Wirtschaftssanktionen am Beispiel Jugoslawiens

Boykott - ein friedenspolitisches In­strument

von Dr. Peter Billing
Schwerpunkt
Schwerpunkt

 

Vor dem Hintergrund des nunmehr seit über vier Jahren anhaltenden Krieges im ehemaligen Jugoslawien ist die Frage nach der angemesse­nen Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf diesen Kon­flikt noch immer nicht abschließend beantwortet. War es der anhaltende Wirtschaftsboykott, der das Milosevic-Regime in Dayton letztlich zum Einlenken brachte, waren es die Luftangriffe der NATO Mitte des Jahres oder hat sich der Konflikt einfach "ausgeblutet", wie manche Beobach­ter meinen? Aus friedenspolitischer Sicht geht es vor allem um die Frage, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Boy­kott die erwünschte Wirkung zeigt.

Wie bereits im Golfkrieg von 1991 spielt somit auch hier die Frage der frie­denspolitischen Wirksamkeit von Sank­tionen in Form des Wirtschaftsboykotts eine Rolle. Anders als 1991 kam es im Balkankonflikt jedoch bisher nicht zu einem vergleichbar massiven Einsatz militärischer Mittel von Seiten einer in­ternationalen Allianz. Insofern bietet sich hier die relativ seltene Gelegenheit, die Wirksamkeit eines Wirtschaftsboy­kotts am konkreten Fallbeispiel untersu­chen zu können.

Art. 41 der Charta der Vereinten Natio­nen betrachtet Boykott- bzw. Sankti­onsmassnahmen als eine von mehreren Möglichkeiten unterhalb der Schwelle gewaltsamer Zwangsmittel, auf einen Aggressor dort Druck ausüben zu kön­nen, wo die üblichen Mittel diplomati­scher Streitbeilegung (Verhandlung, Vermittlung, Schiedsspruch etc.) versa­gen.

Noch im Golfkrieg von 1991 setzte vor allem die Friedensbewegung große Hoffnungen auf dieses Instrument nicht-militärischer Konfliktregelung als Al­ternative zu einer mit Zerstörung und Eskalationsrisiken verbundenen Militä­rintervention. Seither ist die Diskussion nicht verstummt, ob ein konsequenter Wirtschaftsboykott mit geringerem Aufwand nicht zum gleichen - oder ei­nem besseren - Ergebnis geführt hätte.

In Ex-Jugoslawien war die Staatenge­meinschaft mit einer ähnlichen Ent­scheidung konfrontiert: militärisch ein­greifen oder auf die Wirkung der Sank­tionen gegen Serbien/Montenegro hof­fen? Man entschied sich für den Boy­kott, um das Milosevic-Regime als Hauptverantwortlichen für den Krieg auf dem Balkan in die Knie zu zwingen. Eine "Operation Balkansturm" in Ana­logie zur Kuwait-Intervention im Sinne der Zurückdrängung des Aggressors aus dem Gebiet eines international aner­kannten Staates durch eine internatio­nale Streitmacht steht auch nach dem Friedensabkommen von Dayton nicht zur Debatte.

Vor diesem Hintergrund analysiert der folgende Aufsatz die Frage der Wirk­samkeit und Friedensförderlichkeit des Wirtschaftsboykotts gegen Rest-Jugo­slawien. Dort erscheinen die Auswir­kungen des Wirtschaftsboykotts gegen Serbien/Montenegro zumindest mehr­deutig. Die Frage ob der Boykott im Falle Jugoslawiens ein friedensfördern­des Instrument ist, ist in mehrfacher Hinsicht differenziert zu beantworten.

Die Sanktionsbeschlüsse
gegenüber Restjugoslawien

Auf die Aggressionspolitik der serbi­schen Führung reagierte die Europäi­sche Union ab Sommer 1991 mit schrittweise verstärkten Boykottmaß­nahmen gegen Jugoslawien. Am 5. Juni verhängten die EU-Außenminister ein Waffenembargo gegen Jugoslawien und beschlossen die Aussetzung der Finanz­hilfen. Zusätzlich wurden Handels- und Kooperationsabkommen mit Jugosla­wien gekündigt. Weitere wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen folgten am 8. November. Verhängung von Restriktio­nen für Textilimporte aus Jugoslawien, Außerkraftsetzen der Meistbegünsti­gungsklausel (1), Ausschluss aus dem "Phare-Hilfsprogramm" der EU für den ökonomischen Wiederaufbau Osteuro­pas. Nach einem Massaker in Sarajevo am 27. Mai 1992 verhängte die EU ein Handelsembargo gegen Rest-Jugosla­wien.

