Eine Region wehrt sich gegen den Kriegszustand

von BI FREIe HEIDe
Initiativen
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Zwischen dem romantischen Rheinsberg, Wittstock und Neuruppin wächst seit drei Jahren der Unmut gegen Pläne der Bundeswehr, die jährlich 3000 Übungseinsätze mit Bombern über der mecklenburgi­schen Seenplatte fliegen will. Pro Einsatz würden 4 Bomber im Tiefflug über die Bäume donnern und 32 Bomben in den märkischen Sand feu­ern. Die Region würde dadurch in eine Art permanenten Kriegszustand versetzt werden.

Wo soll der Bundeswehr Einhalt gebo­ten werden, wenn nicht bei Wittstock? Wer soll das machen, wenn nicht Du und ich? Die Lüge über die Notwendig­keit der Bundeswehr fällt den Menschen in den neuen Bundesländern besonders auf.

An zwei Orten wehrt sich dort die Be­völkerung gegen zentrale Projekte des neuen Konzepts einer "mobilen Truppe". Es entstand ein massiver Wi­derstand gegen die Übernahme des Wittstocker Bombenabwurfplatzes der ehemals durch die Rote Armee genutzt wurde durch die Bundeswehr (FREIe HEIDe) und gegen die Einrichtung eines NATO-Schießplatzes und der Collbitz-Letzlinger Heide (BI Offene Heide).

Der folgende Artikel stellt die Ge­schichte und Gegenwart des Wider­stands der BürgerInneninitiative für eine FREIe HEIDe und der Berliner Unter­stützerInnen dar.

Was die Menschen trifft

Die AnwohnerInnen können sich nur allzu lebhaft an den Krach und die nervliche Belastung erinnern, die das Üben eines Luftkrieges auf dem Übungsplatz in den letzten 40 Jahren bedeutete.

Es gibt etwa 10 000 unmittelbar Betrof­fene, die in den direkt am Platz liegen­den Dörfern wohnen. Des Weiteren wohnen etwa 20-30 Tausend vor allem vom Tieffluglärm betroffene Frauen, Männer und Kinder in Wittstock, Neu­ruppin und Rheinsberg. Das Gebiet dient außerdem als Naherholungsgebiet für Berlin und ist als Mecklenburger Seenplatte weithin bekannt und ökolo­gisch schützenswert.

Eine unmittelbare Gefahr betrifft sehr weite Bevölkerungsteile. Ein möglicher Absturz auf das nahegelegene, mittler­weile stillgelegte, gegen Flugzeugab­stürze ungeschützte Atomkraftwerk Rheinsberg bedeutete die Freisetzung großer Mengen Radioaktivität.

Die älteren Menschen in der Region ha­ben auch den letzten Krieg nicht verges­sen. "Die Bundeswehr schmeißt nicht mit Pellkartoffeln, sie sollten uns nicht für dumm verkaufen" sagt ein 60-jähri­ger aus dem Dorf Schweinrich.

Was die Menschen der Region erwar­tet

Das Bundesverteidigungsministerium kündigt für den Bombenabwurfplatz Wittstock 3000 Einsätze pro Jahr an, bei Tag und bei Nacht. Üblicherweise be­deutet jeder Einsatz 32 Anflüge.

Die Lärmbelastung bei Tiefflügen ist nahezu unerträglich und kann zusam­men mit den Detonationen der Bomben zu Kreislaufproblemen, Angstzuständen, Hörsturz etc. führen. Um Schadenersatzansprüche durchsetzen zu können, müsste vom Geschädigten ein Nachweis geführt werden, der meist nicht gelingt.

