Offenbacher Modellprojekt zur Gewaltprävention

Einjahreskurs "gewaltfreies Training" für PädagogInnen

von Christoph Besemer
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Im Jugendbildungswerk fliegen die Fetzen ... Zwei Tage im Monat hat Frau Scholz, die Verwaltungsangestellte im Jugendbildungswerk Offen­bach, keine Ruhe: Über 15 Personen, darunter die vier pädagogischen MitarbeiterInnen des Jugendbildungswerkes, produzieren im Neben­raum so allerhand verschiedene Geräusche: Stampfen, Klopfen, Ge­lächter, wildes Durcheinanderreden, Schreie, Prügeleien, verdächtige Ruhe, leises Gemurmel; und dann und wann strömen sie in Grüppchen und mit Buntstiften und Papierbögen bewaffnet in die verschiedenen Büroräume und produzieren chaotische oder auch mal ganz schön an­zusehende Plakate. Eins davon möchte Frau Scholz sich am - vorläufi­gen - Ende dieses ganzen Tohuwabohus als Andenken mitnehmen -, und schon löst sie eine halb gespielte, halb ernste Diskussion darüber aus, wer denn nun das Plakat bekommen soll.

Dafür, daß diese Auseinandersetzung nicht in einem unfruchtbaren Streit en­det, steht das Thema der ganzen Veran­staltung: "Fortbildung zur Konfliktbe­raterin/zum Konfliktberater". Unter die­sem vorläufigen, etwas unscharfen Titel haben sich 15 hauptamtliche Pädago­gInnen aus den Bereichen Kindertages­stätte, Jugendeinrichtungen und Schule zusammengefunden, um sich in einem einjährigen berufsbegleitenden Kurs in konstruktiver Konfliktaustragung wei­terbilden zu lassen. Diese Fortbildung wurde von den beiden hauptamtlichen MitarbeiterInnnen der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Renate Wanie und Christoph Besemer, konzipiert und durchgeführt. Beim Thema "Mediation" wirkten außerdem noch eine weitere Mitarbeiterin der Werkstatt, Mechtild Eisfeld, und die Mediatorin Traude Rebmann mit.

Mit Gewalt wird oft Stärke demon­striert, wo Schwäche erlebt wird

Dieser Versuch einer längerfristigen, umfassenden Weiterbildung von Päd­agogInnen ist ein Kernelement eines dreijährigen Offenbacher Modellpro­jektes zur Prävention von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Kurt Faller vom Jugendbildungswerk in Offenbach hat dieses ambitionierte Programm ent­wickelt, um der zunehmenden Fremden­feindlichkeit und Gewaltbereitschaft in dieser Stadt auf neue Weise entgegen­zuwirken. Die Stadt Offenbach hatte das Projekt 1993 in Auftrag gegeben und trägt den Großteil der Finanzierung. Grundgedanke des Modellversuchs ist es, gewaltbereite Jugendliche nicht aus­zugrenzen und hassschürenden Rechts­radikalen zu überlassen, sondern ihre Probleme und Motivationen ernst zu nehmen. Denn mit Gewalt wird oft Stärke demonstriert, wo Schwäche er­lebt wird. Ziel ist es deshalb, diesen Ju­gendlichen die Möglichkeit "gewaltfreier Stärke" zu vermitteln, in­dem ihnen konstruktive Wege des Um­gangs mit Konflikten aufgezeigt und mit ihnen trainiert werden. Dazu sieht das Offenbacher Modellprojekt ein ganzes Paket von Maßnahmen vor: von "gewaltfreien Trainings" mit Kindern und Jugendlichen, Streitschlichter-Pro­grammen an Schulen und Fortbildungen von ErzieherInnen, SozialpädagogInnen und LehrerInnen bis hin zur Erarbeitung einer Menschenrechts-Ausstellung mit Jugendlichen und dem Aufbau eines kommunalen Netzwerks zur Früherken­nung und Bearbeitung von gewaltträch­tigen Konfliktlagen.

Die Inhalte der Fortbildung

Auf der Grundlage langjähriger Erfah­rungen mit Trainings in gewaltfreier Konfliktbearbeitung haben die beiden "Werkstatt"-MitarbeiterInnen ein auf die Offenbacher Zielgruppe zugeschnittenes Fortbildungsprogramm entwickelt.

Das Curriculum beinhaltete sechs Zweitages-Blöcke mit jeweils eigenen Themenschwerpunkten, eine Auswer­tungs- und Projektentwicklungs-Woche, eine vertiefende Zweitages-Veranstal­tung zu einem der bereits angeschnitte­nen Themen und schließlich einem zweitägigen Erfahrungsaustausch und Abschluß.

Die Themen der ersten sechs Blöcke umfassten: Grundlagen und Grundbe­griffe der Konfliktaustragung, persönli­che Stärkung, Kommunikation und Ko­operation, Reflexion des eigenen Kon­fliktverhaltens, Konflikttheorie, Metho­den konstruktiven Umgangs mit Ärger, Aggression und Konflikten, Vermittlung in Konflikten (Mediation), Konsensfin­dung in Gruppenkonflikten, eigener Se­xismus und Rassismus, Verhalten bei Bedrohung und Gewalt, Möglichkeiten des gewaltfreien Eingreifens in Gewalt- und Diskriminierungssituationen.

