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Der Golf und die Bewegung
vonEs war wie in alten Zeiten: Trotz polarer Temperaturen harrten hunderttausende auf der Bonner Hofgartenwiese aus und artikulierten ihren unüberhörbaren Protest gegen den Krieg am Golf. Wirklich alles wie damals? Ein bißchen merkwürdig war es schon, als im Fernsehen die Bilder von der größten Friedensdemonstration seit Jahren über die Mattscheibe flimmerten. Als der Tagesschau-Reporter zufrieden mitteilte, daß es keinerlei Vorkommnisse und keine antiamerikanischen und antiisraelischen Vorwürfe gegeben habe, mischten sich in die Genugtuung und den Stolz darüber, daß die beharrlich totgesagte Bewegung sich so beeindruckend zurückgemeldet hatte, auch Beklemmung über eine gewisse Zahnlosigkeit. Wogegen richtete sich eigentlich der Protest?
Ein zielsicherer Medienmechanismus hatte zumindest ansatzweise zur Domestizierung des Protestes beigetragen. Mit einem Trommelfeuer von Vorwürfen und Versuchen, das Mörderregime in Bagdad und die Friedensbewegung in einen Topf zu werfen und mit den altbekannten Antiamerikanismus-Vorwürfen sollte die Bewegung ausmanövriert werden. Die aktuelle Bedrohung Israels und die Unkenntnis über die mit gleichen Argumenten und weitaus mächtigerer Unterstützung agierende US-Friedensbewegung brachte die Demonstranten in die Defensive. Die ständig notwendigen Rechtfertigungen, daß die Friedensbewegung auch Saddam Husseins Vorgehen ablehne, ließ die eigenen Forderungen nach Waffenstillstand, Unterbindung der Rüstungsexporte und die Bestrafung der Kriegsprofiteure untergehen. Pro-atlantische Solidaritätsbekundungen auf der rechtsliberalen Seite wie die Anzeigen der "Atlantik-Brücke", ausgerechnet mit Unterschriften von Björn Engholm, Willy Brandt, Uli Klose und Hans Koschnick, die Kundgebungen der Deutsch-Israelischen Freundschaftsgesellschaft in Berlin und Bonn sorgten für zusätzliche Konflikt- und Differenzierungslinien.
Diese medientechnische Domestizierung überdeckte zeitweise die unübersehbaren Erfolge der Bewegung: Zum einen hatte sie sich als vorrangiger Akteur in der Golfkrise gezeigt, die Parteien zogen hinterher. Damit hat sie ihre Bedeutung als strukturelles Moment von Politik behauptet. Dazu kommt die berüchtigte "Bündnisbreite". In den letzten zwei Jahren fehlte der Friedensbewegung der zündende Massenfunke.
Unter dem Druck des drohenden Krieges etablierten sich die sozialen Träger der lange vernachlässigten ökologischen und sozialen Friedensdimension auf einmal ganz schnell. Fast umstandslos war diesmal der DGB mit Geld und dem Chef als Redner bei der Sache. Nahezu alle relevanten Umweltverbände, die großen berufsspezifischen Friedensinitiativen wie die IPPNW waren von Anfang an vertreten. Nicht auszudenken, welche soziale Sprengkraft ein solches "Bündnis" haben könnte, bleibe es längere Zeit und mit erweiterter, auf Demokratie abzielender Zielsetzung beisammen.
Die Neuen
Dennoch ließ sich auch eine Diskrepanz ausmachen zwischen einer bundesweit in Bewegung geratenen Friedensszene und einer Handvoll Funktionäre, die aus besseren Tagen übriggeblieben waren. Die Menschen wären auch ohne große Apparate, austarierte Erklärungen und die ganzen Rochaden ihrer Bewegungsmandarine gekommen. Das seit einiger Zeit eher müde dahinwerkelnde "Netzwerk Friedenskooperative" hatte Mühe, dem Ansturm der Demonstrationswilligen noch schnell eine Plattform zu zimmern und sich als Speerspitze der Bewegung auszugeben.
