Die 'Jungen' kommen!

von Rolfjörg Hoffmann

Der routinierte Fernsehjournalist fragt den Schüler Jens, Teilnehmer der Mahnwache an der US-Botschaft, wie er heute sein Verhältnis zur Frie­densbewegung von '81 einschätze: "Tja”, kann ich nicht sagen." Jens war damals sieben Jahre alt.

 

Der Motor des Protests gegen den Golf­krieg sind die 15- bis 20-J„hrigen. Kaum eine/r ist politisch organisiert. Wählen dürfen viele noch nicht. Auf ei­ner Demonstration waren bisher nur wenige. Aber die Teilnahme an einer Demonstration reicht ihnen nun nicht mehr. Rausschreien möchten viele ihre Angst und ihre Wut, und angehen gegen die Ohnmacht. Sie müssen zusehen, wie die Führer bedeutender Nationen, in ih­ren Wahnsinn einig, die Vernichtung von einhunderttausend Menschenleben beschließen. Eingeschlossen das Elend von Millionen und eine Umweltkata­strophe unvorstellbaren Ausmaßes.

Der Vorwurf des Aktionismus, der der deutschen Friedensbewegung vor einem Jahr noch zu höchstem Lob gereicht hätte, kann den SchülerInnen nicht ge­macht werden. Sie machen keine Aktion um der Aktion willen - sie wollen be­wegen, verändern, aufhalten. Wochen­lang bei -15øC ausharren, um 6.00 Uhr früh aufstehen, nach Hause fahren und duschen, dann unausgeschlafen in die Schule -  das hat keine/r gemacht wegen Lagerfeueratmosphäre und elternfreier Zone.

Beharrlichkeit und 'schnelles Reaktions­vermögen' kennzeichnen diese "junge" Bewegung. Die Mahnwachen suchen sich für jede einzelne Aktion neu ihre UnterstützerInnen und SpenderInnen. Sie nutzen schnell und effektiv alle technischen Kommunikationsmittel, um ihr Anliegen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. So zitierten Tageszeitungen und Fernseh-Nachrichten die Presseerklärung der Mahnwache an der US-Bot­schaft zum Anschlag der RAF in der Nacht des 13.Februar  bereits am näch­sten Morgen.

Neben der aufwendigen Pressearbeit wurden eigene, ungewohnte Aktions­formen gefunden. Die Besetzung von Bahngleisen, Kreuzungen oder Auto­brücken war sicher schonmal da. Aber in einer Stadt wie Bonn vier Mahnwa­chen zwei Monate lang rund um die Uhr aufrechtzuerhalten, bis die Kriegshand­lungen eingestellt wurden, war schon beachtenswert. Ebenso wie die Verlet­zung der Bannmeile um Kanzleramt und Bundestag, und die mehrfache Tolerie­rung durch die  Polizei. In Absprache mit der Polizei war sogar eine 'symbolische' Blockade der US-Bot­schaft möglich, auch wenn sie zeitlich und personell begrenzt war. Überhaupt hat die Kommunikation mit der Polizei während des Golfkriegs erstaunliche Formen angenommen. Die Mahnwa­chen-TeilnehmerInnen stießen bei den vielen politischen Gesprächen ber den Krieg bei den PolizistInnen auf soviel Sympathie und Aufgeschlossenheit für ihr Anliegen, daß  die Einsatzleiter häufig Sorge um die Unparteilichkeit ih­rer BeamtInnen haben mußten.

Kein Wunder, daß auch bei den Demon­strantInnen manchmal die  Rollenverteilung nicht mehr ganz klar war. Aber wenn es um essentielle Interessen geht, bleibt Polizei ausführendes Organ der Staatsmacht und Instrument der Herr­schaftssicherung. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, daß bei den Aktionen gegen den Golfkrieg häufig die gegen­seitigen Vorurteile durchbrochen wur­den, und darin liegt eine Chance: Das Anliegen der Mahnwachen besaß bei den PolizistInnen eine hohe Akzeptanz, weil die Aktionen aus Gründen der Glaubwürdigkeit und inneren Einstel­lung völlig gewaltfrei durchgeführt wurden.

Und die Polizei hat bei den Botschafts-Mahnwachen nicht nur in Kommunika­tion 'gemacht', sondern sie hat sehr kon­kret dazu beigetragen, das Anliegen zu schätzen:

  • So half die Polizei beim Zustande­kommen der Menschenkette zwi­schen der irakischen und der ameri­kanischen Botschaft am 13. Januar.
  • Die amerikanische Botschaft hat massive Versuche unternommen, den aus acht Holzkreuzen bestehenden symbolischen 'Friedhof' der Mahn­wache beseitigen zu lassen, da er sie zu sehr an ihre eigenen Toten erin­nerte. U.a. mit Hilfe der Polizei konnte dies verhindert werden.
  • Nach dem RAF-Anschlag auf die Botschaft sollte die Mahnwache ganz verschwinden, was in einer Verle­gung um 200 Meter endete, weil die Polizei nach ihren Erfahrungen die Mahnwache als Risikofaktor für die Sicherheit der Botschaft ausschloß.

Um es mit den Worten einer der Grün­derInnen der Botschafts-Mahnwachen aus Jena zu sagen: "Dies ist natürlich nicht immer das einzige Richtige - Blockaden und Wegtragen-Lassen ha­ben je nach Situation natürlich Berech­tigung und meine Sympathie."

Die Aktionen gewaltfreien Protests und zivilen Ungehorsams gegen den Golf­krieg haben für die Friedensbewegung in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe ge­setzt. Gerade diese jungen Menschen, ihre Energien und Protestformen, müs­sen wir jetzt gewinnen, zunächst für die Arbeit gegen Rüstungsexporte und die geplante Grundgesetz-Änderung zur Erweiterung des Einsatzgebietes der Bundeswehr.

 

 

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Rolfjörg Hoffmann (Förderkreis Friedenserziehung und Völkerverständigung, Bochum)