Die Einsicht ist begrenzt

Die Kirchen im zerfallenden Jugoslawien

von Herbert Fröhlich
Hintergrund
Hintergrund

Die großen Kirchen in dem zerfallenden Jugoslawien leben mit 'ihren' Völkern. Das große Stichwort ist jeweils das der nationalen Verantwortung. Das wird auch einem Reisenden beim ersten Besuch deutlich. Fragt der Besucher nach - etwa mit Blick auf die gegenwärtige Kriegssituation, so wird ihm eine Geschichtslektion zuteil. Auch wenn sich manches wiederholt, sie erscheint notwendig. Denn die Geschichte eines Landes, dessen Benennung immer verkehrt ist, weil sie einen jeweils verkürzenden Standpunkt einschließt, ist seit Jahrhunderten kompliziert. Aber sie dient auch der Verwirrung im Kampf der Ideologien.

Wenn hier etwas über die Kirchen, über ihre politische Rolle und über mögliche Friedensarbeit in ihrem Einflußgebiet berichtet werden soll, dann ist einzuräumen: die Erfahrungsbasis ist vergleichsweise schmal. Zwei Reisen habe ich im Oktober und im Dezember '91 gemacht. Ich bin dabei durch Ljubljana, durch Zagrab und Varazdin, durch Sarajevo, durch Beograd und Novi Sad gekommen. Den Süden, also die dalmatinische Küste, Montenegro, den Kosovo und Makedonien, habe ich nicht besucht.

Also kann ich nur sehr bedingt etwas über den Islam sagen. Und insofern die Eigenart einer traditionellen Religion sich mindestens so stark in den Gewohnheiten des Volkes darstellt wie in den Aussagen ihrer Theologen und Leitungen, und ich viel mit Theologen, wenig mit Bischöfen und kaum mit 'dem Volk' selbst gesprochen habe, ist eben alles mit Vorsicht zu genießen.

Nähe und Distanz der großen christlichen Kirchen
Die Sprachen der Serben und der Kroaten sind sich ähnlich wie Zwillinge sich ähneln. Aber die einen schreiben kyrillisch, die anderen lateinisch. Anders die Sprache der Slowenen, der Makedonier, der Albaner. Aber wenn der Fremde mit einem serbokroatischen Sprachführer ankommt, so kann er sowohl von dem katholischen als auch von dem orthodoxen Gastgeber eine Korrektur erfahren: diese Sprache gibt es nicht, sie ist (oder war) der untaugliche Versuch der kommunistischen Regierung, die alles gleich machen wollte. Wenn Katholiken Lateiner, wenn Orthodoxe Byzantiner genannt werden, so wurde ein Schimpfwort ausgesprochen, und es werden die jeweiligen Unarten mitgehört. Die Illustration der Schmähungen macht die Geschichte dieses Landstrichs bis zu den Kreuzzügen lebendig. So sind die Völker und ihre Religionen, die ja lediglich Varianten einer Religion sind, einander sehr ähnlich und wünschen in Zeiten wie der jetzigen, einander fremd zu sein.

Verantwortung für das Volk - kroatisch-katholisch
Das Land hatte viele Herrscher. Lange Jahrhunderte regierten die muslimischen Türken. Ein Franziskaner erläutert: Wir hatten über diese Zeit die Aufgabe, nahe bei unserem Volk zu sein, es zu beschützen. Alles andere mußte dahinter zurücktreten. So wird verständlich, daß sich diese Kirche ganz selbstverständlich "kroatisch-katholisch" nennt. Natürlich versteht sie das nicht als Distanzierung gegenüber Rom. Aber sie definiert so ihre Hauptaufgabe. Daß dieselbe katholische Kirche auch in Slowenien existiert, irritiert ebenso wenig wie die Tatsache, daß Bosnien eben nicht Kroatien ist - und gerade dort findet sich die Verbindung: kroatisch-katholisch.

