Der Widerstand gegen Atomraketen in den 80er Jahren – Heute Techno-Party und Urlaubsflieger

Als Tausende im Hunsrück auf die Straße gingen

von Dieter Junker

Wo früher Atomraketen stationiert waren, wummern heute einmal im Jahr heiße Techno-Beats. Wo amerikanische Düsenjäger den nuklearen Einsatz übten, starten heute Menschen in den Urlaub – der Hunsrück hat seit Ende des Kalten Krieges sein Gesicht verändert.

Ein Blick zurück: In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war der Hunsrück einer der wichtigen Kristallisationspunkte für die bundesdeutsche Friedensbewegung. Denn in der Nähe von Hasselbach wurden amerikanische Mittelstreckenwaffen stationiert. Grundlage dafür war der NATO-Doppelbeschlusses von 1979, der eine Reaktion des westlichen Bündnisses auf die Stationierung von sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 war und in dem die NATO-Staaten die Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles in Westeuropa für den Fall androhten, sollten die sowjetischen SS-20-Raketen nicht abgebaut werden.

96 Cruise Missiles sollten insgesamt im Hunsrück stationiert werden, nach umfangreichen Baumaßnahmen trafen 1986 auf der sogenannten „Wueschheim Air Station“, auch bekannt unter dem Namen „Pydna“, die ersten Raketen ein. Gegen diese Stationierung von Mittelstreckenraketen erhob sich ein Protest, der weite Teile der Hunsrücker Bevölkerung erfasste.

Anfang Dezember 1982 sorgte ein Bericht des Magazins STERN für Aufsehen: Erstmals wurden darin Wüschheim und der Hunsrück als möglicher Stationierungsort für die 96 Marschflugkörper genannt. Im Gemeindehaus in Bell, einem Nachbardorf von Wüschheim und Hasselbach, trafen sich spontan Menschen aus der Region zu einer Protestversammlung, neue Friedensgruppen entstanden, es bildeten sich in zahlreichen Orten im Hunsrück Friedensstammtische. Über die politischen Grenzen hinweg, aber auch quer durch alle Altersgruppen, engagierten sich Hunsrücker gegen die drohende Stationierung.

Im April 1983 erschien erstmals das „Hunsrück-Forum“, eine zunächst vierteljährlich, später dann monatlich erscheinende Zeitschrift, die die Bevölkerung über die Vorgänge im Hunsrück informieren wollte. Ein Jahr später wurde, zunächst in Kirchberg, später dann in Kastellaun, ein „Friedensbüro“ eröffnet, um die Friedensarbeit der lokalen Gruppen zu koordinieren, aber auch, um eine zentrale Anlaufstelle für Medien, Interessierte und auswärtige Gruppen zu haben.

Der Widerstand gegen die Stationierung der Marschflugkörper im Hunsrück war stark christlich orientiert. Die evangelische Kirchengemeinde Bell lud regelmäßig zu Friedensgebeten an das Stationierungsgelände. Vor dem Haupttor war ein drei Meter hohes Kreuz errichtet worden, vor dem sich Sonntag für Sonntag zahlreiche Menschen aus der Region, aber auch darüber hinaus versammelten, und das zu einem wichtigen Teil der Friedensarbeit im Hunsrück wurde. Kreuze bestimmten aber auch sonst das Bild des Protestes in diesem ländlichen Teil von Rheinland-Pfalz. 96 Kreuze hatte die Friedensbewegung auf einem Acker an einer Bundesstraße errichtet, für jede Rakete eins. Sie sollten zu einem Symbol des Hunsrücker Widerstands gegen die Nachrüstung werden.