Und natürlich gab es Probleme mit der Lernfähigkeit einer Bewegung, die sich sonst immer als der schon vorhandene Vorschein einer besseren Gesellschaft in der schlechten Realität gesehen hatte. Erst einen halben Tag vor der Kundgebung gelang es, die Hauptträger des Protestes, die Schüler und Studenten gegen die altgedienten Selbstdarsteller wenigstens mit einem kurzen Redebeitrag auf die Hauptbühne zu hieven. Langfristig gesehen ist aber gerade dieser Generationswechsel, der weiter andauernde Einsatz der Jungen und Mädchen die wichtigste Neuerung. Es gelang ihnen, den seit Jahren etwas ritualisiert, stumpf und altbacken gewordenen Protest mit einem neuen Lebensverlangen zu beleben.
Es ist noch gar nicht absehbar, welche Wirkungen der neu entstandene Sozialisationszusammenhang einer zuvor als unpolitisch eingeschätzten Yuppie-Jugend langfristig haben wird. Mit ihren Aktionen fanden reale, seit langem unterschwellig angestaute, durch luxuriöse Anpassung verdrängte Bedrohungsvorstellungen einen Weg in die Öffentlichkeit. Es war diesmal alles nicht wie ein alternatives Volksfest. Der Friedensbewegung saß der Schock über den Kriegsausbruch im Nacken. Viele Friedensträume schienen ausgeträumt. Die enge "antiimperialistische Solidarität" weitete sich. Die Wahrnehmung globaler Überlebens- und Gattungsfragen grundierten den Protest.
Die Demonstration kann erst der Auftakt gewesen sein. Die Situation ist offen. Zwar platzen auf der einen Seite jeden Tag mehr die Seifenblasen aus Lügen und Versprechen der Kriegskoalition. Der Golfkrieg war eine Chance. Die des ganz pragmatischen Wiedereinstiegs in das ganz normale Geschäft Krieg. Nach dem Muster wie es die mehr selektive militärische Bewegungsfreiheit suchende Militärführung in den USA schon in "Discriminate Deterrence" propagiert hatte. Der mit Blick auf eine neue Weltfriedensordnung absichtsvoll genährte Eindruck, daß der Krieg chirurgisch präzise geplant, geführt und kontrolliert werden könnte, ist nach den ersten Wochen dahin. Bislang gab es einen im 20. Jahrhundert durch die zwei Kriegsweltbrände blutig erkauften Konsens, daß Kriege nicht mehr führbar, unmoralisch sind. Aber trotz des Anfangserfolgs der Friedensbewegung am 26.1. droht die öffentliche Meinung dahin umzukippen, daß auch die Nichtbeteiligung unmoralisch ist.
Dazu trägt die Ausschaltung der Demokratie bei. Als einzige Bilder der Opfer dieses Krieges erlaubt uns die Militärzensur bis jetzt die der Ölverklebten Wasservögel vom Persischen Golf. Die mehr als 300.000 unschuldigen Menschen, die nach Berichten des SPD-Bundestagsabgeordneten Manfred Opel bereits umgekommen sein sollen, bleiben noch unsichtbar. Werden sie auftauchen, könnte sich die Stimmung schnell wieder wandeln.
Die bisherige Arbeit der Friedensbewegung in der Golf-Krise hat neben dem unerhörten Mobilisierungserfolg auch eine Gefahr gezeigt. Die nämlich, zu einer breiten Beliebigkeit zu verschwimmen. Hinter einer fundamentalistischen Anti-Kriegs-Stimmung könnten die Fragen nach der deutschen Beteiligung und die konkreten Möglichkeiten ihrer Unterbindung verschwimmen. Und natürlich besteht die Gefahr, daß die Demonstration nur sozusagen das Ventil für die unterschwellig vorhandene Kriegsangst war, die wie ein Strohfeuer kurz aufflackerte, aber ebenso schnell in sich zusammenfällt.
