Die Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika (NSS 2002) (Auszüge)

(ms) Mehrfach haben die USA im letzten Jahr deutlich gemacht, dass sie zu einer neuen Sicherheitsstrategie wechseln wollen. Kernpunkt der neuen Strategie ist der UN-unabhängig, also national beschließbare Präventionskrieg gegen mutmaßlich bedrohsame Staaten. Am 20.09.02 wurde die neue Strategie (NSS 2002; www.whitehouse.gov/nsc/nss/pdf) veröffentlicht, die Bush in mehreren Reden vorab angekündigt hatte. Wir veröffentlichen hier eine ganz stark gekürzte Fassung. Die Übersetzung stammt von der Berliner US-Botschaft. Den Text, den wir für unser FriedensForum noch einmal gekürzt haben, entnahmen wir der gekürzten Fassung aus den "Blättern für deutsche und internationale Politik 12/02", deren Bezug wir gleichzeitig empfehlen möchten. (Die Redaktion)

III. Bündnisse gegen den globalen Terrorismus stärken und Angriffe auf die Vereinigten Staaten und ihre Freunde verhindern
Die Vereinigten Staaten werden keine Zugeständnisse an Terroristen machen und keine Abkommen mit ihnen abschließen. Wir machen keinen Unterschied zwischen Terroristen und denen, die ihnen wissentlich Unterschlupf gewähren oder Unterstützung zukommen lassen.

Der Kampf gegen den globalen Terrorismus ist anders als jeder andere Krieg in unserer Geschichte. Er wird über lange Zeit und an vielen Fronten gegen einen besonders schwer fassbaren Feind geführt werden. Fortschritte werden durch sich stetig einstellende Erfolge eintreten - manche davon sichtbar, manche unsichtbar. [...]

Wir werden Terrororganisationen durch folgende Maßnahmen zerschlagen und zerstören:
 

 
      unmittelbares und kontinuierliches Handeln, das sich aller Elemente nationaler und internationaler Macht bedient. Unser unmittelbarer Schwerpunkt werden die weltweit agierenden Terrororganisationen sowie die terroristischen und staatlichen Sponsoren sein, die versuchen, Massenvernichtungswaffen oder deren Vorstufen zu beschaffen oder anzuwenden;
 
 
      Verteidigung der Vereinigten Staaten, des amerikanischen Volkes und unserer nationalen und internationalen Interessen, indem wir Bedrohungen ausmachen und ausschalten, bevor sie unsere Grenzen erreichen. Die Vereinigten Staaten werden sich ständig um die Unterstützung der internationalen Organisationen bemühen, werden aber auch nicht zögern zu handeln, wenn es notwendig werden sollte, unser Recht auf Selbstverteidigung wahrzunehmen, indem wir präemptiv gegen solche Terroristen vorgehen und sie davon abhalten, dass sie unserem Volk und unserem Land Schaden zufügen;
 
 
      wir werden den Terroristen weitere Finanzierung, Unterstützung und Zuflucht verwehren, indem wir Staaten überzeugen oder zwingen, ihrer souveränen Verantwortung gerecht zu werden.
 
 
    Zwar wissen wir, dass unsere beste Verteidigung in einer guten Offensive besteht, wir werden aber auch die innere Sicherheit in den Vereinigten Staaten stärken, um das Land vor Angriffen zu schützen und sie abzuwehren.

Diese Administration hat die weitgehendste Umstrukturierung der Regierung vorgeschlagen, seit unter Präsident Truman der Nationale Sicherheitsrat und das Verteidigungsministerium geschaffen wurden. Im Zentrum unseres umfassenden Plans zur inneren Sicherheit, der sich auf alle Regierungsebenen sowie auf die Zusammenarbeit im öffentlichen und privaten Sektor erstreckt, steht ein neues Ministerium für Innere Sicherheit sowie ein neues vereinheitlichtes Militärkommando und eine grundlegende Neuordnung des FBI. [...]

Im Krieg gegen den globalen Terrorismus werden wir nie vergessen, dass wir letztlich für unsere demokratischen Werte und unsere Art zu leben kämpfen. Freiheit und Angst befinden sich im Krieg miteinander, und es wird kein schnelles oder einfaches Ende dieses Konflikts geben. Als Anführer im Feldzug gegen den Terrorismus gehen wir neue,produktive internationale Beziehungen ein und definieren die bestehenden neu,sodass sie die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern können.