Die Bauarbeiten beginnen
1984 begannen die Bauarbeiten an den Bunkeranlagen in der Nähe von Hasselbach, nachdem der Deutsche Bundestag am 22. November 1983 den Stationierungsplänen der NATO zugestimmt hatte. Die Gemeinderäte von Bell und Hasselbach, in deren Gemarkung die NATO-Baustelle lag, lehnten dagegen einstimmig das Bauvorhaben ab, eine Gemeindeversammlung von Spesenroth, einem kleinen Dorf bei Hasselbach, sprach sich gegen die Öffnung eines stillgelegten Steinbruchs für die Baumaßnahmen aus, obwohl der Gemeinde dadurch rund 200.000 Mark verloren gingen. Dies alles Ausdruck dafür, wie stark der Protest in den traditionell eher konservativen Hunsrückgemeinden verankert war.

Von staatlicher Seite gab es immer wieder Einschüchterungsversuche, die in erster Linie das „Hunsrück-Forum“ betrafen. Diese Zeitschrift hatte im April 1985 einen Bauplan des Stationierungsgeländes, der zuvor bereits in der taz veröffentlicht wurde, ebenfalls abgedruckt. Dies rief den Staatsanwalt auf den Plan. Er ermittelte gegen die Redaktion wegen des Verdachtes auf Landesverrat. Büros der Friedensbewegung und Privatwohnungen der Redakteure wurden durchsucht, Seiten aus dem Hunsrück-Forum beschlagnahmt. Dies weckte das Interesse anderer Zeitungen, die, wie der SPIEGEL, die Frankfurter Rundschau oder die taz, den Bauplan erneut veröffentlichten, ohne dass hier ebenfalls die Staatsanwaltschaft tätig wurde. Auch gegen einen örtlichen SPD-Landtagsabgeordneten oder gegen Bundestagsabgeordnete der Grünen, die Kopien des Planes verteilten, wurde nicht ermittelt.

Ein Mitglied der Hunsrücker Friedensbewegung kündigte daraufhin in Schreiben an die Staatsanwaltschaft in Koblenz an, den aus dem SPIEGEL kopierten Bunkerbauplan öffentlich zu verteilen, was dazu führte, dass ein Zivilbeamter der Polizei diese Kopien vor laufenden Fernsehkameras beschlagnahmte, nicht aber die Exemplare des SPIEGEL. Justizposse im Hunsrück.

Großaktionen im Hunsrück
Im Januar 1986 begann die Stationierung der ersten Cruise Missiles im Hunsrück. Zum gleichen Zeitpunkt hatte der Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung beschlossen, zu einer Großkundgebung im Oktober 1986 nach Hasselbach („Frieden braucht Bewegung“) einzuladen, erstmals an einen Stationierungsort und nicht in eine Großstadt. Der 11. Oktober 1986 erlebte die bis dahin größte Demonstration in Rheinland-Pfalz und eine der letzten großen Demonstrationen der Friedensbewegung. Mehr als 180.000 Menschen waren in den Hunsrück gekommen, um hier friedlich gegen die Stationierung von Atomwaffen und die nukleare Rüstung zu demonstrieren.

Wenige Wochen nach dieser großen Demonstration, die der Hunsrücker Friedensbewegung bundesweites Renommee einbrachte, kam es am 20. und 21. November, dem dritten Jahrestag des Stationierungsbeschlusses des Deutschen Bundestages, zur ersten Blockade des Stationierungsgeländes bei Hasselbach. Nur ein halbes Jahr nach dieser ersten Blockade wurde das Stationierungsgelände im Mai 1987 von Mitgliedern der Friedensbewegung erneut geschlossen. Erstmals leitete nach dieser Blockade die Staatsanwaltschaft auch Ermittlungsverfahren gegen die Unterzeichner des Blockadeaufrufs ein. Die dritte und letzte Blockade gab es im Oktober 1987. Bereits im April 1987 hatten die „Blockade-Prozesse“ begonnen, wobei vor dem Amtsgericht Simmern die Blockierer verurteilt, in der zweiten Instanz vor dem Landgericht Bad Kreuznach meist freigesprochen wurden, bevor dann das Oberlandesgericht in Koblenz diese Freisprüche wieder aufhob. Erst 1995, nach einer Änderung der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, wurden die Blockierer von Hasselbach wieder freigesprochen.

