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Wirtschaftssanktionen am Beispiel Jugoslawiens
Vor dem Hintergrund des nunmehr seit über vier Jahren anhaltenden Krieges im ehemaligen Jugoslawien ist die Frage nach der angemessenen Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf diesen Konflikt noch immer nicht abschließend beantwortet. War es der anhaltende Wirtschaftsboykott, der das Milosevic-Regime in Dayton letztlich zum Einlenken brachte, waren es die Luftangriffe der NATO Mitte des Jahres oder hat sich der Konflikt einfach "ausgeblutet", wie manche Beobachter meinen? Aus friedenspolitischer Sicht geht es vor allem um die Frage, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Boykott die erwünschte Wirkung zeigt.
Wie bereits im Golfkrieg von 1991 spielt somit auch hier die Frage der friedenspolitischen Wirksamkeit von Sanktionen in Form des Wirtschaftsboykotts eine Rolle. Anders als 1991 kam es im Balkankonflikt jedoch bisher nicht zu einem vergleichbar massiven Einsatz militärischer Mittel von Seiten einer internationalen Allianz. Insofern bietet sich hier die relativ seltene Gelegenheit, die Wirksamkeit eines Wirtschaftsboykotts am konkreten Fallbeispiel untersuchen zu können.
Art. 41 der Charta der Vereinten Nationen betrachtet Boykott- bzw. Sanktionsmassnahmen als eine von mehreren Möglichkeiten unterhalb der Schwelle gewaltsamer Zwangsmittel, auf einen Aggressor dort Druck ausüben zu können, wo die üblichen Mittel diplomatischer Streitbeilegung (Verhandlung, Vermittlung, Schiedsspruch etc.) versagen.
Noch im Golfkrieg von 1991 setzte vor allem die Friedensbewegung große Hoffnungen auf dieses Instrument nicht-militärischer Konfliktregelung als Alternative zu einer mit Zerstörung und Eskalationsrisiken verbundenen Militärintervention. Seither ist die Diskussion nicht verstummt, ob ein konsequenter Wirtschaftsboykott mit geringerem Aufwand nicht zum gleichen - oder einem besseren - Ergebnis geführt hätte.
In Ex-Jugoslawien war die Staatengemeinschaft mit einer ähnlichen Entscheidung konfrontiert: militärisch eingreifen oder auf die Wirkung der Sanktionen gegen Serbien/Montenegro hoffen? Man entschied sich für den Boykott, um das Milosevic-Regime als Hauptverantwortlichen für den Krieg auf dem Balkan in die Knie zu zwingen. Eine "Operation Balkansturm" in Analogie zur Kuwait-Intervention im Sinne der Zurückdrängung des Aggressors aus dem Gebiet eines international anerkannten Staates durch eine internationale Streitmacht steht auch nach dem Friedensabkommen von Dayton nicht zur Debatte.
Vor diesem Hintergrund analysiert der folgende Aufsatz die Frage der Wirksamkeit und Friedensförderlichkeit des Wirtschaftsboykotts gegen Rest-Jugoslawien. Dort erscheinen die Auswirkungen des Wirtschaftsboykotts gegen Serbien/Montenegro zumindest mehrdeutig. Die Frage ob der Boykott im Falle Jugoslawiens ein friedensförderndes Instrument ist, ist in mehrfacher Hinsicht differenziert zu beantworten.
Die Sanktionsbeschlüsse
gegenüber Restjugoslawien
Auf die Aggressionspolitik der serbischen Führung reagierte die Europäische Union ab Sommer 1991 mit schrittweise verstärkten Boykottmaßnahmen gegen Jugoslawien. Am 5. Juni verhängten die EU-Außenminister ein Waffenembargo gegen Jugoslawien und beschlossen die Aussetzung der Finanzhilfen. Zusätzlich wurden Handels- und Kooperationsabkommen mit Jugoslawien gekündigt. Weitere wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen folgten am 8. November. Verhängung von Restriktionen für Textilimporte aus Jugoslawien, Außerkraftsetzen der Meistbegünstigungsklausel (1), Ausschluss aus dem "Phare-Hilfsprogramm" der EU für den ökonomischen Wiederaufbau Osteuropas. Nach einem Massaker in Sarajevo am 27. Mai 1992 verhängte die EU ein Handelsembargo gegen Rest-Jugoslawien.
