Vom low-intensity-conflict zur Hölle auf Erden

Der Gaza-Krieg

von Wiltrud Rösch-Metzler
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Für jemanden, die sich seit langem mit der Palästina-Frage auseinandersetzt, war es selbst in der Friedensbewegung schwierig, vor dem 7. Oktober Bereitschaft zu finden, Israel/Palästina zu thematisieren. Auch für unsere Freund*innen in den israelischen und palästinensischen Friedens- und Menschenrechtsinitiativen war es schwierig, international, insbesondere in den westlichen Ländern Gehör zu finden. Wie auch bei anderen Konflikten, bei denen nicht an Lösungen gearbeitet wird, sondern darauf vertraut wird, dass sie sich durch militärische Übermacht beherrschen lassen, ist nun aus einem vermeintlichen low-intensity-confict die Hölle auf Erden geworden.

Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 ist schockierend, aber in den Kontext der israelischen Besatzung des Westjordanlandes mit Ostjerusalem und Gaza einzuordnen. Jahrzehntelang hat die internationale Gemeinschaft ihre Antwort „Zweistaatenlösung“ vor sich hergetragen, aber kaum dazu beigetragen, dass an der Seite Israels der Staat Palästina hätte entstehen können. Mehr noch, Israel konnte und kann sich durch den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau weiteres palästinensisches Land einverleiben, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Obwohl die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO), die von Israel als legitime Vertretung der Palästinenser*innen in den Oslo-Verträgen anerkannt wurde, auf 78% des ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästina verzichtete und Israel anerkannt hat, ist die israelische Regierung nicht bereit, den Staat Palästina anzuerkennen. Länder wie Deutschland haben an der Seite Israels die Palästina-Frage managen lassen. Israel blieb Besatzungsmacht. Deutschland und andere haben die Versorgung der von Israel besetzten palästinensischen Gebiete übernommen. Ziel war und ist die Sicherheit Israels.

Der 7. Oktober hat der Weltgemeinschaft gezeigt, dass sich so wie bisher Sicherheit für Israel nicht herstellen lässt. Für die israelische Gesellschaft war der 7. Oktober der Horror, Raketen, die bis nach Jerusalem niedergingen, kein Flugverkehr mehr, Evakuierung der Gemeinden um den Gazastreifen und in Nordisrael, über 1.200 Ermordete, über 200 Verschleppte, auch Alte und Kinder. Für unsere Freund*innen in der israelischen Friedensbewegung war es bereits vor dem 7. Oktober schwierig, für ein Ende der Besatzung und für Verständnis für die palästinensische Seite zu werben. Erst recht werden sie angefeindet, wenn sie jetzt für einen Waffenstillstand demonstrieren.

Für die palästinensische Bevölkerung sind die Folgen des Hamas-Überfalls aus dem abgeriegelten Gazastreifen auf Israel am 7. Oktobers ebenfalls traumatisch. Bis Anfang Februar wurden über 27.000 Menschen getötet, davon 70 Prozent Frauen und Kinder. Die vielen Binnenvertriebenen leben in provisorischen Zelten in Rafah im Süden. Doch auch dort beschießt die israelische Armee bereits Krankenhäuser. Die Ziele wählt eine KI mit dem Namen Gospel/Evangelium aus. Auch in Palästina gibt es noch Menschen, die an der Gewaltlosigkeit festhalten. Sie wollen beispielsweise mit Boykott, Investitionsstopp und Sanktionen (BDS) die Besatzung beenden. Sie widersetzen sich gewaltlos der Siedlergewalt, wie Issa Amro in Hebron oder Daoud Nassar bei Betlehem.

Wie zwei Missionare, einer Palästinenser, einer Israeli, waren Anfang 2024 Rotem Levin und Osama Ilawat von den Combatants for Peace, einer Organisationen, in der ehemalige Kämpfer und Soldaten sich zusammengefunden haben, unterwegs in Deutschland. Sie besuchten Schulen und Bildungseinrichtungen, Kirchen und Fernsehstudios, um davon zu erzählen, dass Frieden möglich ist und dass der einzige Weg in eine sichere Zukunft für beide Völker ein gewaltfreier ist. Ähnliches erzählen auch die Mitglieder des Parents Circle, eine Gruppe von Palästinenser*innen und Israelis, die Angehörige durch die jeweils andere Seite verloren haben. Pax christi international hat den Parents Circle 2023 mit dem pax christi Friedenspreis ausgezeichnet.