Noch während der Großdemonstration 1986 in Hasselbach hatten sich in Reykjavik US-Präsident George Bush und der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow getroffen, um über eine atomare Abrüstung zu verhandeln, am 1. Dezember 1987 unterzeichneten die USA und die Sowjetunion schließlich den INF-Vertrag, in dem sich die beiden Supermächte verpflichteten, ihre Mittelstreckenwaffen in Europa abzurüsten. Dies betraf auch die Cruise Missiles in Hasselbach, mit deren Abtransport wenig später begonnen wurde. Im August 1990 wurde die 38. taktische Flugkörperstaffel auf der Pydna offiziell aufgelöst, wenig später wurde von den Amerikanern auch die Hahn Air Base, einer der größten US-Luftwaffenstützpunkte in Deutschland, aufgegeben. Noch im Januar 1989 war auf dem „Goßberg“, einer Anhöhe unweit des Stationierungsgeländes, mit dem Bau eines mehrstöckigen unterirdischen atombombensicheren Bunkers zur Aufnahme einer „Datenauswertungsstation“ der US-Army begonnen worden. Der sechs Stockwerke tiefe Bunker wurde sogar fertig gestellt und umzäunt, jedoch nie in Betrieb genommen und ist heute ungenutzt. Es sollte die letzte militärische Einrichtung im Hunsrück gewesen sein, die gebaut wurde.

„Militärheimat Hunsrück“, so hatten Autoren ein Buch betitelt, dass 1986 die Militarisierung des Hunsrücks beschrieb. In der Tat gehörte dieser Landstrich zwischen Rhein, Mosel, Nahe und Saar zu den Regionen in Deutschland mit der größten militärischen Belastung. Der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel sprach gar vom „größten Flugzeugträger der NATO“. Rund 60 militärische Anlagen listete die Friedensbewegung für den Hunsrück auf, etwa 17.000 ausländische Soldaten waren hier stationiert. Zahlreiche Orte wie die Dörfer rund um den US-Flugplatz Hahn oder am Truppenübungsplatz Baumholder waren vom Militär geprägt. Für die strukturschwache Region war das Militär allerdings auch ein wichtiger Arbeitgeber.

Konversion
Mit Ende des Kalten Krieges begann für den Hunsrück ein neuer Abschnitt, der der Konversion. Zahlreiche Militäranlagen wurden geschlossen. Auch die „Pydna“ war davon betroffen. Pläne für einen Freizeitpark auf dem ehemaligen Stationierungsgelände zerschlugen sich, heute trainieren Bundeswehr-Soldaten hier für Auslandseinsätze im Kosovo oder Afghanistan. Und einmal im Jahr verwandeln Zehntausende von Ravern bei „Nature One“ das Areal in eine große Techno-Party.

Größtes Konversionsprojekt im Hunsrück ist der Hahn. Die ehemalige US-Air Base ist zum fünfgrößten Fracht- und zum elftgrößten Passagierflughafen in Deutschland geworden. Stark abhängig vom Billig-Flieger Ryanair, aber auch von militärischen Frachtflügen der USA in den Nahen Osten in den Irak oder nach Afghanistan. So spielt hier auch heute noch das Militär eine wichtige Rolle. Der Protest dagegen ist aber eher schwach, eine BI engagiert sich, die Friedensbewegung organisierte 2006 einen Ostermarsch am Hahn. Doch die Hunsrücker Friedensbewegung ist klein geworden. Sie engagiert sich heute gegen die Bundeswehr in Schulen, in der Anti-AKW-Bewegung der Region, für eine Aussöhnung von Israelis und Palästinensern im Nahen Osten oder sorgt dafür, dass im Haus der regionalen Geschichte in Kastellaun, wo dem Kalten Krieg eine ganze Etage gewidmet ist, die Zeit des Widerstands in den 80er Jahren nicht vergessen wird.

Hunsrücker Friedensbewegung im Internet: www.fi-hunsrueck.de

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Dieter Junker lebt im Hunsrück und ist als freier Journalist für mehrere Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtenagenturen tätig.