die Lösegelder für entführte Touristen, Diplomaten, Techniker, aber auch Geheimdienstagenten:

Allein die ominöse Al Qa`eda im Islamischen Maghreb (AQIM) soll derzeit über 60 Geiseln in ihrer Hand haben. Neu und wichtiger ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass diese Gruppen keineswegs völlig unabhängig agieren: So agiert AQMI seit ihren Anfängen an der langen Leine des algerischen Geheimdienstes und ist dessen Instrument (oder auch Vorwand) für die enge Sicherheitspartnerschaft mit den USA. MUJAO genießt offenkundig die Unterstützung von Katar, möglicherweise auch von Marokko, während die MNLA von französischen Diensten geführt wird. So treffen sich in der Wüste die divergierenden Interessen der großen Mächte, die dubiosen "terroristischen" Gruppen liefern ihnen die Gründe für Interventionen und den Aufbau militärischer Positionen.

Versuch eines Fazits
Sicher ist, dass die Zerstörung der Staatlichkeit Libyens (wie auch der Staatszerfall Somalias, Afghanistans, des Irak und demnächst Syriens) Folge westlicher Interventionen ist und einen entscheidenden Beitrag zur Eskalation der Krise im gesamten Sahel geleistet hat. Und der Krieg eskaliert, wie die mörderischen Angriffe auf die Anlagen von Areva in Niger ebenso zeigen wie der Überfall auf das Gasfeld von Tigentourine bei In Amenas in Algerien. Frankreich hat mit seiner Intervention in Mali einen Brand entfacht, der die gesamte Region entflammt. Aber es kann allein dieser Situation nicht Herr werden. Deshalb versucht Paris, ECOWAS (bis auf Nigeria sämtlich ehemalige französische Kolonien) und die UN einzubinden. Doch die Bekämpfung des riesigen Flächenbrandes wird weder den wenig motivierten und schlecht ausgebildeten Truppen der ECOWAS noch den UN möglich sein, die zur Ablösung der französischen Truppen rd. 6.500 Soldaten bzw. 3.000 Soldaten stellen sollen.

Also wären wohl die europäischen Partner gefordert. Doch nur Deutschland scheint geneigt zu sein, seine eigene militärische Emanzipation durch verstärktes Engagement voranzutreiben. Ob die übrigen EU-Staaten gewillt sind, sich vor den Karren der neokolonialistischen Interessen Frankreichs spannen zu lassen, muss dahin gestellt bleiben. Dass gerade China in diesem brisanten Konflikt als Truppensteller erscheint, ist ein Indiz für den Stellenwert des Konflikts im internationalen Wettlauf um Ressourcen.

Bemerkenswert ist die bisherige Zurückhaltung der USA, die ihr eigens für diese Art der Kriegführung geschaffenes Instrument Africom am Boden nicht aktiviert haben. Die Krise war für sie jedoch Anlass, in Niger Drohnen zu stationieren, die das Geschehen am Boden minutiös beobachten und die übrigen Akteure - UN eingeschlossen - von ihrer Lageanalyse abhängig machen können. In dieser sandigen Peripherie ist ein Konflikt entstanden, in dem die Giganten diskret ihre Kräfte messen. Dass Frankreich aus seinem "kleinen Krieg" bald herauskommt, ist wenig wahrscheinlich.

Anmerkungen
(1) Heisbourg, François: A Surprizing Little War: First Lessons of Mali. In: Survival Vol. 55, No,

(2) " 2013, S. 7 - 17.2 Einen guten, keineswegs vollständigen Einblick in dieses System gibt Schmid, Bernhard (2011) Frankreich in Afrika, Münster

(3) Ruf, Werner (2007) Terror, Geheimdienste und Geopolitik: Wie die Achse Washington - Algier Ressourcensicherung betreibt: in: Albrecht, Holger (Hrsg.): Der Vordere Orient. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Baden- Baden, S. 63 - 79.

(4) http://www.france24.com/en/20130523-china-offers-500-troops-un-mali-force [02-06-13].

(5) Eine ausführlichere Darstellung dieser Gruppen findet sich bei Ruf, Werner (2012) Mali, Interessen Interventionen. In: Entdemokratisierung und Krieg - Kriegerische Demokratie. Dokumentation des IMI-Kongress 2012, Tübingen 2013, S. 37 - 41.

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Werner Ruf, geb. 1937, promovierte 1967 im Fach Politikwissenschaft in Freiburg i. Br. Er lehrte an den Universitäten Freiburg, New York University, Université Aix-Marseille III, Universität Essen, und war von 1982 bis 2003 Professor für internationale Beziehungen an der Universität Kassel.