Eritrea: Eindrücke aus dem Kalten Krieg

von Helmut Falkenstörfer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Anfang Mai diesen Jahres eskalierte der Grenzkonflikt zwischen Eritrea und Äthiopien und es kam zum Ausbruch eines Krieges. Sofort bemühten sich Diplomaten und Institutionen um eine Konfliktlösung und hatten - scheinbar - Erfolg. Seit Ende Juli wird nicht mehr über Kampfhandlungen berichtet. Doch beide Seiten rüsten seitdem heftig auf, die Propagandamaschine ist in beiden Ländern angelaufen, um die Bevölkerung auf den kommenden Krieg einzustimmen. Menschenrechtsorganisationen protestieren gegen die massenweise Ausweisung von Eritreern aus Äthiopien, selbst solchen, die seit Generationen in Äthiopien leben. Und auch Eritrea hat Äthiopier ausgewiesen. Wir geben einen Bericht von Helmut Falkenstörfer wieder der im September diesen Jahres vor Ort war und zuerst im "AG KED info Afrika - Konflikte und Friedensarbeit", Nr. 5 erschienen ist.

Der eritreisch-äthiopische Krieg ruht zur Zeit. Die Menschen in Asmara sind aber darauf eingestellt, daß er wieder aufleben kann. Niemand wünscht das, es gibt keine Kriegslüsternheit, auch keine laute Propaganda von seiten der Regierung. Keine Aufmärsche, keine Spruchbänder, überhaupt keine Militärpräsenz.

An der Front bei Badme, wo der Krieg begann, fällt kein Schuß. Mit Ausnahme eines Abwehrgeschützes an der Brücke über den Mereb sind keine schweren Waffen zu sehen. Die Ebene ist eine Baumsavanne, durchsetzt mit Feldern. Die nördlich daran anschließenden Hügel sind von Gebüsch und niedrigem Baumwuchs bedeckt. An der Straße sind wenige Kämpfer zu sehen. Das Gros darf man im Gebüsch vermuten. Der äthiopische Präsident Negasso Gidada drohte in seiner Neujahrbotschaft am 11. September 1997, Äthiopien werde angreifen, wenn Eritrea sich nicht bedingungslos zurückziehe. Isaias Afeworki antwortete in einem Fernsehinterview, Eritrea werde sich nicht zurückziehen, werde sich aber auch durch keine Provokation von seinem friedlichen Kurs abbringen lassen. Konkret bietet Eritrea die Schaffung einer entmilitarisierten Zone an.

Was das heißt, erläuterte Yemane Gebre-Meskel, Direktor des Präsidialamtes in Asmara so: "Der grundlegende Punkt ist, daß es keinen einseitigen Rückzug geben kann, denn wir haben unsere eigenen Grenzen nicht überschritten. (...) Wir sagen nun o.k., das Problem kann durch Demarkierung gelöst werden. Aber um das durchzuführen, muß man eine Pufferzone schaffen."

Daß Eritrea seine Grenzen nirgends überschritten hat, ist so eindeutig nicht. Der Grenzverlauf am Boden ist keineswegs überall klar. Am Gebirgshang zum Roten Meer gibt es Unklarheiten darüber, welcher von verschiedenen Flüssen mit dem Namen Muna die Grenze bezeichnet. Ihrer Natur nach am Boden völlig unbestimmt ist die Grenze parallel zum Roten Meer. Der Vertrag zwischen Italien und Äthiopien vom 16. Mai 1908 legt fest, daß die Grenze in 60 km Entfernung parallel zur Küste läuft. Eine an das Gelände angepaßte Markierung der Grenze in diesem Sinne war vorgesehen, ist aber nie erfolgt. Das umstrittene Gebiet von Bada (nicht zu verwechseln mit Badme) liegt am Nordende dieses Grenzabschnitts.

