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Eine Struktur für die Freiheit
von
Der Utopiegesprächskreis im gewaltfreien Aktionsbündnis Hamburg ist der Frage nachgegangen, wie die Strukturen einer freien Gesellschaft aussehen könnten. Ausführlich kann der "Entwurf einer freien Gesellschaft" in der Utopie-Broschüre nachgelesen werden.*
1. Freiheit bedeutet nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen leben zu können. Daraus folgt unmittelbar, daß Regelungen und Vereinbarungen zwischen Menschen nur gelten, wenn sie auf freier Zustimmung der Beteiligten beruhen. Ein freiheitlicher Utopieentwurf muß offen sein für die unterschiedlichsten Lebensweisen und Kulturen. (Daher findet sich in unserem Utopieentwurf - im Gegensatz zu anderen Utopien - ganz bewusst keine Beschreibung einer bestimmten Lebensweise.) Dieses Freiheitsrecht hat seine Grenzen in der gleichberechtigten Freiheit aller anderen Menschen. Wie bestimmt sich diese Grenze? Darauf versucht unser Utopieentwurf eine Antwort zu geben.
2. Das Menschenbild unserer Utopie berücksichtigt den Menschen mit seinen vielfältigen Seiten, so wie wir ihn kennen. Von daher beschreibt die Utopie keinen "Idealzustand", sondern auch in ihr ist das Recht auf Selbstbestimmung bedroht von Konflikten, ungleicher Machtverteilung und von Gewalt. Ich sehe folgende Gefahren für die Freiheit, für die eine Utopie Lösungen finden muß:
- Konflikte: Zur Freiheit gehört, daß Interessen un Bedürfnisse von Menschen gegeneinander stehen können. Die Fähigkeit, solche Konflikte im Konsens zu lösen, ist wichtig für eine freie Gesellschaft. Aber nicht alles kann und sollte im Konsens gelöst werden. Nicht weniger wichtig ist die individuelle und kollektive Autonomie. Unterschiedliche Lebensweisen können am besten in Frieden miteinander leben, wenn sie ihre eigenen Bereiche haben. Es muß also Regelungen geben, wie Individuen und Gruppen ihre jeweils selbstbestimmten Bereiche voneinander abgrenzen können.
- Gewalt: Ich meine, daß der Mensch überwiegend gewaltfrei ist. Unbestritten hat der Mensch aber auch die Möglichkeit, seine Interessen gewaltsam durchzusetzen. Das Fatale ist, daß dies meist zu einem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt führt. Nichts aber verletzt die Freiheit mehr als Gewalt gegen Menschen. Eine freie Gesellschaft muß in der Lage sein, auf Gewalt wirksam gewaltfrei reagieren zu können.
- Armut bedeutet, Menschen die in der Gesellschaft vorhandenen Mittel zum Leben und für die Gestaltung ihrer Freiheit vorzuenthalten. Zu einer freien Gesellschaft gehört auch ein gewisses Maß an Ungleichheit. Sie muß aber in der Lage sein, diese zu begrenzen, um Unfreiheit durch Armut zu verhindern.
- Die Zerstörung der Umwelt vernichtet Lebens- und Freiheitsmöglichkeiten. Alle unsere Handlungen haben Auswirkungen auf die Umwelt, die uns alle miteinander verbindet. Deshalb ist es eine große Herausforderung für eine freie Gesellschaft, einen Konsens der gewünschten Umweltqualität zu entwickeln. Umweltzerstörung entsteht aus der Summe vieler (für sich gesehen harmloser) Einzelhandlungen (z.B. Auto fahren). Notwendig ist deshalb eine Struktur, die das gemeinschaftliche Interesse an der Umwelt den Individuen wirksam vermittelt.
- Selbstbestimmung setzt das Wissen über Möglichkeiten voraus. Unwissenheit und Wissensmonopole sind freiheitsfeindlich. Eine freie Gesellschaft muß daher den Zugang zu Wissen und Bildung für jeden Menschen sichern.
- Krankheit, Behinderung und Kindsein gehören zum menschlichen Leben, schränken aber die Lebensmöglichkeiten erheblich ein. Eine freie Gesellschaft muß einen solidarischen Ausgleich dafür schaffen.
