6x jährlich erscheint unsere Zeitschrift "FriedensForum" und informiert über Neuigkeiten aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeheft zu!
Leben an der Grenze:
Die Geschichte der Slowenen in der Steiermark
von
Was muß passieren, damit eine Sprachgruppe, die noch vor 100 Jahren in den Gebieten um Radkersburg, Leutschach und auf der Soboth zwischen einem Viertel bis nahezu 90% der Bevölkerung bildete, zur "Vergessenen Minderheit" (so der Titel einer Dokumentation des südsteirischen Filmemachers Franz L. Schmelzer) wird?
Die Ausstellung "Die Geschichte Slowenen in der Steiermark" erstellte vom Verein "Alpen Adria Alternativ" mit Unterstützung durch die Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung, die Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung und das Dr.-Karl-Renner-Institut Steiermark, versucht anhand einer Vielzahl bis jetzt unveröffentlichter Dokumente eine Antwort darauf zu geben.
Die Sprache wird zum Unterscheidungsmerkmal
"Nennen`S meinen Namen ja nicht", bittet uns eine Frau aus dem Bezirk Radkersburg-Umgebung, bei der wir auf Besuch sind, um die aus der Zwischenkriegszeit stammenden Aufzeichnungen ihrer Mutter zu fotografieren. Das weitere Gespräch ist aufschlussreich: Hat Frau N. auf unsere direkte Frage zunächst erklärt, sie verstehe kaum noch Slowenisch, so wird im Laufe unserer Plauderei klar, daß sie sich mit ihrem Mann zumindest fallweise in beiden Sprachen unterhält; ähnliche Feststellungen konnten wir bei älteren Menschen in der Leutschacher Gegend treffen.
Dabei liegt der Beginn der Zurückdrängung des Slowenischen (die ein Pendant in der Zurückdrängung des Deutschen in der ehemaligen Untersteiermark fand) gar nicht so weit zurück: In vormoderner Zeit spielte es kaum eine Rolle, welche Sprache die Bevölkerung verwendete; wichtig war einzig, daß der Bauer (und die SlowenInnen in den genannten Gebieten gehörten vorwiegend zur bäuerlichen Bevölkerung) seine Abgaben an die Grundherrschaft entrichtete und sich der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit unterwarf. Zur engeren Bindung der Menschen an die Kirche war es nötig, daß der Pfarrer seiner Gemeinde in der Volkssprache predigte - dementsprechend mußten die Pfarrer in Eibiswald, Arnfels, Leutschach, Gamlitz, Spielfeld und Radkersburg Deutsch und Slowenisch beherrschen.
Mit dem voranschreitenden Zerfall der alten, feudalen Ordnung und dem allmählichen Übergang in die moderne Gesellschaft entstanden neue Vorstellungen von Zusammengehörigkeit. Das wichtigste Merkmal für die Mitglieder einer zusammengehörenden Gruppe - einer Nation - sei die gemeinsame Muttersprache, wurde behauptet. Mit der zunehmenden Wichtigkeit der schriftlichen Verständigung kam der Schule - und der Unterrichtssprache - immer größere Bedeutung zu. Da in zweisprachigen Gebieten wie in der Region Leutschach und im Radkersburger Winkel an den Volksschulen nur auf Deutsch unterrichtet wurde, mußte die zweite Sprache zwangsläufig in den Hintergrund treten. Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache wurden im ersten Schuljahr auf die deutsche Unterrichtssprache "umgestellt" - dies war der erste Schritt zur Assimilierung der steirischen SlowenInnen. Eine Ausnahme bildete nur die im unwegsamen Bergland gelegene Schule von Großwalz bei Leutschach, in der auch nach der Grenzziehung nach dem ersten Weltkrieg noch einige Jahre lang zweisprachig unterrichtet wurde
Im Laufe der Zeit machte auch die Kirche diese Entwicklung mit - die Zahl der slowenischen Predigten .wurde stark reduziert.
Grenzen entstehen
Der Zerfall Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg und die Errichtung neuer Grenzen hatten naturgemäß tiefgreifende Auswirkungen auf das nunmehrige Grenzland. Die Besatzung des zweisprachigen Gebiets - und einiger nördlich davon gelegener Orte - durch südslawische Truppen, die viele Menschenleben forderte, hat bei den Betroffenen tiefe Spuren hinterlassen und das Zusammenleben über Jahrzehnte hinweg erschwert. Nach dem Abzug der Okkupanten wurden nicht nur jene verfolgt, die die Besetzung unterstützt hatten, es verstärkte sich auch das Misstrauen gegenüber allen Menschen mit slowenischer Muttersprache und der Druck auf sie, sich als "gute Deutsche" zu bekennen.