Die DDR-Regierung hat nicht viel für die wirtschaftliche und kulturelle Ent­wicklung der Region getan. Nach der Machtübernahme durch den Westen ist die verbliebene Industrie und die LPG-Landwirtschaft in weiten Teilen zu­sammengebrochen und die Jugend ab­gewandert. Der Bürgermeister von Schweinrich sagt: "Es leben derzeit in der Gegend etwa zu gleichen Teilen Kinder, Arbeitende, Arbeitslose und äl­tere Menschen. Die Menschen setzten nach der Wende ihre Hoffnungen auf den Tourismus. Mit Rheinsberg und als Tor zur Mecklenburgischen Seenplatte, mit Autobahnanschluss und in der Nähe von Berlin und Hamburg waren Investo­ren schnell gefunden. Rehabilitations- und Kurkliniken sollten entstehen. Jetzt ist alles gefährdet. Wer macht schon gern Urlaub an der Front?"

Die Bundeswehr versucht mit dem Ar­gument der Schaffung von Arbeitsplät­zen durch die Garnison Stimmung zu machen. Sie stellte bereits 30 Personen ein, aus jedem Ort mindestens eine.

Zur Geschichte der Auseinanderset­zung

1950 okkupierten die sowjetischen Truppen einen großen Teil der 142 qkm Acker- und Waldfläche in Nordbran­denburg. Ein Zaun wird gezogen, die Bauern vom SED-Staat zum Verkauf gedrängt. Im Bewußtsein der Machtlo­sigkeit nahmen viele das relativ gute Kaufangebot des Staates an, andere wurden enteignet oder schlossen Pacht­verträge ab. Das Gelände wurde aus­schließlich von der roten Armee als Schießübungsgelände für Panzer und Artillerie und vor allem als Bombenab­wurfplatz genutzt. Die Größe erlaubte, einerseits die Raketenabschüsse und an­dererseits alle Arten von Bombenabwür­fen zu üben.

Das erste Widerstandsjahr

Am 30.6.1992 veröffentlichte das Bun­desverteidigungsministerium seine Pläne, Wittstock für Luft-Boden- und Boden-Boden Schießübungen "weiter-zu nutzen". Am 15.8. demon­strierten 4500 Menschen gegen die mi­litärische Nutzung. Am 23.8. gründen rund 80 TeilnehmerInnen einer Protest­versammlung die Bürgerinitiative FREIe HEIDe und erklären: "Wir wer­den niemals hinnehmen, daß die militä­rische Zernutzung unserer Region - ein Relikt des Kalten Krieges und ein Ge­waltakt der früheren Besatzungsmacht gegenüber den Einwohnern - nun frag­los vom eigenen demokratischen Staat für rechtens erklärt und weiterbetrieben wird." Mit dabei waren alle Bürgermei­ster und viele Pfarrer der umliegenden Gemeinden.

Von nun an wird an jedem 2. Sonntag im Monat eine Protestwanderung zur Schießplatzgrenze durchgeführt

Die BürgerInneninitiative bemühte sich ständig, PolitikerInnen auf allen Ebe­nen, Presseleute etc. vom Unsinn des Bombodroms zu überzeugen und paral­lel dazu ein Volksbegehren mit über 20000 UnterstützerInnenunterschriften an­zustrengen.

Im Frühjahr '93 drang die Kunde der widerspenstigen Region nach Berlin, und es bildete sich eine UnterstützerIn­nengruppe um die Gewaltfreie Aktions­gruppe/Graswurzelrevolution Berlin und den Anarchistischen-Laden.

Gemeinsam organisiert wurden im 2. Jahr die Protestwanderungen erweitert und nach längeren Diskussionen über Legalität und Widerstandsrecht gab es später dann auch Aktionen zivilen Un­gehorsams. Auf der gesperrten Straße die einstmals Wittstock und Neuruppin verband, stellten die beiden anliegenden Gemeinden einen Gemarkungsstein als Abschluß einer Protestwanderung auf.