- Diskriminierungen schränken benachteiligte Gesellschaftsgruppen in ihren Freiheitsmöglichkeiten ein und machen abhängig. Toleranz ist das Fundament einer freien Gesellschaft. Dort wo Gruppen sich diskriminiert fühlen, müssen sie soweit möglich das Recht haben, sich eigene Strukturen mit eigenen Ressourcen parallel zu den Mehrheitsstrukturen zu schaffen (z.B. Frauen-Kapitalrat s.u.).
- Nicht zuletzt ist Freiheit bedroht durch Bürokratie und Herrschaft, die zum "Schutze der Freiheit" errichtet wird. Z.B. Staatliches Gewaltmonopol gegen Gewalt, Sozialstaat gegen Armut, Umweltbürokratie, Staatsschulden usw.
Eine freie Gesellschaft ist eine Gratwanderung zwischen der Gefahr der Zerstörung durch fehlende soziale Strukturen (Stichwort: Ellbogengesellschaft) und dem Ersticken der Freiheit durch ein Netz von "Sicherheitsstrukturen".
3. In unserer Utopie trennen wir zwischen dem "privaten" und dem politischen Bereich.
Zum privaten Bereich gehört alles, was von jedem Menschen selbst nach seinen Interessen und Bedürfnissen entschieden wird. Festgelegte Nutzungsrechte, z.B. über Grund und Boden, Gebäude, Produktionsmittel und über das Ergebnis der eigenen Arbeit grenzen die Selbstbestimmung der Individuen voneinander ab. Durch freie Vereinbarungen können Menschen beliebige Strukturen bilden. Dieser Bereich individueller Selbstbestimmung soll möglichst groß sein. Er umfasst in unserer Utopie daher alle wirtschaftlichen Aktivitäten und viele heute staatlich geregelten Bereiche (z.B. Verkehr, Schulwesen).
Der politische Bereich umfasst alle Fragen, die von den Menschen, die sich zu einer freien Gesellschaft zusammengeschlossen haben ("Gesellschaftsvertrag"), gemeinschaftlich geregelt werden. In unserer Utopie gehört dazu u.a. die Frage der Vergabe von Nutzungsrechten, der Nutzung der Umwelt, sozialer Ausgleich und Konfliktlösung.
4. Die bestehenden Besitzrechte sind durch Gewalt und Ungerechtigkeit entstanden. Sie können nicht Grundlage für die Nutzungsrechte einer freien Gesellschaft sein. Ich unterscheide: Jeder Mensch hat das Recht, über sich und die Ergebnisse seiner Arbeit zu verfügen. Die natürlichen und gesellschaftlichen Reichtümer aber haben als gemeinsames Erbe aller Menschen zu gelten.
Aber: Die Vergesellschaftung von Boden, Häusern und Produktionsmitteln führt zu Herrschaft durch Planungsbürokratie. Auch die Dezentralisierung (Übernahme der Fabriken durch die ArbeiterInnen, der Häuser durch die MieterInnen usw.) löst das Problem nicht. Bestehende Ungleichheiten bleiben bestehen und die Dynamik von Kapitalgewinn auf der einen und Kapitalverlust auf der anderen Seite wird dadurch nicht aufgehoben.
Vorschlag unseres Utopieentwurfes: Produktionsmittel, Gebäude, Land stehen den Individuen zur dezentralen Nutzung als Kredit zur Verfügung.
5. Wie funktioniert der Kapitalkredit?
- Jedes Projekt (Arbeit, Wohnen) hat grundsätzlich Anspruch auf einen Kapitalkredit zur Finanzierung von Häusern und Produktionsmitteln und kann freigegebene Grundstücke pachten.
