Aktive Hilfe für Flüchtlinge statt militä­rischer Intervention

von Karin Renneberg
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, insbesondere aber die Greuel in Bosnien-Herzegowina haben die Friedensbewegten in der BRD in eine hilflose Debatte über "friedensstiftende" Militäreinsätze und einen an­geblichen Gegensatz "Verantwortung für Menschenrechte contra Pazi­fismus" gestürzt.

In dieser Situation wurde die Kampagne "Den Krieg überleben - Bosnische Flüchtlinge suchen Gastfamilien" im De­zember letzten Jahres - damals noch unter dem Titel "Den Winter überleben" - von verschiedenen Gruppen aus der Friedens- und Menschenrechtsbewe­gung sowie den Grünen gestartet, um wenigstens einen konkreten Ansatz­punkt der Hilfe und des politischen Ein­greifens aufzuzeigen. Mit dem Aufruf, bosnische Flüchtlinge privat einzuladen und aufzunehmen, sollte ein Zeichen gesetzt werden gegen die Visumspflicht für Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet sowie gegen die Aushebelung des Asyl­rechts in Deutschland. Die Kampagne ist über eine symbolische Aktion mitt­lerweile längst hinausgewachsen: Durch unsere Initiative konnten bereits über 1.300 Flüchtlinge aus dem serbisch be­herrschtem Bosnien Zuflucht bei Gast­familien und Kirchengemeinden in Deutschland finden. Damit haben wir die Zahl an Flüchtlingen, die seit Januar offiziell als Kontingentflüchtlinge Auf­nahme gefunden haben, um das vierfa­che übertroffen. Die Diskrepanz zwi­schen den Erfolgen einer kleinen, vor­wiegend aus Spendengeldern finanzier­ten Initiative und den (Nicht-) Aktivitäten der Bundesregierung veran­schaulicht einmal mehr den mangelnden politischen Willen zur Hilfe von offi­zieller Seite. Die Gren­zen im "neuen Haus Europa" sind für Flüchtlinge ver­schlossen. Einzig durch private Einla­dungen - ganz überwie­gend durch jugo­slawische Familienangehörige - haben Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugo­slawien im nennenswerten Maße Auf­nahme in der Bundesrepublik gefunden. Und diese private Hilfsbereitschaft wird von Seiten der Bundesländer und Kom­munen bestraft: Den GastgeberInnen wird oftmals jede finanzielle Unterstüt­zung verweigert. Immer häufiger wer­den von den Gastfamilien zeitlich unbe­fristete Verpflichtungserklärungen als Voraussetzung für die Erteilung eines Besuchsvisums für bosnische Flücht­linge verlangt. Die Folgen eines Krieges werden damit auf dem Rücken von Pri­vatpersonen ausgetragen, die nicht vor den Schreckensmeldun­gen und einer re­striktiven Flüchtlingspolitik resignieren wollen.

Die Kampagne Den Krieg überleben setzt mit ihrem Appell zur Aufnahme dort an, wo die inhumane offizielle Asyl- und Flüchtlingspolitik Hilfe blockiert und sich ihrer Verantwortung ent­zieht.

Damit soll ein Zeichen gesetzt werden:

* gegen den Visumszwang für Flücht­linge, für ein Bleiberecht von Flücht­lingen, für die Beibehaltung des Arti­kel 16 GG

* für verantwortliches Handeln gegen­über den Menschen im ehemaligen Jugoslawien, einem Land, dem wir nicht nur durch die Millionen von Urlaubsfahrten deutscher Touristen und durch die seit Jahrzehn­ten in der Bundesrepublik lebenden jugoslawi­schen Arbeitnehmerfamilien verbun­den sind, sondern vor allem auch durch die Geschichte des 2. Welt­krieges und den aktuellen Beitrag deutscher Politik an dem Ausmaß dieses Krieges (Anerkennung von Bosnien-Herzegowina, unzureichen­des Embargo,...).

* gegen eine Beschränkung in der Hilfe auf einzelne Flüchtlingsgruppen. Alle Flüchtlinge - egal ob Kin­der, (vergewaltigte) Frauen, Männer, Kriegsdienstverweigerer - bedürfen unseres Schutzes.

