Wie ein höchstrichterliches Urteil von der Bundeswehr ins Gegenteil verdreht wird

Bundeswehr bekämpft den Rechtsstaat

von Martin Singe

Am 21. Juni 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht die Gehorsamsverweigerung von Major Pfaff höchstrichterlich als rechtens beurteilt und dies ausführlich begründet. Der Major hatte jegliche Mitwirkung an Unterstützungsleistungen der Bundeswehr für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg verweigert. Das höchste Gericht bestätigte, dass es sich um eine grundgesetzlich geschützte Gewissensentscheidung gehandelt habe. Außerdem hatte das Bundesverwaltungsgericht den Irak-Krieg praktisch als völkerrechtswidrig gebrandmarkt.
(Vgl. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Von der Pflicht zum Frieden und der Freiheit zum Ungehorsam, Köln 2006; Einzelexemplare kostenlos: info [at] grundrechtekomitee [dot] de)

Nun sollte man meinen, dass die Bundeswehr ein solches Urteil anerkennt, in seinen Inhalten ernst nimmt und praktische Konsequenzen dahingehend zieht, dass die Gewissensbildung der Soldaten besonders hinsichtlich völkerrechtlicher Fragen verschärft betrieben wird. Das Gegenteil allerdings ist der Fall. Die Bundeswehr greift in einer internen Dienstanweisung das Urteil frontal an und setzt es damit praktisch außer Kraft. Das bedeutet einen rechtsstaatlichen Skandal, der leider weder von der friedensbewegten Öffentlichkeit noch von oppositioneller Politik wirklich wahrgenommen wurde.

Die Darlegungspflicht liegt beim Befehlsempfänger
Im Mai 2006 gab das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) eine sog. "G1-/A1-Information" zum Thema "Gehorsamsverweigerung aus Gewissensgründen" für Vorgesetzte von SoldatInnen ("Hinweise für Rechtsberater und Rechtslehrer") bekannt, die sich mit dem o.a. Urteil auseinandersetzt. Zwar gesteht das BMVg zu, dass es eine berechtigte Verweigerung gegenüber einem Befehl geben könne, vorausgesetzt, dieser sei nicht verbindlich. Nun aber werden Hürden aufgebaut. Der Soldat dürfe sich nicht begründungslos auf sein Gewissen berufen, sondern müsse seine Einwände "möglichst in schriftlicher Form" präzisieren. Ihm wird sogar die Darlegungslast auferlegt, d.h. nicht die Vorgesetzten müssen begründet darlegen können, warum ein Befehl, gegen den Soldaten hinsichtlich seiner Verbindlichkeit Zweifel erheben, völkerrechtskonform ist, sondern der Soldat hat zu beweisen, dass ein bestimmter Einsatz völkerrechtswidrig ist: "Der Verstoß gegen das eigene Gewissen muss objektiv nachvollziehbar und jedenfalls nicht unwahrscheinlich sein. Die Darlegungslast liegt insoweit beim Befehlsempfänger."

Das Gewissen der Soldaten wird seitens des BMVg entpolitisiert, wenn es heißt: "Die bloße Missbilligung eines Befehls oder die Ablehnung der damit bezweckten politischen Ziele rechtfertigen keine Gehorsamsverweigerung. ... weltanschaulich unterschiedliche Sichtweisen können für sich genommen keine Gewissensentscheidung tragen. Auch bloße Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen reichen nicht aus ... ein Befehl bleibt in diesen Fällen verbindlich."

... dann "kann die Gewissenfreiheit in den Hintergrund treten"
Am massivsten verstößt die BMVg-Dienstanweisung für Vorgesetzte gegen das Bundesverwaltungsgerichtsurteil, wenn sie den Vorgesetzten im Falle einer doch ernsthaften Gewissensentscheidung lediglich gebietet, zu prüfen, ob die Zuweisung einer anderen Aufgabe für den Soldaten möglich ist. Das Urteil hatte dies ausdrücklich gefordert. Die Bundeswehr setzt nun aber den reibungslosen Dienstbetrieb über die Gewissensentscheidung von Soldaten und hebelt damit eines der zentralsten Grundrechte aus, was einer fundamentalen Aushöhlung der Menschenwürde der Soldaten gleichkommt. Die Dienstanweisung gebietet den Vorgesetzten ausdrücklich, die "dienstlichen Erfordernisse gegen die mögliche Gewissensbeeinträchtigung abzuwägen". Konkret führt die Dienstanweisung dann aus: "Wenn durch die Nichtausführung des Befehls hochrangige Verfassungsgüter gefährdet werden, ist die Gewissensfreiheit gegen das andere Verfassungsgut abzuwägen. ... Auch die Einsatz- und Funktionsfähigkeit der Streitkräfte kann unter Umständen ein solches hochrangiges Verfassungsgut darstellen. ... Wenn die Nichtausführung des Befehls ein solches Verfassungsgut beeinträchtigen würde, kann die Gewissensfreiheit in den Hintergrund treten. Der Befehl bleibt dann trotz Gewissensbeeinträchtigung verbindlich." Genau dies hatte das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich abgelehnt, insbesondere sei eine Abwägung mit der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte unzulässig.

