Zukunftskonzept Degrowth

Degrowth als Vision einer gewaltfreien und sozial-ökologischen Zukunft

von Sara Fromm
Schwerpunkt
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Der Kampf um Ressourcen wie Bodenschätze und Land ist aktuell die zweithäufigste Ursache für Konflikte. Die Klimakrise verschärft solche Konflikte bereits jetzt und wird sie auch in Zukunft durch Ressourcenknappheit und Naturkatastrophen weiter verstärken. Die Menschen, die  historisch gesehen am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, leiden dabei bereits jetzt am meisten unter den katastrophalen Folgen.

Die Länder des Globalen Südens werden schon jetzt von vermehrten Naturkatastrophen und steigendem Meeresspiegel gebeutelt – und das, obwohl sie in der Vergangenheit wesentlich weniger CO2 ausgestoßen haben als die Länder des Globalen Nordens. Ressourcenkonflikte innerhalb nationaler Grenzen, aber besonders auch auf globaler Ebene, werden durch Profitinteressen und Konkurrenzkampf angeheizt. Dabei zerstört das derzeitige westliche Wirtschaftssystem gleichzeitig seine eigene ökologische Grundlage. Als Kritik an diesem zerstörerischen und gewaltvollen System hat sich vor allem in den letzten 20 Jahren verstärkt das Konzept von „Degrowth“ entwickelt.

Kritik am derzeitigen Wirtschaftsmodell
Unser aktuelles Wirtschaftsmodell ist von der Realität losgelöst. Es wird vollkommen missachtet, dass wir nur so viel wirtschaften sollten, wie wir natürliche Ressourcen zur Verfügung haben – und kein Stück mehr. Denn für jede Art der Wirtschaftsaktivität wird die Natur genutzt, also beispielsweise Energie, Land, oder andere Ressourcen. Zudem ignoriert dieses Modell, dass Teile der Gesellschaft – meist der ärmeren und diskriminierten Bevölkerungsgruppen – verschiedenste Formen von unbezahlter Arbeit leisten.

Wenn unsere auf Wachstum ausgelegte Wirtschaftsweise weiterhin Natur und Gesellschaft ausbeutet, dann treiben wir die Klimakrise immer weiter voran, destabilisieren so unsere Ökosysteme und gefährden unsere eigene Lebensgrundlage. Viele Politiker*innen und Wirtschaftslobbyist*innen setzen trotzdem exponentielles Wachstum gerne mit der Steigerung des Wohlstands einer Nation gleich. Studien zeigen allerdings, dass das Wohlergehen bzw. Wohlbefinden in den Ländern des Globalen Nordens nicht zu mehr durch zusätzliches Wirtschaftswachstum ansteigt, sobald eine gewisse Grenze überschritten ist. Ab einem gewissen individuellen oder kollektiven Einkommen übersteigen die sozialen und ökologischen Kosten tatsächlich deren Vorteile. Das Wohlergehen ist stattdessen eher abhängig von Faktoren wie Sicherheit, Gleichheit, demokratischen Strukturen, Zeitwohlstand und die Anerkennung von Sorgearbeit – und nicht von Wirtschaftswachstum.

Grünes Wachstum? - Nein Danke!
Befürworter*innen des „Grünen Wachstums“ argumentieren, dass wirtschaftliches Wachstum gar nicht unvereinbar sei mit Klimaschutz. Diese Argumentationsweise basiert fundamental auf der Idee, dass es möglich sei, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiter wachsen zu lassen, während der Energie- und Ressourcenverbrauch in absoluten Zahlen zurückgeht (sog. „absolute Entkoppelung“). Das soll vor allem durch technologischen Fortschritt passieren. Für diese Art der Entkoppelung gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege und sie gilt als höchst unwahrscheinlich.