1994 wurden die Aktivitäten verstärkt, nachdem die Bundeswehr trotz unge­klärter Rechts- und Besitzlage die Frechheit besaß den Platz Ende 1993 zu okkupieren und Schußwaffengebrauch androhte. Den Abschluß des Ostermar­sches bildete ein Open-Air-Konzert "Woodstock für Wittstock", daß Berli­nerInnen und die BI zusammen organi­serten, und zu dem 5000 Leute kamen. Es folgte eine Aktionswoche am Platz, und Einheimische errichteten heimlich bei Nacht mitten auf dem Platz eine Mahn- und Gedenkstätte für den Frie­den. Anlass war der 49.Jahrestag eines Massakers an einem Flüchtlings- und Soldatentreck kurz vor Ende des 2.Weltkrieges genau an dieser Stelle. Zahlreiche weitere Protestwanderungen und Aktionen fanden statt, sodaß sich im September 94 die Bundeswehr genötigt sah, den entnervten Platz­kommandanten auszuwechseln.

1995 folgte eine stärkere innere Ausein­andersetzung mit den Möglichkeiten von BürgerInnenprotest in einer derart bürokratisierten und machtgruppenbe­herrschten Demokratie wie in der BRD. Ein Konzept zivilen Ungehorsams war vielen fremd und suspekt aber auch spannend. Auf dem rein juristischen Weg kann sich die Bundeswehr trotz aller Argumente wohl auf kurz über lang durchsetzen. Es wäre nur eine Frage der Zeit. Also ist es notwendig, die Proteste so stark zu organisieren, daß der Bundeswehr der Landhunger auf das Gebiet vergeht.

Am 1.3. wurden gleichzeitig in Pritzwalk die Kreiskommandantur 843 und in Potsdam das Territorialkom­mando Ost, von BerlinerInnen und PotsdamerInnen besetzt bzw. blockiert. Der Ostermarsch wurde wieder von ei­nem Konzert abgeschlossen und es ka­men über 3000. Mittlerweile machen auch die Protestwanderungen nicht mehr vor den Schranken und Verboten Halt, so gingen 300 Protestierende am 8.Mai zur Mahn- und Gedenkstätte.

An Pfingsten folgte eine 3-tägige Pro­test-Rave-Party an den Schießplatz-grenzen, und im August ver­anstalteten die Antimilitaristischen Sommeraktions-tage ein Protestcamp in Schweinrich. Das gipfelte am 27.8. in einer Demo auf dem Platz mit klassi­schem Konzert der Gruppe Lebenslaute, und Aufstellen eines 50qm großen Klangspielkunst-werkes, das von einem 6m hohen Windrad angetrieben wird. Der Bundeswehr ist dies natürlich ein Dorn im Auge, und sie versucht solch massive Zeichen schnell wieder ver­schwinden zu lassen.

Bei den Vorträgen und Arbeitsgruppen der Antimilitaristischen Aktionstage ergaben sich sowohl Perspektiven für den weiteren Widerstand, die in Rich­tung eines breiteren Zusammenschlusses mit anderen BürgerInneninitiativen wei­sen, als auch breitere Beweggründe ge­gen Militaristische Projekte. Mittler­weile wird auch offiziell zugegeben, daß der Auftrag der Bundeswehr nicht mehr Landesverteidigung heiße, denn es gibt keine Nachbarn, die uns angreifen könnten, sondern der Verteidigung und Sicherung deutscher Interessen. Dazu gehört auch der freie Zugang zu Roh­stoffen. Der Protest gegen das Bombo­drom will nicht nur eine ruhige Erho­lungslandschaft schützen, sondern rich­tet sich gegen eine zunehmende Milita­risierung der bundesdeutschen Gesell­schaft. Angesichts der Schrecken des letzten Krieges wollen die BürgerInnen keinesfalls dulden, daß Militaristen Auslandseinsätze und Bom­bardierungen in ihrer Nachbarschaft trai­nieren um künftig rationeller im Aus­land morden zu können. Die Ursachen von Krieg liegen ja eher in Aufrüstung und solch militaristischem Denken.

Darum rufen die Bürgerinitiative und die Berliner und Potsdamer Unterstütze­rInnen auf, Dich an Aktionen und Vor­bereitung zu beteiligen. Ihr könnt direkt mit uns über folgende Adressen Kontakt aufnehmen und euch zu Vorbereitungs­treffen und Veranstaltungen einladen lassen.

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