Wer die katholische Kirche aus einem anderen Land kennt, wundert sich über die Machtverhältnisse. Es gibt so viele Franziskanerklöster und so viele Pfarreien, die von Franziskanern betreut werden, daß die Bischöfe in manchen Regionen hinter der Präsenz der Franziskaner zurücktreten. Über die jeweilige nationale Gesinnung oder Friedensarbeit ist dadurch noch nichts ausgesagt, es ist ebenso.

Allerdings, im Gespräch mit Franziskanern ist es leicht, auf Franz von Assisi hinzuweisen, auf seine legendäre Kraft zum Friedenstiften. Während manche mit dem Hinweis auf den früheren Kommunismus und auf dessen Fortsetzung im serbisch dominierten Militär die Erinnerung an den Ordensgründer vom Tisch wischen ("Sind Sie das erste Mal hier?"), kommen andere ins Sinnieren: Es ist richtig, wir haben hier keine Kultur des Friedens. Da wacht eine Sehnsucht auf, ein Interesse an einer Spiritualität des Friedens, Fragen nach den Methoden der Gewaltfreiheit. Mit ein wenig Geduld können die Interessenten daran in jedem Ort gefunden werden, übrigens auch unter dem Diözesanklerus. Es gibt jeweils Verantwortliche für den Bereich "Gerechtigkeit und Frieden" (justitia et pax); nach ihnen zu fragen lohnt immer.

Ein wunder Punkt ist die Frage nach der Rolle der katholischen Kirche in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Sicher hat sie (falsch verstandenes oder überzogenes Verantwortungsgefühl? Machtinteresse?) manche Schuld in dieser Zeit auf sich geladen. Das weiß sie auch. Aber sie fühlt sich von außen zum Schuldeingeständnis in dem Maße genötigt (und zu solchen Schuldworten, die ihrer Ansicht nach kraß der Wahrheit widersprechen), daß viele ihrer Repräsentanten dazu neigen, das nötige Wort zu verweigern. Die katholische Kirche steht, kurz gefaßt, auf dem Standpunkt: In der Zeit des Kommunismus waren wir nicht frei, und bis heute wird mit unserem geforderten Schuldeingeständnis Politik gemacht. So geht es nicht.

Verantwortung für das Volk - serbisch-orthodox
Was sich in dem einen Fall informell eingeschlichen hat: die Namensverbindung Volk - Konfession, das ist im andern Fall offiziell. Dies ist die autokephale serbisch-orthodoxe Kirche. Ihr Oberhaupt, der Patriarch, trägt den Namen Papst wie alle Patriarchen der Orthodoxie. Ihre Geschichte (ihr Einflußbereich) ist wechselvoll, sie identifiziert sich mit ihrem Volk noch stärker als die katholische Kirche mit dem der Kroaten. Viele Serben sind nicht getauft und zählen doch als serbisch-orthodox. Der Diakon, der mir im Auftrag des Bischofs die Stadt Novi Sad zeigt, führt mich zuerst in die Kathedrale, dann in die serbische Bibliothek, in der gesammelt wird, was serbisch oder über Serbien geschrieben wird. Wenn der Kardinal in Zagreb eine für manche Gefühle allzu intensive Politikberatung übt, so tut das das Patriarchat in Beograd womöglich noch intensiver. Für die Orthodoxie ist es vom Wesen her schwierig, sich ohne die weltliche Obrigkeit zu definieren. Wie problematisch für diese Kirche eine Zeit gewesen sein muß, in der sie einerseits mit repräsentiert hat, andererseits stark eingeengt, wenn nicht verfolgt war, das läßt sich wohl von außen nur erahnen.

