Aufrüstungs-(Alb)Träume

Deutschland als „Gestaltungsmacht“

von Otmar Steinbicker
Im Blickpunkt
Im Blickpunkt
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat in einer Grundsatzrede in der Universität der Bundeswehr in München dafür plädiert, dass Deutschland zur „Gestaltungsmacht“ werde und das vor allem durch den Ausbau und den Einsatz militärischer Mittel. Ein Nationaler Sicherheitsrat solle gebildet und der Parlamentsvorbehalt eingeschränkt werden, indem, so die Andeutungen der Ministerin, für alle von der UNO, NATO oder von der EU geführten internationalen Operationen Vorratsbeschlüsse, z.B. durch jährliche Abstimmungen gefasst werden.

Präsenz zeigen solle die Bundeswehr dabei auf dem afrikanischen Kontinent und sogar in Konfrontation mit China bis in den indopazifischen Raum. Im Übrigen müsse das Spektrum militärischer Mittel zusammen mit den Verbündeten auch ausgeschöpft werden. Dass mit einer solch bewusst unscharfen Formulierung eine deutliche Orientierung auf verschärfte Kampfeinsätze gemeint ist, denen die Bundeswehr z.B. im Afghanistankrieg eher aus dem Wege ging, darf nicht unerwähnt bleiben.

Finanziert werden solle diese offensive Militärpolitik durch das Erreichen des 2%-Ziels der NATO bis spätestens 2031. Ab 2024 solle der Verteidigungshaushalt daher kontinuierlich ansteigen.

Bemerkenswerterweise räumt die Ministerin in der Aufzählung der Verbündeten Deutschlands den USA den ersten Platz ein. Erst an zweiter Stelle nennt sie die EU. Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 sei es, „die europäische Zusammenarbeit in der Verteidigung“ zu verstärken. Im Unterschied zu französischen Vorstellungen sei „die Europäische Verteidigungsunion immer auf die Zusammenarbeit mit der NATO ausgerichtet, die der Anker der Sicherheit Europas“ bleibe.

Wie die gewünschten Militäreinsätze konkret aussehen und welchen definierten Zielen sie dienen sollen, benennt die Ministerin nicht. Da bleibt sie lieber vage. Ihr letzter relativ konkreter Vorschlag von Ende Oktober 2019 für einen Bundeswehreinsatz in Syrien war zu schnell von den ExpertInnen als illusionär und abseits der Realitäten zerrissen worden. Die aktuellen vagen Andeutungen sind nicht besser.

In der Diskussion mit verantwortlichen und verantwortungsbewussten Militärs gibt es immer wieder einen wichtigen Konsens: Militär kann keinen Frieden schaffen. Militär kann allenfalls Zeit gewinnen, damit PolitikerInnen Frieden schaffen können. Damit liegt das Primat zweifellos bei der Politik, und Militäreinsätze bleiben ein politisches Mittel. Sie sind weder Selbstzweck noch wundersames Allheilmittel.

Der Bundeswehr steckt immer noch der nach achtzehn Jahren noch immer nicht beendete und auch nicht  aufgearbeitete Afghanistankrieg in den Knochen. Dort sollte das Militär wahre Wunder bewirken und eine ganze Gesellschaft umfunktionieren. Statt kulturelle Traditionen zu beachten, sollte das Land möglichst am deutschen Wesen genesen. Das ging gründlich schief. Verantwortliche Generäle hatten das frühzeitig kommen sehen, doch die Bundesregierungen nahmen ihre Warnungen nicht ernst.

Wer heute ernsthaft über Militäreinsätze diskutieren will, muss jeden einzelnen denkbaren Einsatz im konkreten Fall eines Konfliktes durchdeklinieren und Fragen beantworten: Worin besteht der Konflikt? Wie sieht eine politische Lösungsperspektive aus? Erst wenn eine realistische und überzeugende Perspektive gefunden ist, kann sinnvoll über eine Wahl der Mittel nachgedacht werden, die zur Erreichung einer Zielstellung sinnvoll sind. Ob da ein Militäreinsatz nach allen bisherigen Erfahrungen überhaupt sinnvoll sein kann, darf bezweifelt werden. Wer dennoch dafür plädieren will, muss sich Fragen nach Stärke, Dauer, Folgen und auch nach Exitstrategien für den Fall des Scheiterns gefallen lassen.

Wesentlich sinnvoller als militärische Kraftmeiereien à la Kramp-Karrenbauer ist eine Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik auf die Prävention von Konflikten. Da sind andere Fähigkeiten und Ressourcen gefragt als beim Militär. Da darf Deutschland als Teil des Westens andere Weltgegenden eben nicht länger als Ziel militärischer Interventionen betrachten, sondern muss Staaten mit anderen Kulturen als gleichberechtigte Partner mit eigenständigen Interessen und Werten achten.

Auch die in politischen Debatten so beliebte Aufteilung der politischen Akteure in der Welt in „Gut“ oder „Böse“ – mit teils zweifelhaften Kriterien und nicht selten zweierlei Maß – muss einem realistischen Blick auf politische und ökonomische Interessen weichen. Schließlich verfolgt auch Deutschland Interessen, die von anderen Ländern nicht ohne Grund als für sie schädlich betrachtet werden.

Wenn Deutschland mehr Verantwortung in der Welt wahrnehmen will und muss, dann reicht es nicht allein aus, auf die untaugliche Anwendung militärischer Mittel zu verzichten, dann müssen auch politische und diplomatische Mittel entwickelt werden, um solche politischen Lösungen von Konflikten zu ermöglichen. Dazu ist die Mitwirkung der Friedensforschung und der Friedensbewegung unabdingbar.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de