Das Konzept von Degrowth / Postwachstum
Das Wort „Degrowth“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „Wachstumsrücknahme“ oder „Ent-wachstum“. Im Deutschen werden die Begriffe „Degrowth“ und „Postwachstum“ oft bedeutungsgleich verwendet. Das zentrale Ziel von Degrowth ist es, ein niedrigeres und damit nachhaltiges Level von Produktion und Konsum zu erreichen. Damit soll ein gutes Leben für alle innerhalb der ökologischen Grenzen möglich werden. Da gerade die einkommensstarken Länder historisch und aktuell auf Kosten des Klimas und der Menschen im Globalen Süden wirtschaften, ist Degrowth eine Forderung für Länder des globalen Nordens.
Degrowth ist aber keinesfalls gleichzusetzen mit einer Rezession, wie wir sie beispielsweise gerade in der Coronakrise erleben. Eine Rezession bedeutet im Endeffekt die unerwünschte Verkleinerung der aktuell existierenden Ökonomie – denn dieses Wirtschaftssystem braucht Wachstum, um nicht zu kollabieren. Ganz im Gegensatz dazu geht es bei Degrowth um einen Wechsel zu einer komplett neuen Ökonomie. Einer Ökonomie, die unabhängig ist von Wirtschaftswachstum.

Ausschließlich auf „Suffizienz“, also materielle Genügsamkeit, zu setzen, reicht dafür nicht aus. Die alleinige Kritik an übermäßigem Konsum wirkt oft depolitisierend. Wir brauchen vielmehr einen Systemwandel – und dafür braucht es eine radikale Umverteilung von Ressourcen und einen kulturellen Wandel hin zu gemeinsamen Werten wie Sorge, Solidarität und Autonomie. Denn einfach formuliert geht es bei Degrowth darum, sicherzustellen, dass jede*r ein gutes Leben haben kann.

Wir müssen uns also gemeinsam fragen, welche Sektoren der Wirtschaft in einer Postwachstumsgesellschaft schrumpfen sollen – und welche gleich bleiben oder sogar größer werden sollten. Bildung und Gesundheitsversorgung beispielsweise müssen für unsere ökologisch und sozial gerechtere Zukunft dringend ausgebaut werden. Umweltschädliche Sektoren, die soziale Ungleichheiten anfeuern, wie beispielsweise der fossile Energiesektor, der Rüstungssektor oder die Werbeindustrie, sollen schrumpfen.

Statt Geo-Engineering und anderen technologischen Allheilmitteln brauchen wir ganz klar Lösungen, die jetzt bereits machbar sind - wie bedingungsloses Grundeinkommen, ein Maximaleinkommen, eine 4-Tage-Arbeitswoche, die Abschaffung des BIP als Wohlstandsindikator, die Förderung von solidarischer Ökonomie, die Reduktion von Werbung sowie Divestment aus fossilen Industrien. Die Transformation muss dabei nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gerecht sein. Konkret bedeutet das, dass beispielsweise Arbeiter*innen, die derzeit in umweltschädlichen Industrien (z.B. in der Autoindustrie) arbeiten, umgeschult werden müssen (z.B. Produktion von öffentlichen Verkehrsmitteln). 

Degrowth ist dabei gar kein brandneues Konzept. Das erste Mal tauchte der Begriff als französische Fassung („décroissance) im Jahre 1972 auf. Der Sozialphilosoph André Gorz sowie der Bericht des „Club of Rome“ „Die Grenzen des Wachstums“ entfachten eine breite Debatte, die zur Einführung des englischen Begriffs „Degrowth“ im Jahre 2008 führte.

