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Die Petersberger Wende der SPD
von
Transall-Maschine der Bundeswehr in Zagreb. In Zukunft auch Kampfeinsätze?
Sie ist eine Tragödie und bleibt ein Skandal, auch wenn von vielen Friedensbewegten schon lange befürchtet: die "doppelte Petersberger Wende". Mit ihr hat sich die SPD-- sollte es dabei bleiben - für viele als Regierungspartei verabschiedet und nicht - wie wohl von Wendechef Engholm intendiert - aufgedrängt.
Mitten in einer Zeit, in der in Deutschland schlimme Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und AusländerInnen stattfinden, die Erinnerungen an die Pogrome während der Nazizeit wachrufen, mitten in einer Zeit, in der selbst die Militärs vor militärischen Lösungsversuchen der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien warnen, fällt der SPD-Spitze nichts Besseres ein, als nun auch für Grundgesetzänderungen einzutreten, bei denen das Individualrecht auf Asyl aufgehoben und der Bundeswehr Kampfeinsätze unter UN-Kommando gestattet werden sollen. Dabei kümmert es die Genossinnen und Genossen wenig, daß just vor etwa einem Jahr auf dem Bremer Parteitag das letztere bewusst abgelehnt worden ist. Im Klartext lautet das Wendemanöver so:
"37. In das individuelle Asylverfahren werden Personen nicht aufgenommen,
- die zu ihrer Person keine oder mutwillig falsche Angaben machen oder
- die aus Staaten kommen, in denen nach verbindlicher Feststellung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen allgemein politische Verfolgung derzeit nicht stattfindet. Eine Ausnahme gilt nur für jene, die spezifische individuelle Verfolgungsgründe glaubhaft vortragen. (...)
38. Wir werden wirksame Schritte einleiten, damit in Europa bald einheitliche Grundsätze für die Anerkennung politischer Flüchtlinge gelten. Grundlage dafür ist die Genfer Flüchtlingskonvention sowie ein individuelles Anerkennungsverfahren und eine weisungsunabhängige Nachprüfungsinstanz. Wir werden die Flüchtlingsentscheidungen anderer europäischer Staaten anerkennen, die auf dieser Grundlage erfolgt sind. (...)
48. Wir sind für das Gewaltmonopol der UNO. Wenn im Rahmen der Reform der UNO der Generalsekretär Kontingente möglichst vieler Mitgliedstaaten dem UNO-Kommando im Sinne des Art. 43 der UNO-Charta unterstellen will und dabei auch an die Bundesrepublik Deutschland herantritt, werden wir das dafür notwendige Abkommen prüfen und die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen." (1. Entwurf des Sofortprogramms der SPD, 21. / 22.8.92 Gästehaus Petersberg)
Es mögen noch so viele verschleiernde Worte drumherum stehen ("Das Grundgesetz hat das Asylrecht politisch Verfolgter zum Grundrecht erhoben. Dieses individuelle Grundrecht bleibt voll erhalten.") oder gefunden werden: Das Vertrauen auf Länderlisten von Nicht-Verfolger-Staaten und auf Flüchtlingsentscheidungen anderer europäischer Länder bedeutet faktisch die Aufhebung des individuellen Grundrechts auf Asyl. Für einen Kampfeinsatz der Bundeswehr unter UNO-Kommando wird mit diesen Sätzen fast bedingungslos grünes Licht gegeben, da "im Rahmen der Reform der UNO" wegen unzureichender Konkretionen kaum eine Einschränkung darstellt.
Verfolgt man aufmerksam die Entwicklung der Diskussion des letzten Jahres, muß man (leider) denjenigen Recht geben, die das Ja zur SPD zur Teilnahme deutscher Soldaten an friedenserhaltenden Blauhelmmissionen als Einstieg für UNO-Kampfeinsätze werteten. Diesen Kritikern entgegnete Engholm damas, um den Blauhelmbeschluss zu retten:
"Wenn es einen Abgeordneten, weiblichen oder männlichen Geschlechts, gäbe, der bei den Debatten über die Verfassungsreform von Beschlüssen dieses Parteitags abzuweichen wagte, der wäre beim nächsten Mal mit Sicherheit politisch tot und nicht mehr dabei." (zit. nach: Der Spiegel, Nr. 36/1992, S. 37)
Ob er wohl recht behalten wird? Wie dem auch sei, das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der SPD-Spitze wird durch solche Wendemanöver sicher nicht gestärkt.
Im Interesse der Menschen, die durch solche Aktionen in Geahr geraten, sollte dennoch versucht werden zu retten, was zu retten ist. Gegen eine Handvoll nach Regierungsverantwortung drängender, um nicht zu sagen machthungriger Politiker müssen die starke pazifistische Tradition in der SPD, die Errungenschaften der Friedensbewegung in den letzten Jahren und ein wertvolles Grundrecht verteidigt werden. Vielleicht gelingt es ja doch noch auf dem für Mitte November anvisierten Sonderparteitag der SPD, die verhängnisvollen Kehrtwendungen zu stoppen. Dazu müßten sich aber viele Menschen im Vorfeld und auf dem Parteitag selbst zu Wort melden und einmischen.