Da weder Vermittlungsversuche noch wirtschaftlicher Druck von Seiten der EU zu einer Beendigung der Kampf­handlungen führten, schaltete sich der UN-Sicherheitsrat am 25. 9. 1991 in die Auseinandersetzung ein und verhängte mit Resolution 713 ein vollständiges Embargo gegen Jugoslawien. Mit der Resolution 757 vom 30. Mai 1992 ver­bot der Sicherheitsrat Serbien/ Mon­tenegro u.a. den Import von Rohstoffen und anderen Erzeugnissen bzw. Exporte in dieses Gebiet sowie jegliche Geld­transfers. Ferner wurde der Luftverkehr unterbrochen und die Aussetzung wis­senschaftlicher wie kultureller Aus­tauschbeziehungen beschlossen. Die Durchleitung von nicht für Jugoslawien bestimmten Gütern wurde vom Boykott allerdings ebenso ausgenommen, wie die Lieferung von Gütern des notwendi­gen täglichen Bedarfs (UN-SR Res. 760, 18. 6. 1992). Im November 1992 legiti­mierte der Sicherheitsrat mit Resolution 787 militärische Gewaltanwendungen ge­gen Schiffe, die die Sanktionen nicht beachteten. Mit Resolution 820 vom 17. 4. 1993 reagierte der Rat auf die zahl­reichen Verstöße gegen die Wirtschafts­sanktionen, insbesondere gegen die bis dahin weitverbreitete Praxis, für Rest-Jugoslawien vorgesehene Warenliefe­rungen falsch zu deklarieren. Vor allem sollte die Donauschiffahrt stärker kon­trolliert, jugoslawische Last-, Schienen- und Luftfahrzeuge in Verwahrung ge­nommen und die jugoslawischen Auslandsguthaben eingefroren werden.

die Einhaltung der
Boykottmassnahmen

Eine Dokumentation der EU vom Früh­jahr 1994 ("Impact of Sanctions on the Federal Republic of Yugoslavia") zur Frage der Wirkung der Boykottmaß­nahmen ergibt im Hinblick auf Einhal­tung und Wirksamkeit der Sanktionen ein differenziertes Bild. Gemessen am Vergleichszeitraum 1992 sind die Ex­porte Rest-Jugoslawiens in den ersten drei Monaten des Jahres 1993 um 73,4% zurückgegangen, die Importe - bei aller­dings erheblichen Schwankungen - um 45,9%. Während die Importe im Januar 1993 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 81% zurückgegangen waren, war im März 1993 eine Zunahme von 8% zu verzeichnen - eine Zunahme von gleichwohl niedrigem Ausgangsniveau und ein klares Indiz dafür, daß eine Möglichkeit gefunden wurde, die Sank­tionen zu umgehen. Die EU-Studie ge­langte zu dem Schluss, daß der Handel mit Rest-Jugoslawien nur in stark redu­ziertem Umfang weiterlaufe und damit der bereits vor Verhängung der Sanktio­nen existierende Abwärtstrend der jugo­slawischen Wirtschaft verstärkt werde.

