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Als EMPSA-Wahlbeobachterin in Südafrika
vonVom 8. April bis 8. Mai 1994 hatte ich die Gelegenheit, als Mitarbeiterin im "EMPSA-Programm" (ecumenical monitoring programme in South Africa) des Weltkirchenrates und der Kath. Bischofskonferenz im Südlichen Afrika bei den ersten allgemeinen Wahlen in Südafrika als Beobachterin dabei zu sein. Wir waren zu diesem Zeitpunkt etwa 300 kirchliche WahlbeobachterInnen aus 29 Nationen und Mitgliedern der verschiedensten christlichen Kirchen. In Kleingruppen (meist 4-5 Personen unterschiedlicher Nationalitäten mit je einem südafrikanischen Koordinatior) taten wir unseren Dienst in städtischen und ländlichen Bereichen über das ganze Land verteilt.
Mein Einsatzort war Warmbath in Northern Transvaal, eine kleine Stadt mit ausschließlich weißer Bevölkerung und einer kleinen indischen Kommunität, die aber ein großes ländliches Umfeld hat. Unsere Gruppe bestand aus einer nordirischen jungen Juristin, einem Salvadorianer, Mitarbeiter der lutherischen Kirche seines Landes, einem Anglikaner aus Tanzania, unserem südafrikanischen Koordinator aus der benachtbarten schwarzen Township BelaBela und mir, Mitarbeiterin der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn.
Im Vorfeld der Wahlen
Unsere Tätigkeit im Vorfeld der Wahlen war natürlich nicht auf Warmbath beschränkt, sondern wir waren oft in der nahe gelegenen schwarzen Township BelaBela, wo wir gute Kontakte zum Civic's Office, einem Bürgerzentrum, aufbauten. Wir besuchten alle kleineren Städte in einem Umkreis von etwa 60 km, bis hinein nach Bophuthatswana (ehemaliges Homeland). Soweit es möglich war, nahmen wir Kontakt zu den vielen kleinen Ortschaften, den Chiefs, den Poizeistationen und den Bürgerzenzentren auf. Wir führten Gespräche mit den Parteien der Region: National Party, ANC, PAC, Democratic Party und Freedom Front. Der Vertreter der letzteren beendete sofort das Gespräch mit uns, als er erfuhr, daß wir als internationale Wahlbeobachterterinnen durch den Weltkirchenrat und die kath. Bischofskonferenz Südafrikas entsandt worden waren. Er verurteilte beide als kommunistisch infiltriert und war nicht bereit, sich weiter mit uns einzulassen. Ansonsten hatten wir den Eindruck, daß alle Parteien offen waren für Gespräche und bereit, Informationen an uns weiterzugeben.
Wir versuchten auch, Kontakte zu den weißen Farmern herzustellen, wurden aber von der Polizei gewarnt und erhielten keinerlei Adressen oder Hilfestellung in der Richtung von ihr. Sie bestätigte uns, daß die AWB (Afrikaaner Weerstandsbeweging - sehr rechtsradikal) unter den weißen Farmern in unserem Gebiet Anhänger habe. Wir hatten auch erfahren, daß die offiziellen Wahlerzieher in einigen Fällen behindert worden waren bei ihrer Tätigkeit unter den schwarzen Farmarbeitern, daß Einschüchterungen derselben durch die Farmer stattfanden und gingen auch einem Fall nach, in dem ein "voting educator" von einem Farmer geprügelt und verletzt worden war. Schließlich gelang es uns, bei einem Farmer vorgelassen zu werden, der schon seit Jahren viel für die Ausbildung seiner schwarzen Farmarbeiter tut, auf seinem Gelände ein großes Schulzentrum gebaut und auch seine Arbeiter mit besseren Unterkünften versorgt hat. Er sagt uns, er kümmere sich nicht um die Wahlbeteiligung seiner Leute, behindere ihre Wahlschulung aber nicht und ließe ihnen da ihre völlige Freiheit. Nach seiner eigenen Meinung zur Wahlbeteiligung der Schwarzen und seinen Zukunfsterwartungen für Südafrika gefragt wollte er sich aber nicht dazu äußern. Er gab aber an. keine Ängste zu haben, da er seine schwarzen Arbeiter immer gut behandelt habe.
