Leben an der Grenze:

Die Geschichte der Slowenen in der Steiermark

von Christian PromitzerChristian Stenner
Schwerpunkt
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Was muß passieren, damit eine Sprachgruppe, die noch vor 100 Jahren in den Gebieten um Radkersburg, Leutschach und auf der Soboth zwi­schen einem Viertel bis nahezu 90% der Bevölkerung bildete, zur "Vergessenen Minderheit" (so der Titel einer Dokumentation des süd­steirischen Filmemachers Franz L. Schmelzer) wird?

Die Ausstellung "Die Geschichte Slo­wenen in der Steiermark" erstellte vom Verein "Alpen Adria Alternativ" mit Unterstützung durch die Österrei­chische Gesellschaft für Politische Bil­dung, die Kulturabteilung der Steier­märkischen Landesregierung und das Dr.-Karl-Renner-Institut Steiermark, versucht anhand einer Vielzahl bis jetzt unveröffentlichter Dokumente eine Antwort darauf zu geben.

Die Sprache wird zum Unterschei­dungsmerkmal

"Nennen`S meinen Namen ja nicht", bittet uns eine Frau aus dem Bezirk Radkersburg-Umgebung, bei der wir auf Besuch sind, um die aus der Zwischen­kriegszeit stammenden Aufzeichnungen ihrer Mutter zu fotografieren. Das wei­tere Gespräch ist aufschlussreich: Hat Frau N. auf unsere direkte Frage zunächst erklärt, sie verstehe kaum noch Slowenisch, so wird im Laufe unserer Plauderei klar, daß sie sich mit ihrem Mann zumindest fallweise in beiden Sprachen unterhält; ähnliche Feststel­lungen konnten wir bei älteren Men­schen in der Leutschacher Gegend tref­fen.

Dabei liegt der Beginn der Zurückdrän­gung des Slowenischen (die ein Pendant in der Zurückdrängung des Deutschen in der ehemaligen Untersteiermark fand) gar nicht so weit zurück: In vormoder­ner Zeit spielte es kaum eine Rolle, wel­che Sprache die Bevölkerung verwen­dete; wichtig war einzig, daß der Bauer (und die SlowenInnen in den genannten Gebieten gehörten vorwiegend zur bäu­erlichen Bevölkerung) seine Abgaben an die Grundherrschaft entrichtete und sich der weltlichen und kirchlichen Ob­rigkeit unterwarf. Zur engeren Bindung der Menschen an die Kirche war es nö­tig, daß der Pfarrer seiner Gemeinde in der Volkssprache predigte - dement­sprechend mußten die Pfarrer in Eibis­wald, Arnfels, Leutschach, Gamlitz, Spielfeld und Radkersburg Deutsch und Slowenisch beherrschen.

Mit dem voranschreitenden Zerfall der alten, feudalen Ordnung und dem all­mählichen Übergang in die moderne Gesellschaft entstanden neue Vorstel­lungen von Zusammengehörigkeit. Das wichtigste Merkmal für die Mitglieder einer zusammengehörenden Gruppe - einer Nation - sei die gemeinsame Mut­tersprache, wurde behauptet. Mit der zunehmenden Wichtigkeit der schriftli­chen Verständigung kam der Schule - und der Unterrichtssprache - immer größere Bedeutung zu. Da in zweispra­chigen Gebieten wie in der Region Leutschach und im Radkersburger Win­kel an den Volksschulen nur auf Deutsch unterrichtet wurde, mußte die zweite Sprache zwangsläufig in den Hintergrund treten. Kinder mit nicht­deutscher Muttersprache wurden im er­sten Schuljahr auf die deutsche Unterrichtssprache "umgestellt" - dies war der erste Schritt zur Assimilierung der stei­rischen SlowenInnen. Eine Ausnahme bildete nur die im unwegsamen Berg­land gelegene Schule von Großwalz bei Leutschach, in der auch nach der Grenz­ziehung nach dem ersten Weltkrieg noch einige Jahre lang zweisprachig unterrichtet wurde

Im Laufe der Zeit machte auch die Kir­che diese Entwicklung mit - die Zahl der slowenischen Predigten .wurde stark re­duziert.

Grenzen entstehen

Der Zerfall Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg und die Errich­tung neuer Grenzen hatten naturgemäß tiefgreifende Auswirkungen auf das nunmehrige Grenzland. Die Besatzung des zweisprachigen Gebiets - und eini­ger nördlich davon gelegener Orte - durch südslawische Truppen, die viele Menschenleben forderte, hat bei den Betroffenen tiefe Spuren hinterlassen und das Zusammenleben über Jahr­zehnte hinweg erschwert. Nach dem Abzug der Okkupanten wurden nicht nur jene verfolgt, die die Besetzung un­terstützt hatten, es verstärkte sich auch das Misstrauen gegenüber allen Men­schen mit slowenischer Muttersprache und der Druck auf sie, sich als "gute Deutsche" zu bekennen.