Das Neue
Hier liegt der Ansatzpunkt für die weitere Arbeit. Deutsches Gewicht muß eingebracht werden für die militärische Deeskalation, für die Bestrafung der Profiteure des Todes und für die Rückkehr zur Politik bei der Gestaltung einer friedlichen Zukunft in Nahost. Vorbedingung für eine zukünftige, positive Rolle Deutschlands bei dieser Gestaltungsaufgabe ist die sofortige Beendigung des Krieges. Alles redet nun über den "Solidarbeitrag", den die Bevölkerung für die Kriegsführung zu leisten hätte. Sollte stattdessen nicht die Rüstungsindustrie zu einer Sondersteuer für den ökologischen, ökonomischen und sozialen Wiederaufbau in Nahost herangezogen werden?
Die jetzt zu diskutierenden Aktionen gegen den Krieg sind auch eine Möglichkeit, das Gewicht der in der Regel unbeteiligten und unschuldigen Volksmassen in die internationale Politik einzubringen. Konsequente Demokratisierung und Zivilisierung der internationalen Politik bleiben, wie gerade die Vorgeschichte dieses Krieges zeigte, auf der Tagesordnung. Die bislang hauptsächlich theoretisch diskutierte Arbeit der "Volksdiplomatie", nur mühsam in der deutsch-sowjetischen Aussöhnungsarbeit der Friedensbewegung und in der Prager Helsinki-Bürgerversammlung vom vergangenen Herbst praktiziert, könnte hier als Konzept auf eine konkrete Nagelprobe gestellt werden. Die Diskussionen in allen beteiligten Ländern bieten Chancen an einem konkreten Punkt die schwierige Aufgabe der Internationalisierung der Friedensbewegung anzugehen.
Ansatzpunkte sind die auch von den Bewegungen in der Türkei, in Israel, mit der irakischen Opposition zu führende Kriegsfolgendiskussion. Dabei muß auch die US-Friedensbewegung teilnehmen. Die Gespräche mit arabischen gesellschaftlichen Gruppen müssen den Boden bereiten für friedensfähige Lösungen nach dem Krieg. Es gilt, die neu entstehenden Feindbilder, die sich aus diesem, zum ersten Mal militärisch ausgetragene Nord-Süd-Konflikt bereits jetzt ergeben, zu bekämpfen. Jede Menge Ansatzpunkte für Gestaltungsarbeit also. Diese wird durch keine Regierung geleistet werden können.
Der aktuell notwendig gewordene Strukturwandel zu einer Antikriegsbewegung macht aber die Suche nach positiven Alternativen, nach einer neuen Weltfriedensordnung, die auf politischer Konfliktlösung basiert, nur noch dringlicher. Der Pseudorealismus der herkömmlichen Machtpolitik, als dessen zeitverzögerter Nachahmer sich jetzt Saddam Hussein ins Bild setzte, ist tödlich geworden. Die Art von Realismus, die sich am Golf austobt, ist vielmehr die Negation der Negation: Die Tatsache, daß der Krieg trotz vorhandener politischer Alternativen von der Allianz begonnen und trotz aller vorhersehbaren, grauenvollen Konsequenzen geführt wird, macht einsehbar, daß er seine Funktion als Vollender von Politik eingebüßt hat.
Von nicht wenigen in der Friedensbewegung wurde die Diskussion um einen positiven Friedensbegriff als amüsanter Zeitvertreib für eine beschäftigungslose Übergangszeit gesehen, bis man sich wieder auf realistische, handfeste Probleme, auf die Hardware in Militär und Industrie stürzen kann. Das ist absolut notwendig und sicher in einem stärkeren Umfang als bisher. Aber vielleicht ist gerade heute nichts realistischer als eine neue positive Weltfriedensutopie. Und wer außer der internationalen Friedensbewegung sollte sie entwerfen?