Mit der neuen Grenze wurden persönliche wirtschaftliche Beziehungen unterbrochen, einige Gemeinden wurden geteilt. Bei manchen Bauern verlief plötzlich eine Staatsgrenze zwischen Hof und Acker; bis heute gibt es "Doppelbesitzer" mit Ackerland nördlich und südlich der Grenze. Durch die Grenzziehung verloren viele - österreichische als auch slowenische - Orte ihr Hinterland; bis in die Gegenwart blieb das Grenzland eine Krisenregion.
Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistisch beherrschte Deutschland wurde eine alte Vision deutschnationaler Politiker Realität: Die Wiederangliederung der ehemaligen Untersteiermark. Im Unterschied zu seinen deutschnationalen Vorgängern wollte der Nationalsozialismus die solwenischsprachige Bevölkerung nicht "nur" assimilieren, sondern darüber hinaus durch "völkische Auslese" aus ihren Heimatgemeinden vertreiben. In ihrem Rassenwahn scheuten die Nationalsozialisten nicht davor zurück, an der Grenzbevölkerung Schädelmessungen vorzunehmen, um die "Deutschen" von den "Nicht-Deutschen" trennen zu können.
Die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus wäre eine Chance gewesen, das Miteinander zweier sprachen im Grenzraum zu fördern. Stattdessen wurden aber die alten Ängste und Verdrängungsmuster in die neue Zeit übernommen. Diese wurden zusätzlich durch die Vertreibung der deutschsprachlichen Untersteirer und Gebietsansprüche Jugoslawiens an Österreich genährt. Die zweisprachige Bevölkerung befand sich damit in einer doppelten Zwangslage: Wer sich zu seiner slowenischen Muttersprache bekannte, wurde leicht der ideologischen Nähe zum kommunistischen Jugoslawien verdächtigt.
Nach 1945: Der Weg in die einsprachige Monokultur
War das Slowenische schon seit dem Ersten Weltkrieg aus der Öffentlichkeit verdrängt, so verlor es nun auch seine Bedeutung für den Alltag. Zwar erkannte die Republik Österreich im Artikel VII des Staatsvertrags von 1955 an, daß in der Steiermark Menschen mit slowenischer Muttersprache leben, die auch das Recht auf eigene Schulen und Verwendung ihrer Sprache in Ämtern von Gesetzes wegen einfordern hätten können. Die offizielle Landespolitik leugnete aber die Existenz einer zweisprachigen Minderheit ab oder bagatellisierte ihre Zahl, weil sich bei den Volkszählungen 1971 und 1991 nur mehr ca. 250 Personen in den Grenzbezirken (in der gesamten Steiermark waren es 1991 immerhin ca. 1500) zur slowenischen Muttersprache bekannten. aber: Der gewaltige Unterschied zu den Zahlen von 1939 (1544 Personen allein in den Grenzbezirken Radkersburg und Leibnitz) läßt wohl kaum darauf schließen, daß die Zweisprachigkeit innerhalb so weniger Jahrzehnte so gut wie ausgestorben ist; vielmehr liegt der Schluss nahe, daß es immer weniger Menschen gibt, die auf amtliche Befragung hin Slowenisch als Umgangssprache angeben, obwohl es ihre Muttersprache ist. Die Studien des Marburger Sprachwissenschaftlers Mirko Krizmann belegen, daß Slowenisch (besser: der örtliche slowenische Dialekt) für die Jugend "nicht mehr eine ethno-kulturelle Identifikation, sondern eine Sprache der sozialen Solidarität im engsten Kreis von Verwandten und Bekannten" darstellt. Ein 50jähriger Bauer aus Sicheldorf drückt das so aus: "Slowenische Sprache zahlt sich net aus."
Grenzen überwinden
Mit dem Umbruch im Osten und Südosten Europas und der Unabhängigkeit Sloweniens bestehen günstigere Bedingungen dafür, das viele der alten Vorurteile auf beiden Seiten der Grenze ausgeräumt werden. Die vielen grenzüberschreitenden Initiativen, die einen Beitrag zur guten Nachbarschaft zwischen Österreich und der neu entstandenen Republik Slowenien leisten, könnten eine wichtige Ergänzung durch eine entsprechende Förderung der kleinen zweisprachigen Bevölkerungsgruppe diesseits der Grenze erfahren. Die Ausstellung "Die Geschichte der Slowenen in der Steiermark" versteht sich als Beitrag zur Überwindung jener "inneren Grenzen", die einem Miteinander noch im Wege stehen.