* gegen einseitige Schuldzuweisungen an die serbische Kriegspartei. Insbe­sondere auf Grund unserer Verant­wortung aus dem 2. Weltkrieg sind wir einer differenzierten Sichtweise gegenüber dem ehemali­gen Jugosla­wien verpflichtet. Auch aus diesem Grund vermitteln wir nicht aus­schließlich muslimi­schen, sondern auch serbischen und kroatischen Flüchtlingen Zuflucht in Deutsch­land.

* für eine aktive Anteilnahme an Flüchtlingsschicksalen im Zusam­menleben in der Bundesrepublik

Insbesondere der letzte Aspekt bestätigt das Konzept dieser Kampagne: Die Kampagne bietet Menschen die Chance, durch eigenes Handeln unmittelbare Hilfe zu leisten. Flüchtlingshilfe und -politik wird erfahrbar. Die direkte Aus­einandersetzung mit den Flüchtlingen im alltäglichen Zusammenleben prägt die Gastfamilien, ebenso, wie die Aus­einandersetzungen mit Behörden um Verpflichtungserklärung, Aufenthalts­status, Arbeits­erlaubnis, Sozialhilfe etc. Die GastgeberInnen lernen den Krieg aus dem Blickwinkel "ihrer" Flüchtlinge kennen und erleben hautnah, was es heißt, Flüchtling in Deutschland zu sein. Somit stellt unsere Initiative auch einen Beitrag zum Abbau rassistischer und kultureller Vorurteile dar und legt die Basis für ein weiteres Engagement. Und gerade der Willen zu einem weiteren Einsatz in der Flüchtlingshilfe, der über Unterschriften und Demon­strationen hinausgeht, wird, wenn nach dem Tag X das Schicksal des Artikel 16 GG besie­gelt ist, bitter nötig sein.

Einigen tausend Flüchtlingen, denen wir vielleicht Hilfe bieten können, stehen hunderttausende von Menschen auf der Flucht gegenüber. Trotzdem verstehen wir die Kampagne als einen wichtigen Baustein für eine Völkerverständigung, die die zur Vermeidung zukünftiger mi­litärischer Konflikte beitragen kann.

Unser Erfolg stellt uns vor Probleme: Für immer mehr Menschen im serbisch besetzten Bosnien - insbeson­dere für die MuslimInnen - stellt unsere Initiative der letzte Hoffnungsschimmer dar, denn allein eine Einladung aus einem Dritt­land ermöglicht ihnen den Grenzüber­tritt nach Kroatien und von dort die Ausreise in ein sicheres Land. Noch knapp 1.500 Flüchtlinge - Frauen, Kin­der, aber auch viele Kriegsdienstver­weigerer, die besonders gefährdet sind - haben uns um Hilfe gebeten. Für sie su­chen wir möglichst schnell Gastfami­lien. 300 von "unseren" Flüchtlingen sind bereits illegal nach Kroatien ge­langt und dort von Abschiebung bzw. die Männer von Zwangsrekrutierung in die kroatische Armee nach Bosnien (HVO) bedroht. Bis diese Flüchtlinge eine Einladung aus Deutschland erhal­ten, sind sie von uns in drei Häusern in Zagreb untergebracht. Allein durch die Versorgung entstehen enorme Kosten (ca. 3.000 DM pro Tag!), die zuneh­mend die Existenz der gesamten Kam­pagne gefährden. Nur eine schnelle Vermittlung an Gastfamilien kann diese Kosten senken helfen.

Deshalb bitten wir Euch: Helft uns, diese Kampagne fortsetzen:

* Wir suchen dringend Gastfamilien - insbesondere für Kriegsdienstverwei­gerer und größere Familien!!!

* Die Kampagne benötigt finanzielle Unterstützung. Wer kann Paten­schaften für Reisekosten von Flücht­lingen übernehmen? (Die Kosten be­laufen sich auf durchschnittlich 370 DM pro Flüchtling).

* Wir suchen auch dringend Menschen und Gruppen, die als lokale/regionale Kontaktstelle für die Kampagne wer­ben, z.B. durch Verteilung von In­formationsmaterial sowie Vernetzung von Gastfamilien und politische Un­terstützung übernehmen, insbeson­dere dort, wo die Kommunen Hilfs­bereitschaft blockieren.

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Krisen und Kriege
Karin Renneberg koordiniert die Kam­pagne "Den Krieg überleben".