In den CNN-Berichten zu Beginn des Krieges wurde der Eindruck erweckt, Eritrea habe zuerst Mekele angegriffen und Äthiopien habe mit einem Angriff auf Asmara zurückgeschlagen. Inzwischen hat sich folgendes Bild herauskristallisiert: Der erste Luftangriff am 5. Juni 98 gegen 14.30 Uhr kam aus Äthiopien und geschah sozusagen unter den Augen der Deutschen Botschaft, die sich im 8. Stock eines Gebäudes in der Nähe des Flughafens befindet. Er sollte eritreische Jäger am Boden vernichten. Nur waren die nicht dort, wo man sie vermutet hatte, so daß sie kurz darauf aufsteigen und einen Teil der äthiopischen Luftwaffe da angreifen konnten, wo die Jäger hergekommen waren, nämlich in Mekelle in Tigray. Dabei wurden nach äthiopischen Angaben auch zivile Ziele getroffen. Die zweite eritreische Angriffswelle lag zeitlich nach den Luftangriffen.

Unstrittig ist auch auf eritreischer Seite, daß EPLF und TPLF während des Krieges in dieser Gegend den Grenzverlauf nicht so genau genommen haben. Daraus ergab sich, daß das äthiopische Bundesland Tigray bis Kriegsausbruch im Mai diesen Jahres ein Dreieck von etwa 30 mal 60 Kilometern zwischen der Grenze und dem innerhalb Eritreas liegenden Sitona-Fluß verwaltet hat. Ein Gebiet von etwa 60 km östlich der zwischen Mereb und Setit in nord-nordöstlicher Richtung verlaufenden geraden Grenzlinie war seit Jahrzehnten von Hochland-Eritreern bewohnt. Die Verwaltung von Tigray hat diese Bauern nach und nach ausgewiesen. Dabei gab es insbesondere Beschwerden darüber, daß man den Menschen nicht einmal Zeit gelassen hat, wenigstens die Ernte einzubringen. Der Konflikt verschärfte sich, als diese Maßnahmen auf das von Tigray verwaltete eritreische Gebiet ausgedehnt wurde. Dies war der Auslöser für den von beiden Seiten nicht bestrittenen Zwischenfall vom 6. Mai, bei dem sieben Mitglieder einer lokalen eritreischen Verhandlungs-Delegation getötet wurden. Auf diesen Zwischenfall hat Eritrea mit einem Blitzkrieg reagiert und den Umstand, daß Äthiopien keine Truppen an der Grenze hatte, genutzt, um Faustpfänder zu erobern. Schon um sein Gesicht zu wahren, fordert Äthiopien den Rückzug auf die Linien vor dem 6. Mai als Vorbedingungen für Verhandlungen.

Auch aus Regierungskreisen verlautet, daß weder Äthiopien noch Eritrea die Schließung der Grenze auf die Dauer verkraften könne. Bisher haben etwa 2.000 Äthiopier Eritrea verlassen, meist unter Geleitschutz des Internationalen Roten Kreuzes. Äthiopien hat dagegen etwa 30.000 Eritreer ausgewiesen. Ihnen blieben oft nur eine oder zwei Stunden Zeit, das nötigste Gepäck zusammenzupacken. Eritrea hat enormen Schaden durch den Ausfall der Gebühren für den Umschlag äthiopischer Güter in den Häfen Massawa und Assab sowie durch den Ausfall der Exporte nach Äthiopien, die mehr als 60 Prozent der Gesamtexporte des Landes ausmachen. Die Menschen zögern, Güter des höheren Bedarfs zu kaufen; die Geschäfte sind entsprechend leer und entlassen Personal. Dadurch, daß ein großer Teil der jüngeren Menschen an der Front steht, fehlen andererseits Arbeitskräfte, so daß manche Firmen nicht weiterarbeiten können.

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Helmut Falkenstörfer ist Journalist und langjähriger Kenner der Verhältnisse am Horn von Afrika.