Dukakis oder Bush:

Der Frieden kommt nicht von oben

von Arnd Henze

Gemessen an den Aufgaben, denen der nächste Präsident der USA gegenüber stehen wird, steht im November mit Michael Dukakis und George Bush die doppelte Nullösung zur Wahl. Beide Bewerber haben sich nicht aufgrund. überragender Kompetenz, sondern gerade wegen ihrer Profillosigkeit als die geeigneten "Middle of the Road" - Kandidaten der demokratischen und republikanischen Partei qualifiziert.
Dennoch wäre es töricht zu propagieren, es mache keinen Unterschied, wer von beiden Anfang Januar in das Weiße Haus einziehen wird. Nach Ronald Reagans Politik der verbrannten Erde im Bereich der Sozialpolitik steht Michael Dukakis zumindest für den Versuch, die schlimmsten Folgen der letzten acht Jahre zu mildern. Im Bereich der Sozialpolitik wird sicher auch der Einfluß Jesse Jacksons am wirksamsten werden.

Scharfe Unterschiede zwischen Dukakis und Bush gibt es auch bei den Themen Südafrika und Mittel-Amerika. Jesse Jacksons größter Erfolg im Vorwahlkampf war vermutlich, daß er Dukakis auf die verbindliche Unterstützung eines Gesetzes festzulegen vermochte, das umfassende Sanktionen gegen das Apartheidregime in Südafrika zum Inhalt hat. Hier steht Dukakis im, Wort, und er weiß, daß dieses Thema für J esse Jackson höchste Priorität hat.

Anders als Bush hat Dukakis auch wenig Sympathien für die "Contras", die seit Jahren im Auftrag und mit US-Waffen ausgerüstet Krieg gegen Nicaragua führen. Aber schon bei diesem Thema zeigt seine Wahl von Lloydt Bentsen als seinem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten eine für die demokratische Partei typische Ambivalenz: Bentsen hat als Senator - wie viele konservative Demokraten - Reagans Contra-Krieg gegen Nicaragua entschieden unterstützt. Sollte Dukakis Präsident werden, würde es sicher erbitterte politische Auseinandersetzungen um die zukünftige Mittel-Amerikapolitik geben. Der entscheidende Faktor wäre dabei die Stärke und Mobilisierungsfähigkeit der Solidaritätsbewegungen innerhalb der USA. Immerhin ist es durch breit angelegte Proteste schon mehrfach gelungen, die Zustimmung des Kongresses zu Waffenlieferungen an die Contras zu verhindern.

Die Möglichkeiten zur Einflußnahme auf eine demokratische Regierung wären sicherlich ungleich größer, als dies während der Reagan-Jahre und sicher auch unter einer Bush-Regierung der Fall wäre. Von besonderer Bedeutung ist natürlich die Frage, in welche Richtung nach der Wahl die Sicher heits- und Abrüstungspolitik laufen wird. Wer hier aus dem Wahlkampf Trendanzeigen erhofft, wird schnell enttäuscht sein. Die notwendige grundsätzliche Auseinandersetzung über den zukünftigen Kurs findet bisher nicht statt. Zwar melden sich in den diversen außen- und sicherheits-politischen Fachzeitschriften die unterschiedlichsten Stimmen zu Wort - ehemalige Minister, Sicherheitsberater und Militärführer bzw. solche, die auf diese Ämter hoffen - es ist aber gerade diese Kakophonie, die die Konzeptlo-sigkeit beider Parteien erkennbar macht.

Beide Seiten wissen, daß für eine Fortsetzung von Reagans Aufrüstungskurs schlicht das Geld fehlt. Die USA sind schon jetzt nahezu bankrott. Da das Weltraumrüstungsprogramm SDI schon immer mehr ein Glaubensartikel als ein seriöses Forschungsunternehmen war, wird das Thema wohl in den nächsten Jahren an Bedeutung verlieren.

Damit ist aber auch schon alles Verläßliche gesagt. Ein großer Fehler wäre es nämlich, die sicherheitspolitischen Gegensätze an den Personen Dukakis und Bush festzumachen. Als Gouverneur von Massachusetts hat sich Dukakis zwar wiederholt als Anhänger der "Freeze-Bewegung für ein Einfrieren der Nuklearrüstung und als Gegner kostspieliger Waffensysteme zu erkennen gegeben. Genau diese gemäßigten Positionen werden ihm aber nun im Wahlkampf nicht nur von republikanischer Seite, sondern auch vom konservativen Flügel seiner eigenen Partei vorgeworfen. Und weil Dukakis Präsident werden möchte, tut er im Moment alles, um sich nirgends inhaltlich festzulegen. Das Wahlprogramm der demokratischen Partei schweigt sich zu allen konkreten Fragen konsequent aus. Was Dukakis besonders schadet, ist die Tatsache, daß er allgemein als inkompetent in außen und sicherheitspolitischen Fragen gilt - und das macht ihn völlig abhängig von den "Experten" seiner Partei, die alle zum rechten Flügel zählen.