Verteidigungsministerium: Mit Völkerrechtsblindheit geschlagen
Nach den oben zitierten Entscheidungs-Prinzipien für Vorgesetzte von Soldaten geht das BMVg-Papier noch konkreter auf das Urteil des Bundesverwaltungsgericht ein. Dabei greift es frontal die Auffassung des Gerichtes an, dass gegen den Irak-Krieg erhebliche völkerrechtliche Bedenken bestünden. Während die völkerrechtliche Meinung zum Irak-Krieg bis hin zum ehemaligen UN-Generalsekretär tendenziell eindeutig ist, behauptet die Dienstanweisung das Gegenteil: "Die Rechtslage zum Irak-Krieg ist indessen nicht eindeutig geklärt, weil bisher durch kein hierzu berufenes Organ ... verbindlich festgestellt worden ist, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig gewesen ist, und sich ein eindeutiges Ergebnis nicht aufdrängt. In einer solchen Situation muss es dem BMVg zustehen, das Handeln der Streitkräfte festzulegen." Man staune: Nicht einmal der Gesetzgeber, sondern der Verteidigungsminister entscheidet über Völkerrecht: War da mal von Parlamentsheer die Rede?

Wie die Bundeswehr Gewissen-los wird
Weiterhin behauptet die Dienstanweisung, dass im Fall des Major Pfaffs gar keine Gewissensentscheidung vorgelegen hätte, da lediglich nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sein Handeln in seiner konkreten Stellung zum Irak-Krieg beitrage. Aber selbst wenn es sich um "echte existentielle Gewissensentscheidungen" handelt, haben die "militärischen Führer in der Truppe" zu entscheiden, ob nicht die Befehlsausführung wichtiger ist als die Gewissensentscheidung, z.B. bei "einem kurzfristigen Einsatzflug von Luftwaffenpiloten" oder wenn "dem Soldaten bzw. der Soldatin keine Zeit bleibt, seine/ihre Gewissensnot zu verdeutlichen". Dann habe die Auftragserfüllung Vorrang. Dass das Gewissen dann auf der Strecke bleibt, "ergibt sich aus dem Berufsrisiko, das Soldaten/Soldatinnen auf Zeit und Berufssoldaten/Berufssoldatinnen freiwillig eingehen". Der Soldat könne natürlich trotzdem seinem Gewissen folgen, so resümiert das zynische Schlusskapitel der Dienstanweisung: "Hält der Soldat oder die Soldatin gleichwohl an der Gehorsamsverweigerung fest, mag es dafür ethisch gerechtfertigte Gründe geben. Das Handeln erfolgt dann aber außerhalb des Schutzes der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG unter Inkaufnahme aller nachteiligen persönlichen Folgen."

Deutsche Generalität ohne Moral- und Rechtsbewusstsein
Es erübrigt sich, diese Dienstanweisung näher zu kommentieren. Die Anweisung selbst spricht für sich. Allerdings wäre es dringend nötig, gegen diese rechtswidrigen "Hinweise für Rechtsberater und Rechtslehrer" der Bundeswehr politisch vorzugehen. Oberstleutnant Jürgen Rose hat sich Mitte März 2007 der logistischen Vorbereitung des Tornado-Einsatzes in Afghanistan verweigert. Die Bundeswehr fand für ihn schnell eine andere Verwendung, offensichtlich, weil sie einem offenen politischen Konflikt mit dem Soldaten aus dem Wege gehen wollte. Durch den unauffälligen Umgang mit Gewissensentscheidungen, die zugleich völkerrechtswidriges Vorgehen der Bundeswehr und der verantwortlichen Politik anprangern, wird eine offene politische Konfliktauseinandersetzung vermieden, zumal der betreffende OLT Rose sich schon mehrfach öffentlich gegen völkerrechtswidriges Verhalten der Bundeswehr eingesetzt hatte. Zuletzt hatte das Truppendienstgericht eine Disziplinarbuße gegen Jürgen Rose bestätigt, der seinerseits nun vor dem Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung der Meinungsfreiheit klagt. Er hatte lediglich in der Zeitschrift "Ossietzky", die für leicht satirische Meinungsbeiträge bekannt ist, im Hinblick auf den Irakkrieg kritisiert, dass sich die deutsche Generalität nicht gegen die Unterstützung der Bundeswehr für dieses "angloamerikanische Völkerrechtsverbrechen" gewehrt habe, obwohl sie es besser wissen müsste: "Dass die Generalität aufgrund intellektueller Insuffizienz nicht hatte erkennen können, was da vor sich ging, wird man mit Fug und Recht ausschließen dürfen. ... Da Dummheit ergo auszuschließen ist, bleibt nur noch die zweite Alternative zur Erklärung - und die lautet: Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit. Mit einem Satz: Die militärische Führung der Bundeswehr hat auf Anordnung der Bundesregierung willfährig und vorbehaltlos schweren Völkerrechts- und Verfassungsbruch begangen, indem sie mit Tausenden von Soldaten dem Imperium Americanum Beihilfe zu einem eindeutigen Aggressionskrieg leistete. Ein Akt politischer Kriminalität! ... Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewusstsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkräfteinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Orders der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten - ganz so wie dies, leider als einziger in der gesamten Armee, der Bundeswehrmajor Pfaff vorbildhaft demonstriert hat." (Ossietzky, 11/2006, S. 395f)
 

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Hintergrund
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".