Da weder Vermittlungsversuche noch wirtschaftlicher Druck von Seiten der EU zu einer Beendigung der Kampfhandlungen führten, schaltete sich der UN-Sicherheitsrat am 25. 9. 1991 in die Auseinandersetzung ein und verhängte mit Resolution 713 ein vollständiges Embargo gegen Jugoslawien. Mit der Resolution 757 vom 30. Mai 1992 verbot der Sicherheitsrat Serbien/ Montenegro u.a. den Import von Rohstoffen und anderen Erzeugnissen bzw. Exporte in dieses Gebiet sowie jegliche Geldtransfers. Ferner wurde der Luftverkehr unterbrochen und die Aussetzung wissenschaftlicher wie kultureller Austauschbeziehungen beschlossen. Die Durchleitung von nicht für Jugoslawien bestimmten Gütern wurde vom Boykott allerdings ebenso ausgenommen, wie die Lieferung von Gütern des notwendigen täglichen Bedarfs (UN-SR Res. 760, 18. 6. 1992). Im November 1992 legitimierte der Sicherheitsrat mit Resolution 787 militärische Gewaltanwendungen gegen Schiffe, die die Sanktionen nicht beachteten. Mit Resolution 820 vom 17. 4. 1993 reagierte der Rat auf die zahlreichen Verstöße gegen die Wirtschaftssanktionen, insbesondere gegen die bis dahin weitverbreitete Praxis, für Rest-Jugoslawien vorgesehene Warenlieferungen falsch zu deklarieren. Vor allem sollte die Donauschiffahrt stärker kontrolliert, jugoslawische Last-, Schienen- und Luftfahrzeuge in Verwahrung genommen und die jugoslawischen Auslandsguthaben eingefroren werden.
die Einhaltung der
Boykottmassnahmen
Eine Dokumentation der EU vom Frühjahr 1994 ("Impact of Sanctions on the Federal Republic of Yugoslavia") zur Frage der Wirkung der Boykottmaßnahmen ergibt im Hinblick auf Einhaltung und Wirksamkeit der Sanktionen ein differenziertes Bild. Gemessen am Vergleichszeitraum 1992 sind die Exporte Rest-Jugoslawiens in den ersten drei Monaten des Jahres 1993 um 73,4% zurückgegangen, die Importe - bei allerdings erheblichen Schwankungen - um 45,9%. Während die Importe im Januar 1993 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 81% zurückgegangen waren, war im März 1993 eine Zunahme von 8% zu verzeichnen - eine Zunahme von gleichwohl niedrigem Ausgangsniveau und ein klares Indiz dafür, daß eine Möglichkeit gefunden wurde, die Sanktionen zu umgehen. Die EU-Studie gelangte zu dem Schluss, daß der Handel mit Rest-Jugoslawien nur in stark reduziertem Umfang weiterlaufe und damit der bereits vor Verhängung der Sanktionen existierende Abwärtstrend der jugoslawischen Wirtschaft verstärkt werde.
