Feministische Außenpolitik ist ohne Demilitarisierung nicht realisierbar

Demilitarisierung überzeugend vertreten

von Jennifer Menninger
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Nur wenige Monate nach der Ankündigung einer feministischen Außenpolitik im Koalitionsvertrag wurde ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Generell fällt auf, dass die Ampelregierung seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Militarisierung und damit verbunden die Remaskulinisierung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik vorantreibt. Patriarchale, kapitalistische und rassistische Strukturen bleiben folglich erhalten. Die Autorin stellt das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine und entsprechend die Einhaltung der UN-Charta nicht infrage. Es muss jedoch zwischen der Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung gegen den imperialistischen und kolonialistischen russischen Staat auf der einen Seite und der materiellen und diskursiven Militarisierung der deutschen Politik auf der anderen Seite differenziert werden.

Aktuell nutzt die Bundesregierung die Verunsicherung der eigenen Bevölkerung, um lang ersehnte Rüstungsprojekte zu realisieren. Diese Vorhaben werden der Ukraine jedoch militärisch wenig bis gar nichts nutzen. Davon abgesehen ist die NATO Russland bereits jetzt militärisch im hohen Maße überlegen. Um die Sicherheit und das friedliche Miteinander in Deutschland zu fördern, wäre es sinnvoller, die Einflussnahme des russischen Staats in Deutschland verstärkt mit Antikorruptionsmaßnahmen gegen eine politische Einflussnahme sowie mit Aufklärungsprogrammen zu Desinformation und Cybersicherheit einzudämmen.

Ebenso gibt es viel Bedarf im Bereich der Friedensbildung und gewaltfreien Kommunikation, um der zunehmenden Polarisierung und Gewaltbereitschaft in Deutschland entgegenzuwirken. Doch statt mehr in solche zivilen Maßnahmen zu investieren, definiert die Ampelregierung ihre Stärke und Entschlossenheit vor allem über ihre militärischen Verteidigungsfähigkeiten. In der Nationalen Sicherheitsstrategie ist dementsprechend Wehrhaftigkeit eines der drei zentralen Ziele, neben Resilienz und Nachhaltigkeit. Der starke Fokus auf Verteidigung wird sich jedoch langfristig sowohl für den Klimaschutz als auch für die Resilienz der eigenen Bevölkerung negativ auswirken. So verursacht das Militär in großem Umfang CO2-Emissionen (1) und verschlingt Unmengen an Steuergeldern für die Zerstörung anstatt für den Erhalt des Planeten.

Ebenso wird der Aufbau von Resilienz erschwert, wenn die Lebensqualität der Menschen durch falsche Prioritätensetzung, wie es der geplante Bundeshaushalt erahnen lässt, niedrig ist oder sinkt. So sollen alle Ressorts – bis auf das Bundesministerium der Verteidigung – in den Jahren 2024 und 2025 sparen. (2) Angesichts des Klimawandels, der Inflation, den überlasteten Gesundheits- und Pflegesystemen, den horrenden Mieten und den maroden Schulen ist dieses Handeln unverständlich. Durch die neoliberale Politik der vergangenen Jahrzehnte wurde der Wohlfahrtsstaat bereits stark abgebaut und die Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Menschen im Land stetig vergrößert. Wem nützt also zukünftig eine modernisierte Bundeswehr, wenn die Unzufriedenheit der Bevölkerung dazu führt, dass zunehmend gar nicht oder rechtsextreme und verfassungsfeindliche Parteien gewählt werden? Diese bedrohliche Entwicklung muss für alle demokratischen Parteien in Deutschland ein Warnsignal sein und ein Umdenken hervorrufen. Bedrohungsszenarien von zunehmender systemischer Rivalität wie in der Nationalen Sicherheitsstrategie führen hingegen zur Konstruktion von Feindbildern und aggressivem Handeln.

Zweifellos nimmt die Vormachtstellung der USA und ihrer Verbündeten weltweit ab, doch bietet dies auch neue Möglichkeiten. Die Außenpolitik wie bisher insbesondere von Wirtschaftsinteressen abhängig zu machen, unterdrückt lokale Zivilgesellschaft und fördert generell gewaltvolle Strukturen. Umso wichtiger ist es darum, dass die Bundesregierung trotz des Kriegs in der Ukraine Abrüstungsinitiativen und Rüstungskontrolle voranbringt und dafür auch neue Bündnisse eingeht. So unterstützen mehrheitlich Staaten im globalen Süden und internationale zivilgesellschaftliche Netzwerke ein Verbot von Nuklearwaffen und autonomen Waffensystemen. Sich mit ihnen zusammenzuschließen wäre auch ein wichtiger Schritt, um koloniale Kontinuitäten zu vermeiden.

Das männliche Ideal von „wehrhaften Bürger*innen“, wie es die Ampelregierung aktuell propagiert, ist aus feministischer Perspektive keine wünschenswerte Alternative zu rechtsextremen und konservativen Strömungen, sondern nähert sich diesen an. Ebenso senken die geplanten Einsparungen in nicht-militärische Bereiche langfristig die Lebensqualität der Bürger*innen, zerstören das Vertrauen in Institutionen und vermindern Deutschlands Engagement in der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung. Die Leidtragenden davon werden insbesondere Frauen und Minderheiten sein. Eine feministische Außenpolitik kann darum nur überzeugend nach außen vertreten werden, wenn sie eine Demilitarisierung im eigenen Land und weltweit fördert.

Anmerkungen
(1) NaturFreunde und Informationsstelle Militarisierung: Factsheet Klima & Krieg (2023).
(2) Bundesfinanzministerium: Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und Finanzplan bis 2027. URL: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Fin...

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Sie ist Geschäftsführerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Sie studierte Gender Studies und absolviert ihren zweiten Masterabschluss in War and Conflict Studies an der Universität Potsdam. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind feministische Außenpolitik und feministische Perspektiven auf Cybersicherheit und autonome Waffensysteme.