Bericht vom Diskussionforum in Bonn

Alternativen zu militärischer Intervention im ehem. Jugoslawien

von Ilka Anger Rolfjörg Hoffmann
Initiativen
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Am 14.September 1992 führte das Netzwerk in Kooperation mit der Ökologie-Stiftung NRW in Bonn ein Diskussionsforum durch. Zum Thema "Alternativen der Friedensbewegung zum Jugoslawien-Konflikt" hatten sich in der Landesvertretung Niedersachsen etwa 130 Interes­sierte aus vielen Städten der Bundesrepublik versammelt.

Die einleitenden Beiträge von Gerd Greune (IFIAS) und Andreas Buro (Komitee für Grundrechte und Demo­kratie) verdeutlichten noch einmal die Perspektivlosigkeit einer militärischen Option im ehem. Jugoslawien. Als Dis­kussionsgrundlage diente ein zehnseiti­ges Thesenpapier von Andreas Buro, der dem Forum die wesentlichen Elemente einer nichtmilitärischen Konfliktlö­sungsstra­tegie für Jugoslawien vorstell­te. Seine Thesen stießen prinzi­piell auf Zustim­mung, wobei aus dem Publikum zunächst massive Kritik am Verhalten der EG und der Bundesregie­rung geäu­ßert wurde. Der frühere Au­ßenminister Genscher habe eine Politik betrieben, die entweder durch deutsche Machtin­teressen auf dem Balkan ge­prägt gewe­sen sei oder einfach 'aus dem Bauch heraus' betrieben wurde. So hat Bonn es z.B. versäumt, mit der Aner­kennung Kroatiens Bedingungen wie die Einhal­tung von Menschenrechten oder die Ein­richtung von Schutzzonen in be­friedeten Gebieten zu verknüpfen.

Die Friedensbewegung hat bereits vor einem Jahr gewarnt, daß sich der Kon­flikt zwischen Serbien und Kroatien auf Bosnien-Herzegowina ausweiten werde. Wenn die internationale Politik nicht zu anderen Mitteln der Konfliktlösung übergeht, besteht die Gefahr eines weiteren Übergreifens auf die Nachbar-Republi­ken.

Expertenmeinungen

Der Vertreter des Auswärtigen Amtes, W.-E. von dem Hagen, stellvertr. Leiter des Planungsstabes und EG-Beobachter, hält den Konflikt zwischen den Kriegs­parteien politisch nicht für lösbar, er müsse "ausgefochten" werden - eine Ansicht, die das Publikum heftig kriti­sierte.

Wolf Oschlies vom Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BiOSt) hob drei grundlegende Fakten zu den Auseinandersetzungen im ehem. Jugoslawien hervor: Serben und Kroaten sind ethnisch ein Volk, sie sprechen im Wesentlichen eine Sprache und haben aus der Entstehung des Kö­nigreiches und dann der Republik histo­risch gesehen ein Gemeinschaftsgefühl als Süd-(=Jugo-)slawen, wenn auch die Gründung des Staates von mehreren Geburtsfehlern begleitet gewesen sei.

Embargo

Eine inhaltliche Kontroverse zum Ver­treter des Außenamtes ergab sich in der Frage des Embargos. Oschlies möchte den Boykott auf Kroatien ausgedehnt sehen, während der Vertreter des Au­ßenministeriums das Embargo für wir­kungslos hält, da Serbien kriegswichtige Güter für zwei Jahre bevorratet hat. Daß der Boykott weitgehend wirkungslos bleibt, liegt nach Einschätzung von Achim Schmillen (Mitarbeiter der Bun­destagsgruppe B90/Grüne) am fehlen­den Willen der Politiker und Militärex­perten. Die NATO sei über praktisch alle größeren Verstöße gegen das Im­portverbot nach Serbien orientiert - und verhindere sie nicht, denn mit einem Boykott-Erfolg ginge die Legitimation für ein militärisches Eingreifen verloren (vgl.Golfkrieg).