Als Schwachpunkte des Sanktionsregimes bezeichnete die EU-Studie vor allem drei Bereiche. Zum einen existiert ein Netzwerk von (Tarn-) Firmen auf Zypern und Malta, die mit gefälschten Papieren und Deckadressen nach wie vor Handel mit der "Bundesrepublik Jugoslawien" (BRJ = Serbien/Montenegro) betreiben und Devisen erwirtschaften. Zweitens gelangen viele Güter über die von den Sanktionen nicht erfassten, aber von Serben kontrollierten Gebiete Kroatiens und Bosniens nach Rest-Jugoslawien. Drittens gelangten zahlreiche Waren über die ehemaligen jugoslawischen Republiken - zunächst vor allem Mazedonien - in die BRJ. Gerade ökonomisch angeschlagene Nachbarstaaten sind auf Geschäfte mit dem ehemals wichtigen Handelspartner Jugoslawien angewiesen. Der Warenschmuggel wird hier infolgedessen mehr oder weniger toleriert bzw. läßt sich - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand unterbinden.
politische Wirkungen der Boykottmassnahmen
Die Wirksamkeit von Boykottmaßnahmen kann angemessen nur vor dem Hintergrund ihrer politischen Zielsetzung betrachtet werden. Im konkreten Fall heißt dieses Ziel: Erreichen eines dauerhaften Waffenstillstandes, Beendigung der "ethnischen Säuberungen" und Rückkehr der Flüchtlinge sowie keine gewaltsamen Grenzveränderungen. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzungen ist die Sanktionspolitik als gescheitert zu betrachten. Nach den Wahlen vom Dezember 1993 scheint Milosevic fester denn je im Sattel zu sitzen, obwohl der Boykott seine Wirkung auf die (rest-) jugoslawische Wirtschaft nicht verfehlt hat. Das bisherige Scheitern der Sanktionen ist vielmehr auf einige grundsätzliche Schwächen dieses Instruments politischer Einflussnahme zurückzuführen:
1. Der Boykott trifft die Falschen. Während Regierung und Militär aufgrund ihrer privilegierten Stellung nahezu unbehelligt von den Boykottmaßnahmen schalten und walten können, wird vor allem die breite Masse der Bevölkerung von der Verknappung des Warenangebots und der damit verbundenen Preissteigerung (Inflation) getroffen. Die nahezu totale Kontrolle der Medien durch die Regierung ermöglicht es ihr, eine "Verschwörung des Auslandes gegen Serbien" für die wirtschaftliche Katastrophe verantwortlich zu machen. (2) Auch für das eigene (lange vor Ausbruch des Krieges sich abzeichnende) Versagen der Ex-Kommunisten unter Milosevic konnte so ein Sündenbock gefunden werden. Auf diese Weise stärken die Sanktionen eine verbrecherische Regierung, anstatt sie zu schwächen.
2. Die Sanktionen fördern den Schwarzmarkt und die Kriminalität. Sie untergraben das wirtschaftliche Fundament derer, die eigentlich den intellektuellen Kern einer demokratischen Opposition gegen des Milosevic-Regime bilden könnten: die urbane Mittelschicht. Während selbst die bürgerliche Mittelschicht an den Rand des Existenzminimums getrieben wird, schafft die Verknappung des Warenangebots eine neue Klasse von einflussreichen Schmugglern und Profiteuren, die aus der gegenwärtigen Lage Nutzen ziehen und folglich ein Interesse an der Fortsetzung des Krieges haben müssen. Die katastrophale politische und wirtschaftliche Lage verursacht überdies eine in der Geschichte Serbiens beispiellose Abwanderung von jungen, gut ausgebildeten, dem System aber kritisch gegenüberstehenden Kräften.
3. Während einerseits der hohe Grad an Selbstversorgung mit einheimischen Agrarprodukten und Waffen zwar die Wirksamkeit der Sanktionen mindert, können aufgrund der Devisenknappheit andererseits aber zum Beispiel lebenswichtige Medikamente nicht in ausreichendem Maße eingeführt werden, obwohl sie ausdrücklich von den Sanktionsmaßnahmen ausgenommen sind. Dadurch nahmen u.a. die Zahl der Tuberkulosekranken und die Säuglingssterblichkeit in Serbien drastisch zu. Der Medienmanipulation durch das Milosevic-Regime ist es zu verdanken, daß die internationale Gemeinschaft von der breiten Öffentlichkeit in Serbien auch für diese Mißstände verantwortlich gemacht wird.
4. Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb des früheren Ostblocks werden die Anrainerstaaten Ex-Jugoslawiens von dem Boykott wirtschaftlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Dies schafft aufgrund der teilweise exorbitanten Gewinnspannen, etwa für Mineralölprodukte, Anreize, die Sanktionen zu unterlaufen. Außerdem destabilisiert die Unterbrechung der Handelsbeziehungen den ohnehin prekären Zustand der post-kommunistischen Volkswirtschaften. Dies kann nicht ohne negative Rückwirkungen auf den Prozess politischer Demokratisierung in diesen Staaten bleiben. Vielleicht mehr noch als in anderen Regionen der Welt ist die Akzeptanz demokratischer politischer Strukturen in den ehemaligen Ostblockstaaten an die Erzielung ökonomischer Wohlfahrtseffekte gekoppelt. Bleiben diese aus, ist in diesen Ländern mit politischen Radikalisierungstendenzen und einer Destabilisierung der gesamten Region zu rechnen.
5. Die Praxis hat gezeigt, daß es immer wieder gelingt, die Sanktionen zu unterlaufen. Die Kontrolle der Einhaltung der Sanktionen ist aus mehreren Gründen nicht ausreichend. Zum einen sind mit der Kontrolle unerwünschte Eingriffe in die Souveränitätsrechte der Anrainerstaaten Ex-Jugoslawiens verbunden, was langwierige Verhandlungen mit den betreffenden Regierungen nach sich zog. Zum anderen hatten EU und UNO den Kontrollaufwand offensichtlich unterschätzt. Die mit der Umsetzung von Beschlüssen verbundenen und bis zur "Wirksamkeit" des Boykotts sich ergebenden Zeitverzögerungen weisen auf eine letzte grundsätzliche Problematik dieses Instrumentes hin: auf die Frage, ob dem Aggressor durch das Abwarten der Wirkung der Boykottmaßnahmen nicht zu viel Zeit bleibt, auf dem Schlachtfeld vollendete Tatsachen zu schaffen.
Alternativen Zur Politik diplomatischer und ökonomischer Sanktionsmaßnahmen
Die Sanktionspolitik der internationalen Gemeinschaft, gegenüber Restjugoslawiens, ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund möglicher Alternativen zu betrachten. Dies gilt in erster Linie für die Diskussion um militärische Interventionen. Zwar erscheint es durchaus einer Debatte wert, ob nicht ein entschiedeneres, mit glaubwürdigen militärischen Optionen verbundenes Auftreten der internationalen Staatengemeinschaft in der Frühphase des Konfliktes eine Eskalation hätte verhindern können. Angesichts massiver Interessendivergenzen und Missverständnisse in den Reihen der wichtigsten Akteure auf internationalem Parkett hat diese Diskussion indessen wenig mehr als hypothetischen Wert. In der Realität hatten weder die USA, noch Russland und andere Großmächte (dies gilt prinzipiell auch für die islamischen Staaten) Interesse, militärisch in einen mit unwägbaren Risiken für die eigene Seite verbundenen Krieg hineingezogen zu werden. Schließlich erscheint die politische und militärische Lage auf dem Balkan zu unübersichtlich und mehrdeutig, als daß noch wie im Golfkrieg von 1990/91 eine klare Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern und damit eine klare Parteinahme möglich wäre. Vor dem Hintergrund dieser Lage waren Boykottmaßnahmen und Sanktionen gepaart mit politischen Verhandlungen und der Entsendung von Blauhelmen das einzige konsensfähige Instrument der internationalen Gemeinschaft zur Regelung des Konfliktes auf dem Balkan.
