Atomwaffenversuche

von Margriet Drent
Hintergrund
Hintergrund

Über die Fortführung des Nichtberbreitungsvertrages von Atomwaffen (NVV) von 1970 wird 1995 entschieden. Dieser Vertrag ist im Grunde diskriminierend, da er zwischen Staaten, die "haben" und denen, die "nicht haben" unterscheidet. Der diskriminierende Charakter des Ver­trages gefährdet stark seine Verlängerung über 1995 hinaus, da in dem NVV-System eine Abrüstungsverpflichtung enthalten ist, die die Nukle­armächte nicht erfüllt haben.

Die zentrale Forderung an die Atom­mächte ist die völlige Einstellung der Atomwaffenversuche (Comprehensive Test Ban), ein Atomteststopp wäre ein bedeutendes Signal für die übrigen ca. 150 beteiligten Länder am Nichtver­breitungsvertrag.

Schon seit August 1963 gibt es einen Vertrag zur Beendigung aller Versuche über der Erdoberfläche, im Weltall und unter Wasser (Partial Test Ban Treaty). Die unterirdischen Versuche wurden nach wie vor durchgeführt.

Wie stehen eigentlich die Chancen, daß es zu einer völlige Einstellung von Atomwaffenversuche kommt? Das Pro­blem besteht eigentlich darin, daß ein Land die Einstellung seine Atomtestver­suche abhängig macht von einer völli­gen Ende von Versuchen in anderen Ländern, und so ein Teufelskreis ent­steht. Die sogenannten "neuen" Atom­mächte geben nicht einmal zu, daß sie über Atomsprengköpfe verfügen, was eine eventuelle Einstellung von Atom­versuche zu einer akademischen Dis­kussion macht.

Nachstehend, zu Erläuterung, dazu ein Überblick über den aktuellen Stand (bis Februar 1993) bei Atomwaffenversu­chen in den klassischen Atomländern und die Situation in den sogenannten "inoffiziellen, neuen Atomländern":

Die fünf klassischen Atommächte:

USA

Der amerikanische Kongreß hat gegen den Widerstand von Präsident George Bush mit Wirkung vom 1. Oktober 1992 einen neunmonatigen Teststopp durch­gesetzt. Er folgte damit dem Vorbild Russlands. Nach Ablauf des Testomora­toriums am 1. Juli 1993 dürfen jährlich noch fünf Versuche gezündet werden, bis sie am 1. Oktober 1996 endgültig beendet werden sollen. Nach diesem Datum kann die Regierung Versuche nur dann anordnen, wenn dies vorher ein anderes Land getan hat.

GUS

*     Russland: Präsident Boris Jelzin hat am 19. Oktober 1992 das Moratorium von nuklearen Versuchen bis auf den 1. Juli 1993 verlängert. Am selben Tag schloss der russische Atomener­gieminister Viktor Michailow nicht aus, daß die Aussetzung der Tests auf der Inselgruppe Nowaja Semlja im Nordpolarmeer bis 31. Dezember 1993 verlängert werden könnte. Dies sei jedoch von den USA abhängig. Michailow war der Meinung, daß die 15 letzten Atomwaffenversuche der USA einen entscheidenden technolo­gischen Vorsprung für die Amerika­ner bedeuten. Inzwischen wurde von Boris Jelzin das Testmoratorium bis 31.12.1993 verlängert.

      Nowaja Semlja ist das einzige Test­gelände, das Russland geblieben ist, seit Kasachstans Präsident Nursulan Nasarbejew in Semipalatinsk sämtli­che Versuche verboten hat.

*     Weißrussland: Es gibt ein Abkom­men mit Russland über die Rückfüh­rung aller strategischen Waffen bis Ende 1994. In Mai 1992 verpflichte­ten sich Weißrussland, die Ukraine und Kasachstan den Start-I-Vertrag zu ratifizieren, auf Atomwaffen zu verzichten und so schnell wie mög­lich dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten. Bis heute steht dieses je­doch noch aus.

