Feindbild Serbien

von Walter Manoschek
Hintergrund
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Jugoslawien muß erhalten bleiben. Ein Motto, das gewiß nicht viel gescheiter ist als das österreichische von Anno 1914: Serbien muß sterbien!" 1), philosophiert ein Kolumnist im auflagenstärksten österreichischen Boulevardblatt, der "Kronenzeitung" um dann nostalgisch fortzufahren: "Wie kommod (angenehm, d. Verf.) war es doch in Relation zum jetzigen Schicksal - einst im angeblichen Völkerkerker der Habsburger zugegangen...! 2)

Aber auch deutsche Kommentatoren stehen solchen journalistischen Glanzleistungen um nichts nach. In einem Leitartikel der "Frankfurter Allgemeinen" bezeichnet Johann Georg Reißmüller Jugoslawien als "Mißgebilde" 3) und versteigt sich zur Behauptung, Tito habe "seine Herrschaft auf Menschenvernichtungsaktionen, vor allem gegen Kroaten, Albaner, Slowenen" 4) begründet. Im Weiteren kleidet Reißmüller seine Einschätzung der Unabhängigkeitsbestrebungen Kroatiens und Sloweniens in die Form einer demagogischen Frage: "Hätte sich die polnische Nation im September 1939 freiwillig mit Deutschland in einem Bund zusammengetan?" 5) Einmal beim Historisieren und offenbar auf den Geschmack gekommen, fährt Reißmüller mit der Behauptung fort, daß die "slowenischen und kroatischen Völker... heute so wenig mehr zum kommunistischen Jugoslawien gehören wollen wie etwa die Tschechen in der Zeit des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren zum nationalsozialistischen Deutschland" 6). Damit ist er endlich dort gelandet, wo er von Anfang an hinwollte: der "Menschenvernichter" Tito wird zum "Hitler Jugoslawiens", die kroatischen und slowenischen Teilrepubliken des "Mißgebildes" Jugoslawien werden gleichgesetzt mit den von Hitler überfallenen Staaten Tschechoslowakei und Polen.

Ebenso wie dem österreichischen Kolumnisten in der "Kronenzeitung" geht es auch der FAZ ganz offenkundig nicht im Entferntesten um das Wohl der Völker Jugoslawiens. Stattdessen dient die Dämonisierung der Serben als Vorwand für den Versuch einer nationalen Selbstabsolution Österreichs und Deutschlands einer Absolution für die blutige Politik dieser beiden Länder gegen das serbische Volk im Zuge der beiden Weltkriege. Denn sowohl das 1918 entstandene "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" wie auch der Sozialistische Bundesstaat Jugoslawien von 1945 waren jeweils Bestandteile von Nachkriegsordnungen, die erst durch die Niederlage der k.u.k. Monarchie bzw. Deutschlands entstanden waren.

Es wirkt grotesk, wenn, wie kürzlich, der österreichische Rundfunk die Nominierung Otto Habsburgs als Mitglied einer EG-Mission für Jugoslawien meldet und wenig später "Die letzten Tage der Menschheit", Karl Kraus' Meisterwerk über den Untergang der Habsburger-Monarchie, ausstrahlt. Im Untergang des Habsburger-Reiches liegen auch die Wurzeln des heute noch in Österreich verankerten "Feindbildes Serbien". Das deutsch-österreichische Überlegenheitsgefühl, der spezifisch österreichische Rassismus gegenüber den Südslawen und der nach 1918 stark ausgeprägte Revanchismus gegenüber den "serbischen Totengräbern der Monarchie" das alles waren Emotionen, die bis zum Zweiten Weltkrieg in den politischen Handlungen des Kleinstaates Österreich keinen politischen Ausdruck finden konnten. Erst als Österreich Teil des Großdeutschen Reiches wurde, eröffnete sich die Möglichkeit, alte Rechnungen zu begleichen, den Revanchismus militärisch und machtpolitisch umzusetzen und sich das zurückzuholen, was als Teil des eigenen Besitzes verstanden wurde.

Als Hitler ohne vorherige Kriegserklärung mit der Bombardierung Belgrads im April 1941 die Zerschlagung des jugoslawischen Staates einleitete, stand an der Spitze der angreifenden Luftflotte der österreichische General Alexander Löhr. Bei dem Luftangriff auf Belgrad fanden mehr Menschen den Tod als bei den vorangegangenen Bombardements Warschaus, Rotterdams und Coventrys zusammen 7). Nach der militärischen Kapitulation Jugoslawiens griff das Großdeutsche Reich auf mehreren Ebenen auf österreichische Traditionen im Balkanraum zurück. Mit Ausnahme der Grenzziehung zwischen Italien und Deutschland erfolgte die Aufteilung Jugoslawiens im Wesentlichen gemäß den ehemaligen Grenzen der Habsburger-Monarchie. Die früheren Gebiete aus der österreichischen Reichshälfte Untersteiermark und Teile Krains wurden dem Großdeutschen Reich einverleibt; Kroatien wurde in den Grenzen von vor 1918 unter Hinzufügung der in der Zeit der Monarchie von Österreich okkupierten Gebiete Bosnien und Herzegowina als Marionettenstaat eingerichtet. Das Auswärtige Amt in Berlin kam bei seinen strategischen Einschätzungen zu dem Schluß, daß "die Bedeutung der ehemaligen österreichischen Militärgrenze (...) nicht übersehen werden kann. Nach der Wiederbildung des Großdeutschen Reiches gewinnen die historischen politischen Maßnahmen des Reichsmarschalls Prinz Eugen in Hinblick auf die Einordnung des südosteuropäischen Raumes in den mitteleuropäischen Großraum an Aktualität" 8).

