Weltwirtschaft-Ausbeutung mit System

Die Wirtschaft der 3. Welt wird von wenigen Zentren kontrolliert und ausgeplündert

von Gernot Wirth

Viele Staaten der sogenannten 3. Welt sind politisch recht instabil. Besonders gilt das für jene Länder, deren Wirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten mit bedingungsloser Konsequenz in den Weltmarkt integriert worden ist. Im Verlauf dieses Zwangsprozesses wurden die traditionellen Märkte zersetzt und die einheimischen Industrien ruiniert, während die Landwirtschaft für den Export von Äpfeln, Mangos, Kaffee, Bananen, Schweine- ,und Rinderfutter, wie Soja, Fette, Öle usw. (zur Belieferung der "ersten Welt") umstrukturiert wurde. Zusammen mit dem Export von Rohstoffen können jetzt vielleicht 10 oder 20 Prozent der Menschen in der 3. Welt technokratischen Luxus genießen, während die restlichen 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung mit einer Handvoll technischer Massenprodukte aus der 1. Welt (von der Zahnpasta bis zum Coca Cola, nicht zu vergessen das TV) abgespeist werden.

Zur Vermeidung von Hungeraufständen erhalten die Ärmsten der Armen subventioniertes Brot aus importiertem US-Weizen. Ein phantastischer Irrsinn, der landläufig mit "Entwicklung" bezeichnet wird.

Auch bevor die 3. Welt mit dieser jüngsten "Entwicklung" beglückt wurde, kannte man dort die Armut. Verglichen aber mit dem Stand von heute, hatten die "Nichtentwickelten" 20 Jahre zuvor zumindest mehr oder weniger ausreichend zu essen - und zwar aus eigener Produktion. Nach ihrer Vollintegration in den Weltmarkt dürfen sie heute Fabrikbrot aus Auszugsmehl schlucken, während Krabben, Fleisch und Fische aus ihrem Land in irgendwelchen europäischen und US-amerikanischen Restaurants verspeist werden. Vor 20 Jahren wußte jeder Bauer in der 3. Welt, daß er seine Produkte mit kalkulierbarer Wahrscheinlichkeit auf dem heimischen Markt verkaufen konnte. Heute "weiß" nur noch der Großmarkt in Paris, New York oder Hamburg, wieviel Äpfel, Tomaten, Spargel usw. abgenommen werden (und der weiß vor allem auch sehr genau, wo und wann es welche Produkte am günstigsten gibt!).

Was im kleinen Maßstab die Städte seit dreitausend Jahren praktiziert haben, nämlich die Früchte des Landes im Tausch gegen städtische Industrie-, Handwerks- und Handelsprodukte zu genießen, wobei man in der Stadt im Schnitt weniger Arbeit für die Herstellung der Tauschgegenstände aufwandte, als auf dem Land, ist heute auf Weltniveau ausgedehnt worden: Bauern, Arbeiter und Büroangestellte sind in einem weltweiten Netz von Macht und Produktionsverhältnissen eingeflochten, die von nur wenigen Zentren und Subzentren aus kontrolliert werden, während sie gleichzeitig zur völligen Entmündigung der Individuen geführt haben. Massenhaft werden die Menschen in die Bettelsubsistenz getrieben, d.h. gezwungen, von den Abfällen der Großstädte zu leben. (Im Gegensatz zur Subsistenzwirtschaft etwa von Jäger-Sammlern, in der die Menschen zwar arm an Dingen, aber "reich" an Autonomie und Würde sind, ist die Armut der Bettelsubsistenz zutiefst entwürdigend, weil unter solchen Bedingungen Menschen von den Abfällen und Exkrementen anderer Menschen zu leben gezwungen sind.)

Mit dem Zerfall der örtlichen und regionalen Wirtschaften einher geht die Auflösung der traditionellen Schutzbündnisse wie Familie, Verwandtschaft, Dorfgemeinschaft usw. mit den bekannten Erscheinungsformen von Isolierung, Massenelend, Apathie, losgelösten Agressionshandlungen und Kriminalität.

Kapitalfraktionen und kapitalistische Weltpolitik

Es ist ein offenes Geheimnis, daß der Takt, nach dem sich derzeit das Weltwirtschaftskarussel dreht, nicht allein von den Konkurrenzmechanismen des Kapitals, sondern zugleich auch von bestimmten, sehr mächtigen Kapitalfraktionen und ihren politischen Vertretern vorgegeben wird. Diese Gruppen können zwar Weltwirtschaft und Weltpolitik nicht direkt lenken, sie sind indessen in der Lage, mit Hilfe politischer und militärischer Mittel beiden eine ihnen möglichst genehme Richtung zu geben. Die Interessen, nach denen sich die Stoßrichtung der kapitalistischen "Weltpolitik" orientiert, spiegeln die direkten und konkreten Interessen von Großbanken, Rüstungs- und Energiewirtschaft und der sogenannten modernen Industriesektoren wider, wie z.B. Gentechnik, High Tec, moderne Kommunikationsmittel, Luft- und Raumfahrt u.a.m. Die Durchsetzung dieser Interessen in der 3. Welt hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu riesigen Verschiebungen von Menschen, Dingen und Kapital sowie zu tausendfachem Mord und zum Sturz zahlreicher demokratischer Regierungen geführt. Die internationalen Großbanken hatten in den 70er Jahren eine Offensive in die 3. Welt - vor allem nach Lateinamerika - gestartet, um dort wertloses, d.h. nicht mehr anlegbares und somit inflationäres Kapital zu verleihen. Sie vergaben ihre Kredite nicht etwa an private Kreditnehmer mit privater Risikoabsicherung (wie das im Kapitalismus üblich sein soll), vielmehr machten sie in Form von staatlichen Schuldtiteln ganz einfach die betroffene Gesellschaft insgesamt für die Rückzahlung der Schulden haftbar. Daß dabei auch Gelder verliehen wurden, die von den Staatsapparaten selber (für den Kauf von Kriegsmaterial, für unsinnige Großprojekte oder für den Konsum der Staatsbürokratie) verschleudert wurden, interessiert an dieser Stelle nur am Rande.