Lehren und Erfordernisse für
verbessertes Krisenmanagement
Aus der Analyse der bisherigen Erfahrungen geht hervor, daß der Wirtschaftsboykott bestenfalls ambivalent zu beurteilen ist. Seine Wirkung läßt sich aufgrund des ohnehin vorhandenen wirtschaftlichen Niedergangs von Restjugoslawien insgesamt nur schwer messen, in einigen Bereichen hatte er jedoch nachweislich kontraproduktive Konsequenzen. Die internationale Staatengemeinschaft ist in eine prekäre Lage geraten, da sich das als Hauptaggressor gebrandmarkte Milosevic-Regime von Sanktionen offensichtlich nur wenig beeindrucken ließ, im Gegenteil sogar politischen Gewinn daraus schöpfen konnte. Gleichzeitig kann sich die serbische Führung leisten, das Leiden ihrer Bevölkerung zu ignorieren, ja sie kann das Leiden gar propagandistisch instrumentalisieren. Damit steht die Staatengemeinschaft vor einem Dilemma: werden die Sanktionen aufgehoben, kann Milosevic einen triumphalen diplomatischen Erfolg verbuchen. Werden sie nicht aufgehoben, so bleibt der serbische Präsident gleichwohl an der Macht, da er die internationale Gemeinschaft für die desolate Lage in seinem Land verantwortlich machen kann. Auch die Fortsetzung des grausamen Krieges können die Sanktionen offensichtlich nicht verhindern, da die kriegführenden Parteien offenbar über ausreichende Waffenpotentiale aus eigener Produktion verfügen.
Für künftige Anwendungen von Boykottmaßnahmen lassen sich aus dem vorliegenden Fall daher abschließend drei Lehren ziehen:
1) Sanktionsmaßnahmen müssen rascher und gezielter verhängt werden, dort nämlich, wo es die Regierenden trifft und nicht die Bevölkerung. So hätten wesentlich raschere Ergebnisse erzielt werden können, wenn die für die Erwirtschaftung von Deviseneinkommen wichtigen transnationalen Unternehmen von Anfang an blockiert, die Auslandskonten früher gesperrt und die jugoslawische Währung einem massiven Abwertungsdruck unterworfen worden wäre. Der Jugoslawienkonflikt hat gezeigt, daß ausgefeilte Konzepte für die praktikable und erfolgversprechende Anwendung von Boykottmaßnahmen fehlen, nicht zuletzt weil es an vergleichbaren internationalen Erfahrungen mit diesem Instrument mangelt. Auch die Wissenschaft hat sich diesem Thema bisher kaum gewidmet. (3)
2) Boykottmaßnahmen müssen mit wirksamen Instrumenten zur gezielten Beeinflussung der Bevölkerung gekoppelt werden, etwa durch Unterstützung staatsunabhängiger Medien oder Informationssendungen, in denen der Regierungspropaganda entgegengewirkt werden kann ("kommunikationsorientiertes Krisenmanagement"). Vor allem zu Beginn des Konfliktes wurden diese Möglichkeiten nicht genutzt. Schon lange vor der Eskalation des Konfliktes legten offen nationalistische Sendungen den Keim für die Gewalt, indem sie Ressentiments schürten. Außerdem muß sichergestellt werden, daß die konfliktdämpfende Nutzung der Medien einen breiten Adressatenkreis ("den Mann auf der Straße") erreicht und nicht etwa nur Spezialisten wie zum Beispiel im Falle von Computernetzwerken.
3) Die betroffenen Nachbarstaaten müssen finanzielle Kompensationen erhalten, damit sie Sanktionen einhalten können, ohne selbst unverschuldet in eine ökonomische Zwangslage gebracht zu werden (z.B. durch Schaffung eines Fonds).
