WIR LOBEN DICH DROBEN, DU LENKER DER SCHLACHTEN!

Die Rolle der Kirchen in der NS-Zeit

von Alexander Gross
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Eine umfassende und gründliche Aufarbeitung der Rolle der Kirchen in der NS-Zeit (vor allem in der katholischen Kirche) hat bis heute noch nicht stattgefunden. Dabei geht es nicht nur um die offiziellen Haltungen und Stellungnahmen der Kirchenleitungen, sondern auch um das, was sich im Spektrum des katholischen oder protestantischen Milieus abgespielt hat. Und es geht um das Problem, wie die Kirchen nach 1945 mit diesem theologischen und kirchenpolitischen Desaster überhaupt umgegangen sind.

Unklar ist bereits die Einstellung der Kirchen zur nationalsozialistischen Bewegung vor 1933. Zwar gab es einigermaßen deutliche bischöfliche Äußerungen über die Ideologie des Nationalsozialismus, die in Richtung einer Ablehnung tendierten, aber in Wirklichkeit bestanden doch mehr Affinitäten, als sich die Bischöfe wahr machen wollten. Antisemitische, antiliberale und antibolschewistische Positionen der Kirchen waren schließlich auch in der neuen nationalsozialistischen Bewegung anzutreffen.

Mit der Machtübergabe an Hitler im Januar 1933 wurde diese NS-Bewegung und ihre Partei zum staatstragenden Fundament, zu dem die christlichen Kirchen nach dem Pauluswort im Römerbrief (13.1-2) zwangsläufig und in ganz bestimmter Weise eine gottgegebene Verbindung eingehen mussten. "Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt. (...) Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes." Dazu kam in ungebrochener Weise die "Lehre vom gerechten Krieg" ins Spiel, an der auch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges nichts änderte. Von daher stellt sich die Frage, ob die Kirchen auf dieses radikale Ereignis der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer positiven Aufnahme in breite Kreise der Bevölkerung überhaupt vorbereitet waren. Das Ergebnis jedenfalls war nicht nur eine weitgehende Anpassung an die politischen Verhältnisse, sondern auch eine ständige Aufforderung an die Gläubigen, sich der neuen Staatsgewalt aktiv zur Verfügung zu stellen.1
Sicher sind die Kirchen nicht,mit wehenden Fahnen` mit in den Krieg gezogen. Fragen nach den möglichen Folgen und den vielfältigen Problemen eines Krieges haben gewisse Nachdenklichkeiten auch in den Kirchenleitungen hervorgerufen. Dennoch ging es hier nicht nur für die NS-Propaganda, sondern auch für die Kirchen um einen vaterländischen Krieg, über den sich der Einzelne kein sachgerechtes Urteil anmaßen konnte und deshalb nur dem Ruf zu den Waffen zu folgen hatte. Damit waren eigene Gewissensentscheidungen, etwa den Kriegsdienst zu verweigern, völlig ausgeschlossen. So gibt es - nach dem heutigen Forschungsstand - unter den Katholiken nur etwa sieben Kriegsdienstverweigerer. Einem von ihnen, dem österreichischen Bauern Franz Jägerstätter, wurde noch lange nach dem Krieg von bischöflicher Seite ein irriges Gewissen und im Hinblick auf die Kriegsdienstverweigerung keine Vorbildfunktion zuerkannt.

Trotz mancher Bedenken: Den Kirchen fiel es nicht schwer, nach dem jeweiligen Ende der militärischen Überfälle auf Polen, Frankreich und andere europäische Länder ein feierliches halbstündiges Glockenläuten von allen Kirchen anzuordnen und in vielen Gottesdiensten für die glorreichen Siege zu danken.

Eine neue Qualität der inneren Verstrickung der christlichen Kirchen mit der Kriegspolitik Hitlers entstand mit dem sogenannten Russlandfeldzug. Hier ging es in einem offenen Bekenntnis der Kirchenleitungen um einen wirklichen Glaubenskrieg, um den Kampf gegen den "gottlosen Bolschewismus". In vielen Hirtenbriefen katholischer Bischöfe, aber auch in Verlautbarungen von protestantischer Seite wurden angesichts dieses "Glaubenskrieges" Positionen und Bilder, Darstellungen und Argumente an die Gläubigen herangetragen, die einem heute noch - aus einer historischen Distanz heraus - die Sprache verschlagen. Und das war kein Vorgang taktischer Anpassung oder oberflächliches Gerede, das war die theologische Verkündigung der Kirche und ihrer Meinung nach der "Wille Gottes". Jeder Soldat sollte, musste das Beste, ja alles geben. Der Tod auf dem Schlachtfeld wurde nicht selten in die Sphäre des Märtyrertums gehoben.