*     Ukraine: Die Ukraine ist mit 1665 Sprengköpfen auf strategischen Trä­gerwaffen heute atomare Weltmacht Nr. 3. Bis jetzt hat das ukrainische Parlament die Ratifizierung des START-I-Abrüstungsvertrages und des Atomwaffensperrvertrages nicht durchgeführt. Der Grund sei man­gelnde Sicherheitsgarantien der USA. Auch verlangt die Ukraine eine mate­rielle Entschädigung für den Trans­port von den auf ihrem Boden statio­nierten weitreichenden Atomraketen, die dann in Russland verschrottet werden sollen. Angebote von US-Präsidenten Bill Clinton zur Deckung der Kosten beizuspringen, wurden als "keineswegs ausreichend" bezeich­net. Der ukrainische Ministerpräsi­dent Leonid Kutschma hat gedroht, wenn es nicht zu einer guten Reglung kommen wurde, es für die Atom­sprengköpfe "viele anderweitige An­gebote" gäbe.

*     Kasachstan: Kasachstan hat bis jetzt als einziger Nachfolgerstaat der So­wjet Union den Nichtverbreitungs­vertrag ratifiziert und auch keine nu­klearen Versuche auf kasachischem Territorium mehr erlaubt.

Großbritannien.

Großbritannien benützt das Testgelände der USA in Nevada und hat damit also ein de facto Moratorium bis 1. Juni 1993 durch das Moratorium der USA.

Frankreich.

In April 1992 hat Frankreich einen zeitweiligen einseitigen Teststopp ver­kündet. Das Moratorium ist offiziell am 31. Dezember 1992 ausgelaufen, wurde dann aber bis zum 31. Juni 1993 verlän­gert.

China.

Die VR China ist die einzige Nuklear­macht, welche uneingeschränkt weiter testet. Die Volksrepulik zündete am 21. Mai 1992 sogar ihren bisher umfang­reichsten unterirdischen Versuch mit ei­ner Stärke von rund einer Megatonne. USA und Russland halten sich an eine Höchstgrenze von 150 Kilotonnen des herkömmlichen Sprengstoffs TNT. Der letzte Atomversuch war am 25. Septem­ber 1992. Man erwartet, daß China Anfang Frühling 1993 einen weiteren Atombombentest durchführen wird.

China und Frankreich haben bisher den Sperrvertrag nicht unterzeichnet und haben mit ihren Nukleartransporten we­sentlich zur nuklearen Verbreitung bei­getragen. Beide Länder haben jedoch bekanntgegeben, den Sperrvertrag zu unterzeichnen.

China begrüßt das Start II-Abkommen, sieht sich aber nicht verpflichtet, selbst atomar abzurüsten, weil auch nach Start II die Quantität und Qualität der ameri­kanischen und russischen Kernwaffen denen Chinas und anderer Nuklearstaa­ten noch weit überlegen sei.

Staaten, die nach Meinung von Experten Atomwaffen besitzen:

Indien.

Die indische Regierung leugnet noch immer, Atomwaffen entwickelt zu ha­ben. Aber westliche Experten sind der Meinung, daß Indien ungefähr hundert Bomben lagert und über ballistische Ra­keten verfügt. Indien zündete 1974 sei­nen bisher einzigen Sprengsatz.

Pakistan.

Pakistan leugnet genau wie Indien, über Atomwaffen zu verfügen, besitzt aber wahrscheinlich ein Dutzend Spreng­köpfe und chinesische ballistische Ra­keten. Seit Anfang 1991 muß Islamabad ohne 600 Millionen Dollar amerikani­scher Hilfe auskommen, da es dem Se­nat nicht mehr glaubwürdig erschien, daß Pakistan nicht an der Bombe arbei­tet. Pakistan sieht eigene atomare Waf­fen als eine Antwort auf das atomare Programms Indiens.

