Der Hiroshimatag 2007: Erinnern an einen historischen Einschnitt

von Mathias Maas
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Zum Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki fanden am 6. August weltweit Veranstaltungen statt, um dem schrecklichen Ereignis zu gedenken und gegen die Gefahren einer nuklearen Sicherheitspolitik zu protestieren. Seit Ende des Kalten Krieges war es nicht mehr so wahrscheinlich, dass sich "Hiroshima" wiederholen könnte.

"Die Kraft, aus der die Sonne ihre Macht bezieht, ist auf diejenigen losgelassen worden, die dem Fernen Osten Krieg brachten", so unterrichtete der US-amerikanische Präsident Harry S. Truman die Welt vom ersten Kriegseinsatz der neuentwickelten Atombombe am 6. August 1945. Der Angriff traf in erster Linie Zivilisten in einer Stadt, die bis dato von großangelegten Bombenangriffe verschont geblieben war. Insgesamt, so schätzt man heute, wurden durch "Little Boy" 240.000 Menschen getötet. Drei Tage später wurde das Inferno in Nagasaki mit dem Abwurf einer zweiten Bombe wiederholt. Hiroshima und Nagasaki wurden damit zum Fanal einer Epoche, die sich durch ein irrwitziges nukleares (sowie konventionelles) Wettrüsten als auch einer Sicherheits- und Verteidigungspolitik auszeichnete, die maßgeblich auf einer Strategie der Androhung, Planung und Vorbereitung der gegenseitigen Zerstörung (MAD, Mutual Assured Destruction) basierte.

Die internationale Gemeinschaft gedenkt und mahnt
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, spricht damit in einem Grußwort zum Anlass des 62. Jahrestages der Atombombenabwürfe nur zu Recht vom 6. August 1945 als einem "historischen Einschnitt". Er ist einer von vielen Menschen, die jährlich zum Jahrestag der schrecklichen Ereignisse gedenken und mahnen. Neben dem internationalen Städtebündnis "Mayors for Peace", das 1982 vom Bürgermeister von Hiroshima, Takeshi Araki, gegründet wurde und sich der Förderung von Frieden und einer atomwaffenfreien Welt verschrieben hat, waren Gewerkschaften, Kirchen und lokale sowie regionale Friedensgruppierungen aktiv an der Gestaltung des Gedenktages beteiligt. Allein in Deutschland fanden 72 Veranstaltungen statt (für eine detaillierte Übersicht der Veranstaltungen siehe auch: http://www.friedenskooperative.de/hir07terges.htm).

Die Stadt Hannover etwa lud zu einer Reihe von Aktionen und Veranstaltungen. Der Oberbürgermeister Stephan Weil bekräftigte dort, dass "das Versprechen [erneuert werde] alles zu tun, dass so etwas nicht noch einmal geschieht". In Fürth bedankte sich der japanische Großkonsul Shigeharu Mayurama für das langjährige Engagement der Stadt, welche bereits 1984 den "Mayors for Peace" beigetreten war und seitdem alljährlich für die Erinnerung an die Atombombenwürfe kämpft. Er wies zudem auf die Gefahren für die internationale Gemeinschaft hin, die sich aus der Proliferation von Nuklearwaffen ergibt: "Im vergangenen Jahr hat sich das internationale Umfeld der Atomwaffen sehr verändert".

Neben Redebeiträgen gab es allerhand weitere kulturelle und künstlerische Aufarbeitungen des Themas, von Tänzen über Filme bis hin zu Ausstellungen. In Wuppertal wurden am Rathaus 20.000 Origami-Faltkraniche mit Friedensbotschaften aus aller Welt ausgestellt. In Kassel und Oldenburg wurde in japanischer Tradition der Opfer gedacht, indem schwimmende Lichter ins Wasser gelassen wurden.

