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Ein russischer Truppenübungsplatz, die Bundeswehr und der Umgang mit Demokratie
vonWenn diese Zeitschrift erscheint, hat der Deutsche Bundestag vermutlich bereits über den Antrag 12/1997, zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger-Heide entschieden - ablehnend. In den alten Bundesländern wird dieser Vorgang vermutlich kaum Beachtung finden, im Osten Deutschlands kann mit mehr Aufmerksamkeit gerechnet werden. Im Norden von Sachsen-Anhalt jedoch wird diese Entscheidung nicht nur zu allgemeiner Enttäuschung führen, das Vertrauen in die angeblich demokratischen Entscheidungsmechanismen unserer Politik wird noch stärker zerstört werden.
Mitte der dreißiger Jahre benötigte die Firma Krupp für die Erprobung neuer Artillerie-Munition geeignetes Gelände. Es sollte möglichst groß sein, weit entfernt von besiedelten Räumen und trotzdem verkehrstechnisch relativ gut zu erreichen. Die Wahl fiel auf die Colbitz-Letzlinger-Heide, nordwestlich von Magdeburg und südlich der Bahnstrecke Berlin-Hannover über Stendal. 45 km-lange Schießbahnen konnten ohne große Probleme angelegt werden. Nach dem zweiten Weltkrieg bekam der Schießplatz Heide neue Platzherren. Die Rote Armee baute die Colbitz-Letzlinger-Heide zum größten Truppenübungsplatz in der DDR aus, 23.000 Hektar Wüste zum Üben von Panzer-Kriegen.
Das letzte Jahr der DDR ließ dann Blütenträume über ein Ende der militärischen Okkupation der Heide reifen. Ein Naturparkkonzept wurde entwickelt und bereits zum Zeitpunkt der Vereinigung hatten Bürgerinitiativen über 35.000 Unterschriften von Befürwortern einer zivilen Umwandlung der Heide gesammelt.
Kaum waren jedoch die Reden zur Deutschen Einheit verklungen, meldete die Bundeswehr Interesse an diesem Gelände an, trotz anfänglicher Zusagen, man wolle kein Gelände der Russen nutzen. Die Vorstellungen wurden inzwischen konkretisiert und stehen im Gegensatz zur großen Mehrheit aller direkt oder indirekt Betroffenen.
Der Landtag Sachsen-Anhalt, die Landesregierung (CDU/FDP), alle umliegenden vier Kreistage, und 102 Gemeinden haben sich gegen die weitere militärische Nutzung der Colbitz-Letzlinger-Heide, die zudem ein Trinkwassereinzugsgebiet für ca. 600.000 Menschen darstellt, ausgesprochen.
Die Bundeswehr versucht mit der Rückendeckung eines immer noch gut gefüllten Verteidigungshaushaltes für ihre Interessen zu werben: Man wolle ja ohnehin das Gelände zunächst gründlich von Altlasten befreien, zivile Arbeitsplätze seien in großer Zahl zu erwarten, und überhaupt gäbe es nichts, was der Colbitz-Letzlinger-Heide besser täte als ein Gefechtsübungszentrum der Deutschen Bundeswehr. Schließlich wird immer wieder hervorgehoben, daß die Bundeswehr ja im Gegensatz zur roten Armee demokratisch strukturiert und an Umweltgesetze gebunden sei, weshalb auch die Aversionen der Bürgerinnen und Bürger gegen das Militär völlig unverständlich seien.
Gerade das letzte Argument jedoch ist höchst fragwürdig. Was nutzt eine in sich demokratisch strukturierte Armee (ob es so etwas überhaupt geben kann, ist eine ganz andere Frage), wenn sie sich nicht demokratischen Regeln unterwirft?
Nun, antwortet die Bundeswehr, es darf ja nicht das Sankt-Florians-Prinzip einreißen. Wir wollen die Lasten auf alle gleich verteilen, und da müssen wir eben auch im ehemaligen NVA-Gebiet unsere Truppenübungsplätze haben (auch wenn die Gesamtfläche bezogen auf jeden Einwohner in allen neuen Bundesländern höher ist als in jedem der alten Länder). Aber weshalb denn überhaupt 11 neue Truppenübungsplätze? Das im September vom Verteidigungsminister vorgelegte neue Truppenübungsplatzkonzept der Bundeswehr macht eines deutlich. Die erhebliche Ausweitung der gesamten Übungsflächen bei einer Reduzierung der Truppenstärke (Zahlen) dient vor allem dazu, die Armee und die Bevölkerung zu trennen (damit die Belastung außerhalb der Übungsplätze deutlich reduziert werden kann!)
Wäre es aber nicht sinnvoll, daß eine Armee, die uns verteidigen soll, auch in dem Gelände übt, wo die Verteidigung geschehen müsste und nicht in irgendwelchen menschenleeren Übungsplätzen oder Gefechtsübungszentren?- Wäre es, wenn es um die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland ginge! Ein Gefechtsübungszentrum kann jedoch nur dann Sinn machen, wenn ganz grundsätzlich Gefechte geübt werden sollen, und zwar überall dort in der Welt, wo sich die Bundeswehr eines Tages zu Einsätzen berufen fühlen sollte. Die große Colbitz-Letzlinger-Heide kann besonders gute Dienste leisten (weshalb auch die Bundeswehr keinesfalls verzichten möchte).
Der Betrug an den Menschen, an den Bürgerinnen und Bürgern, auf anderen Feldern der Politik schon offensichtlich, wird also auch in diesem Fall sichtbar. Sogenannte Sicherheitsexperten pfeifen auf demokratische Entscheidungsprozesse, wenn es um militärische Langzeitstrategien geht, und sie pfeifen auch auf die echten Bedürfnisse von Menschen, die nach sechs Jahrzehnten des Militärs in ihrer Heimat überdrüssig sind.
Das allerdings zeigt, wie gefährlich die Bundeswehr für uns alle ist. Die Armee kostet nicht nur Geld, sie wird zunehmend zum Machtfaktor, der sich demokratischer Kontrolle entzieht und eigene Ziele verfolgt. Der Widerstand gegen die Bundeswehr in der Colbitz-Letzlinger-Heide geht also nicht nur die Menschen im Norden von Sachsen-Anhalt etwas an, er ist eine Schlüsselentscheidung für uns alle. Wer sich informieren und engagieren will: Büro Reinhard Weis MdB (Pax Christi Mitglied), Bundeshaus, W-5300 Bonn 1