Der Bedrohung der Vereinigten Staaten, ihrer Bündnispartner und Freunde durch Massenvernichtungswaffen vorbeugen
Wir müssen darauf vorbereitet sein, Schurkenstaaten und ihre terroristische Klientel aufzuhalten, bevor sie in der Lage sind, die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner und Freunde mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen oder sie gegen sie einzusetzen. Unsere Reaktion muss sich die Vorteile zu Nutze machen, die sich aus gestärkten Bündnissen ergeben: Aufbau neuer Partnerschaften mit ehemaligen Gegnern, Neuerungen beim Einsatz von Streitkräften und modernen Technologien - einschließlich der Entwicklung eines effektiven Raketenabwehrsystems - sowie ein stärkerer Schwerpunkt auf die Erlangung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und deren Analyse.

Unsere umfassende Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen beinhaltet:
 

 
      Proaktive Bestrebungen zur Nichtverbreitung. [...]
 
 
       
      Verstärkte Bemühungen zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, um Schurkenstaaten und Terroristen abzuhalten, sich dafür notwendige Materialien,Technologien und Expertise zu beschaffen. [...]
 
 
      Effektives Folgenmanagement zur Reaktion auf die Auswirkungen eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen,sei es durch Terroristen oder feindliche Staaten. [...]
 
 
    Es hat beinahe ein Jahrzehnt gedauert, bis wir die wahre Natur dieser neuen Bedrohung verstanden hatten. Angesichts der Ziele von Schurkenstaaten und Terroristen können die Vereinigten Staaten nicht länger allein auf eine reaktive Haltung vertrauen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Die Unfähigkeit, einen potenziellen Angreifer abzuschrecken, die Unmittelbarkeit der heutigen Gefahren und das Ausmaß des möglichen Schadens, das aus der Waffenwahl unserer Gegner erwachsen könnte, lassen diese Option nicht zu. Wir dürfen unsere Feinde nicht zuerst zuschlagen lassen.
 
 
      Während des Kalten Krieges, insbesondere nach der Kuba-Krise, hatten wir einen Gegner, der im Allgemeinen den Status quo bewahren und kein Risiko eingehen wollte. Abschreckung war eine effektive Verteidigungsstrategie. Abschreckung, die allein auf der Androhung von Vergeltung beruht, macht auf die Führer von Schurkenstaaten weit weniger Eindruck, da diese bereitwillig Risiken eingehen und das Leben ihrer Bevölkerung und den Wohlstand ihrer Nationen aufs Spiel setzen.
 
 
      Während des Kalten Krieges wurden Massenvernichtungswaffen als ultima ratio betrachtet, deren Einsatz das Risiko der Vernichtung für denjenigen beinhaltete, der sie einsetzte. Heute sehen unsere Feinde Massenvernichtungswaffen als das Mittel der Wahl an. Für Schurkenstaaten sind sie Werkzeuge der Einschüchterung und der militärischen Aggression gegen ihre Nachbarn. Diese Waffen könnten es solchen Ländern erlauben, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zu erpressen, um sie von der Abschreckung oder Abwehr des aggressiven Verhaltens von Schurkenstaaten abzuhalten. Solche Staaten betrachten diese Waffen als ihr bestes Mittel, die konventionelle Überlegenheit der Vereinigten Staaten zu überwinden.
 
 
      Herkömmliche Abschreckungskonzepte greifen gegenüber terroristischen Feinden nicht, deren erklärte Taktik die mutwillige Zerstörung und das Zielen auf Unschuldige ist. Ihre so genannten Soldaten suchen das Märtyrertum im Tod, und ihr bester Schutz ist die Staatenlosigkeit. Die Schnittstellen zwischen Staaten, die Terrorismus unterstützen und jenen, die nach dem Besitz von Massenvernichtungswaffen streben, zwingen uns zum Handeln.
 
 
    Jahrhundertelang erkannte das Völkerrecht an, dass Staaten nicht erst einen Angriff erleiden müssen, bevor sie sich rechtmäßig gegen Streitkräfte verteidigen können, von denen eine unmittelbare Angriffsgefahr ausgeht. Rechtswissenschaftler und Völkerrechtler machten die Legitimation der Präemption häufig von der Existenz einer unmittelbaren Bedrohung abhängig, die sich meistens in Form sichtbarer Mobilisierung von Land-, See- und Luftstreitkräften manifestierte, die sich auf einen Angriff vorbereiten.

Wir müssen das Konzept der unmittelbaren Bedrohung an die Fähigkeiten und Ziele der heutigen Gegner anpassen. Schurkenstaaten und Terroristen wollen uns nicht auf konventionelle Weise angreifen. Sie wissen, dass solche Angriffe zum Scheitern verurteilt wären. Stattdessen setzen sie auf Terrorakte und potenziell auf den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, die leicht versteckt und aus dem Verborgenen heraus und ohne Vorwarnung eingesetzt werden können.