Es war kaum eine Überraschung, daß dieser höchst unprivaten privatwirtschaftlichen Kreditpolitik eine entsprechende Schuldenkrise nachfolgte. Im Rahmen dieser Krise vertritt eine sehr einflußreiche und mächtige "harte" Welt-Kapital-Fraktion offensichtlich folgende Position:

  • Man sorgt dafür, daß ein paar extreme Schuldtitel "abgeschrieben" werden, um die ohnehin riesigen Verzerrungen in den Zahlungsbilanzen nicht auch noch durch zusätzliche Extreme zu belasten.
  • Eine Krisenlösung durch Streichung der Schulden wird ausgeschlossen, obwohl die fraglichen Gelder nach normalen privatwirtschaftlichen Kriterien abzuschreiben wären, weil nämlich die Schuldner ganz einfach pleite sind.

"Rentenkapitalismus" oder der Zehnte für die 1. Welt

Diese Haltung der "harten" Fraktion - angeführt von der Lobby der mit riesigen Summen im Geschäft mit den Schulden verwickelten US-Banken - hat durchaus logische Interessensgründe. Mit Hilfe der (an einigen Stellen durch partiellen Schuldenerlaß leicht entschärften) Schuldenfalle werden nämlich aus den Ländern der 3. Welt kontinuierlich große Wertmengen in die sogenannte 1. Welt gepumpt. Wenn viele Länder der 3. Welt zum "Netto-Kapitalexport" gezwungen werden, heißt das nichts anderes, als daß die Schuldnerländer nicht nur unfaire Preise für ihre Waren erhalten, sondern daß sie darüber hinaus einen Großteil ihrer Waren als Zinsleistungen ohne jeden Gegenwert abgeben müssen. Demgemäß gibt es in großen Ausmaßen gar keinen Handelsaustausch mehr zwischen Dritter und erster Welt, sondern einen permanenten Wertefluß von den armen Ländern hin zu den reichen.

Angesichts einer ohnehin permanent stagnierenden Weltwirtschaft sind feste Dauereinkünfte in Milliardenhöhe (auch wenn ab und an mal ein Prozentpunkt nachgelassen werden muß) ein durchaus angenehmes Einkommenspolster. Das hat zwar mehr mit Zinsknechtschaft oder "Rentenwirtschaft'' als mit dem "freien Spiel der Kräfte" in einer "freien" Marktwirtschaft zu tun, ist aber eben ein angenehmes Zubrot, das man nicht einfach aufzugeben bereit ist, - zumal es ja mit dazu beiträgt, die immer zahlreicher werdenden Menschen ohne Arbeit und Einkünfte in den Ländern der "eigenen" 1. Welt mit billigen Lebensmitteln aus der 3. Welt notdürftig satt zu kriegen. (Schließlich will man vor allem im "eigenen" Land Hungeraufstände und andere Unruhen möglichst vermeiden). Darüber hinaus werden potentielle Konkurrenten aus der 3. Welt am Aufstieg behindert, weil die für Neuinvestitionen nötigen Gelder als Zinsen ins Ausland fließen.

Ein Land der 3. Welt, das eine völlige Zersetzung seiner "nationalen" Gesellschaft durch die übermächtigen Kräfte des Weltmarkts verhindern will, kann bei dieser Aufgabe nur dann Erfolg haben, wenn es gelingt, ausreichend starke Kräfte gegen die Gewalt der internationalen Wirtschaft und deren gewalttätige Führungsnationen zu mobilisieren. Und das geht nicht ohne ein Mindestmaß an Lenkung der nationalen Wirtschaft. Das. schwachbrüstige Bürgertum der Dritten Welt - das hat die Geschichte auf leider höchst dramatische Art bewiesen - ist nicht fähig, eine solche nationale und soziale. Integration (oder Reintegration) der Gesellschaft anzuführen. Es kommt nicht von ungefähr, daß nationale Entwicklungsprozesse in der 3. Welt - wenigstens partiell - nur in Gesellschaften mit sozialistischen Regierungen (Kuba, Nicaragua, VR China) oder von Ländern mit historisch (noch) festgefügten Gesellschaftsstrukturen (verschiedene arabische und asiatische Staaten) durchgesetzt werden konnten - wie widersprüchlich die betreffenden Regime auch sein mögen.

 

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