Bonhoeffer-Verein fordert Friedens- und Initiativgruppen zum Protest auf

Bonhoeffer-Verein fordert Friedens- und Initiativgruppen zum Protest auf Bundestag will Militärseelsorge loben

von Karl Martin
Am 6. Februar 2006 wird die Katholische Militärseelsorge ihr 50 jähriges Jubiläum mit der Erinnerung an die Ernennung des ersten Militärbischofs nach dem Kriege feiern. Aus diesem Anlass wird gegenwärtig als eine Art "Festgabe" ein Beschluss des Deutschen Bundestages vorbereitet. Ein erster Textentwurf des Beschlussantrages "Die Militärseelsorge anerkennen und würdigen" liegt vor (http://dietrich-bonhoeffer-verein.dike.de). Es handelt sich um eine Initiative von MdB Christa Reichard aus Dresden. Die vorklärenden Gespräche mit allen Fraktionen haben begonnen.

Der dbv hat sich mit dem vorliegenden Antragsentwurf auseinandergesetzt und lehnt ihn aus folgenden Gründen ab:
 

 
    Der Entwurf ist eine beispiellose Lobhudelei; er verschweigt die kontroversen Positionen, die in den seit der Wende geführten Diskussionen um die Reform der Militärseelsorge sichtbar geworden sind;
 
 
    er verschweigt die breit geäußerte Kritik und den Wunsch maßgeblicher Kirchenkreise nach Veränderung; die Mehrheit der evangelischen Christen und der evangelischen Synoden hatte sich für eine Reform ausgesprochen;
 
 
    er verschweigt den strukturellen Reformbedarf für die Militärseelsorge; die Verfassungswidrigkeit des staatlichen Beamtenstatus der Militärpfarrer wird ignoriert; der Lebenskundliche Unterricht und die Auslandseinsätze der Militärpfarrer sollen weiter ohne eine vertragliche Regelung bleiben;
 
 
    der Antrag dient somit in keiner Weise einer abschließenden Befriedung des Diskussionsprozesses; da mit den Reformwünschen ein Stück Identität der ostdeutschen evangelischen Landeskirchen verbunden war, würde durch die Annahme des Antragsentwurfes die Verbitterung in den neuen Bundesländern und eine Zunahme der latenten Ost-West-Spannungen in Deutschland befördert; ein solcher Bundestagsbeschluss könnte als Signal einer endgültigen "Niederlage" der östlich geprägten evangelisch-kirchlichen Traditionen verstanden werden.
 
 
    Zur Erinnerung: Nach 1989/90 weigerten sich die ostdeutschen Landeskirchen, den Militärseelsorgevertrag (MSV) in ihrem Kirchengebiet anzuwenden. Es begann eine breite, über viele Jahre geführte Diskussion. In deren Verlauf zeigten sich erhebliche Vorbehalte gegen den MSV auch in den westdeutschen Landeskirchen. Die Gremien der EKD verständigten sich schließlich auf ein gemeinsames Reformkonzept. Die Umsetzung dieses Konzeptes scheiterte an dem Veto des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, der in den Gesprächen mit den Vertretern der Kirche am 29. Juni und 28. August 1995 jede Änderung des Militärseelsorgevertrages (MSV) ablehnte. Seit damals steht dieses Veto unwidersprochen im Raum. Die Forderungen der ostdeutschen und vieler westdeutscher Landeskirchen sind bis heute nicht eingelöst. Der Antragsentwurf unterschätzt völlig die weiterhin vorhandene große Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand.

Der Zynismus kann kaum überboten werden: Erst weist der Staat den Mehrheitswillen der Evangelischen Kirche zurück und lehnt jede Änderung des Militärseelsorgevertrages ab, dann will er den von den Christen gar nicht gewünschten Zustand auch noch ausdrücklich loben - um der kirchlichen Öffentlichkeit ihre Ohnmacht vor Augen zu führen (nebenbei gesagt: wie schlimm, dass unsere Kirche so mit sich umgehen lässt!). Wie ist dieser Vorgang politisch zu bewerten? Die Kirche soll durch Vergünstigungen und Privilegien mundtot gemacht werden. Der Beschlussantrag für den Bundestag winkt mit einer Verstärkung der finanziellen Unterstützungen und institutionellen Förderungen für die Militärseelsorge. Eine Militärseelsorge, die sich vom Staat einbinden und den Zwecken des Staates dienstbar machen lässt, soll belohnt werden. Dagegen gilt es zu protestieren. Es handelt sich hier um ein Zuviel an staatlicher Unterstützung, dem sich die Kirche entschieden verweigern sollte.

Auch für die Friedensbewegung und das Friedensengagement der Kirchen ist der geplante Bundestagsbeschluss schädlich. Schon jetzt beklagen viele Christen, dass ihre Kirchen zuwenig deutlich Schritte zum Frieden anmahnen. Je mehr sich die Kirchen für die Militärseelsorge beschenken und umgarnen lassen, desto weniger werden sie ihre Stimme in der Friedensfrage und gegenüber der Sicherheitspolitik der Bundesregierung kritisch erheben können. Weil wir in einer Zeit eines zunehmenden Glaubens an die Problemlösungsfähigkeit von militärischer Macht und Gewalt ein breites Bündnis mutiger Institutionen, die sich für zivile Konfliktlösungen einsetzen, dringend benötigen, sollten wir der Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Deswegen fordert der Dietrich-Bonhoeffer-Verein die Friedens- und Initiativgruppen zum Protest auf. Es muss sichtbar werden, dass wir mit den gegenwärtigen Staat-Kirche-Beziehungen in der Militärseelsorge nicht einverstanden sind.

Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein hat sich an alle Bundestagsabgeordneten gewandt und sie aufgefordert, dem geplanten Bundestagsbeschluss nicht zuzustimmen (http://dietrich-bonhoeffer-verein.dike.de). Weitere öffentliche Resolutionen und Erklärungen anderer Gruppierungen sowie Schreiben oder Mails von engagierten Einzelpersonen sind erwünscht. Sie können zum Beispiel an die Fraktionen des Deutschen Bundestages und an die Presse geschickt werden. Für Auskünfte und die Vermittlung von Adressen steht das Büro des dbv zur Verfügung: Am Heienberg 2, 65193 Wiesbaden, Tel: (0611) 542179, Fax: (0611) 9545911, dietrich-bonhoeffer-verein [at] dike [dot] de.

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Karl Martin ist Vorsitzender des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins.