Syrien

Aufruf von Adopt a Revolution und medico international - ein Kommentar

von Christine Schweitzer

Unter der Überschrift "Freiheit braucht Beistand" hat die Initiative Adopt a Revolution zusammen mit medico international vor Weihnachten 2012 einen Aufruf zur Unterstützung des zivilen Widerstandes in Syrien herausgegeben.

In dem Text heißt es u.a.

"Die Lage in Syrien erscheint hoffnungslos. Kein Dialog ist in Sicht und niemand scheint das andauernde Töten stoppen zu können. Jede Waffenlieferung - ob aus Russland, den USA, dem Iran, Europa, der Türkei oder den Golfstaaten - wird die ohnehin bestehende humanitäre Katastrophe verschlimmern. Jede militärische Aufrüstung der Anrainerländer birgt die Gefahr einer Regionalisierung des Krieges. Jede andere Form der offenen militärischen Intervention wird die politischen Kräfte an den Rand drängen und die Opposition in Syrien weiter spalten. Abwarten und Zuschauen droht aber zu ähnlich verheerenden Resultaten zu führen.

Vor anderthalb Jahren hat eine junge Generation in Syrien ihren Willen zur Freiheit erklärt. Für diese mutigen Frauen und Männer gibt es keinen Weg zurück in die alte Republik der Angst. Unbewaffnete lokale Bürgerkomitees, kurdische Initiativen, Studentengruppen, aber auch palästinensische Jugendliche verweigern sich der militärischen Logik der Zerstörung und verteidigen den demokratischen Aufbruch. Sie helfen nicht nur Verwundeten und Ausgebombten, sondern verteidigen auch die Interkonfessionalität der syrischen Demokratiebewegung gegen die religiöse Hetze des Regimes wie gegen die immer stärker werdenden radikal-islamischen Tendenzen innerhalb der Freien Syrischen Armee und protestieren gegen tagtägliche Menschenrechtsverletzungen. Noch immer finden jeden Freitag hunderte von unbewaffneten Demonstrationen statt; weiterhin versuchen AktivistInnen dort, wo sich der Staat zurückgezogen hat, das öffentliche Leben aufrechtzuerhalten. Sie alle, vor allem die vielen aktivistischen Frauen, haben keine hier bekannten Namen und kein prominentes Gesicht. Doch sie sind die neue Generation Syriens, die nicht nur Nachbarschaftshilfe für unzählige Inlandsflüchtlinge leistet, sondern Tag für Tag den Boden für ein zukünftiges demokratisches, multi-ethnisches und multi-religiöses Land bereitet. Ihnen gilt unser solidarischer Beistand, unser Respekt und unsere praktische politische Unterstützung.

Wir appellieren an Medien und Öffentlichkeit in Deutschland, das dramatische Geschehen differenziert wahrzunehmen und sich den offenen Blick durch die Bilder der Gewalt nicht verstellen zu lassen. Syrien verschwindet aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit, weil sich das Blutvergießen immer länger hinzieht. Es ist unsere Verantwortung, das zu verhindern."

Der Aufruf wurde von einer Reihe prominenter Persönlichkeiten unterzeichnet, darunter Elmar Altvater, Wolfgang Kaleck, Ekkehart Krippendorff, Ruprecht Polenz, Werner Rätz, Claudia Roth und Helga Wullweber.

Reaktionen
Der Aufruf ist in der Friedensbewegung auf geteiltes Echo gestoßen. Während die Ablehnung internationaler Intervention begrüßt wurde, wurde auch bemerkt, dass der Aufruf sich nicht explizit von dem bewaffneten Kampf in Syrien distanziert. (Dies führte auch dazu, dass Liedermacher Konstantin Wecker seine Unterschrift unter den Aufruf wieder zurückzog.) Während es den zivilen Widerstand weiterhin gibt, wie auch in dem Aufruf hervorgehoben wird, sieht dieser jedoch die Freie Syrische Armee (FSA) grundsätzlich weiterhin als legitim an. Wo von Seiten der AktivistInnen Kritik geäußert wird, so richtet sich diese vorwiegend zum einen an die extremistischeren (islamischen) bewaffneten Gruppen, die ebenfalls in Syrien agieren. Kritik, die an die FSA gerichtet wird, fordert diese lediglich auf, Menschenrechte und Kriegsvölkerrecht in ihrem Kampf zu respektieren. Diese Sachlage in Syrien hat inzwischen auch das Netzwerk Friedenskooperative und das Komitee für Grundrechte und Demokratie dazu veranlasst, aus der Unterstützerschaft von Adopt a Revolution auszuscheiden.

Von Seiten anderer Gruppen und Einzelpersonen aus der Friedensbewegung und ihrem weiteren Umfeld gab es wesentlich drastischere Äußerungen und Positionierungen. So hieß es in Mails, die in der Kooperation für den Frieden ausgetauscht wurden, der Aufruf würde "den Boden für die direkte Intervention weiter bereiten". So schreibt u.a. Mohssen Massarat auf der Website der Informationsstelle Antimilitarismus: "Und kann sich dann die Friedensbewegung bei einem so komplexen Konflikt im Mittleren Osten auf die Solidarität mit einer der Konfliktparteien einlassen und dabei die Möglichkeit eines Krieges, wie er im Falle des Irak mit allen seinen Folgen stattfand, gänzlich ausblenden." Dazu kam von linker Seite die Kritik, die sich schon seit der Gründung von Adopt a Revolution gegen die Initiative richtete, deren Kern in einer Infragestellung der Legitimität des Aufstands und des Strebens nach einem Sturz des Assad-Regimes besteht.

Allerdings muss auch die Gegenfrage an die KritikerInnen erlaubt sein: Ist es angebracht, eine Positionierung gegenüber Protest- und Befreiungsbewegungen davon abhängig zu machen, wie die internationale Staatenwelt sich zu ihnen stellt? Sind diejenigen per se "gut", die von den USA und ihren Verbündeten bekämpft werden, und diejenigen "schlecht", wo ein Regimewechsel vom Westen ebenfalls begrüßt würde? Wenn man manche linke Kommentare liest, meint man manchmal, dass in bestimmten Teilen der Linken so gedacht wird.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht hier nicht um bedingungslose Solidarität mit einer bewaffneten Befreiungsbewegung. Aber gilt nicht auch hier, was früher schon anhand ähnlicher Konstellationen von Seiten pazifistischer Gruppen wie den War Resisters` International in einem Statement zum bewaffneten Kampf geschrieben wurde: Es gibt Situationen, in denen die Entscheidung einer Bewegung, zu den Waffen zu greifen, als verhängnisvoll kritisiert werden muss. Aber gleichzeitig sich solidarisch zu zeigen mit dem Anliegen, sich gegen Repression zur Wehr zu setzen. Solange es zivile Kräfte gibt, die sich für ein demokratischeres und multiethnisches Syrien einsetzen, dann brauchen sie unsere Solidarität.

Quellen: Der Aufruf steht hier https://www.adoptrevolution.org/aufruf/

Verschiedene kritische Stimmen wurden hier gesammelt: http://www.imi-online.de/2012/12/19/kritische-anmerkungen-zum-aufruf-zur...

Das Statement der War Resisters` International zum bewaffneten Kampf kann auf Englisch unter http://www.wri-irg.org/statemnt/libstrug.htm nachgelesen werden.
 

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Krisen und Kriege
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.