Die skizzierten Forderungen, die sich aus den Boykottmaßnahmen gegen Serbien/ Montenegro ziehen lassen, machen deutlich, daß eine Bewertung von Sanktionen nur im Lichte ihrer Einbettung in eine Gesamtstrategie zur Lösung des Konfliktes möglich ist. Eine solche Gesamtstrategie ist im Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft bisher indessen nicht erkennbar. Das Instrument der Sanktionen muß ferner vor dem Hintergrund der Zielsetzung von Konfliktdeeskalation und Gewaltminimierung sowie im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Alternativen betrachtet werden. Das heißt, daß jeweils im Einzelfall abgewogen werden muß, welche Strategie dem Zieldilemma Gewaltminimierung vs. Zulassung massiven Unrechts am ehesten gerecht wird. Ein Königsweg ist der Wirtschaftsboykott zweifellos nicht. Er kann aber im Rahmen eines Instrumentenmixes durchaus zur Konfliktlösung beitragen.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zeigt sich, daß er trotz aller Probleme dazu beigetragen hat, die serbische Seite empfindlich zu schwächen und den Weg für eine lösungsförderliche "schmerzliche Pattsituation" im Sinne William Zartmanns bereitet hat: Indem er die bislang stärkere Konfliktpartei, d.h. Serbien, langfristig schwächte und international isolierte, trug der Boykott (neben den militärischen Zugewinnen der Kroaten und Moslems) dazu bei, das politische Kalkül der serbischen Regierung dahingehend zu verändern, daß sich Milosevic nunmehr zum Frieden bereitfand, da die ökonomische Auszehrung Serbiens durch das Embargo die gefährdeten territorialen Gewinne in Bosnien nicht mehr aufwog und auf dem Schlachtfeld keine Geländegewinne mehr möglich erschienen. Durch die in Dayton demonstrierte Kompromissbereitschaft konnte sich Milosevic als Friedensstifter profilieren und so ein Ende der Sanktionen herbeiführen. Dadurch hat er sich in dem zu erwartenden innerserbischen Machtkampf mit Radovan Karadzic eine gute Ausgangsposition geschaffen.
Quellen: (1) "Räumt ein Staat einem anderen in einem völkerrechtlichen Vertrag die Meistbegünstigung ein, so wird jedes Zugeständnis auf demselben Sachgebiet, das er einem dritten Staat gewährt, automatisch Bestandteil des erstgenannten Vertrages." (vgl. hierzu: Tilch, Horst: Deutsches Rechts-Lexikon, Band 2, München 1992); (2) Zwar existiert eine Reihe von oppositionellen Zeitungen (z.B. "Vreme") und Rundfunksendungen in Serbien, diese dienen dem Regime wegen ihrer geringen Verbreitung (restriktive staatliche Handhabung der Papierzuteilung, hoher Preis, geringe Reichweite der Sender) oftmals nur als demokratisches Feigenblatt. Außerhalb Belgrads ist meist nur der mit Milosevic-Vertrauten besetzte staatliche Rundfunk zu empfangen. (3) Rühmliche Ausnahme: Maull, Hans W.: Wirtschaftssanktionen als Instrument der Außenpolitik; in: Jahrbuch für Politik, Bd. 1, Baden-Baden 1991 (2. Halbband, S. 341-367).
Literatur:
Askew, Louise: The Economic and Political Effects of the EC-Sanctions on Yugoslavia. University of Hull, October 1993.
Impact of Sanctions on the Federal Republic of Yugoslavia (Serbia/Montenegro). Unveröff. Studie der EG-Kommission, Brüssel 1994.
Maull, Hans W.: Wirtschaftssanktionen als Instrument der Außenpolitik; in: Jahrbuch für Politik, Bd. 1, 1991, 2. Hbbd., S. 341-367.
Müller, Albrecht v.: Kommunikationsorientiertes Krisenmanagement: Konzeptionelle Vorüberlegungen; in: Forndran, E./ Pohlmann, H. (Hg.): Europäische Sicherheitspolitik nach dem Ende des Warschauer Paktes. Nomos Verlag, Baden-Baden 1993, S. 317-354.
Touval, Saadia / Zartmann, I. Wiliam (Hg.): International Mediation in Theory and Practice. Boulder, CO, 1985.