Als Schwachpunkte des Sanktionsregi­mes bezeichnete die EU-Studie vor al­lem drei Bereiche. Zum einen existiert ein Netzwerk von (Tarn-) Firmen auf Zypern und Malta, die mit gefälschten Papieren und Deckadressen nach wie vor Handel mit der "Bundesrepublik Ju­goslawien" (BRJ = Ser­bien/Montenegro) betreiben und Devi­sen erwirtschaften. Zweitens gelangen viele Güter über die von den Sanktionen nicht erfassten, aber von Serben kontrol­lierten Gebiete Kroatiens und Bosniens nach Rest-Jugoslawien. Drittens ge­langten zahlreiche Waren über die ehe­maligen jugoslawischen Republiken - zunächst vor allem Mazedonien - in die BRJ. Gerade ökonomisch angeschlagene Nachbarstaaten sind auf Geschäfte mit dem ehemals wichtigen Handelspartner Jugoslawien angewiesen. Der Warenschmuggel wird hier infolgedessen mehr oder weniger toleriert bzw. läßt sich - wenn überhaupt - nur mit unverhältnis­mäßig hohem Aufwand unterbinden.

politische Wirkungen der Boykott­massnahmen

Die Wirksamkeit von Boykottmaßnah­men kann angemessen nur vor dem Hintergrund ihrer politischen Zielset­zung betrachtet werden. Im konkreten Fall heißt dieses Ziel: Erreichen eines dauerhaften Waffenstillstandes, Beendi­gung der "ethnischen Säuberungen" und Rückkehr der Flüchtlinge sowie keine gewaltsamen Grenzveränderungen. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzungen ist die Sanktionspolitik als gescheitert zu betrachten. Nach den Wahlen vom Dezember 1993 scheint Milosevic fester denn je im Sattel zu sitzen, obwohl der Boykott seine Wirkung auf die (rest-) jugoslawische Wirtschaft nicht verfehlt hat. Das bisherige Scheitern der Sank­tionen ist vielmehr auf einige grund­sätzliche Schwächen dieses Instruments politischer Einflussnahme zurückzufüh­ren:

1. Der Boykott trifft die Falschen. Wäh­rend Regierung und Militär aufgrund ihrer privilegierten Stellung nahezu unbehelligt von den Boykottmaß­nahmen schalten und walten können, wird vor allem die breite Masse der Bevölkerung von der Verknappung des Warenangebots und der damit verbundenen Preissteigerung (Inflation) getroffen. Die nahezu to­tale Kontrolle der Medien durch die Regierung ermöglicht es ihr, eine "Verschwörung des Auslandes gegen Serbien" für die wirtschaftliche Kata­strophe verantwortlich zu machen. (2) Auch für das eigene (lange vor Ausbruch des Krieges sich abzeich­nende) Versagen der Ex-Kommuni­sten unter Milosevic konnte so ein Sündenbock gefunden werden. Auf diese Weise stärken die Sanktionen eine verbrecherische Regierung, an­statt sie zu schwächen.

2. Die Sanktionen fördern den Schwarzmarkt und die Kriminalität. Sie untergraben das wirtschaftliche Fundament derer, die eigentlich den intellektuellen Kern einer demokrati­schen Opposition gegen des Milose­vic-Regime bilden könnten: die ur­bane Mittelschicht. Während selbst die bürgerliche Mittelschicht an den Rand des Existenzminimums getrie­ben wird, schafft die Verknappung des Warenangebots eine neue Klasse von einflussreichen Schmugglern und Profiteuren, die aus der gegenwärti­gen Lage Nutzen ziehen und folglich ein Interesse an der Fortsetzung des Krieges haben müssen. Die katastro­phale politische und wirtschaftliche Lage verursacht überdies eine in der Geschichte Serbiens beispiellose Abwanderung von jungen, gut ausge­bildeten, dem System aber kritisch gegenüberstehenden Kräften.

3. Während einerseits der hohe Grad an Selbstversorgung mit einheimischen Agrarprodukten und Waffen zwar die Wirksamkeit der Sanktionen mindert, können aufgrund der Devisenknapp­heit andererseits aber zum Beispiel lebenswichtige Medikamente nicht in ausreichendem Maße eingeführt wer­den, obwohl sie ausdrücklich von den Sanktionsmaßnahmen ausgenommen sind. Dadurch nahmen u.a. die Zahl der Tuberkulosekranken und die Säug­lingssterblichkeit in Serbien drastisch zu. Der Medienmanipulation durch das Milosevic-Regime ist es zu ver­danken, daß die internationale Ge­meinschaft von der breiten Öffent­lichkeit in Serbien auch für diese Mißstände verantwortlich gemacht wird.