Um an die Verantwortung für Frieden zu erinnern, sollte dem Frager die Geschichte der Ostkirche besser präsent sein. Immerhin: die ökumenische Versammlung "Frieden in Gerechtigkeit", die alle christlichen Kirchen Europas in der Pfingstwoche 1989 in Basel hielten, ist in guter Erinnerung. Bei einige Repräsentanten besser als auf katholischer Seite. Auch hier lassen sich Methoden finden, die Sensiblen zu entdecken, mit ihnen in einen Dialog zu kommen. Es ist wohl schwieriger, denn diese Kirche unterstützt offiziell die Interpretation des Krieges in Kroatien als Befreiungskrieg. Und es ist bisher nicht zu hören gewesen, daß etwa die Bombardierung der Stadt Dubrovnik nicht mehr dazu gehöre. Lediglich von besonders brutalen Übergriffen oder Schmähworten haben sich ihre Repräsentanten distanziert.

Die Kirchen der Reformation sind klein
Der Pfarrer der lutherischen Kirche in Zagreb (frühere deutsche Gemeinde) hält sich ebenso zurück mit lauten Aussagen wie die Bischöfe der lutherischen und der reformierten Kirche in der Vojvodina, der Grenzregion nach Ungarn hin. Man kann von ihnen kluge Analysen hören. Die reformierte Kirche, der viele Ungarn angehören, hat sich stark in die Flüchtlingsarbeit gestürzt. Viel-leicht haben gerade die kleinen Kirchen Möglichkeiten, die die großen nicht haben. Ob allerdings die großen geneigt sind, den kleinen eine sinnvolle Rolle im Friedensprozeß einzuräumen, ist bisher noch nicht so recht erkennbar. Ein Versuch aus Genf, zu einem Ökumenischen Runden Tisch zu bitten, ist vorerst am Einspruch der katholischen Seite gescheitert, die zuerst nur mit der Orthodoxie sprechen wollte.

Sarajevo - die Chance der Religionen
Meine zweite Reise in das zerfallende Jugoslawien ging nur nach Sarajevo. Dort fanden am 10. Dezember 91, dem Tag der Menschenrechte, mehrere Ereignisse statt, die Erwartungen weckten.

Im Saal der jüdischen Gemeinde (auch über ihre Rolle hier inmitten der monotheistischen Religionen weiß ich zu wenig) wurde ein internationales Zentrum zur Förderung des interreligiösen Dialogs, der Gerechtigkeit und des Friedens gegründet, das in dem Büro der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern eine Kooperationsstelle hat.

Am selben Tag wurde eine Zeitschrift vorgestellt, die als zweisprachiges Organ für Menschenrechte und Frieden konzipiert ist, in serbokroatisch nach innen und in englisch nach außen. Eine öffentliche Debatte über "Totalitarismus heute" und eine Ausstellung über das religiöse Buch, deren Eröffnung am Tag darauf erfolgte, runden das Bild ab. Zwar gibt es Konflikte und verschiedene Konfliktlinien, aber niemand kann mißachten, daß die Kulturen und Religionen miteinander leben müssen, und daß sie eine gemeinsame Kraft auszubilden haben, die verhindert, daß die Panzer das Leben bestimmen. Präsent sind die Panzer in großer Zahl, nachdem die Armee aus den kroatischen Kasernen ausgerückt ist.

Was in Sarajevo unmittelbar einsichtig und dennoch schwierig ist, wird für alle Kulturen und Religionen gelten müssen, die im Lande leben. Für die Orthodoxie, für die katholische Kirche und wohl auch für den Islam ist das Leben in Pluralität eine Herausforderung; zu ihr sich in Freiheit zu bekennen, erscheint manchen immer noch als Zumutung. Vielfältige Herrschaftsformen haben ihnen bisher erspart, diese Lektion zu lernen.

Es wird behutsame Helfer innen und außen brauchen, daß sie freiwillig lernen, was erzwungen nur neue Ressentiments wecken kann. Die christliche Ökumene in Europa fängt an - leider erst jetzt - ihre Möglichkeiten zu prüfen.

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