Die Ziele dieser Angriffe sind unsere Streitkräfte und unsere Zivilbevölkerung, was unmittelbar eine der grundlegenden Prinzipien des Kriegsvölkerrechts verletzt. Die Zahl der Toten am 11.September 2001 hat gezeigt, dass massenhaft zivile Opfer das erklärte Ziel von Terroristen sind. Die Zahl der Toten wäre um ein Vielfaches höher, wenn Terroristen Massenvernichtungswaffen erwerben und einsetzen würden.

Die Vereinigten Staaten haben sich seit langem die Option auf präemptive Handlungen offen gehalten, um einer hinreichenden Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit begegnen zu können. Je größer die Bedrohung, desto größer das durch Untätigkeit entstehende Risiko - und desto zwingender das Argument für antizipatorische Selbstverteidigung, selbst wenn Unsicherheit darüber besteht, wann und wo der Feind angreifen wird. Die Vereinigten Staaten werden gegebenenfalls präemptiv handeln, um solche feindlichen Akte unserer Gegner zu vereiteln oder ihnen vorzubeugen.

Die Anschläge vom 11. September waren auch ein Anschlag auf die NATO, was die NATO auch als solches anerkannte, als sie zum ersten Mal den Bündnisfall ausrief. Die Hauptaufgabe der NATO, die kollektive Verteidigung des transatlantischen Bündnisses der Demokratien, bleibt bestehen, aber die NATO muss neue Strukturen und Fähigkeiten entwickeln, um dieser Aufgabe angesichts neuer Umstände gerecht zu werden. Die NATO muss die Fähigkeit entwickeln, in kurzer Zeit sehr flexible, besonders ausgebildete Streitkräfte dorthin zu entsenden, wo sie gebraucht werden, um auf eine Bedrohung gegen ein Mitglied des Bündnisses zu reagieren. Das Bündnis muss in der Lage sein zu handeln, wo immer unsere Interessen bedroht sind, indem Koalitionen sowohl unter NATO-Mandat als auch einsatzabhängig gebildet werden.

Die Präsenz amerikanischer Streitkräfte in Übersee ist eines der deutlichsten Symbole der Verpflichtung der Vereinigten Staaten gegenüber Verbündeten und Freunden. Durch unsere Bereitschaft, zu unserer eigenen Verteidigung und der anderer Gewalt einzusetzen, demonstrieren die Vereinigten Staaten ihre Entschlossenheit, ein Gleichgewicht der Macht zu Gunsten der Freiheit aufrechtzuerhalten. Um die Gefahren für unsere Sicherheit unter Kontrolle zu halten, benötigen die Vereinigten Staaten Basen und Stützpunkte in Westeuropa, Nordostasien und darüber hinaus, ebenso wie zeitweise Zugangsmöglichkeiten für die Entsendung amerikanischer Streitkräfte in weit entfernte Gegenden. [...]

Wir wissen aus der Geschichte, dass Abschreckung wirkungslos bleiben kann, und wir wissen aus Erfahrung, dass sich manche Feinde nicht abschrecken lassen. Die Vereinigten Staaten müssen und werden die Fähigkeit erhalten, jeden Angriff eines Feindes abzuwehren - sei es ein Staat oder eine Person -, der den Vereinigten Staaten, ihren Verbündeten und Freunden fremden Willen aufzwingen will. Wir werden Streitkräfte unterhalten, die zur Erfüllung unserer Verpflichtung fähig sind und die Freiheit verteidigen. Unsere Streitkräfte werden stark genug sein, potenzielle Gegner von ihren Aufrüstungsvorhaben abzubringen, die sie in der Hoffnung auf Überlegenheit oder Gleichstellung im Hinblick auf die Macht der Vereinigten Staaten betreiben.

Bei unseren Bemühungen zur Wahrnehmung unserer Sicherheitsverpflichtungen in der Welt und zum Schutz von Amerikanern werden wir die notwendigen Schritte unternehmen, damit diese Aufgaben nicht durch Ermittlungen,Untersuchungen und Verfolgung durch den Internationalen Gerichtshof behindert werden, dessen Rechtsprechung sich nicht auf Amerikaner erstreckt und den wir nicht anerkennen. Wir werden mittels multilateraler und bilateraler Abkommen mit anderen Nationen amerikanische Staatsbürger vor dem Internationalen Gerichtshof schützen und auf die Vermeidung von Komplikationen unserer militärischen Operationen und Kooperationen hinarbeiten. Wir werden den American Servicemembers Protection Act anwenden, dessen Regelungen den Schutz amerikanischer Soldaten und Beamter gewährleistet und fördert. [...]

aus: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2002

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