Die Friedensbewegung muß sich auf den Nord-Süd-Konflikt umorientieren

Auf nach München!

von Brigitte Erler

Im Dezember vergangenen Jahres wurde auf der KSZE-Konferenz in Pa­ris feierlich der Kalte Krieg begraben, spektakuläre Abrüstungsinitiati­ven aus Ost und West überraschen die staunenden Zeitgenossen, in der CDU-Fraktion wird eine weitere Reduzierung der Bundeswehr über die 370 000 Mann hinaus diskutiert, der Westen greift dem Osten mit Milli­ardenkrediten unter die Arme. Und auch in der Zweidrittelwelt zei­gen sich positive indirekte Auswirkungen der Veränderungen in und zwi­schen den Industrieländern: Frieden oder jedenfalls verbesserte Aussichten darauf in zahlreichen Ländern von Angola über Äthiopien, Somalia, Liberia, West-Sahara, Kambodscha und Afghanistan bis zu Guatemala und El Salvador.

Das heißt aber leider nicht, daß die Friedensbewegung arbeitslos würde. Abgesehen von den Reste- Problemen der Überrüstung und den alten und neuen ethnischen Kriegen wie Jugosla­wien oder Sudan ist es dringend gebo­ten, daß wir uns auf den Konflikt um­stellen, der die nächsten Jahrzehnte be­stimmen wird: den Nord-Süd-Konflikt. Dessen Eskalation mit mehr Opfern, als es der Ost-West-Konflikt je forderte, ging in den 80er Jahren von der Öffent­lichkeit in den Industriestaaten fast un­bemerkt vonstatten. Der erste heiße Krieg in diesem Zusammenhang am Golf kostete die beteiligten Industrie­länder fast keine Opfer und ist weitge­hend schon wieder aus unserem Be­wußtsein geschwunden.

Doch so einfach werden wir ganz offen­sichtlich nicht mehr lange davonkom­men. Die entsetzlichen Anschläge auf Ausländer in der Bundesrepublik zeigen nur allzu deutlich, wie wenig wir darauf vorbereitet sind, uns mit dem Problem der Armut überhaupt auseinanderzuset­zen. Jeder, der nicht will, daß wir mit Einwanderern … la Bari umgehen, muß jetzt schnellstens Druck auf die Politik organisieren, damit das immer weiter perfektionierte System der Ausbeutung der Zweidrittelwelt geändert und allen eine Lebenschance gelassen wird.

Die Entschärfung des Nord-Süd-Kon­flikts stellt eine noch sehr viel größere Herausforderung dar als die des Ost-West-Konflikts. Konnte sich die Frie­densbewegung bei der Ost-West-Kon­frontation im Wesentlichen auf die For­derungen nach Rüstungsabbau und Ab­bau des Feindbildes beschränken, so ist im Nord-Süd-Verhältnis mehr erforder­lich: das Entstehen neuer Feindbilder wie z.B. des Islam verhindern, ja, aber vor allem ökonomische Konsequenzen, Konsum- und Produktionsveränderungen, eine Aufgabe der geliebten Wachstums- und Fortschrittsgläubigkeit, ein anderes Verständnis von und ein an­deres Umgehen mit uns selbst und unse­rer Umwelt.

Diese riesige Aufgabe erfordert die Zu­sammenarbeit aller, die dazu beitragen k”nnen, vor allem der Dritte Welt-, der Umwelt- und der Friedensbewegung. Alle müssen ihre spezifischen Kennt­nisse und Mobilisierungsmöglichkeiten einbringen.

Das nächste Jahr bietet dafür eine aus­gezeichnete Gelegenheit. Durch me­dienwirksame Ereignisse wie die UN-Umweltkonferenz in Brasilien (1.-12. Juni), den G7-Weltwirtschaftsgipfel in München (6.-8. Juli), die 500-Jahrfeiern zur Entdeckung Amerikas bzw. zum Be­ginn des Kolonialismus, die Vollendung des EG-Binnenmarktes sowie die über Europa hinausgehende Medienkampa­gne. Eine Welt für alle (April-Juni) wird die öffentliche Aufmerksamkeit sowieso auf die Probleme zwischen Nord und Süd gerichtet. Das muß von uns intensiv genutzt werden!

Je besser eine Zusammenarbeit mit rechtzeitig diskutierten Inhalten und Schwerpunkten organisiert werden kann, desto größer ist die Chance, daß wir Bewußtsein beeinflussen und Politik verändern. Am 9. und 10. November wird deshalb ein bundesweites Treffen aller daran interessierten Gruppen in München stattfinden, wo Inhalte und Aktionen abgesprochen werden sollen. Es wäre äußerst wichtig, daß auch die Gruppen in der Friedensbewegung, die sich bisher noch wenig mit dem Thema beschäftigt haben dort hingehen. Wenn wir das Problem nicht von uns aus an­gehen, so wird es uns einholen.

P.S.: Am 9. November findet auch ein bundesweiter Aktionstag gegen den grassierenden Fremdenhaß und den Ab­bau des Asylrechts statt mit einer Groß­demonstration in Berlin und evtl. weite­ren regionalen Demonstrationen und lo­kalen Aktionen. Für die TeilnehmerIn­nen in München besteht sicher Gelegen­heit zu Beteiligung an entsprechenden Münchner Aktivitäten.

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Autorin zur Entwicklungshilfe. Engagiert sich als Nord-Süd-Expertin innerhalt der Friedensbewegung