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Eine Begegnung der besonderen Art
vonIn einem Flüchtlingslager in Kroatien treffen wir, zwei Pax Christi-Mitarbeiterinnen, die für zehn Tage in Bosnien und Kroatien unterwegs sind, und einige Zivis, die als Freiwillige für drei Wochen in einem Flüchtlingslager arbeiten, auf die Bundeswehr. Was macht die Bundeswehr in einem Flüchtlingslager? Sie verteilt, auf privater Initiative beruhend, Hilfsgüter an die Flüchtlinge. Spätestens seit Kanzler Kohl wissen wir: Die Bundeswehr ist doch die größte Friedensbewegung... Es ergeben sich erste Gespräche und bald erfolgt eine Einladung ins Bundeswehrcamp nach Trogir, unweit von Split. Ich bin neugierig und gespannt auf das Gespräch.
Freitagmorgen, 10 Uhr im Camp: Wir beginnen mit einem gemeinsamen Frühstück, bei dem wir die Gelegenheit haben, uns zu beschnuppern. Zwischen Salami-Brötchen und Milchkaffee (alles aus deutschen Landen nach Kroatien geschafft, damit es den Jungs an nichts fehlt) sehe ich mich innerhalb kürzester Zeit in eine Diskussion über die Verteidigungspolitischen Richtlinien verstrickt. Mein Gesprächspartner, ein junger Zeitsoldat, ist schlagfertig und intelligent. Er entspricht nicht meinem Bild vom tumpen Soldaten. Auch die anderen jungen Männer, mit denen wir an diesem Morgen ausgiebig diskutieren, sind offen und gesprächsbereit, interessiert auch an unseren Erfahrungen und einem Erfahrungsaustausch. Sicherlich hat es eine Rolle gespielt, daß sie sich freiwillig zu dieser Gesprächsrunde melden konnten und nicht zwangsweise zu diesem Treffen abkommandiert wurden.
Nach dem Frühstück führt uns ein smarter Jugendoffizier anhand von Dias in die Arbeit der Bundeswehr in Bosnien ein: Brückenbau, Minenräumung, humanitäre Hilfe für Flüchtlinge, das Feldlazarett, einschließlich dem Gerät zur Computertomographie (manches Kreiskrankenhaus würde vor Neid erblassen!). Die Soldaten erzählen von ihrer Arbeit in Bosnien und die Zivis von ihren Erfahrungen in den Flüchtlingslagern. Die Frage nach Chancen und Grenzen des IFOR-Einsatzes und der Flüchtlingsarbeit werden diskutiert. Die jungen Männer fühlen sich in ihrem Engagement bestätigt: Die Soldaten glauben, durch die militärische Präsenz der IFOR-Truppen dem Frieden am besten dienen zu können, die Zivis fühlen sich angesichts der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in ihrer Entscheidung gegen den Kriegsdienst bestätigt. Auf meine Frage, ob denn auch Minen aus bundesdeutscher Produktion im Kriegsgebiet lägen, antwortet uns ein Offizier: _Ach, wissen Sie, die Minenräumungsfahrzeuge, mit denen wir hier arbeiten, sind von der gleichen bundesdeutschen Firma, wie die Minen selbst." Da lohnt sich das Geschäft wenigstens, und ich frage mich, ob diese Firma wohl auch Prothesen herstellt...
Es ist ein faires Gespräch, das wir an diesem Morgen führen, nur müssen wir uns immer wieder gegen vorschnelle Vereinnahmungen seitens der Militärs wehren. Wir teilen zwar die politische Einschätzung der Lage im Land und machen deutlich, daß wir die konkrete humanitäre Arbeit in den Flüchtlingslagern, den Brückenbau, die Räumung der Minen etc. anerkennen, doch wird die Diskussion sehr kontrovers, als es um die Bewertung des Bundeswehreinsatzes im Rahmen des gesamtpolitischen Konzepts der Bundesregierung und der NATO geht. Der Hinweis auf die Verteidigungspolitischen Richtlinien, vor allem auf die Passage über die _Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" wird mit der Frage der Jugendoffiziers beantwortet: _Und was würden wir tun, wenn uns wirklich mal die Rohstoffe ausgehen?"
So begrüßenswert der Wiederaufbau von zerstörten Brücken auch sein mag, das Technische Hilfswerk könnte diese Arbeit genauso gut leisten und zwar mit einem erheblich kleineren logistischen Apparat und mit weit geringeren Kosten als die Bundeswehr. Zivile Organisationen könnten die Minen räumen und gleichzeitig die Menschen vor Ort in dieser überlebensnotwendigen Arbeit ausbilden. Entsprechende Erfahrungen in Afghanistan und Mozambique sprechen für dieses Modell. Humanitäre Hilfeleistungen werden in den ehemaligen Kriegsgebieten von unzähligen NGOs professionell durchgeführt. Das riesige Feldlazarett der Bundeswehr in Trogir ist nicht einmal zu einem Drittel ausgelastet. Im Krankenhaus von Splitt steht ein Gerät zur Computertomographie, das in den ersten Monaten von der Bundeswehr im Bedarfsfall mitgenutzt werden konnte. Seit dem Frühjahr nun gibt es im Lager ein eigenes Gerät, das rund 2,5 Millionen DM gekostet hat.
Für den Bundeswehreinsatz, inklusive seiner Nachphase, ist eine Milliarde DM veranschlagt worden (Nachtragshaushalt). Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist derzeit nicht bereit, 15 Millionen DM jährlich für den Zivilen Friedensdienst freizugeben. Die bewusste und ausschließliche Entscheidung für das Militär und gegen zivile, friedensstiftende Organisationen, verbunden mit den politischen Perspektiven, wie sie in den Verteidigungspolitischen Richtlinien und NATO-Strategie-Papieren formuliert sind, hierin liegt der eigentliche Skandal der bundesdeutschen Außenpolitik.
Der Bundeswehreinsatz soll die hiesige Bevölkerung an die Militarisierung der bundesdeutschen Außenpolitik gewöhnen. Die Bundesregierung und andere NATO-Staaten verfolgten in den letzten Jahren eine Politik der Degradierung von UNO und OSZE sowie gleichzeitig die Demonstration der Effektivität der NATO, u.a. durch den IFOR-Einsatz.
Die Friedensbewegung muß sich weiterhin gegen diese Tendenzen wenden und sich jetzt für ein neues UNO-Mandat zur Stationierung klassischer Blauhelme in dem ehemaligen Kriegsgebiet einsetzen. Technische und finanzielle Hilfe zum Wiederaufbau des Landes müssen gewährt werden. Anstatt das Land aufzurüsten, muß dringend ein neues Rüstungsembargo ausgesprochen werden, und unter der Leitung der OSZE sind unverzüglich Abrüstungsverhandlungen zu beginnen. Die Kriegsverbrecher müssen verhaftet und vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag zur Verantwortung gezogen werden. Die zwangsweise Rückführung der bosnischen Flüchtlinge aus der Bundesrepublik ist zu verhindern. Es bleibt viel zu tun. Packen wir es an.