“Was wollen wir?” - “Klimagerechtigkeit!”

Die Klimagerechtigkeitsbewegung, ihre Ziele, Aktionsformen und ihr Verhältnis zur Friedensbewegung

von Sara Fromm
Schwerpunkt
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Die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung ist eine relativ junge Bewegung, die es in Deutschland seit gut 10 Jahren gibt. Grundkonsens ist die Erkenntnis, dass die Klimakrise menschengemacht ist  und das Ergebnis eines kaputten Systems (1) ist, welches Mensch und Natur ausbeutet und dabei auf verschiedene Machtstrukturen zurückgreift. Die Akteur*innen vereint das Ziel einer radikalen Reduktion der Treibhausgasemissionen und der damit einhergehenden notwendigen sozial-ökologischen Transformation.

Dabei spielen zwei Formen der Gerechtigkeit eine zentrale Rolle:

  1. Die intergenerationelle – also zwischen den verschiedenen Generationen;
  2. Die intragenerationelle – also zwischen Menschen innerhalb einer Generation, vor allem zwischen dem Globalen Süden und Globalen Norden.

Ein gutes Leben für alle innerhalb der planetaren Grenzen soll ermöglicht werden. Je nach Akteur*in fällt der Fokus der Forderungen jedoch sehr unterschiedlich aus: Für die einen geht es um konkrete, realpolitische Forderungen, bei den anderen stehen Kritik und Wunsch nach einem Systemwandel im Vordergrund.
Abhängig vom Kampagnen- oder Bündnisfokus sind beliebte Ziele die Energiewende – sofortiger Kohle- und neuerdings auch Gasausstieg, Ausbau erneuerbarer Energien  oder brandaktuell die Verkehrs- bzw. Mobilitätswende – Stopp vom Autobahnausbau, Ausbau von ÖPNV etc..
Extinction Rebellion beispielsweise bleibt dabei im Vergleich mit den Forderungen genereller: die Ausrufung des Klimanotstands und die Einberufung von Bürger*innenräten sind zwei der Hauptforderungen. Auch Fridays for Future (FFF) Deutschland formuliert allgemeinere Ziele: Die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens sowie der 1,5° Grenze.

Aktionsformen
Die Aktionsformen der Klimagerechtigkeitsbewegung sind so vielfältig wie die Akteur*innen selbst.
Klassische Klimacamps finden vor allem in ländlicheren Regionen, wie in den Braunkohleabbaugebieten im Rheinland und im Leipziger Land, statt. Sie sind Orte der gelebten Utopie und oftmals auch Ausgangspunkte für zahlreiche Proteste. In diesem Jahr kam noch eine neuere Art der Klimacamps hinzu: (mehr oder weniger) dauerhafte Protestcamps in Stadtzentren. 13 solcher, von FFF initiierten Klimacamps, waren im September 2021 aktiv.
Große Aufmerksamkeit in den Medien und der Bevölkerung erreichte das Bündnis „Ende Gelände“ mit seinen Massenaktionen zivilen Ungehorsams. Seit 2015 blockieren jedes Jahr tausende Klimaaktivist*innen fossile Infrastruktur – bis 2020 Braunkohle, seit 2021 auch Gas. Weitere Massenaktionen wie die von Bündnissen wie „Sand im Getriebe“ rufen zum Protest gegen die Automobilmesse IAA auf und mobilisieren dafür einige hundert Menschen. Ebenfalls ziviler Ungehorsam und beliebte Aktionsform sind Waldbesetzungen. Angefangen mit dem „Hambi“ (Hambacher Forst), entdeckten vor allem die jüngeren Klimaaktivist*innen im  „Danni“ (Dannenröder Forst) ein emanzipatorisches Protestmittel für sich. Seitdem gibt es zahlreiche kleinere Waldbesetzungen in verschiedenen Wäldern Deutschlands und Soli-Baumbesetzungen im städtischen Raum. Daneben finden immer wieder Kleingruppenaktionen einzelner Bezugsgruppen mit unterschiedlichen Aktionszielen statt.
Weniger kontrovers von der Öffentlichkeit diskutiert werden die klassischen Demonstrationen und anderen Formen legaler Proteste. FFF erlangte weltweit riesige Aufmerksamkeit mit wöchentlichen Klimastreiks, die auch in zahlreichen deutschen Städten stattfinden. Mehrmals im Jahr gibt es dazu auch globalen Klimastreik. Legal, aber heiß diskutiert, war ein Hungerstreik von jungen Aktivist*innen, kurz vor der Bundestagswahl im September, der für großes mediales Aufsehen sorgte.
Klassisch sind außerdem die Mobilisierungen der Bewegung zu Protesten gegen die COPs, auch bekannt als den UN-Klimakonferenzen.

Verhältnis zur Friedensbewegung
Viele Akteur*innen der Friedensbewegung haben erkannt, dass die Klimathemen heute wesentlich mehr Aufmerksamkeit bekommen als Friedensthemen. Eine Vielzahl deutscher Friedensorganisationen und -gruppen setzten sich in den letzten Jahren, beispielsweise auf ihren Jahrestagungen, inhaltlich mit Klimagerechtigkeit auseinander. Slogans wie „Krieg ist der größte Klimakiller“ verbinden Friedensfragen mit ökologischen Komponenten und werden so für die Klimagerechtigkeitsbewegung anschlussfähiger gestaltet. Andersherum findet aktuell wesentlich weniger Anbindung statt. Nur wenige Gruppen setzen sich explizit mit Friedensthemen auseinander. Das mag daran liegen, dass die Friedensbewegung von der jungen Klimagerechtigkeitsbewegung nicht mehr als starke Akteurin wahrgenommen wird, die Klimakrise jungen Menschen in Deutschland näher erscheint als Kriegsbedrohungen oder der Generationenunterschied als Hürde empfunden wird.
Dabei wünsche ich mir, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung das Potenzial sieht, die erfahrenen und engagierten friedensbewegten Menschen mit einzubinden und zu mobilisieren. Andersherum wünsche ich mir eine Reflektion innerhalb von Friedensgruppen, wie sie die überwiegend junge Klimabewegung vor allem mit Erfahrungen und Fähigkeiten unterstützen kann – und dabei versteht, dass Frieden Teil von Klimagerechtigkeit ist. Wir als Werkstatt für Gewaltfreie Aktion begeben uns gerade auf diesen Weg – und freuen uns sehr über Menschen und Organisationen, die sich mit uns gemeinsam auf diesen Weg machen.

Anmerkung
1 Ob dabei jedoch das System an sich ein kaputtes ist, oder das System an sich funktionstüchtig ist und somit „nur“ kaputt ist, hängt von der Analyse der unterschiedlichen Akteur*innen in der Bewegung ab.

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Sara Fromm ist Geschäftsführerin und Trainerin bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Klimagerechtigkeitsaktivistin und Mitglied bei „Research & Degrowth“. In dem Buch „Degrowth in Bewegung(en)“ des Konzeptwerks für Neue Ökonomie sind 32 soziale Bewegungen und ihre Verbindung zu Degrowth aufgelistet – die Friedensbewegung ist nicht mit dabei. Das würde Sara Fromm gerne ändern.