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Offenbacher Modellprojekt zur Gewaltprävention
Einjahreskurs "gewaltfreies Training" für PädagogInnen
vonIm Jugendbildungswerk fliegen die Fetzen ... Zwei Tage im Monat hat Frau Scholz, die Verwaltungsangestellte im Jugendbildungswerk Offenbach, keine Ruhe: Über 15 Personen, darunter die vier pädagogischen MitarbeiterInnen des Jugendbildungswerkes, produzieren im Nebenraum so allerhand verschiedene Geräusche: Stampfen, Klopfen, Gelächter, wildes Durcheinanderreden, Schreie, Prügeleien, verdächtige Ruhe, leises Gemurmel; und dann und wann strömen sie in Grüppchen und mit Buntstiften und Papierbögen bewaffnet in die verschiedenen Büroräume und produzieren chaotische oder auch mal ganz schön anzusehende Plakate. Eins davon möchte Frau Scholz sich am - vorläufigen - Ende dieses ganzen Tohuwabohus als Andenken mitnehmen -, und schon löst sie eine halb gespielte, halb ernste Diskussion darüber aus, wer denn nun das Plakat bekommen soll.
Dafür, daß diese Auseinandersetzung nicht in einem unfruchtbaren Streit endet, steht das Thema der ganzen Veranstaltung: "Fortbildung zur Konfliktberaterin/zum Konfliktberater". Unter diesem vorläufigen, etwas unscharfen Titel haben sich 15 hauptamtliche PädagogInnen aus den Bereichen Kindertagesstätte, Jugendeinrichtungen und Schule zusammengefunden, um sich in einem einjährigen berufsbegleitenden Kurs in konstruktiver Konfliktaustragung weiterbilden zu lassen. Diese Fortbildung wurde von den beiden hauptamtlichen MitarbeiterInnnen der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Renate Wanie und Christoph Besemer, konzipiert und durchgeführt. Beim Thema "Mediation" wirkten außerdem noch eine weitere Mitarbeiterin der Werkstatt, Mechtild Eisfeld, und die Mediatorin Traude Rebmann mit.
Mit Gewalt wird oft Stärke demonstriert, wo Schwäche erlebt wird
Dieser Versuch einer längerfristigen, umfassenden Weiterbildung von PädagogInnen ist ein Kernelement eines dreijährigen Offenbacher Modellprojektes zur Prävention von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Kurt Faller vom Jugendbildungswerk in Offenbach hat dieses ambitionierte Programm entwickelt, um der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft in dieser Stadt auf neue Weise entgegenzuwirken. Die Stadt Offenbach hatte das Projekt 1993 in Auftrag gegeben und trägt den Großteil der Finanzierung. Grundgedanke des Modellversuchs ist es, gewaltbereite Jugendliche nicht auszugrenzen und hassschürenden Rechtsradikalen zu überlassen, sondern ihre Probleme und Motivationen ernst zu nehmen. Denn mit Gewalt wird oft Stärke demonstriert, wo Schwäche erlebt wird. Ziel ist es deshalb, diesen Jugendlichen die Möglichkeit "gewaltfreier Stärke" zu vermitteln, indem ihnen konstruktive Wege des Umgangs mit Konflikten aufgezeigt und mit ihnen trainiert werden. Dazu sieht das Offenbacher Modellprojekt ein ganzes Paket von Maßnahmen vor: von "gewaltfreien Trainings" mit Kindern und Jugendlichen, Streitschlichter-Programmen an Schulen und Fortbildungen von ErzieherInnen, SozialpädagogInnen und LehrerInnen bis hin zur Erarbeitung einer Menschenrechts-Ausstellung mit Jugendlichen und dem Aufbau eines kommunalen Netzwerks zur Früherkennung und Bearbeitung von gewaltträchtigen Konfliktlagen.
Die Inhalte der Fortbildung
Auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen mit Trainings in gewaltfreier Konfliktbearbeitung haben die beiden "Werkstatt"-MitarbeiterInnen ein auf die Offenbacher Zielgruppe zugeschnittenes Fortbildungsprogramm entwickelt.
Das Curriculum beinhaltete sechs Zweitages-Blöcke mit jeweils eigenen Themenschwerpunkten, eine Auswertungs- und Projektentwicklungs-Woche, eine vertiefende Zweitages-Veranstaltung zu einem der bereits angeschnittenen Themen und schließlich einem zweitägigen Erfahrungsaustausch und Abschluß.
Die Themen der ersten sechs Blöcke umfassten: Grundlagen und Grundbegriffe der Konfliktaustragung, persönliche Stärkung, Kommunikation und Kooperation, Reflexion des eigenen Konfliktverhaltens, Konflikttheorie, Methoden konstruktiven Umgangs mit Ärger, Aggression und Konflikten, Vermittlung in Konflikten (Mediation), Konsensfindung in Gruppenkonflikten, eigener Sexismus und Rassismus, Verhalten bei Bedrohung und Gewalt, Möglichkeiten des gewaltfreien Eingreifens in Gewalt- und Diskriminierungssituationen.