Wir waren präsent auf Wahlveranstaltungen der Parteien an vielen Orten, nahmen teil an den wahlvorbereitenden Gesprächen und Versammlungen zusammen mit örtlichen Wahlkommissionen, der Polizei, den Wahlerziehern, den Friedens- und Bürgerkomitees, den Parteienvertretern, den kirchlichen Mitarbeitern und den lokalen Behörden. Wir beobachteten die Arbeit der "voting educators", der Wahlerzieher, die ungemein wichtig war, da ein Großteil der schwarzen Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann und ja nun zum ersten Mal Südafrika allgemeine Wahlen stattfinden sollten, an der die 30 Mio. Schwarzen, die Inder und Coloureds beteiligt wurden.
Während der Wahltage
Während der Wahltage waren wir von frühmorgens bis abends unterwegs, um möglichst viele Wahlstationen zu besuchen und dort auch jeweils einige Zeit als Beobachter anwesend zu sein. Dazu teilen wir uns auf, während wir in den deiden Wochen zuvor bei allen Veranstaltungen mindestens zu zweit gewesen waren. Ich verbrachte am ersten Wahltag einige Stunden im Gefängnis von Nylstroom, wo 600 Inhaftierte zu den Wahlen zugelassen worden waren (darunter sah ich nur vereinzelte Weiße). Danach beobachtete ich die Wahlen in verschiedenen ländlichen Bereichen, meistens Schulen als Wahllokale, aber auch Zelte. Der 25.4. war der spezielle Wahltag für alte und behinderte Menschen. An diesem und am folgenden Wahltag sahen wir oft endlos lange Menschenschlangen geduldig wartend vor den Wahllokalen in der heißen Sonne. Viele hatten kilometerlange Wege zurückgelegt. Behinderte und alte Menschen wurden oft auf dem Rücken von jüngeren Familienmitgliedern herbeigetragen. Das Warten wurde dadurch verlängert, daß ein Großteil der Wähler Hilfe brauchte, da sie Analphabeten waren. An einzelnen Stellen waren die Wahlzettel nicht in genügenden Mengen vorhanden und mußten beschafft werden, oder die Aufkleber für die in letzter Minute hinzugekommene Inkatha Freedom Party waren noch nicht auf die Wahlzettel geklebt. Manche Wahlstationen hatten erst gegen Nachmittag das notwendige Material erhalten. In dem Zelt, in dem ich bei großer Hitze den 2. Wahltag beobachtend und helfend verbrachte (ich konnte mich bei der Wahl der Analphabeten als internationale Wahlbeobachterin mit einschalten), hatten bis zum Abend 8.000 Menschen gewählt. Es war vor allem bei der schwarzen Bevölkerung eine Hochstimmung zu spüren. Immer wieder wurde mir gegenüber zum Ausdruck gebracht, wie glücklich sie waren, endlich wählen zu dürfen und wie sehr sie unsere Präsenz als WahlbeobachterInnen und FriedensvermittlerInnen schätzten. Da wir als EMPSA-peace-monitors auch ein gewisses Einspruchsrecht hatten, haben wir verschiedentlich die Vorsitzenden der Wahlkomitees darauf hingewiesen, daß Parteiagenten in den Wahllokalen zwar beobachtend anwesend sein dürfen, es ihnen aber nicht gestattet sei, bei der Hilfeleistung im Walvorgang dabei zu sein, um Einschüchterung oder Beeinflussung der Wähler zu vermeiden. Nach dem Wählen begann das große Zählen. Auch hier war es erforderlich, daß wir präsent waren. Es gab eine Menge von Unregelmäßigkeiten: nicht vorschriftsmäßig versiegelte oder beschriftete Wahlurnen, unbeaufsichtigt gelassene Wahlurnen nach und während des Transportes zu den Zählstationen. Es wurden Tages- und Nachtschichten eingelegt, um dies alles bewältigen zu können. Aber wir sahen viel Bereitschaft und großen Eifer von allen Beteiligten. Alles in allem kann ich aus meiner Sicht bestätigen, daß dieses riesige Unterfangen, in einem so großen Land zum ersten Mal freie und demokratische Wahlen für alle Bevölkerungsschichten durchzuführen, ein voller Erfolg war.
