Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen!

Eine friedliche "Invasion" am Fliegerhorst Büchel

von Wolfgang Sternstein
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Ein sonniger Frühlingstag im April. Eine Gruppe Wanderer durchstreift den Wald auf dem Weg ins nächstgelegene Gasthaus. So zumindest scheint es. Doch der Schein trügt. Denn plötzlich verwandeln sich die Wanderer in Friedensaktivisten, deren Ziel nicht ein Gasthaus, sondern der Fliegerhorst Büchel (Südeifel) ist. Auf dem lagern zehn amerikanische Atombomben, die im Kriegsfall von deutschen Tornadopiloten ins Ziel geflogen werden sollen.

Die fünf Frauen und zwei Männer, begleitet von einem Fotografen und einem Beobachter, überqueren mit raschen Schritten einen schmalen Wiesenstreifen und tauchen in ein Waldstück unmittelbar am Zaun des Fliegerhorsts ein. Sie durchtrennen den Zaun von unten nach oben und schieben ihn auf dem Spanndraht nach links und rechts zur Seite, so dass ein breiter Durchgang entsteht. Danach betreten sie das Gelände und entfalten auf der parallel zum Zaun verlaufenden Straße Transparente mit den Texten: "Völkerrecht achten - Atomwaffen abschaffen, Atombomben in Büchel 100 X Hiroshima, Ziviler Ungehorsam gegen Atomwaffen, Deutsche Tornados mit US-Atomwaffen - bereit zum Massenmord".

Sie singen, begleitet von einer weithin hörbaren Trompete, das bekannte Friedenslied: "Nach dieser Erde wäre da keine, die eines Menschen Wohnung wär`, darum Menschen achtet und trachtet, dass sie es bleibt. Wem denn wäre sie ein Denkmal, wenn sie still die Sonne umkreist".

Nach einigen Minuten zeigt sich in der Ferne ein Bundeswehr-PKW. Der Fahrer hält an und ruft offenbar über Funk Verstärkung herbei. Jedenfalls nähern sich von beiden Seiten Bundeswehrfahrzeuge. Feldjäger und Soldaten steigen aus. Sie betrachten die Gruppe mit verhaltener Neugier. Der Fahrer des PKW tritt auf die Gruppe zu und stellt sich als stellvertretender Kommodore des Tornado-Geschwaders vor. Später trifft die Polizei ein. Die Atmosphäre ist entspannt, denn die Aktion war dem Kommodore, der Polizei, dem Bundeskanzler, dem Verteidigungs- und dem Außenminister sowie dem Botschafter der USA brieflich angekündigt und begründet worden. Mit erheblichem Aufwand versuchten Polizei und Bundeswehr sie zu verhindern, was ihnen letztlich aber doch nicht gelang.
 

Ein Bundeswehr-Bus bringt die AktivistInnen zur Polizeiwache nach Cochem, wo sie erkennungsdienstlich behandelt werden, soweit sie die Prozedur nicht schon bei früheren Aktionen hinter sich gebracht hatten. Sie müssen mit eine Geldstrafe wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch, zwei unter Bewährung stehende Mitglieder der Gruppe mit längeren Gefängnisstrafen rechnen.

In der Pressemitteilung der Gruppe heißt es: Wie allgemein bekannt, sind in Büchel zehn amerikanische Atombomben stationiert. (...) Die FriedensaktivistInnen sehen darin einen Verstoß gegen Art. II des Nichtverbreitungsvertrags, der die Bundesrepublik verpflichtet, "Kernwaften und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen". Die "nukleare Teilhabe der Bundeswehr" stelle ohne Zweifel eine mittelbare Verfügungsgewalt über Kernwaffen dar. Die Bundesregierung verhalte sich folglich permanent völkerrechtswidrig. Sie verstoße darüber hinaus gegen Art. VI des Vertrags, der jede Vertragspartei zu Verhandlungen verpflichte "über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung (...) unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle".

Die gewaltfreie Aktion der Gruppe richtet sich darüber hinaus gegen die Pläne der Bush-Administration, Mini-Nukes als Gefechtsfeldwaffen einzusetzen. Damit würde der Damm zwischen dem Atomkrieg und dem konventionellen Krieg endgültig eingerissen.

Das Ziel der Aktivisten ist eine atomwaffenfreie Bundesrepublik als Deutschlands Beitrag zu einer atomwaffenfreien Welt. Deshalb fordern sie den Abzug der in Büchel und Ramstein (Rheinland-Pfalz) gelagerten insgesamt 64 Atombomben mit einer Sprengkraft von 600 Hiroshimabomben.

Sie können sich dabei auf die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung berufen. Eine repräsentative Umfrage des forsa-Instituts vom Juni 1998 kam zu dem Ergebnis: "93 Prozent der Bürger halten Atomwaffen für grundsätzlich völkerrechtswidrige Waffen, die weder produziert noch gehortet werden dürften. Ebenfalls sehr hoch ist der Anteil der Bürger, die der Aussage zustimmen, dass die Bundesregierung dafür sorgen sollte, dass die auf deutschem Boden gelagerten Atomwaffen umgehend beseitigt werden (81 Prozent)."

Warum, so fragt man sich, übertreten die AktivistInnen das Gesetz, um das Recht zu verteidigen? Ist das nicht ein vollendeter Widerspruch? Sie berufen sich auf Gandhi, der erklärte: "Ziviler Ungehorsam wird zu einer heiligen Pflicht, wenn der Staat den Boden des Rechts (gemeint ist des Menschen- und des Völkerrechts) verlassen hat."

Sie berufen sich des weiteren auf Albert Schweitzer, der bereits vor mehr als vierzig Jahren warnte: "Kein Land, in welcher Gegend der Erde es auch gelegen sein mag, kann sich der Hoffnung hingeben, dass das Vorhandensein von Atomwaffen es nichts angeht und es nichts davon zu befürchten hat. Darum muss die Erkenntnis dieser Gefahr bei allen Völkern der Erde verbreitet sein, und alle müssen wissen, dass die Abschaffung dieser Waffen aufgrund der Tatsache, dass sie gegen das Völkerrecht sind, gefordert werden muss. Wenn die öffentliche Meinung bei allen Völkern sich dieses Arguments bewusst wird und es geltend macht, dann kommt es unaufhaltsam dazu, dass diese grausamen Waffen abgeschafft werden.

Der Fliegerhorst Büchel war in den vergangenen Jahren wiederholt Ziel von Aktionen des zivilen Ungehorsams. Drei Mal drangen Friedensgruppen in das Gelände ein. Insgesamt 29 Personen wurden festgenommen und wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verurteilt. Gegen die Verurteilungen sind drei Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe anhängig.

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Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er kam als Wissenschaftler nach Wyhl, schloss sich aber schon bald der Widerstandsbewegung gegen das Atomkraftwerk an. In seiner Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ berichtet er ausführlich über den „Kampf um Wyhl“.