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Computerspiele und Friedensbildung - Chancen und Herausforderungen

von Jenny Becker

Computerspiele sind selbstverständlicher Bestandteil der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen. Eine Studie des Hightech-Verbandes Bitkom zeigt, dass 80 Prozent der 14- bis 19-jährigen Teenager täglich bis zu drei Stunden und mehr damit verbringen. In der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen liegt der Anteil der Personen, die regelmäßig Computerspiele nutzen, bei knapp 40 Prozent. Aber auch in der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen bezeichnen sich bereits 5 Prozent als „Spieler“ (1).

Die aktuellen Zahlen der JIM (JungeOnlineGamer) – Studie 2012 bestätigen den Trend zu Onlinespielen und Mobile Games (2). Experten sagen eine “Gamification” von Bereichen voraus, die eigentlich gar nichts mit Spielen zu tun haben, zum Beispiel soziale oder politische Prozesse. Schulbuchverlage und medienpädagogische Dienstleister entwickeln häufiger Lehrmedien in Form von Games. Auch die großen Studios entwickeln Strategie- und Abenteuerspiele mit informativen Inhalten und adressieren damit das Bedürfnis nach dem Mehrwert Spiel und Bildung. Selbst die Spiel-Logik des Body-Counts beim Ego-Shooter scheint zukünftig ausgedient zu haben – die Entwicklerstudios forschen nach neuen bahnbrechenden und atemberaubenden Spielmechanismen.

Chance und Herausforderung für die Friedensbildung ist mithin sich im Segment der „Apps“ und „Games“ mit innovativen möglichst zeitlosen Produkten zu platzieren (Quelle für Inspirationen: www.gamesforchange.org/play).

Facebook-Apps? Serious Games? WTF?
„Apps“ (kommt von Application, dt. Anwendung) sind „kleine“, weniger komplexe Computerspiele mit meist zweidimensionaler Grafik, spielbar auf Facebook (dem Marktführer der Sozialen Netzwerke) oder als Download für mobile Endgeräte wie Smartphones, Pads und Laptops.

Mit der besonderen Ausprägung als „Serious Games“ oder „Edutainment-App“ (aus den Worten „Entertainment“ – Unterhaltung und „Education“ – Bildung zusammengesetzt) sind es Computerspiele mit pädagogisch wertvollen Inhalten i.S.v. Lernspielen aus dem Sektor des eLearnings (mit sozialem Bildungsmehrwert auch „Good Apps“ oder „Social Impact Games“ genannt). Solche Spiele werden auch außerhalb von Facebook als sog. „Browsergame“ angeboten.

Die modernen, auf Datenträgern für Computer oder Spielekonsolen erhältlichen Videogames sind in der Regel dreidimensionale, hochkomplexe, teilweise über Hunderte Stunden spielbare Unterhaltungsmedien, welche in der Entwicklung nicht selten mehrere Millionen kosten.

Im weitesten Sinne friedenspädagogische Inhalte haben die Spiele „Projekt Erde“ (www.projekterde.net), ein an der Universität Oxford entwickeltes, auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierendes, mit Preisen überhäuftes Videospiel. Man steht vor der Herausforderung, Klimaschutz und intelligente Ressourcenverwendung vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Weltbevölkerung auszubalancieren. Oder das aus dem Hamburger Entwicklerstudio Daedelic stammende Spiel „A New Beginning“: Es beschäftigt sich auch mit der Rettung vor der Klimakatastrophe. In einer durch den Klimawandel zerstörten Zukunft kann ein Mensch mit einer Zeitmaschine zurückreisen, um die Menschen der Gegenwart eindringlich zu warnen, Ignoranz und Gier zu bekämpfen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren, um die Welt zu retten. Beide Spiele werden für Kinder empfohlen.

Facebook Applications
„SuperActivist“ von VENRO (3) ist ein schönes (das einzige?) Facebook-Spiel aus der Deutschen NRO-Szene. Felix (16) ist Schüler, die 22-Jährige Luise Studentin. Felix und Luise sind die ProtagonistInnen des Spiels, das die VENRO – Kampagne “Deine Stimme gegen Armut” gestartet hat. Die Idee ist einfach: Wer die Welt verändern will, muss andere überzeugen: FreundInnen und Bekannte, NachbarInnen und politische EntscheidungsträgerInnen. Der Spieler/die Spielerin muss in einer virtuellen Stadt Aufgaben lösen und möglichst viele Stimmen gegen Armut sammeln. PassantInnen in der Fußgängerzone werden um ihre Unterschrift gebeten, auf dem Fahrrad durch die Stadt fahrend werden Flugblätter verteilt oder in einem Rededuell Argumente verschossen. Auf unterhaltsame und spielerische Art können sich Facebook-User mit dem Thema der Aktion (weltweiter Armutsbekämpfung) auseinandersetzen.