4. Aufgrund der wirtschaftlichen Ver­flechtung innerhalb des früheren Ost­blocks werden die Anrainerstaaten Ex-Jugoslawiens von dem Boykott wirtschaftlich stark in Mitleiden­schaft gezogen. Dies schafft aufgrund der teilweise exorbitanten Gewinn­spannen, etwa für Mineralölprodukte, Anreize, die Sanktionen zu unterlau­fen. Außerdem destabilisiert die Un­terbrechung der Handelsbeziehungen den ohnehin prekären Zustand der post-kommunistischen Volkswirt­schaften. Dies kann nicht ohne nega­tive Rückwirkungen auf den Prozess politischer Demokratisierung in die­sen Staaten bleiben. Vielleicht mehr noch als in anderen Regionen der Welt ist die Akzeptanz demokrati­scher politischer Strukturen in den ehemaligen Ostblockstaaten an die Erzielung ökonomischer Wohlfahrts­effekte gekoppelt. Bleiben diese aus, ist in diesen Ländern mit politischen Radikalisierungstendenzen und einer Destabilisierung der gesamten Re­gion zu rechnen.

5. Die Praxis hat gezeigt, daß es immer wieder gelingt, die Sanktionen zu unterlaufen. Die Kontrolle der Ein­haltung der Sanktionen ist aus mehre­ren Gründen nicht ausreichend. Zum einen sind mit der Kontrolle uner­wünschte Eingriffe in die Souveräni­tätsrechte der Anrainerstaaten Ex-Ju­goslawiens verbunden, was langwie­rige Verhandlungen mit den betref­fenden Regierungen nach sich zog. Zum anderen hatten EU und UNO den Kontrollaufwand offensichtlich unterschätzt. Die mit der Umsetzung von Beschlüssen verbundenen und bis zur "Wirksamkeit" des Boykotts sich ergebenden Zeitverzögerungen weisen auf eine letzte grundsätzliche Problematik dieses Instrumentes hin: auf die Frage, ob dem Aggressor durch das Abwarten der Wirkung der Boykottmaßnahmen nicht zu viel Zeit bleibt, auf dem Schlachtfeld vollen­dete Tatsachen zu schaffen.

Alternativen Zur Politik diplomati­scher und ökonomischer Sanktionsmaßnahmen

Die Sanktionspolitik der internationalen Gemeinschaft, gegenüber Restjugosla­wiens, ist nicht zuletzt vor dem Hinter­grund möglicher Alternativen zu be­trachten. Dies gilt in erster Linie für die Diskussion um militärische Interventio­nen. Zwar erscheint es durchaus einer Debatte wert, ob nicht ein entschie­deneres, mit glaubwürdigen militäri­schen Optionen verbundenes Auftreten der internationalen Staatengemeinschaft in der Frühphase des Konfliktes eine Eskalation hätte verhindern können. Angesichts massiver Interessendiver­genzen und Missverständnisse in den Reihen der wichtigsten Akteure auf in­ternationalem Parkett hat diese Diskus­sion indessen wenig mehr als hypotheti­schen Wert. In der Realität hatten weder die USA, noch Russland und andere Großmächte (dies gilt prinzipiell auch für die islamischen Staaten) Interesse, militärisch in einen mit unwägbaren Ri­siken für die eigene Seite verbundenen Krieg hineingezogen zu werden. Schließlich erscheint die politische und militärische Lage auf dem Balkan zu unübersichtlich und mehrdeutig, als daß noch wie im Golfkrieg von 1990/91 eine klare Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern und damit eine klare Partei­nahme möglich wäre. Vor dem Hinter­grund dieser Lage waren Boykottmaß­nahmen und Sanktionen gepaart mit po­litischen Verhandlungen und der Ent­sendung von Blauhelmen das einzige konsensfähige Instrument der interna­tionalen Gemeinschaft zur Regelung des Konfliktes auf dem Balkan.

