Deutsch-Serbische Begegnung in Kragujevac

von Peter Gerlinghoff
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Eine Abordnung der Berliner Friedensbewegung nahm an der Gedenkveranstaltung in Kragujevac teil. Am 21. Oktober wurde dort an ein Massaker erinnert, bei dem die deutsche Wehrmacht vor 55 Jahren an einem einzigen Vormittag mehrere Tausend Zivilisten hinrichtete. 1941 war im besetzten Serbien ein Aufstand ausgebrochen. Die Partisanen konnten ganze Gebiete befreien und gefährdeten damit indirekt den deutschen Angriff auf die Sowjetunion.
Hitler und Keitel erließen daraufhin den berüchtigten "Geiselmordbefehl", der festlegte, daß für jeden gefallenen deutschen Soldaten 100 und für jeden Verwundeten 50 Zivilpersonen erschossen werden sollten. Um den serbischen Aufstand im Keim zu ersticken, wurde am 21. Oktober 1941 in Kragujevac ein Exempel statuiert. Das Verbrechen erhielt auch dadurch einen besonderen Akzent, daß zu den etwa 7000 ermordeten Zivilpersonen 300 Schüler gehörten. Die Kinder wurden direkt von der Schulbank zum Erschießungsplatz geführt. Heute sind die sterblichen Überreste der Erschossenen in 33 Gräbern bestattet, um die herum ein großer innerstädtischer Gedenkpark "Sumarice" entstanden ist. Dieses tragische Kapitel ist für alle Einwohner der Stadt lebendige Vergangenheit geblieben.
Zum ersten Mal nahmen Vertreter der deutschen Öffentlichkeit an den Gedenkveranstaltungen in Kragujevac teil. Einer Feierstunde im Stadtparlament folgte der "Parastos", ein von zwei Bischöfen der Serbisch-Orthodoxen Kirche an den Gräbern der Ermordeten zelebrierter Gottesdienst. In den weitläufigen Parkanlagen waren mehrere zehntausend Menschen zusammengekommen, um ihrer Toten zu gedenken. Die Anwesenheit einer deutschen Delegation erregte besondere Aufmerksamkeit. Im größten Kinosaal der Stadt wurde eine Podiumsdiskussion mit den Vertretern der Berliner Friedensbewegung arrangiert. Den Meinungsaustausch über das deutsch-serbische Verhältnis seit dem 1. Weltkrieg bis heute unterbrach eine erregte Stimme aus dem Publikum: "Warum hat es so lange gedauert, bis ihr gekommen seid? Was wisst ihr in Deutschland eigentlich über uns und über das, was eure Soldaten hier angerichtet haben?" Ein Augenzeuge, der als Kind gesehen hatte, wie die Menschen, darunter Vater und Bruder, in langen Kolonnen zur Hinrichtung getrieben wurden: "In meinem Herzen ist Trauer und Wut, wenn ich könnte, würde ich eine Bombe werfen." Diesen bewegenden Äußerungen folgten viele Beiträge, die sich so zusammenfassen lassen: Vergessen wäre ein neues Verbrechen, aber die Serben wissen auch zu verzeihen. Es ist notwendig und im beiderseitigen Interesse, daß Deutschland und Jugoslawien konstruktive, vertrauensvolle Beziehungen entwickeln.
Kragujevac ist heute eine moderne Industriestadt. Die Zastava-Werke, der größte Automobilhersteller auf dem Balkan, leiden jedoch schwer unter den Folgen der Sanktionen und der Zerstörung des jugoslawischen Wirtschaftsraums. Nach dem Gedenktag wurde ein ausgesetzter Streik wieder aufgenommen. Arbeitslose und Kurzarbeiter fordern von der Regierung in Belgrad wirkungsvollere Schritte zur Wiederbelebung und Reform des Wirtschaftslebens. Zu den Gesprächspartnern der Berliner Delegation gehörten ferner der Bischof Irineus (Novi Sad), der Widerstandskämpferverband SUBNOR, die oppositionelle Zeitung "Nezavisna Svetlost", eine "Schule für den Frieden", Vertreter der Akademie der Wissenschaften sowie ein Waisenheim für Kinder aus Kroatien und Bosnien, die beide Elternteile im Krieg verloren haben. Die Delegation übergab dort eine Spende in Höhe von 15.000,- DM. Information über geplante Aktionen und Projekte über "Deutsch-Serbische Begegnung" c/o Siegfried Burmester, 10707 Berlin, Pommersche Straße 12a, Tel.: 030/8732765
Buchinweis:
Kragujevac - Oktober 1941, Eine Stadt mahnt: Vergessen wäre ein neues Verbrechen, von Miodrag Stojilovic, Edition Neue Wege, Postfach 150 567, 10667 Berlin, 12,- DM, ISBN3-88348-041-X

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