Facebook-Apps sind in ihrer Entwicklung weitaus weniger komplex als Videogames und verbreiten sich, wenn sie für Jugendliche attraktiv sind, schnell über das soziale Netzwerk. Das hat sich auch das Wiener Social Business „Three Coins“ zunutze gemacht und entwickelt aktuell „The Cure“: eine Facebook-App, die sich um die „financial literacy“ Jugendlicher bemüht – die Fähigkeit, mit Geld bewusst umzugehen. ÖsterreicherInnen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren haben im Schnitt 6.000 Euro Schulden; drei Viertel der Jugendlichen zwischen 15 und 21 wissen nicht, was das Bruttoinlandsprodukt ist, und die Hälfte kann nicht erklären, was Zinsen sind. Zudem hat jeder fünfte Verschuldete unter 25 ein Negativsaldo von 30.000 Euro angehäuft. Szenerie ist eine apokalyptische Umgebung, in der man nur mit der Währung „The Cure“ überleben kann; und die will einem jeder aus der Tasche ziehen. (4)

Serious Games
Ein sehr guter Erklärungsfilm zu „Serious Games“ wurde von vier Kölner Lehramtsstudierenden entwickelt. (5)

Das Videospiel "A Force More Powerful" (6), das 2006 im Zuge der Konflikte in Serbien entwickelt worden war, erklärt anschaulich die Macht der Zivilgesellschaft über gewalttätige Regierungen.

Es empfiehlt sich auch, die Serious Games zur Entwicklungshilfe durchzuklicken, z.B. "Food Force" oder "African Farmer" (7), und natürlich nicht zu vergessen die Spielsammlung von „Global Conflicts“ (8), wo man sich nach Afghanistan, in eine Textilfabrik in Bangladesh oder gar nach Guatemala oder Mexiko in die Grenzkonflikte der USA versetzen lassen kann.

Etwas ältere Beispiele: die Browsergames zu gewaltsamen Konflikten, wie etwa "Darfur is dying" (9) oder, welches ich bei seiner Einfachheit sehr effektiv fand, "September 12": Man hat die Aufgabe, Terroristen auf einem arabischen Markt durch Bombardierung aus der Luft zu töten. Leider führt jeder Kill zur unausweichlichen Tötung von unschuldigen Passanten, deren trauernde Verwandten stehen gleich bereit - als weitere Terroristen ... Dieses Spiel ist leider nicht mehr online. Die meisten Spiele sind kostenlos; einige, wie das den Nahostkonflikt behandelnde Spiel „PeaceMaker“ (10) kosten Unkostenbeträge (<20$).

Wir haben bei EN-PAZ ein Friedensquartett (11) entwickelt: Es ist ein Quartettspiel, das man gegen den Computer spielt. Der höhere Wert ist gleichzusetzen mit der Annahme, dass der Konflikt dann nicht eskalieren wird. Hinter der interaktiven Konfliktweltkarte verbergen sich aktuelle Konfliktbeschreibungen und zivile Lösungsvorschläge. Weiterführenden Links und verlinkte Filmdokumentationen runden das Angebot ab.

Chancen und Herausforderungen
Die Chancen für friedenspädagogische Online-Materialien (die über das bloße Herunterladen eines Dokumentes hinausgehen) liegen in der weltweiten Verfügbarkeit und in der Attraktivität für die Zielgruppe selber: Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren sind heute im Schnitt 3 Stunden im Internet, die meisten von ihnen spielen Onlinegames –Tendenz steigend. Man stellt die Angebote also dort für sie bereit, wo sie sich bereits aufhalten, und schafft damit neue Möglichkeiten, Jugendliche andernorts als in der Schule mit friedenspädagogischen Inhalten zu beschäftigen.

Die Herausforderung besteht darin, einer übergroßen Konkurrenz zu begegnen. Die Mitbewerber um die Zeit von Jugendlichen heißen Facebook, Smartphone-Apps- und Browsergames, die keine Edutainment, sondern lediglich eine Entertainment Funktion erfüllen, frei verfügbar sind und in einer Masse angeboten werden, dass es eines zeitgemäßen und der Zielgruppe entsprechenden Designs und einer Spielidee bedarf, die sowohl einzigartig, fesselnd, knifflig, mit einem gewünschten AHA-Effekt und in der Entwicklung bezahlbar sein muss.

Tipps zum Schluss für FriedensbildungsreferentInnen und Lehrkräfte: DIE Fundgrube für in der Friedensbildung einsetzbare Filme bieten zwei Websitesvon den SWR/WDR-Anstalten. (12) Die Webseiten stellen didaktisch und methodisch aufbereitete Filmtipps bereit; Stream (online ansehen) oder Download der hochwertigen Dokumentar- und Sachfilme nebst dem begleitenden Unterrichtsmaterial ist kostenlos!

Surftipp für alle: www.kampagne20.de Uli Schlenker & Björn Lampe schreiben hier über aktuelle Kampagnen und deren vielfältigen Verknüpfungen von (Spenden-) werbung mit Online-Diensten.

Anmerkungen
1 Quelle: „Spielend unterhalten – Wachstumsmarkt Electronic Games – Perspektive Deutschland“ www.bitkom.org/files/documents/Studie_Spielend_unterhalten_Wachstumsmark...(1).pdf).

2 www.spielbar.de/neu/2012/12/jim-studie-2012/#more-20957

3 http://apps.facebook.com/superactivist/Facebook

4 http://threecoins.org/portfolio-view/the-cure

www.podcampus.de/nodes/4546, mit einigen Beispielen von Serious Games aus dem Bereich Politik und vielen weiterführenden Links.

6 www.aforcemorepowerful.org

7 www.3rdworldfarmer.com

8 www.globalconflicts.eu

9 www.darfurisdying.com

10 www.peacemakergame.com

11 www.en-paz.de/quartett

12 http://www.planet-schule.de/sf/wissenspool-religion-und-ethik.php bzw. http://www.planet-schule.de/sf/wissenspool-gesellschaft-und-politik.php

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