Ein russischer Truppenübungsplatz, die Bundeswehr und der Umgang mit Demokratie

von Rupert Kubon
Initiativen
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Wenn diese Zeitschrift erscheint, hat der Deutsche Bundestag vermut­lich bereits über den Antrag 12/1997, zivile Nutzung der Colbitz-Letzlin­ger-Heide entschieden - ablehnend. In den alten Bundesländern wird dieser Vorgang vermutlich kaum Beachtung finden, im Osten Deutsch­lands kann mit mehr Aufmerksamkeit gerechnet werden. Im Norden von Sachsen-Anhalt jedoch wird diese Entscheidung nicht nur zu allgemei­ner Enttäuschung führen, das Vertrauen in die angeblich demokrati­schen Entscheidungsmechanismen unserer Politik wird noch stärker zerstört werden.

Mitte der dreißiger Jahre benötigte die Firma Krupp für die Erprobung neuer Artillerie-Munition geeignetes Gelände. Es sollte möglichst groß sein, weit ent­fernt von besiedelten Räumen und trotz­dem verkehrstechnisch relativ gut zu er­reichen. Die Wahl fiel auf die Colbitz-Letzlinger-Heide, nordwestlich von Magdeburg und südlich der Bahn­strecke Berlin-Hannover über Stendal. 45 km-lange Schießbahnen konnten ohne große Probleme angelegt werden. Nach dem zweiten Weltkrieg bekam der Schießplatz Heide neue Platzherren. Die Rote Armee baute die Colbitz-Letzlin­ger-Heide zum größten Truppenübungs­platz in der DDR aus, 23.000 Hektar Wüste zum Üben von Panzer-Kriegen.

Das letzte Jahr der DDR ließ dann Blü­tenträume über ein Ende der militäri­schen Okkupation der Heide reifen. Ein Naturparkkonzept wurde entwickelt und bereits zum Zeitpunkt der Vereinigung hatten Bürgerinitiativen über 35.000 Unterschriften von Befürwortern einer zivilen Umwandlung der Heide gesam­melt.

Kaum waren jedoch die Reden zur Deutschen Einheit verklungen, meldete die Bundeswehr Interesse an diesem Gelände an, trotz anfänglicher Zusagen, man wolle kein Gelände der Russen nutzen. Die Vorstellungen wurden in­zwischen konkretisiert und stehen im Gegensatz zur großen Mehrheit aller di­rekt oder indirekt Betroffenen.

Der Landtag Sachsen-Anhalt, die Lan­desregierung (CDU/FDP), alle umlie­genden vier Kreistage, und 102 Ge­meinden haben sich gegen die weitere militärische Nutzung der Colbitz-Letz­linger-Heide, die zudem ein Trinkwas­sereinzugsgebiet für ca. 600.000 Men­schen darstellt, ausgesprochen.

Die Bundeswehr versucht mit der Rüc­kendeckung eines immer noch gut ge­füllten Verteidigungshaushaltes für ihre Interessen zu werben: Man wolle ja oh­nehin das Gelände zunächst gründlich von Altlasten befreien, zivile Ar­beitsplätze seien in großer Zahl zu er­warten, und überhaupt gäbe es nichts, was der Colbitz-Letzlinger-Heide besser täte als ein Gefechtsübungszentrum der Deutschen Bundeswehr. Schließlich wird immer wieder hervorgehoben, daß die Bundeswehr ja im Gegensatz zur roten Armee demokratisch strukturiert und an Umweltgesetze gebunden sei, weshalb auch die Aversionen der Bürge­rinnen und Bürger gegen das Militär völlig unverständlich seien.

Gerade das letzte Argument jedoch ist höchst fragwürdig. Was nutzt eine in sich demokratisch strukturierte Armee (ob es so etwas überhaupt geben kann, ist eine ganz andere Frage), wenn sie sich nicht demokratischen Regeln un­terwirft?

Nun, antwortet die Bundeswehr, es darf ja nicht das Sankt-Florians-Prinzip ein­reißen. Wir wollen die Lasten auf alle gleich verteilen, und da müssen wir eben auch im ehemaligen NVA-Gebiet unsere Truppenübungsplätze haben (auch wenn die Gesamtfläche bezogen auf jeden Einwohner in allen neuen Bundesländern höher ist als in jedem der alten Länder). Aber weshalb denn überhaupt 11 neue Truppenübungs­plätze? Das im Septem­ber vom Vertei­digungsminister vorge­legte neue Truppenübungsplatzkonzept der Bundes­wehr macht eines deutlich. Die erhebliche Ausweitung der ge­samten Übungsflä­chen bei einer Redu­zierung der Trup­penstärke (Zahlen) dient vor allem dazu, die Armee und die Bevölkerung zu trennen (damit die Be­lastung außerhalb der Übungsplätze deutlich reduziert werden kann!)

Wäre es aber nicht sinnvoll, daß eine Armee, die uns verteidigen soll, auch in dem Gelände übt, wo die Verteidigung geschehen müsste und nicht in irgend­welchen menschenleeren Übungsplätzen oder Gefechtsübungszentren?- Wäre es, wenn es um die Verteidigung der Bun­desrepublik Deutschland ginge! Ein Ge­fechtsübungszentrum kann je­doch nur dann Sinn machen, wenn ganz grund­sätzlich Gefechte geübt werden sollen, und zwar überall dort in der Welt, wo sich die Bundeswehr eines Tages zu Einsätzen berufen fühlen sollte. Die große Colbitz-Letzlinger-Heide kann besonders gute Dienste lei­sten (weshalb auch die Bundeswehr kei­nesfalls ver­zichten möchte).

Der Betrug an den Menschen, an den Bürgerinnen und Bürgern, auf anderen Feldern der Politik schon offensichtlich, wird also auch in diesem Fall sichtbar. Sogenannte Sicherheitsexperten pfeifen auf demokratische Entscheidungspro­zesse, wenn es um militärische Lang­zeitstrategien geht, und sie pfeifen auch auf die echten Bedürfnisse von Men­schen, die nach sechs Jahrzehnten des Militärs in ihrer Heimat überdrüssig sind.

Das allerdings zeigt, wie gefährlich die Bundeswehr für uns alle ist. Die Armee kostet nicht nur Geld, sie wird zuneh­mend zum Machtfaktor, der sich demo­kratischer Kontrolle entzieht und eigene Ziele verfolgt. Der Widerstand gegen die Bundeswehr in der Colbitz-Letzlin­ger-Heide geht also nicht nur die Men­schen im Norden von Sachsen-Anhalt etwas an, er ist eine Schlüsselentschei­dung für uns alle. Wer sich informieren und engagieren will: Büro Reinhard Weis MdB (Pax Christi Mitglied), Bun­deshaus, W-5300 Bonn 1

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Rupert Kubon ist aktiv bei Pax Christi Bonn.