Friedensengagement und psychische Gesundheit

Die Friedensbewegung der 1980er Jahre

von Klaus BoehnkeBecky WongMandy Boehnke

Der Beitrag fasst Ergebnisse einer Langzeitstudie zu psychischem Wohlbefinden und politischem Engagement von jugendlichen AktivistInnen und SympathisantInnen der Friedensbewegung der 1980er Jahre zusammen . In den frühen 1980er Jahren hatte der Kalte Krieg seinen letzten Höhepunkt. Die Sowjetunion brachte als Reaktion auf die von den Warschauer Vertragsstaaten als solche wahrgenommenen Aufrüstungsbemühungen der Nato SS-20-Raketen auf dem Boden der DDR in Stellung. Der Westen reagierte hierauf, indem er Pershing II und Marschflugkörper auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland auf­stellte und dies Nachrüstung nannte. Die Friedensbewegung organisierte gegen diese Aufrüstung im Westen und mit einigen lokalen Aktivitäten in der DDR massenhaften Widerstand. Es gab Demonstrationen mit über einer Million TeilnehmerInnen in Bonn. Die Regierung Schmidt stürzte über den gesellschaftlichen Konflikt um die Nachrüstung.

PsychologInnen und ÄrztInnen fragten sich, ob die Gefahr eines Atomkriegs die psychosoziale Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen gefährde. Die Forschung zum Thema „Folgen von politisch begründeter Bedrohung“ nahm dabei oft eine alarmistische Position ein; sie erwartete erhebliche gesundheitliche Auswirkungen von „makrosozialem Stress“, also Stress, der durch gesellschaftliche Umstände und politische Entscheidungen hervorgerufen wird. Zwar zeigten frühe Studien, dass Kinder und Jugendliche überall auf der Welt sehr besorgt über die Möglichkeit eines Atomkriegs waren. Schnell wurde allerdings klar, dass sich für einen einfachen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Besorgnis um die Bedrohung des Friedens und einer schlechten psychosozialen Befindlichkeit kaum Belege finden ließen. Mehrere Studien zeigten im Gegenteil, dass diejenigen Kinder und Jugendlichen, die sich die größten Sorgen machten, diejenigen mit der besten psychischen Gesundheit waren. Ausgehend von diesem Befund sucht der hier vorgelegte Beitrag zu zeigen, dass Angst um den Frieden und entsprechender Aktivismus im Jugendalter positive Langzeitwirkungen im Bereich der psychischen Befindlichkeit hat und dem lebenslangen politischen Engagement förderlich ist.

Eine Studie, die der Erstautor 1985 zusammen mit Horst Petri, Michael Macpherson und Margarete Meador begann und die aktuell zum achten Mal damals jugendliche AktivistInnen und SympathisantInnen der Friedensbewegung befragt, kann Auskunft über Langzeitauswirkungen von Kriegsängsten geben. Sie ermöglicht aber auch eine Antwort auf die Frage, was lebensperspektivisch aus dem politischen Engagement der AktivistInnen von 1985 geworden ist.

Zunächst ein beschreibender Blick auf die Studie selbst. Im Jahre 1985 wurde mit Unterstützung der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) ein Projekt mit dem Titel "Leben unter atomarer Bedrohung (Bundesweite Befragung)" (Petri, Boehnke, Macpherson & Meador, 1986) ins Leben gerufen. Nach einer Art Schneeballsystem wurden im Sommer 1985 Fragebögen von insgesamt 3.499 Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 20 Jahren (Durchschnitt 14 Jahre) gesammelt. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ für die westdeutsche Jugend der damaligen Zeit; eher bildet sie das jugendliche SympathisantInnen- und AktivistInnenmilieu der Friedensbewegung ab. Von allen 3.499 TeilnehmerInnen der Erstbefragung 1985 waren 1.492 bereit, ihre Adresse im Fragebogen zu vermerken. Von diesen potentiellen LängsschnittteilnehmerInnen erklärten sich dann 837 dreieinhalb Jahre später – im Winter 1988/89 – tatsächlich bereit, an einer Wiederbefragung teilzunehmen. Von diesen sind nach weiteren Befragungen im Sommer 1992, im Winter 1995/96, im Sommer 1999 und im Winter 2002/03 in der siebten Befragungswelle im Sommer 2006 noch 220 dabei. Die achte Befragungswelle wird aktuell durchgeführt. Es handelt es sich bei den verbliebenen BefragungsteilnehmerInnen um eine sehr gut ausgebildete Stichprobe (etwa 85% der Befragten haben mindestens ein Abitur); Frauen überwiegen (60%). Die bei Befragungsbeginn im Durchschnitt 14-Jährigen sind 2006 zwischen 30 und 40 Jahren alt.