Bis zum Kriegsende wurden die protestantischen und katholischen Bischöfe nicht müde, die Soldaten an ihre heilige Pflicht des totalen Einsatzes zu mahnen. So ließ der evangelisch-lutherische Bischof von Bayern, Hans Meiser, nach dem militärischen Überfall auf Polen von allen Kanzeln verkünden: "(...) Und mit dem Dank gegen Gott verbinden wir den Dank gegen alle, die in wenigen Wochen eine solche gewaltige Wende heraufgeführt haben: gegen den Führer und seine Generale, gegen unsere tapferen Soldaten auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft, die freudig ihr Leben für das Vaterland eingesetzt haben. Wir loben Dich droben, Du Lenker der Schlachten, und flehen, mögst stehen uns fernerhin bei."2
 

Und der katholische Militärbischof schrieb in seinem Fastenhirtenbrief noch 1942 an die Soldaten im Feld:"(...) Eine solche Prüfung ist für unser ganzes Volk und vor allem für euch Soldaten der gegenwärtige Krieg. Ihr werdet diese Prüfung wie bisher so auch weiterhin in Ehren bestehen! Ihr werdet in stolzem Vertrauen auf den Führer und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht als seine tapferen Soldaten auf der Straße weitermarschieren, die zum Endsieg führt. Ihr werdet in Glauben und Gottvertrauen in diesen Tagen der Vorbereitung auf kommende größte Entscheidungen das Eurige tun - dann wird Gott zur rechten Stunde das Seine tun."3 Was der amerikanische Soziologe und Historiker Gordon Zahn in seiner Untersuchung der kirchlichen Praxis für die katholische Kirche feststellte, kann sicher auch für die protestantische Kirche zutreffen: Tief verstrickt in den nationalistischen Mythos von Volk und Vaterland und fest entschlossen, unter Beweis zu stellen, dass die Katholiken gute und treue Deutsche sind, "wurden im Zweiten Weltkrieg die führenden Sprecher der katholischen Kirche in Deutschland zu Werkzeugen nationalsozialistischer Kontrolle über ihre Anhänger - sei es durch ihre allgemeinen Aufrufe zu treuem Gehorsam gegenüber der legitimen Obrigkeit, sei es durch ihre noch direkteren Bemühungen, diese Anhänger zu sammeln für die Verteidigung von Volk, Vaterland und Heimat, als einer christlichen Pflicht."4 Angesichts dieser stabilisierenden Rolle der Kirche, vor allem im Hinblick auf die Kriegsführung, muss die Kirche auch ihre (in)direkte Mitverantwortung für den Holocaust und für die vielen Millionen Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft in ihre "Aufarbeitung" der eigenen Vergangenheit ernsthaft einbeziehen. Diese offene Wunde ist noch längst nicht verheilt.

Sie konnte auch nicht heilen, weil offensichtlich die Kirche nach 1945 im Hinblick auf diese "Aufarbeitung" den falschen Weg gegangen ist. Zunächst haben sich die im Krieg bereits amtierenden Bischöfe und Kirchenfürsten gleich nach dem Krieg selbst einen "Persilschein" ausgestellt und ihre unerschrockene Haltung, ja ihren Widerstand gegen das NS-Regime in neuen Hirtenbriefen bescheinigt. Später traten die nachfolgenden Bischofskollegen in dieselben Fußstapfen. In der Erklärung des Sekretariates der Deutschen Bischofskonferenz vom 31.1.1979 sind die Bischöfe der Meinung: "Die permanente Aufforderung der Kirche zum Frieden während des Zweiten Weltkrieges grenzte für das NS-Regime an Landesverrat." Und im Hirtenwort vier Jahre später vom 30.1.1983 heißt es: "Wir dürfen aber auch erneut bezeugen, dass Kirche und Glaube eine der stärksten Kräfte im Widerspruch, ja Widerstand gegen den Nationalsozialismus waren, in mancher Hinsicht sogar die stärkste."

Leider hat auch das umfangreiche neue "Friedenswort" der deutschen Bischöfe vom September 2000 - so positiv es in vielfacher Hinsicht gesehen werden muss - die Chance nicht wahrgenommen, sich dieser "Aufarbeitung" zu stellen.
 

(Mehr zur Rolle der katholischen Kirche in der NS-Zeit und zum Widerstand in: Alexander Groß, Gehorsame Kirche - ungehorsame Christen im Nationalsozialismus, Mainz 2000)

1 Im Hirtenwort der kath. Bischöfe vom 3.6.1933 heißt es: "Wir wollen dem neuen Staat um keinen Preis die Kräfte entziehen, und wir dürfen es nicht, weil nur die Volkskraft und die Gotteskraft, die aus dem kirchlichen Leben unversiegbar strömt, uns erretten und erheben kann." (s. Wilhelm Corsten, Aktenstücke zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland 1933-1945, Köln, 1949, S. 5ff)

2 Hans Prolingheuer, Kleine politische Kirchengeschichte, Köln 1984, S. 92

3 Heinrich Missalla, Wie der Krieg zur Schule Gottes wurde, Oberursel 1997, S. 71

4 Guenter Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich, München 1965, S. 256

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Alexander Gross war Leiter der Jugendakademie Walberberg und ist Basismitglied von Pax Christi.