Ein Bericht aus Wittstock, Land Brandenburg

Bombenabwurfplatz oder FREIe HEIDe?

von Waldemar Dosse
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In der ungewöhnlich reizvollen Region Wittstock-Ruppiner Heide, einer Landschaft aus Seen, Wald und Heide, liegt der (noch) von den ehemals sowjetischen Streitkräften genutzte Truppenübungsplatz (TÜP) Witt­stock-Schweinrich. Inmitten des TÜP befindet sich das "Bombodrom", ein Bombenabwurfplatz, mit dem sich eine jahrzehntelange Leidensge­schichte der ortsansässigen Bevölkerung verbindet: Die Art und Weise, wie die sowjetischen Streitkräfte geübt haben, erinnerte an regelrechten Krieg. Neben dem Lärmterror, dem die Menschen ausgesetzt waren, kam es zu Fehlabwürfen und Abstürzen hart am Rande der umliegenden Ortschaften; viele Gebäude wurden durch Mauerrisse und Glasbruch in Mitleidenschaft gezogen.

Entsprechend groß war das Aufatmen der Menschen dort, als die Wende kam und schließlich der Abzug der sowjeti­schen Streitkräfte absehbar wurde. Auch nach der Wiedervereinigung konnte sich die regionale Bevölkerung auf eine Er­holung vor dem jahrzehntelangen Alpt­raum einstellen und Zutrauen in eine zi­vile, nichtmilitärische Zukunft entwickeln. Einige begannen schon, Geld und Arbeitskraft in Konzepte für sanften Tourismus zu investieren. Auch größere Projekte, wie ein Freizeitpark, wurden vorbereitet, die in der strukturschwa­chen Region bis zu 1000 Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren versprachen.

Da schlug im Frühsommer 1992 wie eine Bombe die Nachricht ein, daß die Bundeswehr die Nachnutzung des ur­sprünglich 130 Quadratkilometer großen Übungsgeländes plant und dort eben­falls einen Bombenabwurfplatz einrich­ten will. Auch die Landesregierung Brandenburg wurde davon überrascht, denn lange Zeit war es die offizielle Li­nie der Bonner Hardthöhe, ehemals so­wjetische Liegenschaften nicht zu über­nehmen, hatte man doch von der aufge­lösten NVA genügend Gelände und Ge­bäude in wesentlich besserem Erhal­tungszustand "geerbt", als es von den Hinterlassenschaften der Sowjetstreit­kräfte zu erwarten war.

Im August / September 1992 bildete sich die Bürgerinitiative FREIe HEIDe. Die Bürgermeister und Landräte der Region liefen Sturm gegen die Bundes­wehrpläne. Die Landesregierung ver­sprach mehrmals, den Protest der Geg­ner des Bombenabwurfplatzes zu unter­stützen und vertrat auch die regionalen Bedenken gegenüber dem Bundesmini­ster der Verteidigung. In namentlicher Abstimmung lehnte der Landtag des Landes Brandenburg einen Bombenab­wurfplatz ("Luft-Boden-Schießplatz") mit großer Mehrheit (auch mit der Stimme von Dr. Manfred Stolpe) ab. Die SPD schrieb in ihr bundesweites Aktionsprogramm, der TÜP Wittstock-Schweinrich werde nicht Bombenab­wurfplatz, wenn die SPD die Bundesre­gierung stelle.

Seit Herbst 1992 wurden 5 "Protest­wanderungen auf dem Weg zu einer FREIen HEIDe" veranstaltet, die jedesmal mit bis zu 500 Teilnehmern er­folgreich verliefen. Am 27. Dezember 1992 versammelten sich annähernd 5000 Personen zu einer Menschenkette auf dem TÜP, um ihrem Protest noch einmal Nachdruck zu verleihen. Doch alles scheint vergebens gewesen zu sein.

Der Bundestag hat am 14. Januar 1993 in namentlicher Abstimmung dem Truppenübungsplatzkonzept des Bun­desministers der Verteidigung zuge­stimmt, in dem auch die Nachnutzung des TÜP Wittstoch-Schweinrich als Luft-Boden-Schießplatz vorgesehen ist.

Trotz herber Enttäuschungen bei den Gegnern des Bombenabwurfplatzes sieht es so aus, daß zumindest der "harte Kern" der Aktiven nicht gewillt ist, auf­zugeben. In einem Flugblatt "Jetzt erst recht - Der Widerstand geht weiter" wird die Fortsetzung des Protestes mit friedlichen Mitteln angekündigt.

Die Wittstocker Region braucht Unter­stützung von Menschen mit Erfahrung in gewaltfreier Aktion. Bisher schon ha­ben einzelne Mitglieder des Bundes für Soziale Verteidigung in diesem Sinne durch Rat und Tat geholfen - aber die Unterstützung müsste eine andere Di­mension annehmen, wenn der Wider­stand in Wittstock in ähnlicher Weise zum Erfolg führen soll wie seinerzeit der Widerstand der okzitanischen Be­völkerung gegen die Erweiterung des TÜP in Larzac. Larzac war jahrelang Pilgerstätte der neuen gesellschaftlichen Bewegungen und der Linken in Frankreich. Schließlich kam auch der Präsidentschaftskandidat Mitterand nicht umhin zu versprechen, daß die Erweiterung des Truppenübungsplatzes in Larzac gestoppt würde, sobald er Prä­sident sei. In diesem Falle hat Mitterand Wort gehalten. Wird es der regionalen Widerstandsbewegung der Wittstock-Ruppiner Heide und wird es der Frie­densbewegung in Deutschland gelingen, im Fall Wittstock einen "Mittrand-Ef­fekt" zu organisieren?

 

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