Es mag paradox klingen, doch in sicherheitspolitischen Fragen sind wahrscheinlich die geringsten 'Gegensätze zwischen einer Bush- und einer Dukakisregierung. Das hat auch mit einer weiteren Besonderheit des Regierungssystems der USA zu tun. Der Kerngedanke liegt in der Machtbalance zwischen Präsidenten und Kongreß. Da wichtige Abrüstungsabkommen vom Senat mit zweidrittel Mehrheit ratifiziert werden müssen, ist der Bewegungsspielraum des Präsidenten in diesen Fragen sehr weit eingeengt. Das hat selbst Ronald Reagan spüren müssen, der für das INF-Abkommen zum Abbau der Mittelstreckenraketen nur mühsam die Zustimmung des Senats gewinnen konnte. Ausschlaggebend war letztlich, daß allzu viele konservative Senatoren eine persönliche Niederlage Reagans vermeiden wollten.

Auf solche Loyalität dürfte schon George Bush kaum noch hoffen können. Er ist zwar in der Sache so reaktionär wie Reagan, ihm fehlt aber völlig dessen konservatives Charisma. Angenommen also, Bush würde als Präsident die START-Verhandlungen zum Abbau eines Teils der nuklearen Langstreckenraketen zu einem Vertragsabschluß bringen - es wäre höchst unwahrscheinlich, daß er im gegenwärtigen Senat die nötige Mehrheit dafür bekommen würde.

Noch schwerer würde es ein Präsident Dukakis haben. Er gilt nicht nur als inkompetent, er kommt zudem von außen in die Washingtoner Szene. So entstände für ihn ein fast auswegloses Dilemma: Entweder, er will wirklich eine grundlegend neue Sicherheitspolitik entwickeln. Dazu müßte er sich weitgehend frei machen von dem eingespielten Kompromissen und sich ganz auf Berater außerhalb des Establishments stürzen. Dieser Weg würde ihm. den geschlossenen Widerstand nicht nur der republikanischen, sondern auch aller konservativen demokratischen Senatoren einbringen. Oder, er muß sich im Kongreß eine Machtbasis aufbauen, und dann führt kein Weg an den "Experten" seiner Partei als Mehrheitsbeschaffern im Senat vorbei.

Die Entscheidung für den erzkonservativen Senator Loydt Bentsen als möglichen Vizepräsidenten hat bereits signalisiert, daß Dukakis auf das Bündnis mit den Washingtoner Insidern nicht verzichten zu können glaubt. Das aber heißt konkret: Die Sicherheitspolitik unter Dukakis würde nicht" vom Präsidenten, sondern vermutlich an erster Stelle vom jetzigen Senator Sam Nunn bestimmt werden. Dessen Abstimmungsverhalten weist ihn als strammen Aufrüstungsbefürworter aus. Abrüstungspolitische Hoffnungen  können sich darum am wenigsten mit ihm und seinen Gefolgsleuten verbinden. Bei einem Wahlsieg von Dukakis würde Nunn vermutlich sogar selber entscheiden können, ob er mehr Macht als Verteidigungsminister oder als einflussreicher Senator ausüben könnte.

Angesichts dieser erstarrten Machtbalance kommt der Neuwahl von einem Drittel der Senatoren eine fast ebenso große Bedeutung zu wie der Präsidentschaftswahl. Darum macht es Sinn, daß die US-Friedensbewegung einen Schwerpunkt ihrer Arbeit im Wahljahr darin sieht, frühzeitig auf Senats-Kandidaten Einfluß zu nehmen und fortschrittliche Bewerber aktiv zu unterstützen. Als Entscheidungshilfe gilt den Gruppen dabei eine genaue übersieht über das bisherige Abstimmungsverhalten von Senatoren, die sich um die Wiederwahl bewerben. Bei neuen Kandidaten hängt die Unterstützung von Vorgesprächen mit den regionalen Friedensgruppen und der Auswertung eines' sehr präzisen Fragenkataloges ab.

In der Abhängigkeit der Kongreßmitglieder von persönlicher Wiederwahl liegt dann auch die eigentliche Chance, auf den Abrüstlingsprozeß Einfluß zu nehmen. Wie auch immer der nächste Präsident der USA heißen wird: Hoffnung auf Abrüstung ist nur dann begründet, wenn so viel öffentlicher Druck entwickelt wird, daß sich weder Regierung noch Senat ihm entziehen können. Die Möglichkeit, durch öffentliche Kampagnen Einfluß zu nehmen, hat sich in der Mittelamerika -und Südafrikapolitik in den letzten Jahren immer wieder gezeigt. Daß die Friedensbewegung in den USA bei dieser Arbeit auf die Solidarität und das Engagement der europäischen Friedensbewegungen angewiesen ist, versteht sich bei alledem wohl von selbst.
 
 

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