Meine ganz persönlichen Eindrücke
Ich empfand es als eine große Ehre und Herausforderung, Zeugin und Beobachterin dieses wahrhaft einzigartigen Ereignisses zu werden, daß endlich allgemeine und freie Wahlen in einem Land stattfinden sollten, in dem über 300 Jahre der Großteil der Bevölkerung unterdrückt und geknechtet war ohne die geringsten Chance zur Selbstbestimmung und Mitbestimmung. Was Apartheid bedeutet, habe ich erst richtig erspüren und begreifen können, als ich es vor Ort in aller Deutlichkeit wahrnahm. Es waren viele subtile Wahrnehmungen, die schwer in Worte zu kleiden sind. Nicht nur die weißen Städte mit prächtigen Wohnhäusern, Garten und Parks, wohlausgestatteten Geschäften, in denen sich die schwarze Bevölkerung nur als Arbeiter, Bedienteste und kleine Angestellte aufhalten durften, und demgegenüber die großen Townships, wo die schwarzen Menschen zusammengepfercht in kleine Häusern, meist elenden Behausungen ohne sanitäre Anlagen und ohne Strom leben, jeder zweite arbeitslos. Schlimmer erscheint mir die Apartheid in den Köpfen, die noch lange nicht überwunden sein wird, das gegenseitige Misstrauen, das über Jahrhunderte gewachsen ist.
Als internationle WahlbeobachterInnen fühlen wir uns immer und überall hochwillkommen bei der schwarzen Bevölkerung. Wir haben so viel Freundlichkeit und Gesprächsbereitschaft gefunden, soviel Offenheit, die mich zutiefst berührt haben. Nie habe ich mich bedroht gefühlt in den schwarzen Townships. Es wurde gerade von älteren Menschen immer wieder zum Ausdruck gebracht: "Wir wollen vergeben und vergessen. Gemeinsam wollen wir mit allen eine neue Zukunft für unser Land aufbauen." Ich hatte den Eindruck, daß die Kirchen einen wesentlich Beitrag zur Friedensgesinnung und zur Friedenserziehung leisten. Wir waren in verschiedenen Gottesdiensten und sehr beeindruckt von der regen Teilnahme der Bevölkerung und den klaren Worten der Geistlichen im Hinblick auf die Wahlen und ein freies und friedliches Zusammenleben aller Menschen Südafrikas in der Zukunft.
Daß gewiss auch viel radikales Potential vorhanden ist in den riesigen Townships nahe Johannesburg und Kapstadt, ist mir klar, und Mandela wird keinen leichten Stand haben, diese jungen Leute in Schach zu halten und all die vielen Sehnsüchte und berechtigten Wünsche nach einem besseren Leben so zu realisieren, daß die Menschen die Geduld und Bereitschaft aufbringen für die allmähliche Veränderung hin zu einem menschenwürdigeren Leben.
Im Hinblick auf die weiße Bevölkerung haben wir bis auf einige wenige Ausnahmen zwar keine unliebsamen Erfahrungen gemacht, fanden es aber schwieriger, in offene Gespräche zu kommen. In Versammlungen mit Weißen ist es einige Male vorgekommen, daß die Gespräche in Englisch plötzlich abgebrochen wurden und man in afrikaans weitersprach, obwohl man sich eindeutig der Gegenwart von internationalen BeobachterInnen bewusst war. Ich hatte oft den Eindruck, daß man vorhandene Zukunftsängste nicht zulassen wollte und schon gar nicht eingestehen. Es ist sicher auch ein langer Prozess, bis die weiße Bevölkerung wirklich begreift und anerkennt, daß die Ära der Alleinherrschaft endgültig vorüber ist.