Diese ersten sechs Seminarblöcke wandten sich in erster Linie an die Teil­nehmerInnen als Lernende: Sie sollten ihre eigene Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Konflikten, Aggression und Gewalt testen und weiterentwic­keln. Dabei wurde überwiegend von Situationen ausgegangen, die sie selbst erlebt hatten. Bearbeitet wurden diese meist in Rollenspielen oder Paarübun­gen, denen jeweils Auswertungsgesprä­che folgten, sowie mit kurzen theoreti­schen Impulsen.

Das Gelernte in eigene Projekte über­tragen

Die Auswertungs- und Projektentwick­lungs-Woche gab den TeilnehmerInnen schließlich mehr Zeit und Raum, um ihre Erfahrungen während der bisheri­gen Fortbildungszeit zu reflektieren, De­fizite zu erkennen und ein zweitägiges Vertiefungsseminar zur Mediation zu beschließen. Weiterhin entwickelten sie konkrete Projekte für ihren jeweiligen Arbeitsbereich, in denen sie das Ge­lernte kind- und jugendgerecht weiter­vermitteln wollen. Daß dabei schon ein­richtungsübergreifend gedacht und ge­plant wurde, war einer der positiven Ef­fekte dieser Phase. Die Projekte sollten im folgenden Vierteljahr durchgeführt oder zumindest in einem Teilschritt ab­geschlossen werden, so daß im ab­schließenden Treffen am Ende der Fort­bildung die Übertragbarkeit und Wir­kung beurteilt werden könnte. Die Viel­falt der während dieser Woche entwic­kelten Projekte war beeindruckend: Sie reichten vom Abenteuerurlaub mit Lerneinheiten zur Konfliktlösung, spe­ziell auch für schwache "starke Jungs", einem pädagogischen Tag mit Eltern und LehrerInnen einer Gesamtschule, einem Konflikt-Training mit jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung, die über ein öffentliches Beschäfti­gungsprogramm einen Arbeitsplatz er­halten haben, bis hin zu einer selbstor­ganisierten Übungs-Firma im Bereich Kurierdienst für perspektivlose Jugend­liche und einer Vernetzung der Kinder- und Jugendeinrichtungen in einem so­zialen Brennpunkt-Bezirk.

Da sollten auch die KollegInnen mit­machen!

Grundsätzlich wurde von allen Betei­ligten das Fortbildungsprogramm posi­tiv bewertet. Sie hätten privat und be­ruflich einiges davon schon anwenden können: Seien es spielerische Übungen mit Grundschul-Kindern, die Einfüh­rung von Diskussions"regeln" im KiTa-Kinderplenum, Kommunikationsübun­gen mit Jungen aus einer Hortgruppe, ein effektiveres Verhalten als Vermittler bei Streitigkeiten zwischen Jugendli­chen oder die Konfliktnachbearbeitung mit Hilfe des "Forumtheater" nach einer Schlägerei zwischen zwei Schülern. Die Umsetzung empfanden manche dann schwierig, wenn sie in ihrer Einrichtung allein die neuen Ansätze vertreten und durchsetzen mußten. Da jedoch das In­teresse bei den KollegInnen groß ist, ebenfalls eine solche Fortbildung zu be­suchen, und auch schon ein weiterer Kurs angelaufen ist, könnten diese "EinzelkämpferInnen" schon bald Ver­stärkung erhalten.

Epilog: Was bewirkt so ein Training?

Bei den Überlegungen zum Transfer der Fortbildungsinhalte und dem Austausch über die gemachten Erfahrungen zeigte sich immer wieder, daß das Weiterver­mitteln von Inhalten und Übungen nicht der einzige und vielleicht nicht einmal der wichtigste Weg des Transfers ist, zumal Übungen, die für Erwachsene gut sind, oft verändert werden müssen, um sie für Kinder und Jugendliche interes­sant und nachvollziehbar zu machen. Zuweilen lassen sie sich jedoch auch ohne Veränderung übertragen. Eine an­dere Möglichkeit des Transfers ist das direkte Anwenden von Gesprächsme­thoden, Gruppenregeln, Entscheidungs­verfahren usw., so daß die Kinder und Jugendlichen diese als Bestandteil des täglichen Miteinanders erfahren und auf diese Weise erlernen.

Eine dritte Ebene ist der Vorbildcha­rakter der Erwachsenen: So wie sie mit ihren Konflikten umgehen, so schauen es sich die Kinder ab und wenden es für sich selbst an.

Eine vierte Ebene ist die persönliche Veränderung der KursteilnehmerInnen: Sie beschäftigen sich mit ihrem eigenen Konfliktverhalten, oft auch mit ihrem Leben überhaupt, verändern manche ih­rer bisher unreflektierten Verhaltensge­wohnheiten und werden von KollegIn­nen, Kindern und Jugendlichen als "anderer", persönlich gewachsener Mensch wahrgenommen. Statt dem Drang nach Provokation und Konfron­tation kommt nun Vertrauen und Neu­gier auf - Neugier auf den Menschen, der ihnen so offen, respektvoll und in hilfreicher Weise entgegentritt.

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