Mit der neuen Grenze wurden persönli­che wirtschaftliche Beziehungen unter­brochen, einige Gemeinden wurden ge­teilt. Bei manchen Bauern verlief plötz­lich eine Staatsgrenze zwischen Hof und Acker; bis heute gibt es "Doppelbesitzer" mit Ackerland nörd­lich und südlich der Grenze. Durch die Grenzziehung verloren viele - österrei­chische als auch slowenische - Orte ihr Hinterland; bis in die Gegenwart blieb das Grenzland eine Krisenregion.

Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistisch beherrschte Deutschland wurde eine alte Vision deutschnationaler Politiker Realität: Die Wiederangliederung der ehemaligen Untersteiermark. Im Unterschied zu seinen deutschnationalen Vorgängern wollte der Nationalsozialismus die sol­wenischsprachige Bevölkerung nicht "nur" assimilieren, sondern darüber hin­aus durch "völkische Auslese" aus ihren Heimatgemeinden vertreiben. In ihrem Rassenwahn scheuten die Nationalso­zialisten nicht davor zurück, an der Grenzbevölkerung Schädelmessungen vorzunehmen, um die "Deutschen" von den "Nicht-Deutschen" trennen zu kön­nen.

Die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus wäre eine Chance gewe­sen, das Miteinander zweier sprachen im Grenzraum zu fördern. Stattdessen wurden aber die alten Ängste und Ver­drängungsmuster in die neue Zeit über­nommen. Diese wurden zusätzlich durch die Vertreibung der deutschsprachlichen Untersteirer und Gebietsansprüche Ju­goslawiens an Österreich genährt. Die zweisprachige Bevölkerung befand sich damit in einer doppelten Zwangslage: Wer sich zu seiner slowenischen Mut­tersprache bekannte, wurde leicht der ideologischen Nähe zum kommunisti­schen Jugoslawien verdächtigt.

Nach 1945: Der Weg in die einspra­chige Monokultur

War das Slowenische schon seit dem Ersten Weltkrieg aus der Öffentlichkeit verdrängt, so verlor es nun auch seine Bedeutung für den Alltag. Zwar er­kannte die Republik Österreich im Arti­kel VII des Staatsvertrags von 1955 an, daß in der Steiermark Menschen mit slowenischer Muttersprache leben, die auch das Recht auf eigene Schulen und Verwendung ihrer Sprache in Ämtern von Gesetzes wegen einfordern hätten können. Die offizielle Landespolitik leugnete aber die Existenz einer zwei­sprachigen Minderheit ab oder bagatel­lisierte ihre Zahl, weil sich bei den Volkszählungen 1971 und 1991 nur mehr ca. 250 Personen in den Grenzbe­zirken (in der gesamten Steiermark wa­ren es 1991 immerhin ca. 1500) zur slowenischen Muttersprache bekannten. aber: Der gewaltige Unterschied zu den Zahlen von 1939 (1544 Personen allein in den Grenzbezirken Radkersburg und Leibnitz) läßt wohl kaum darauf schlie­ßen, daß die Zweisprachigkeit innerhalb so weniger Jahrzehnte so gut wie ausge­storben ist; vielmehr liegt der Schluss nahe, daß es immer weniger Menschen gibt, die auf amtliche Befragung hin Slowenisch als Umgangssprache ange­ben, obwohl es ihre Muttersprache ist. Die Studien des Marburger Sprachwis­senschaftlers Mirko Krizmann belegen, daß Slowenisch (besser: der örtliche slowenische Dialekt) für die Jugend "nicht mehr eine ethno-kulturelle Identi­fikation, sondern eine Sprache der so­zialen Solidarität im engsten Kreis von Verwandten und Bekannten" darstellt. Ein 50jähriger Bauer aus Sicheldorf drückt das so aus: "Slowenische Sprache zahlt sich net aus."

Grenzen überwinden

Mit dem Umbruch im Osten und Süd­osten Europas und der Unabhängigkeit Sloweniens bestehen günstigere Bedin­gungen dafür, das viele der alten Vor­urteile auf beiden Seiten der Grenze ausgeräumt werden. Die vielen grenz­überschreitenden Initiativen, die einen Beitrag zur guten Nachbarschaft zwi­schen Österreich und der neu entstan­denen Republik Slowenien leisten, könnten eine wichtige Ergänzung durch eine entsprechende Förderung der klei­nen zweisprachigen Bevölkerungs­gruppe diesseits der Grenze erfahren. Die Ausstellung "Die Geschichte der Slowenen in der Steiermark" versteht sich als Beitrag zur Überwindung jener "inneren Grenzen", die einem Miteinan­der noch im Wege stehen.

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Mag. Christian Promitzer ist Historiker und war wissenschaftlicher Leiter des Projekts.