Der Jahrestag wird zudem alljährlich zum Protest gegen aktuelle Gefahren der atomaren Rüstungs- und Sicherheitspolitik genutzt. In Cochem, das 5 Km von Büchel entfernt liegt, dem letzten Standort atomarer Sprengköpfe in Deutschland, veranstaltete der Initiativkreis gegen Atomwaffen einen Demonstrationszug. Simon Harak, eine bekannte Persönlichkeit aus der US-amerikanischen Friedensbewegung, trat im Rahmen seiner Deutschlandtour hier als Gastredner auf. Auf weiteren Aktionen in ganz Deutschland, darunter München, Köln, Ramstein und Büchel selber, wurde zu einer atomwaffenfreien Welt aufgerufen. Zusammen forderte man zudem den Abzug der verbliebenen 20 Atomwaffen aus Deutschland, ein Ende der Partizipation von Bundeswehrpiloten und -Jagdbombern bei Planung und Training von Atomwaffeneinsätzen, sowie den Austritt Deutschlands aus der Nuklearen Planungsgruppe der Nato. Laut dem CDU-Bundestagsabgeordneten Günter Wimmer, der in München redete, wird damit "faktisch [...] auf deutschem Militärgelände durch Weitergabe bzw. Annahme gegen den Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag eklatant verstoßen".

Aktualität und Brisanz des Themas
Das "Bulletin of the Atomic Scientists", eine Vereinigung einflussreicher Wissenschaftler, hat unlängst auf die gestiegene Gefahr einer nuklearen Eskalation hingewiesen, indem es seine berühmte "Doomsday Clock" auf fünf Minuten vor 12 Uhr stellte. Damit reagierte man auf die iranischen und nordkoreanischen Atomprogramme, auf ungesichertes Atommaterial in Russland und anderswo, sowie die gestiegene Nachfrage nach Atomenergie. Seit Entwicklung der Atomwaffen hat sich der einst exklusive Kreis der Nuklearwaffenbesitzer von fünf auf neun - Israel und Nordkorea miteingenommen - erweitert. Daneben melden weitere Länder wie der Iran oder Brasilien Interesse an einem nuklearen Rüstungsprogramm an.

Noch immer scheinen sicherheitspolitische Akteure in gefährlichem geostrategischen Denken verhaftet. Staaten streben nach Macht, auch und gerade in Form von Nuklearwaffen. Kenneth N. Waltz, einflussreicher Vertreter der (neo-)realistischen Schule, zweifelt sogar an der Problematisierung der Proliferation von Nuklearwaffen. Demnach wäre ein internationales System, in dem jeder Staat über die Fähigkeit der ultimativen Abschreckung verfüge, äußerst stabil. Kriege wären, entsprechend einer Kosten-Nutzen-Kalkulation, kein effektives Instrument der Außenpolitik mehr. Dieses Sicherheitsparadigma erklärt zwar die destabilisierende Wirkung auf das internationale Staatensystem durch die einseitige Aufstellung einer Raketenabwehr (wie derzeit von den USA betrieben), andererseits erschöpft sich die kritische Aussagekraft einer solchen systemischen Theorie der internationalen Beziehungen hier bereits. Ausgeklammert werden irrationales Handeln von Staaten, die Relevanz nicht-staatlicher Akteure, sowie simple Zu- oder Unfälle, die einem Verständnis, basierend auf dem Ideal des homo oeconomicus, entzogen sind.

Zudem werden Nuklearwaffen in einem veränderten US-amerikanischen Sicherheitsparadigma andere Rollen zugewiesen. Sicherheit wird im Zeitalter eines "permanent state of emergency" nicht mehr durch Abschreckung erreicht, sondern durch proaktives Handeln, das auf die Rekonfiguration der Umwelt ausgerichtet ist. Im Zeitalter des Terrorismus lässt sich durch die Androhung von Gewalt Gefahr nicht mehr eindämmen. Das Horrorszenario eines nuklearen Terroranschlages auf amerikanischem Boden treibt das Pentagon zu Überlegungen, in denen Atomwaffen in der Militärdoktrin eine entscheidende Rolle zukommen. Sogenannte "Mini-Nukes", Nuklearwaffen mit einer eingeschränkten Wirkungskraft, sollen nicht nur gegen Schurkenstaaten, sondern auch gegen nicht-staatliche Akteure eingesetzt werden. Somit wird ein Nuklearwaffeneinsatz wahrscheinlicher; die Hoffnungen auf eine atomwaffenfreie Welt nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich nicht erfüllt.

Die Veranstaltungen zum Hiroshimatag leisten hierbei einen wichtigen Beitrag, um auf die Gefahren der nuklearen Sicherheitspolitik aufmerksam zu machen und letztendlich zu einem Umdenken im sicherheitspolitischen Diskurs beizutragen.

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