Die Verbindung zu Frieden
Quasi genauso alt ist das Konzept des positiven Friedens von Joseph Galtung (1971). Die Verneinung von struktureller Gewalt, über die reine Abwesenheit von Krieg und Gewalt hinaus, lässt sich auch in Degrowth finden. Denn diese strukturelle Gewalt geht oft mit der Ungleichverteilung von Ressourcen und von Macht über die Verteilung eben jener Ressourcen einher. Degrowth strebt die Abschaffung dieser Ungleichverteilung an. Kolonialismus führt zu gewaltvollen Konflikten, die beispielsweise durch das sogenannte „land grabbing“ - also die Aneignung von Land für politische oder wirtschaftliche Zwecke – entstehen. Von dieser gewalttätigen Aneignung sind oft auch indigene Bevölkerungsgruppen betroffen wie beispielsweise aktuell bei der Besitzergreifung großer Regenwaldgebiete im brasilianischen Amazonas. Die Flächen dienen dann beispielsweise der Produktion von Sojamitteln für den Fleischkonsum im Globalen Norden. Oder es geht um den Abbau von Kohlevorkommen und der Konstruktion von Minen für die Produktion von Konsumgütern für den Globalen Norden. Hier findet also ganz konkrete, personale Gewalt gegen Menschen im globalen Süden statt – angetrieben von unserem westlichen Wirtschaftsmodell. Globale Gerechtigkeit kann also erreicht werden durch geplanten Degrowth im Globalen Norden, der Ländern im Globalen Süden wieder Perspektiven jenseits vom westlichen, ökologisch desaströsen Entwicklungsmodell offenlässt. Aus Sicht der Länder des Globalen Nordens steht Degrowth außerdem für ein erweitertes Demokratieverständnis, in dem lokale Regierungs- und Selbstverwaltungsstrukturen gestärkt werden sollen – und somit auch strukturelle Gewalt in Form von Benachteiligung in Beteiligungsprozessen. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen, wie Extinction Rebellion mit ihrer Forderung nach Bürger*innenräte für Klimafragen, greifen bereits heute solche erweiterten Demokratisierungsanliegen auf. Darüber hinaus ist auch die feministische Perspektive von Degrowth für die Überwindung von struktureller Gewalt besonders wichtig. Mit Hilfe von Diskussionen rund um das Thema „Arbeit“ – bezahlte Arbeit, unbezahlte Arbeit und Sorgearbeit allgemein – sollen die herrschenden Ungleichverteilungen transformiert werden.

Degrowth stärkt die Friedens- und Klimagerechtigkeitsbewegung – und andersherum
Obwohl Degrowth oft auch als „soziale Bewegung“ bezeichnet wird, sehe ich in Degrowth vor allem eines: eine breite Vision, die viele verschiedene Aspekte eines guten Lebens für alle beinhaltet. Im Gegensatz dazu sind Frieden und auch Klimagerechtigkeit Themen, bei denen „der Weg“ ein großer Teil des Ziels ist. Klimagerechtigkeit und Frieden sind keine vollständigen, lebendigen und bunten Vorstellungen von einer sozial-ökologischen und gewaltfreien Zukunft. Vielmehr geht es bei den beiden Konzepten um den Prozess – also um die sozial-ökologische Transformation und Friedensbildung. Deswegen haben sie – im Gegensatz zu Degrowth – einen klareren Aufrufcharakter zu Aktion und Beteiligung an sozialem Wandel. Die Perspektiven der Friedensbewegung und der Klimagerechtigkeitsbewegung können deswegen ein Verständnis von Degrowth unterstützen, das greifbarer und motivierender ist: Degrowth als gewaltfreier und demokratisch-geführter Wandel hin zu einer Gesellschaft, welche nicht auf der Ausbeutung und Erniedrigung von Natur, Tier und Mensch beruht.

Degrowth mit seinen visionären Eigenschaften kann im Gegenzug dazu der Friedens- und Klimagerechtigkeitsbewegung helfen, klarere Vorstellungen davon zu haben, für was für eine gesamtgesellschaftliche Vision einer neuen Welt wir in unseren Bewegungen eigentlich kämpfen – eine Vision, die Frieden und Klimagerechtigkeit beinhaltet.

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Sara Fromm ist Geschäftsführerin und Trainerin bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Klimagerechtigkeitsaktivistin und Mitglied bei „Research & Degrowth“. In dem Buch „Degrowth in Bewegung(en)“ des Konzeptwerks für Neue Ökonomie sind 32 soziale Bewegungen und ihre Verbindung zu Degrowth aufgelistet – die Friedensbewegung ist nicht mit dabei. Das würde Sara Fromm gerne ändern.