Bei beiden Ländern, Pakistan und Indien, gibt es wahrscheinlich Möglich­keiten, eine nukleare Abrüstung durch finanzielle Anreize zu erzwingen, da diese zwei Länder zu den ärmsten Län­der der Welt gerechnet werden und ohne finanzielle Hilfe nicht auskommen.

Israel.

Die "New York Times" nannte Israel bereits die fünftstärkste Atommacht der Welt. Es gibt Vermutungen, daß Israel 1979, in Zusammenarbeit mit Südafrika, einen Atomwaffentest im Südatlantik durchgeführt hat. Israel hat nie zugegeben, über Atomwaffen zu verfügen und hat sich immer verweigert, den Atom­waffensperrvertrag zu unterzeichnen. Is­rael hat sich jedoch politisch verpflich­tet, auf den ersten Schlag zu verzichten. Die Mitgliedsländer der Arabischen Liga haben das kürzlich in Paris abge­schlossene Chemiewaffenverbot nicht unterzeichnet, weil sie ihre Unterzeich­nung vom Beitritt Israels zum Atom­waffensperrvertrag abhängig gemacht haben.

Südafrika.

Südafrika gilt als Atommacht und hat, wie gesagt, bereits in Zusammenarbeit mit Israel einen Atomsprengsatz gezün­det.

Schwellenländer.

Die sogenannten Schwellenländer, die in kürzer Zeit derartige Waffen produ­zieren können, sind: Argentinien, Brasi­lien, Taiwan, Nordkorea.

Margriet Drent arbeitet als Praktikantin bei der Initiative für Frieden (IFIAS).

Solidarität mit den Opfern der chinesischen
Atomtests bei Lop Nor in der Provinz Xingjang.

Als einzige derfünf klassischen Atommächte testet China noch unbegrenzt und begründet seine Nicht-Beteiligung an den Moratorien der anderen vier Ländern mit einem technischen Rückstand. Die Atomversuche werden in Xinjang (oder Ostturkestan), einem von Uiguren beanspruchten autonomen Gebiet, durchge­führt.

In der Stadt Uschkatal in Xinjang gibt es zwei Sonderlazarette, deren Hauptauf­gabe die Betreuung des Nukleartest-geländes Lop Nor und die Durchführung un­terschiedlicher Forschungen bei Kernwaffentests ist. Zwischen Mai 1990 und Oktober 1990 wurden auf den Testgelände Lop Nor Kernwaffen mit einer Kapa­zität von 200 Kilotonnen getestet. Auf diesem Gelände werden schon seit dreißig Jahren Kernwaffen getestet, nach denen keinerlei Säuberungsmaßnahmen durch­geführt werden, was zur vollständigen Verseuchung der fruchtbaren Böden dieser Region führte und zu einer Zunahme von Leber-, Lungen- und Hautkrebserkran­kungen in der Bevölkerung. Seit 1964 sind auf den Gelände mindestens 33 Atomversuche beobachtet worden.

Es gibt nicht-bestätigte Vermutungen, daß die Chinesen beim Testgelände Lop Nor auf Öl gestoßen sind und daß geplant wird, die Atomwaffenversuche nach Ti­bet zu verlagern. Das würde ein weiteres gefährdetes Gebiet bedeuten. Außerdem ist es ohne Zweifel kein Zufall, daß wieder ein sogenanntes politisches "Problemgebiet" durch die Chinesen als Testgelände benützt werden soll.

China muß so schnell wie möglich unter großen internationalen Druck gesetzt werden, sich den Testmoratorien anzuschließen und außerdem seinem Verspre­chen nachkommen, den Nichtverbreitungsvertrag zu unterzeichnen. Der Druck auf China könnte erheblich vergrößert werden, wenn in der Welt Fakten über das Testgelände bekannt würden.

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Margriet Drent ist Studentin "internationale Beziehungen" an der Universität Groningen und zurzeit Praktikantin bei der "Initative für Frieden, internationalen Ausgleich und Sicherheit."