Helmut Lippelt (BuVo Die Grünen) betonte bei seinem Statement aus dem Forum, das Embargo sei in der momen­tan praktizierten Form unsinnig, weil es den Kultur- und Informationsaustausch zwischen Serbien und Europa unter­binde. So sind das Goethe-Institut in Belgrad sowie Universitätsinstitute und auch die Antikriegsgruppen fast aus­schließlich auf die serbische Presse an­gewiesen.

"Blauhelme"

Der Einsatz von UNO-Blauhelmen wurde angeregt diskutiert. Dabei reich­ten die Positionen vom völligen Abzug aller ausländischen Beobachter und Sol­daten bis zur Übernahme von Mandaten in befriedeten Gebieten. Die Befürwor­ter schlossen sich einhellig Buros These an, daß UN-Truppen nur deeskalierend eingesetzt werden dürften, um z.B. hu­manitäre Aktionen zu unterstützen. In­wieweit sich ihr Auftrag auf die Doku­mentation und die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen erstrecken könnte, oder ob UN-Soldaten in Schutz­zonen auch Polizeifunktionen überneh­men sollten, blieb umstritten. Inzwi­schen ist ihr Mandat durch den Sicher­heitsrat auf den Einsatz von Waffenge­walt nicht nur zur Selbstverteidigung, sondern auch zur Durchsetzung ihrer Aufträge erweitert worden. Diese Vor­gabe birgt ein enormes Eska­lationsrisiko. Die internationale Staa­tengemeinschaft unterstreicht immer wieder, daß die ethnische Säuberungs­politik nicht hingenommen wird. Die Blauhelme könnten so zum Schutz der Minderheiten in Kampfhandlungen ge­zwungen werden. Nach Andreas Buros Ansicht werden humanitäre und öko­nomische Hilfen von der Staatenge­meinschaft außer Acht gelassen. Diese an Auflagen gebundenen "positiven Sanktionen" können für die Kriegspar­teien ein Anreiz zur nichtmilitärischen Konfliktlösung sein. Als Beispiel nannte Karlheinz Koppe die Aktivitäten von Pax Christi im ehem. Jugoslawien. Der notwendige Aufwand für Flüchtlings­hilfe von ca. zwei Milliarden Mark stehe in keinem Verhältnis zu den bisherigen militärischen Ausgaben der UNO und ihrem Nutzen. Positive Sanktionen, z.B. die Einrichtung von Flüchtlingscamps in Heimatnähe würden auch dem "ras­sistischen Nationalismus" (Buro) entge­genwirken. (Zur Menschenrechts­situa­tion kündigte Jürgen Clever von amne­sty international einen Be­richt sei­ner Organisation für Ende Sep­tember an.)

Internationale Gremien

Andreas Zumach hob hervor, der bishe­rige Verlauf des Jugoslawienkonflikts zeige überdeutlich die Notwendigkeit einer Umstrukturierung internationaler Gremien wie UNO und KSZE. Ihr Ar­beitsschwerpunkt müsse in Zukunft auf Vermittlung und Vorbeugung bei zwi­schen- und innerstaatlichen Konflikten ausgerichtet sein. Dies erfordere eine Kompetenzerweiterung des Interven­tionsrechts der UNO z.B. bei der Er­richtung von Schutzzonen. In diesem Zusammenhang wäre die institutionali­sierte Beteiligung von internationalen Nichtregierungs-Organisationen (NGO) dringend not­wendig.

Das Diskussionsforum der Friedensbe­wegung konnte die argumentative Basis der MultiplikatorInnen für eine nicht­militärische Lösung des Jugoslawien­konflikts erweitern und Handlungsalter­nativen aufzeigen, z.B. die Schaffung von Gegenöffentlichkeit, die Stärkung der jugoslawischen Antikriegsgruppen und die Korrektur der Berichterstattung.

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Ilka Anger (Förderkreis Friedenserziehung und Völkerverständigung, Bochum)
Rolfjörg Hoffmann (Förderkreis Friedenserziehung und Völkerverständigung, Bochum)