Lehren und Erfordernisse für
verbessertes Krisenmanagement

Aus der Analyse der bisherigen Erfah­rungen geht hervor, daß der Wirtschaftsboykott bestenfalls ambivalent zu beurteilen ist. Seine Wirkung läßt sich aufgrund des ohnehin vorhandenen wirtschaftlichen Niedergangs von Rest­jugoslawien insgesamt nur schwer mes­sen, in einigen Bereichen hatte er jedoch nachweislich kontraproduktive Konse­quenzen. Die internationale Staatenge­meinschaft ist in eine prekäre Lage ge­raten, da sich das als Hauptaggressor gebrandmarkte Milosevic-Regime von Sanktionen offensichtlich nur wenig be­eindrucken ließ, im Gegenteil sogar po­litischen Gewinn daraus schöpfen konnte. Gleichzeitig kann sich die serbi­sche Führung leisten, das Leiden ihrer Bevölkerung zu ignorieren, ja sie kann das Leiden gar propagandistisch instru­mentalisieren. Damit steht die Staaten­gemeinschaft vor einem Dilemma: wer­den die Sanktionen aufgehoben, kann Milosevic einen triumphalen diplomati­schen Erfolg verbuchen. Werden sie nicht aufgehoben, so bleibt der serbi­sche Präsident gleichwohl an der Macht, da er die internationale Gemeinschaft für die desolate Lage in seinem Land verantwortlich machen kann. Auch die Fortsetzung des grausamen Krieges können die Sanktionen offensichtlich nicht verhindern, da die kriegführenden Parteien offenbar über ausreichende Waffenpotentiale aus eigener Produk­tion verfügen.

Für künftige Anwendungen von Boy­kottmaßnahmen lassen sich aus dem vorliegenden Fall daher abschließend drei Lehren ziehen:

1) Sanktionsmaßnahmen müssen ra­scher und gezielter verhängt werden, dort nämlich, wo es die Regierenden trifft und nicht die Bevölkerung. So hätten wesentlich raschere Ergeb­nisse erzielt werden können, wenn die für die Erwirtschaftung von Devi­seneinkommen wichtigen transnatio­nalen Unternehmen von Anfang an blockiert, die Auslandskonten früher gesperrt und die jugoslawische Wäh­rung einem massiven Abwertungs­druck unterworfen worden wäre. Der Jugoslawienkonflikt hat gezeigt, daß ausgefeilte Konzepte für die prakti­kable und erfolgversprechende An­wendung von Boykottmaßnahmen fehlen, nicht zuletzt weil es an ver­gleichbaren internationalen Erfah­rungen mit diesem Instrument man­gelt. Auch die Wissenschaft hat sich diesem Thema bisher kaum gewid­met. (3)

2) Boykottmaßnahmen müssen mit wirksamen Instrumenten zur geziel­ten Beeinflussung der Bevölkerung gekoppelt werden, etwa durch Unter­stützung staatsunabhängiger Medien oder Informationssendungen, in denen der Regierungspropaganda entgegengewirkt werden kann ("kommunikationsorientiertes Kri­senmanagement"). Vor allem zu Be­ginn des Konfliktes wurden diese Möglichkeiten nicht genutzt. Schon lange vor der Eskalation des Kon­fliktes legten offen nationalistische Sendungen den Keim für die Gewalt, indem sie Ressentiments schürten. Außerdem muß sichergestellt wer­den, daß die konfliktdämpfende Nut­zung der Medien einen breiten Adressatenkreis ("den Mann auf der Straße") erreicht und nicht etwa nur Spezialisten wie zum Beispiel im Falle von Computernetzwerken.

3) Die betroffenen Nachbarstaaten müs­sen finanzielle Kompensationen er­halten, damit sie Sanktionen einhal­ten können, ohne selbst unverschul­det in eine ökonomische Zwangslage gebracht zu werden (z.B. durch Schaffung eines Fonds).