Diese ersten sechs Seminarblöcke wandten sich in erster Linie an die TeilnehmerInnen als Lernende: Sie sollten ihre eigene Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Konflikten, Aggression und Gewalt testen und weiterentwickeln. Dabei wurde überwiegend von Situationen ausgegangen, die sie selbst erlebt hatten. Bearbeitet wurden diese meist in Rollenspielen oder Paarübungen, denen jeweils Auswertungsgespräche folgten, sowie mit kurzen theoretischen Impulsen.
Das Gelernte in eigene Projekte übertragen
Die Auswertungs- und Projektentwicklungs-Woche gab den TeilnehmerInnen schließlich mehr Zeit und Raum, um ihre Erfahrungen während der bisherigen Fortbildungszeit zu reflektieren, Defizite zu erkennen und ein zweitägiges Vertiefungsseminar zur Mediation zu beschließen. Weiterhin entwickelten sie konkrete Projekte für ihren jeweiligen Arbeitsbereich, in denen sie das Gelernte kind- und jugendgerecht weitervermitteln wollen. Daß dabei schon einrichtungsübergreifend gedacht und geplant wurde, war einer der positiven Effekte dieser Phase. Die Projekte sollten im folgenden Vierteljahr durchgeführt oder zumindest in einem Teilschritt abgeschlossen werden, so daß im abschließenden Treffen am Ende der Fortbildung die Übertragbarkeit und Wirkung beurteilt werden könnte. Die Vielfalt der während dieser Woche entwickelten Projekte war beeindruckend: Sie reichten vom Abenteuerurlaub mit Lerneinheiten zur Konfliktlösung, speziell auch für schwache "starke Jungs", einem pädagogischen Tag mit Eltern und LehrerInnen einer Gesamtschule, einem Konflikt-Training mit jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung, die über ein öffentliches Beschäftigungsprogramm einen Arbeitsplatz erhalten haben, bis hin zu einer selbstorganisierten Übungs-Firma im Bereich Kurierdienst für perspektivlose Jugendliche und einer Vernetzung der Kinder- und Jugendeinrichtungen in einem sozialen Brennpunkt-Bezirk.
Da sollten auch die KollegInnen mitmachen!
Grundsätzlich wurde von allen Beteiligten das Fortbildungsprogramm positiv bewertet. Sie hätten privat und beruflich einiges davon schon anwenden können: Seien es spielerische Übungen mit Grundschul-Kindern, die Einführung von Diskussions"regeln" im KiTa-Kinderplenum, Kommunikationsübungen mit Jungen aus einer Hortgruppe, ein effektiveres Verhalten als Vermittler bei Streitigkeiten zwischen Jugendlichen oder die Konfliktnachbearbeitung mit Hilfe des "Forumtheater" nach einer Schlägerei zwischen zwei Schülern. Die Umsetzung empfanden manche dann schwierig, wenn sie in ihrer Einrichtung allein die neuen Ansätze vertreten und durchsetzen mußten. Da jedoch das Interesse bei den KollegInnen groß ist, ebenfalls eine solche Fortbildung zu besuchen, und auch schon ein weiterer Kurs angelaufen ist, könnten diese "EinzelkämpferInnen" schon bald Verstärkung erhalten.
Epilog: Was bewirkt so ein Training?
Bei den Überlegungen zum Transfer der Fortbildungsinhalte und dem Austausch über die gemachten Erfahrungen zeigte sich immer wieder, daß das Weitervermitteln von Inhalten und Übungen nicht der einzige und vielleicht nicht einmal der wichtigste Weg des Transfers ist, zumal Übungen, die für Erwachsene gut sind, oft verändert werden müssen, um sie für Kinder und Jugendliche interessant und nachvollziehbar zu machen. Zuweilen lassen sie sich jedoch auch ohne Veränderung übertragen. Eine andere Möglichkeit des Transfers ist das direkte Anwenden von Gesprächsmethoden, Gruppenregeln, Entscheidungsverfahren usw., so daß die Kinder und Jugendlichen diese als Bestandteil des täglichen Miteinanders erfahren und auf diese Weise erlernen.
Eine dritte Ebene ist der Vorbildcharakter der Erwachsenen: So wie sie mit ihren Konflikten umgehen, so schauen es sich die Kinder ab und wenden es für sich selbst an.
Eine vierte Ebene ist die persönliche Veränderung der KursteilnehmerInnen: Sie beschäftigen sich mit ihrem eigenen Konfliktverhalten, oft auch mit ihrem Leben überhaupt, verändern manche ihrer bisher unreflektierten Verhaltensgewohnheiten und werden von KollegInnen, Kindern und Jugendlichen als "anderer", persönlich gewachsener Mensch wahrgenommen. Statt dem Drang nach Provokation und Konfrontation kommt nun Vertrauen und Neugier auf - Neugier auf den Menschen, der ihnen so offen, respektvoll und in hilfreicher Weise entgegentritt.