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Atomtests for ever - die SPD hilft mit
vonEs begann beim Kongress der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) Anfang Oktober in Bonn. Nach einer Podiumsveranstaltung, bei der Opfer der Atomtests von 5 Atommächten (USA, UdSSR, Frankreich, Großbritannien, China) ihre unsagbaren, sich in vielen Punkten gleichenden Erfahrungen geschildert hatten, trafen sich abends Vertreter von IPPNW, der Naturwissenschaftler für den Frieden, von Greenpeace, von IFIAS (Initiative für Frieden, internationalen Ausgleich und Sicherheit), von Pazifikgruppen und Anti-Atomtestgruppen, um über eine gemeinsame Kampagne gegen Atomtests zu diskutieren, die sich parallel zu den Greenpeace-Aktionen vor Novaja Semlji (UdSSR, Oktober), Moruroa (Französisch-Polynesien, Dezember) und Nevada (Großbritannien und USA, Oktober und Januar) entfalten sollte.
Ziel war es, auf den verschiedensten Ebenen sowohl außerparlamentarisch als auch parlamentarisch für einen umfassenden Atomteststop zu mobilisieren. Denn am 7. Januar 1991 wird die UN-Amendment-Konferenz beginnen, die das bisherige teilweise Atomtestverbot in ein umfassendes verwandeln soll. U.a. wurde beschlossen, für die Dringlichkeitsdebatte im Europäischen Parlament am Donnerstag, den 13. Dezember 1990, einen Dringlichkeitsantrag einzubringen, und zwar nicht durch eine Fraktion, sondern durch möglichst viele einzelne Abgeordnete. Ein "global" formulierter Antrag, der keinem der EG-Mitgliedstaaten besonders vor's Schienbein trat, erhob 4 Forderungen:
- Die EG-Mitgliedstaaten, die Atomwaffenstaaten sind, sollten einem umfassenden Atomtestverbot zustimmen.
- Die EG-Mitgliedstaaten, die Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages sind, sollten ihrer Verpflichtung aus Art. 6 dieses Vertrages zur Verwirklichung eines umfassenden Atomtestverbotes nachkommen.
- Alle EG-Mitgliedstaaten sollten sich bei der Amendment-Konferenz energisch für ein umfassendes Atomtestverbot einsetzen.
- Alle Atomwaffenstaaten sollten ihre Tests ab sofort einstellen und einem umfassenden, völkerrechtlich gültigen Verbot aller Atomtests zustimmen.
Der Antrag wurde in den kommenden von mehr als 70 Abgeordneten (50 mehr als lt. Geschäftsordnung notwendig) aus den verschiedenen sog. "linken" Fraktionen des Europäischen Parlamentes unterzeichnet. Die formal notwendigen Voraussetzungen waren damit mehr als erfüllt.
Jedoch war noch eine zweite Hürde zu nehmen. Das Thema "Atomtests" mußte als eins von fünf von den Fraktionsvorsitzenden für die Dringlichkeitsdebatte ausgewählt werden... Die die Kampagne tragenden Organisationen schrieben sich mit Briefen an die Fraktionsvorsitzenden und ihre Stellvertreter die Finger krumm, damit das Thema auf die Tagesordnung des 13.12. gesetzt würde. Aber die Weisheit und vor allem die staatstragenden Interessen der Fraktionsvorsitzenden blieben allen Argumenten gegenüber undurchdringlich. Das Thema wurde abgelehnt.
Dagegen konnte am Mittwoch, den 12. Dezember, Einspruch erhoben werden. Der Einspruch wurde in namentlicher Abstimmung mit 63:140:2 Stimmen abgelehnt. Zu feige, in der Sache gegen ein umfassendes Atomtestverbot Stellung zu nehmen, wollte man das Thema lieber gar nicht erst diskutieren.
Und was hat die SPD damit zu tun? Nun, unter den mehr als 70 Unterzeichnern war nicht 1 SPD-Abgeordneter. Dagegen hatten sie, als es darum ging, die Aufnahme des Antrages auf die Tagesordnung zu erreichen, entweder mutig durch Abwesenheit geglänzt oder (mit Ausnahme von Schinzel und Schmidbauer) heldenhaft dagegen gestimmt (Görlach, Hoff, Maibaum, Onur, Peter, Rogalla, Sakellariou, von der Vring). Eine überzeugende Friedens-Partei. Wobei es offenbar mehr um eigene Großmachtambitionen und den Erhalt von deutsch-französischem Frieden und Freundschaft in der Sozialistischen Internationale geht, als um den Frieden im eigentlichen Sinne... Wer im Hinterstübchen seines Kopfes von einer auch militärischen "europäischen Sicherheitsunion" träumt, über die auch Großdeutschland irgendwann Zugang zur oder Mitverfügung über Atomwaffen erlangen könnte, dem kann natürlich an einem umfassenden Atomtestverbot nicht gelegen sein. Er würde ja dann den Ast absägen, auf den er sich noch zu setzen hofft.
Daß das keine leere Spekulation ist, zeigt ein anderes Beispiel. Im Unterausschuß "Sicherheit und Abrüstung" des Europäischen Parlaments lag seit Monaten ein Antrag vor, der die BRD aufforderte, in ihrem Grundgesetz auf Entwicklung, Herstellung, Besitz, Lagerung, Verfügung, Mitverfügung und Verwendung von Atomwaffen zu verzichten, und das insbesondere angesichts der Bemühungen um den Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. Daß es der Unterausschuß am 19. Dezember mit 3:5 ablehnte, über diesen Antrag einen Bericht zu verfassen, ist vor allem dem verdienstvollen Eingreifen des Abgeordneten Sakellariou, SPD, zu verdanken. Er schaffte es, den CDU-Vorsitzenden des Ausschusses noch in der "Schlagkräftigkeit" seiner Argumente in den Schatten zu stellen.
Daß die SPD die "Klassenfrage" auf den Abfallhaufen der Geschichte befördert hat, war seit Godesberg bekannt. Daß sie dort nun auch die eben erst entdeckten und ihr angeblich so vordringlichen "globalen Fragen" entsorgt, hat sie bisher weniger laut verkündet. Für das eine oder andere IPPNW-Mitglied, die eine oder andere Greenpeace-Sympathisantin, den einen oder anderen Naturwissenschaftler für den Frieden mag es dennoch nützlich sein zu wissen, was von der SPD in diesen Fragen zukünftig zu erwarten ist.
1 Linke Koalition, zu der vor allem die französischen, portugiesischen und griechischen Kommunisten gehören (unterzeichnete vollständig); Vereinigte Europäische Linke, zu der vor allem die italienischen und spanischen Kommunisten gehören; Sozialistische Fraktion, zu der die sozialistischen Parteien der EG-Staaten incl. SPD und Labour (Labourabgeordnete unterzeichneten besonders zahlreich) gehören; Regenbogen-Fraktion, zu der die dänische Anti-EG-Bewegung, "Regionalisten" und ich selbst gehöre (unterzeichnete vollständig); Grüne Fraktion, die sich selbst als "weder links noch rechts" einschätzt, aber zahlreich unterzeichnete.