Die in diesem Beitrag gebotene Kürze erlaubt es nicht, den verwendeten Fragebogen in umfänglicher Weise vorzustellen. Schwerpunkt des nachfolgenden Berichts sind je fünf Fragen zu persönlichen und zu politischen Ängsten, die Frage, für wie wahrscheinlich man 1985 einen Atomkrieg hielt und in welchem Umfang man sich damals und in den sechs nachfolgenden Befragungen politisch engagiert hat. Die fünf Fragen zu persönlichen Ängsten bezogen sich auf Probleme in Schule, Studium oder Beruf, das eigene Aussehen, die Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden, den Tod der Eltern und den eigenen Tod. Die fünf Fragen zu politischen Ängsten bezogen sich auf zunehmende Umweltzerstörung, Hunger in der Welt, einen Atomkrieg, die Explosion eines Atomkraftwerks und Probleme der Überbevölkerung. Der Mittelwert für persönliche Ängste lässt sich als Indikator für eine schlechte psychische Gesundheit interpretieren, der Mittelwert für politische Ängste steht für hohe emotionale Berührtheit durch politische Bedrohungen.

Die 1985 gestellte Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs hatte vier Teilfragen nach der Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs „im nächsten Jahr“, „in den nächsten fünf Jahren“, „in den nächsten 20 Jahren“ oder „zu Lebzeiten“ der Befragten. Aus den vier Fragen wurde ein Index gebildet, der es ermöglichte, die TeilnehmerInnen hinsichtlich der – hohen vs. niedrigen – subjektiven Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs in zwei gleichgroße Gruppen einzuteilen.

Zum politischen Engagement wurden die TeilnehmerInnen in den Befragungswellen 1 und 2 u. A. dazu befragt, ob sie an Aktivitäten der Friedensbewegung teilgenommen haben (ja/nein). Ab Welle 3 gab es eine detailliert ausformulierte Frage zum Grad des politischen Engagements.

Ein erster oberflächlicher Blick auf die Ergebnisse über 21 Jahre hinweg zeigt, dass die Befragten über diese Zeit eine verbesserte psychische Gesundheit (weniger persönliche Ängste) erlangen, weniger emotional auf politische Bedrohungen reagieren und sich – bei in etwa gleichbleibendem Interesse an Politik – weniger politisch engagieren (waren es zu Beginn der Studie etwa eine Drittel der Befragten, die sich aktiv in der Friedensbewegung engagiert hatten, gab es 2006 nur noch 7%, die sich als politisch aktiv bezeichneten). Diese – statistisch signifikanten – Ergebnisse entsprechen im Großen und Ganzen dem, was PolitikwissenschaftlerInnen und EntwicklungspsychologInnen erwarten würden, doch lohnt sich ein genauerer Blick.

Die Stichprobe der Befragten umfasste nämlich, obwohl in Gänze dem SympatisantInnen-Milieu zuzuordnen, nicht nur Personen, die in ihrer Jugendzeit in der Friedensbewegung aktiv waren, sondern auch inaktive SympathisantInnen mit einer unterschiedlich starken Affinität zur Friedensbewegung. Betrachtet man AktivistInnen und Nicht-AktivistInnen getrennt, so wird deutlich, dass AktivistInnen sich in ihrer psychischen Gesundheit über 21 Jahre stärker verbessern als Nicht-AktivistInnen: Sie artikulieren über die Zeit im Vergleich zu Nicht-AktivistInnen zunehmend weniger persönliche Ängste. Gleichzeitig nimmt ihre emotionale Betroffenheit durch politische Bedrohungen in geringerem Maße ab als die von Nicht-AktivistInnen.