- Selbstbestimmung für Projekte im Rahmen ihrer Produktbeschreibung
- Aber Kapitalrat prüft, ob das Kapital werterhaltend genutzt wird
- Aber: Kein "Betriebsgeheimnis". "Abgucken" und voneinander lernen ist erlaubt und erwünscht
- Projekte zahlen Zinsen bzw. Pacht für die Nutzung des Kapitals und des Bodens. Die Einnahmen dienen der sozialen Umverteilung (Kinder, alte Menschen, Kranke)
- Überschüsse können nicht in das Projekt investiert werden, keine private Kapitalakkumulationen
- Verluste im Falle des Konkurses trägt der Kapitalrat
- Unterschiedlich hohe Zinsen sorgen für eine gleichmäßige, regionale Verteilung des Kapitals
6 Warum Geldwirtschaft?
- Zum Recht, frei über den Ertrag der eigenen Arbeit zu verfügen, gehört auch das Recht, sich mit anderen auszutauschen. Geld ist ein ideales Instrument, mit dem Menschen ihre Austauschverhältnisse zueinander selbstbestimmt und unkompliziert gestalten können. Die Prinzipien und Regelungen, nach denen Menschen sich selbst austauschen, sind offen und selbstbestimmt.
- Geld ermöglicht, Menschen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, ohne daß der Verwendungszweck festgelegt ist.
7. Der politische Bereich - vier regionale Räte:
- Der Kapitalrat vergibt den gesellschaftlichen Reichtum als Kredit.
- Der Ökologierat setzt die ökologischen Rahmenbedingungen. Naturschutzgebiete begrenzen die Bodenhaltung. Umweltauswirkungen der Betriebe und Projekte werden erfaßt und über Ökosteuern ein finanzieller Anreiz gegeben, negative Umweltfolgen zu reduzieren.
- Der Sozialrat finanziert ein Gesundheitswesen, das kostenlos genutzt werden kann.
- Der Konfliktrat ist den anderen Räten übergeordnet und wird aktiv, wenn er angerufen wird, von Menschen, die sich in ihrer Freiheit ungerechtfertigt beschränkt oder geschädigt sehen. Der Konfliktrat gibt den Beteiligten Hilfestellung, den Konflikt selbst zu lösen. Es gibt kein Gesetzwerk, sondern das Gerechtigkeitsverständnis entwickelt sich an jedem Konflikt weiter. Ziel ist die Wiedergutmachung (und ev. Versöhnung), keine Strafjustiz.
Der Konfliktrat mobilisiert die gesellschaftliche Selbstverteidigung gegen Menschen, die (wiederholt) sich der Bearbeitung eines Konfliktes verweigern: Öffentliche Nennung des Konfliktes und des "Konfliktverweigerers", sozialer und ökonomischer Boykott, Beschlagnahmung u.ä. Diese Maßnahmen dienen nicht der Bestrafung, sondern sollen Druck erzeugen, daß der Betroffene sich einer Konfliktbearbeitung stellt.
8. Libertäre Demokratie:
- Gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen mit einem Minimum an inhaltlichen Vorgaben. Beispiel Bildungsgeld: Statt eines staatlichen Bildungswesen steht jedem Menschen ein Bildungsgeld zur Verfügung, mit dem er selbstbestimmt über seine Ausbildung und Weiterbildung entscheiden kann.
- Entpolitisierung und Privatisierung
Beispiel Gemeinschaftsgeld: Statt eines staatlichen Subventions(un)wesens steht jedem Menschen ein Gemeinschaftsgeld zur Verfügung, mit dem er selbst entscheidet, welche gemeinnützigen Einrichtungen er fördern möchte.
- Anstelle von Regierungen und Parlamenten, die über fast alles entscheiden dürfen, treten Fachräte (z.B. Ökorat) mit klar begrenzten Aufgabenbereichen.
- Dezentralisierung der politischen Strukturen, z.B. Konflikträte auf kommunaler Ebene, Kapitalräte auf Ebene von heutigen Bundesländern.
- Machtteilung durch Parallelstrukturen, Minderheiten können eigenen Konfliktrat, eigenen Kapitalrat wählen.
- Nicht nur Personen, sondern auch ihr Programm wird gewählt und ist verbindliche Grundlage für die Arbeit der Räte.
- Die Opposition ist mit Mitteln der effektiven Kontrolle und Gegenöffentlichkeit ausgestattet.
- Kein Gewaltmonopol, sondern gewaltfreie, soziale Machtausübung.