Die skizzierten Forderungen, die sich aus den Boykottmaßnahmen gegen Ser­bien/ Montenegro ziehen lassen, machen deutlich, daß eine Bewertung von Sank­tionen nur im Lichte ihrer Einbettung in eine Gesamtstrategie zur Lösung des Konfliktes möglich ist. Eine solche Ge­samtstrategie ist im Verhalten der inter­nationalen Staatengemeinschaft bisher indessen nicht erkennbar. Das Instru­ment der Sanktionen muß ferner vor dem Hintergrund der Zielsetzung von Konfliktdeeskalation und Gewaltmini­mierung sowie im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Alternativen be­trachtet werden. Das heißt, daß jeweils im Einzelfall abgewogen werden muß, welche Strategie dem Zieldilemma Ge­waltminimierung vs. Zulassung massi­ven Unrechts am ehesten gerecht wird. Ein Königsweg ist der Wirtschaftsboy­kott zweifellos nicht. Er kann aber im Rahmen eines Instrumentenmixes durchaus zur Konfliktlösung beitragen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zeigt sich, daß er trotz aller Probleme dazu beigetragen hat, die serbische Seite empfindlich zu schwä­chen und den Weg für eine lösungsför­derliche "schmerzliche Pattsituation" im Sinne William Zartmanns bereitet hat: Indem er die bislang stärkere Konflikt­partei, d.h. Serbien, langfristig schwächte und international isolierte, trug der Boykott (neben den militäri­schen Zugewinnen der Kroaten und Moslems) dazu bei, das politische Kal­kül der serbischen Regierung dahinge­hend zu verändern, daß sich Milosevic nunmehr zum Frieden bereitfand, da die ökonomische Auszehrung Serbiens durch das Embargo die gefährdeten ter­ritorialen Gewinne in Bosnien nicht mehr aufwog und auf dem Schlachtfeld keine Geländegewinne mehr möglich erschienen. Durch die in Dayton de­monstrierte Kompromissbereitschaft konnte sich Milosevic als Friedensstifter profilieren und so ein Ende der Sanktio­nen herbeiführen. Dadurch hat er sich in dem zu erwartenden innerserbischen Machtkampf mit Radovan Karadzic eine gute Ausgangsposition geschaffen.

 

Quellen: (1) "Räumt ein Staat einem an­deren in einem völkerrechtlichen Ver­trag die Meistbegünstigung ein, so wird jedes Zugeständnis auf demselben Sachgebiet, das er einem dritten Staat gewährt, automatisch Bestandteil des erstgenannten Vertrages." (vgl. hierzu: Tilch, Horst: Deutsches Rechts-Lexi­kon, Band 2, München 1992); (2) Zwar existiert eine Reihe von oppositionellen Zeitungen (z.B. "Vreme") und Rund­funksendungen in Serbien, diese dienen dem Regime wegen ihrer geringen Ver­breitung (restriktive staatliche Handha­bung der Papierzuteilung, hoher Preis, geringe Reichweite der Sender) oftmals nur als demokratisches Feigenblatt. Au­ßerhalb Belgrads ist meist nur der mit Milosevic-Vertrauten besetzte staatliche Rundfunk zu empfangen. (3) Rühmliche Ausnahme: Maull, Hans W.: Wirt­schaftssanktionen als Instrument der Außenpolitik; in: Jahrbuch für Politik, Bd. 1, Baden-Baden 1991 (2. Halbband, S. 341-367).

 

Literatur:

Askew, Louise: The Economic and Po­litical Effects of the EC-Sanctions on Yugoslavia. University of Hull, October 1993.

Impact of Sanctions on the Federal Re­public of Yugoslavia (Serbia/Montenegro). Unveröff. Studie der EG-Kommission, Brüssel 1994.

Maull, Hans W.: Wirtschaftssanktionen als Instrument der Außenpolitik; in: Jahrbuch für Politik, Bd. 1, 1991, 2. Hbbd., S. 341-367.

Müller, Albrecht v.: Kommunikationso­rientiertes Krisenmanagement: Konzep­tionelle Vorüberlegungen; in: Forndran, E./ Pohlmann, H. (Hg.): Europäische Si­cherheitspolitik nach dem Ende des Warschauer Paktes. Nomos Verlag, Ba­den-Baden 1993, S. 317-354.

Touval, Saadia / Zartmann, I. Wiliam (Hg.): International Mediation in Theory and Practice. Boulder, CO, 1985.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Dr. Peter Billing ist Vorsitzender des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung e. V.