Derweil geht der Krieg weiter. Amnesty, medico, Diakonia u.a. beschreiben das Elend: Über eine halbe Million Palästinenser*innen im Gazastreifen sind vom Hungertod bedroht. Über 70% der Häuser, ein Großteil der Schulen sowie die Wasser- und Abwasserinfrastruktur wurden zerstört oder beschädigt, so dass die Bevölkerung fast keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Keine einzige medizinische Einrichtung in der Enklave ist voll funktionsfähig. Mehr als 300 Gesundheitsarbeiter*innen wurden getötet. Mindestens 167 Mitarbeiter*innen humanitärer Organisationen im Gazastreifen wurden getötet, so viele wie in keinem anderen Konflikt in diesem Jahrhundert. Sie und andere Organisationen fordern deshalb „alle Staaten auf, die Lieferung von Waffen, Waffenteilen und Munition an Israel und bewaffnete palästinensische Gruppen unverzüglich einzustellen, solange das Risiko besteht, dass sie eingesetzt werden, um schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte zu begehen oder solche zu erleichtern“. (1)

Oxfam und PAX Niederlande haben vor Gericht erstritten, dass die Niederlande keine Teile für die F35 Kampfbomber mehr nach Israel liefern dürfen. Die meiste Militärhilfe kommt aus den USA. Doch auch Deutschland stellte schon Drohnen zur Verfügung. „Im vergangenen Jahr haben sich die Waffenlieferungen nach Israel bereits verzehnfacht“, schrieb die TAZ im Januar. „Jetzt will die Bundesregierung zusätzlich Munition für Panzer liefern.“ (2)

Aus Sicht einer Friedensbewegung sind die Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten zentral. Diese Rechte dämmen Gewalt ein und schützen die Zivilbevölkerung. Deshalb begrüßt Pax Christi die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom Januar, die auf Initiative Südafrikas zustande kam. Das Gericht hat Israel u.a. aufgefordert, sicherzustellen, dass sein Militär keine völkermörderischen Handlungen begeht; die Aufwiegelung zum Völkermord und entsprechende Rhetorik zu verhindern und zu bestrafen; humanitäre Hilfe für die Bevölkerung des Gazastreifens zu ermöglichen und zu erleichtern; dem Gericht innerhalb eines Monats Bericht zu erstatten und das Gericht über die Einhaltung der angeordneten vorläufigen Maßnahmen zu informieren.

Dazu gehört auch, dass die Vorwürfe Israels gegenüber zwölf Mitarbeitenden des UN-Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser (UNRWA), sie seien in den barbarischen Angriff vom 7. Oktober verwickelt, untersucht werden. Die Hamas und all jene, die den Angriff geplant und ausgeführt haben, müssen mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden. Pax Christi sieht in der UNRWA die Lebensader für die 1,7 Millionen Geflüchteten im Gazastreifen, die für ihr Überleben auf die UNRWA angewiesen sind. Die unermüdliche Arbeit der 13.000 UNRWA-Mitarbeiter in Gaza, die mehr als 150 ihrer Kollegen verloren und persönliche Verluste und Vertreibung erlitten haben, muss mit der vollen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft fortgesetzt werden. Ihre Arbeit zu untergraben, bedeutet, eine leidende, unschuldige Bevölkerung kollektiv zu bestrafen, indem man ihr die grundlegendste, lebenserhaltende Hilfe verweigert.

Anmerkungen
1 U.a. hier: https://www.amnesty.de/aufruf-16-organisationen-waffenlieferungen-stoppe...
2 https://taz.de/Deutsche-Waffenlieferungen/!5983280/

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Krisen und Kriege
Wiltrud Rösch-Metzler ist Journalistin und pax christi Bundesvorsitzende.