Überdurchschnittlich ausgeprägt ist der Trend zu einer über die Jahre verbesserten psychischen Gesundheit bei denjenigen AktivistInnen, die 1985 die subjektive Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs als besonders hoch erlebten. Wer also eine große Gefahr sah und durch Teilnahme an Aktivitäten der Friedensbewegung etwas zur Minimierung dieser Gefahr beizutragen versuchte, hat lebensperspektivisch für seine psychische Gesundheit etwas Gutes getan.

Im Bereich des lebenslangen politischen Engagements ist die Situation etwas komplexer. Hier ist es keineswegs der frühe – tatsächliche – politische Aktivismus (etwa durch Teilnahme an Demonstrationen schon im Jugendalter), der lebensperspektivisch politisches Engagement fördert, sondern es ist die frühe hohe emotionale Betroffenheit, es sind die ausgeprägten politischen Besorgnisse im Jugendalter, die späteres politisches Engagement vorhersagen lassen.

Ist nun friedenspolitisches Engagement im Angesicht einer großen wahrgenommenen Bedrohung ursächlich für eine positive Entwicklung der psychischen Gesundheit? Ist hohe emotionale Berührtheit die Ursache für lebenslanges politisches Engagement? So einfach ist es sicher nicht. Eher sollte man die Befunde so interpretieren, dass politisches Engagement im Angesicht einer großen Bedrohung eine gesunde Lebensstrategie ist, die positiv auf viele Lebensbereiche ausstrahlt und so auch der eigenen psychosozialen Befindlichkeit langfristig zuträglich ist: Der Schlüssel für eine gute psychische Gesundheit scheint darin zu liegen, Bedrohungen aktiv anzugehen und zu bewältigen zu versuchen. Dies gilt nicht zuletzt auch für den politischen Bereich.

Literatur
Boehnke, K. & Boehnke, M. (2005). Once a peacenik—always a peacenik? Results from a German six-wave, twenty-year longitudinal study. Peace and Conflict: Journal of Peace Psychology, 11, 337-354.

Boehnke, K. & Wong, B. (2009). Adolescent political activism and life-time happiness: Insights from a 21-year longitudinal study. Personality and Social Psychology Bulletin, in Begutachtung.

Petri, H., Boehnke, K. Macpherson, M.J. & Meador, M. (1986). Bedrohtheit bei Jugend­lichen. Psychosozial, 9 (29), 62‑71.

 

Der Beitrag fasst Ergebnisse zweier Arbeiten von Boehnke und Boehnke (2005) und Boehnke und Wong (2009) zusammen. Diesen Originalpublikationen sind auch alle statistischen Details zu entnehmen. Der zweitgenannte Text ist in Begutachtung und kann von den Verfassern auf Anfrage übersandt werden.

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Schwerpunkt
Prof. Dr., geb. 1951, studierte Eng¬lisch, Russisch und Psychologie; Promotion (1985, TU Berlin) und Habilitation (1992, FU Berlin) in Psychologie; 1993 bis 2002 Professor für Sozialisationsforschung, Institut für Soziologie, TU Chemnitz; seit 2002 Professor für Social Science Methodol¬ogy, Jacobs University Bremen, seit 2007 Prodekan der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS). Email: K.Boehnke@jacobs-university.de.
Studierende der Psychologie an National University of Singapore, geb. 1988; Auslandsemester (2009) an der University of Auckland, Neuseeland. Email: u0703253@nus.edu.sg
Dipl.-Soz., geb 1976, studierte Soziologie, Psychologie und Volkswirtschaft an der TU Chemnitz, derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Empirische und Angewandte Soziologie (EMPAS) der Universität Bremen. Email: Boehnke@empas.uni-bremen.de.