Europa 2000 ist unser Projekt

von Reinhild Hugenroth
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Europäisch zu denken war nie ein Problem für die Linke - allerdings sehr kritisch, manchmal auch ohne eine alternative Konzeption zu ha­ben. Wie sich heute herausstellt, trafen die vorausgesagten Befürch­tungen tatsächlich ein, ohne daß es bisher politisch thematisiert wurde. Prominentestes Beispiel ist der Binnenmarkt. Der Ceccini-Bericht ver­sprach damals großspurig ca. 4,4 bis 5,7 Mio. neue Arbeitsplätze durch eine einfache Rezeptur: Man nehme ein Datum und organisiere den Wegfall der Binnengrenzen und ein gigantischer Markt würde für mehr Wachstum und Wohlstand sorgen. Tatsächlich wurde das große Dere­gulierungsprogramm gerne von der Wirtschaft aufgenommen: Konzern­zusammenschlüsse und Rationalisierungen bei steigenden volkswirt­schaftlichen Gewinnen waren die Folge. Eine flankierenden Umwelt- oder Sozialpolitik ist nicht in Sicht. Arbeitskräfte wurden "freigesetzt". Nun soll nach derselben Rezeptur darauf eine Währungsunion aufge­baut werden. Man nehme ein Datum und die europäischen Währungen und lasse die Politik außen vor.

Weniger prominent ist das Beispiel der Agrarpolitik. Schon seit den 80er Jahren kritisieren BUKO und alternative Bau­ern das System der EU. Die Marktord­nung, diene nur den Konzernen und nicht den Bauern - weder hier noch in der sog. Dritten Welt.. Die Bauern wür­den auf die Strategie "Wachsen oder Weichen" festgelegt, was zur Agrarin­dustrie und damit zur Zerstörung der Umwelt führe. Tatsache ist: Die Anzahl der Bauern hat sich drastisch verringert, die übriggebliebenen werden ziemlich direkt mit Umweltzerstörung und Ver­braucherInnenängste in Verbindung ge­bracht. Die EU dominiert mit ihren Agrarprodukten den Weltmarkt und de­finierte machtpolitisch das liberalisti­sche Welthandelsabkommen (GATT) und die neue Welthandelsorganisation (WTO) mit. Die Situation für eine öko­logische Perspektive verschärfte sich nochmals durch die sog. Agrarreform, die für das Zustandekommen des GATT aus Kommissionssicht unabdingbar war.

Drittes Beispiel ist die Kritik am Zu­standekommen und Inhalten der Euro­päischen Union. Jede Kritik, die intensiv auf die Gefahren des Artikel J (Gemeinsame Außen- und Sicherheits­politik) hinwies, in dem eine "gemeinsame Verteidigungspolitk" er­wähnt wurde, wurde mit dem Vorwurf des "Alarmismus" überzogen. Gerne rückte man zu Zeiten des Zustande­kommens des Maastrichter Vertrages alle KritikerInnen in die Nähe des "Nationalismus". Die hohe Kunst der Differenz wurde ad acta gelegt, da der mainstream der Bundesrepublik euro­päische Politik nicht mehr nach rechten und linken Strategien unterscheiden konnte und wollte. Heute wissen wir, daß ein wesentlicher Tagesordnugns­punkt der Überprüfungskonferenz 1996 eine Ausformulierung einer "Gemeinsamen Außen- und Sicherheits­politik" ist, auf die in diesem Heft nicht weiter eigegangen wird.

Was ist heute politisch zu tun?

Wer heute noch sagt Helmut Kohl sei ein großer Europäer hat meines Erach­tens schon verloren. Denn das hieße, daß die ganze bisherige rechte Europapolitik als die einzig Machbare darge­stellt würde, was absurd ist. Heute ist zu fordern, daß eine politische Union ent­steht, die diesen Namen verdient. Dafür ist nun einmal eine demokratische Grundlage unabdingbar. Da sollte auch die Linke mutiger werden und nicht erst hinterher die Konzepte kritisieren, son­dern vorher die Ansprüche an Demo­kratisierung auf europäischer Ebene deutlich machen. Dort wo tatsächlich Politik stattfindet muß auch eine Linke präsent sein, sonst kann sie sich aus der Debatte verabschieden.

Das heißt eine inner-europäische linke Öffentlichkeit aufzubauen ist mit die größte Herausforderung. Dies muß nicht unbedingt ein Riesenaufwand an Reisen und Infrastruktur bedeuten. Allein die kritische Teilnahme an der Berichter­stattung und der bundesrepublikani­schen Politik, deren nationales Interesse ja allenthalben mit Händen zu greifen ist, ist schon wichtig. Die BRD ist mit das dominanteste Land in der jetzigen Europäischen Union. Eine gemeinsame Strategie der Kritik und der Konzeption von Alternativen muß hier in der bundes­republikanischen Öffentlichkeit geleistet werden. Dies würde auch in anderen eu­ropischen Länder mit Aufmerksamkeit verfolgt werden. Selbstverständlich ge­hört auch eine Intensivierung der Kon­takte der NGO's auf europäische Ebene dazu.

Eine gesamteuropäische Perspektive muß gerade auch aus friedenspolitischem Interesse heraus konzipiert wer­den und ist eine weitere zentrale Her­ausforderung. Die Europäische Union muß gesamteuropatauglich gemacht werden. Dazu bedarf es eines grund­sätzlichen Umbaus des Agrarsystems, der Struktur- und Regionalpolitik und des Binnenmarktes. Diese Politiken werden als die zentralen Hindernisse für eine Erweiterung nach Osten bezeich­net. Es kann nicht darum gehen, daß die mittel- und osteuropäischen Länder sich diesen Strategien anpassen müssen und so lange warten, bis sie genauso struktu­riert sind und dieselben Probleme pro­duzieren, wie wir in der Europäischen Union. Sie müssen selbst ihren eigenen "kapitalistischen" und "bäuerlichen" Weg gehen können und trotzdem poli­tisch in die Europäische Union aufge­nommen werden.

Die mittel- und osteuropäischen Länder durch die NATO-Erweiterung zu inte­grieren ist der falsche Weg. Er ist scheinbar "billiger" für die beitrittswil­ligen Länder. Dies stimmt angesichts des Aufwandes der für den NATO-Standard getrieben werden müsste nun aber ganz und gar nicht. Militärhaus­halte müssten aufgestockt werden, sind unproduktiv und nehmen Ressourcen weg, die für andere Dinge dringend ge­braucht würden. Daß die NATO-Er­weiterung prinzipiell gegen Russland ge­richtet ist und damit konfliktverschär­fend wirkt, braucht dem LeserInnenkreis dieses Heftes wahrscheinlich nicht er­läutert werden.

Wer friedenspolitisch in der Euro­pafrage weiterkommen will, muß sich mit ungewohnten Themen wie den poli­tischen und ökonomischen Bedingungen in der Europäischen Union auseinander­setzen. Wer verhindern will, daß die harten Bereiche Währung und Verteidi­gung europäisiert werden, die Europäi­sche Union vor Flüchtlingen dicht ge­macht wird, die Politik den Staatsmän­nern überlassen bleibt, die ohne eine eu­ropäische Öffentlichkeit zu informieren, Entscheidungen treffen, muß jetzt poli­tisch aktiv werden. Dies ist anstrengend aber eine Vernetzung der verschiedenen Kompetenzen von unten kann den rich­tigen Weg weisen.

 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Reinhild Hugenroth ist Sprecherin der Bundesarbeitsgemein¬schaft Frieden und Internationale Poli¬tik von Bündnis 90/Die Grünen.