Heute geht die FAZ so weit, die Politik Serbiens mit der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik zu vergleichen und zu behaupten, daß "Serbo-Jugoslawien (!) kein zivilisiertes Land ist" und sich "außerhalb der Zivilisation" 9) stelle. Dabei wird wohlweislich die historische Mitverantwortlichkeit Deutschlands an der heute so explosiven Nationalitätenfrage in Jugoslawien übergangen. Es wird verschwiegen, daß es den Schergen des von Hitlers Gnaden errichteten kroatischen Ustascha-Staates nur unter dem Patronat der Nationalsozialisten möglich war, einen Genozid an der serbischen Bevölkerung zu verüben. Ein Vertrauensmann des aus Österreich stammenden "deutschen Generals in Agram", Glaise-Horstenau, nach eigener Definition ein "kompromißloser Nazi", schrieb schon 1941: Der Ustascha-Staat "stützt sich lediglich auf die Anerkennung der Achsenmächte, ist im Volk wurzellos und erhält sich durch die Bajonette einer Garde von Freibeutern, die an einem Tag mehr Schandtaten begehen, als das Serbenregime in mehr als zwei Jahrzehnten zu verzeichnen hatte" 10). Während die Nazis in Kroatien tatenlos zusahen, wie von der Ustascha hunderttausende Serben regelrecht abgeschlachtet wurden, begannen die nationalsozialistischen Besatzer in Serbien mit der Bekämpfung der kommunistischen Partisanen. Im Herbst 1941 setzte Hitler als befehlshabenden General in Serbien den österreichischen "Balkankenner" General Franz Böhme ein und beauftragte ihn mit der Niederschlagung des kommunistischen Partisanenaufstandes. Ebenso gezielt waren die General Böhme unterstellten Wehrmachtstruppen zu mehr als einem Drittel aus Österreichern zusammengesetzt worden, wodurch eine "Österreicher-Konzentration" wie auf keinem anderen Kriegsschauplatz im Zweiten Weltkrieg erreicht wurde. Um die nationale Zusammensetzung seiner Truppe wissend, wies General Böhme in einer Verfügung auf die historische Dimension ihrer Aufgabe hin: "Eure Aufgabe ist in einem Landstreifen durchzuführen, in dem 1914 Ströme deutschen Blutes durch die Hinterlist der Serben - Männer und Frauen - geflossen sind. Ihr seid Rächer dieser Toten. Es muß ein abschreckendes Beispiel für ganz Serbien geschaffen werden, das die gesamte Bevölkerung auf das Schwerste treffen muß. Jeder, der Milde walten läßt, versündigt sich am Leben seiner Kamera-den." 11) In einem wahren Blutrausch, der den Aktionen der SS im Osten um nichts nachstand, ermordete daraufhin die Wehrmacht allein im Herbst 1941 wahllos mehr als 25 000 unschuldige serbische Zivilisten, darunter auch sämtliche erwachsenen männlichen Juden des Landes.

In Kenntnis der deutschen und österreichischen Serbienpolitik in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, daß die gegenwärtige jugoslawische Tragödie in Deutschland und in Österreich als willkommener Anlass für die eigene Vergangenheitsbewältigung mißbraucht wird. Die österreichischen Medien und Politiker aller Couleurs erklären sich plötzlich zu Jugoslawien-Spezialisten und fühlen sich bemüßigt, dem Rest der Welt die Jugoslawien-Krise zu erklären. Österreich verweist dabei stolz auf die - zweifellos - lange Erfahrung im Umgang mit seinen südslawischen Nachbarn. Gezielt werden dabei allerdings die katastrophalen Resultate dieser Politik, die u.a. zum Ausbruch eines Weltkrieges führten, verschwiegen. Auch in der österreichischen Nachkriegspolitik findet sich kaum etwas, was Österreich nun für eine Vorreiterrolle bei der Bewältigung der jugoslawischen Krise prädestinieren würde. Man beginnt zu stutzen, wenn das offizielle Österreich plötzlich sein Herz für die Slowenen und Kroaten entdeckt. Denn bekanntlich lebt in Österreich eine kroatische und slowenische Minderheit, die ihre kulturelle Identität nur unter allergrößten Anstrengungen aufrechterhalten kann: "Kärnten ist deutsch!", darin sind sich - mit Ausnahme der Grünen - alle Parteien und auch der überwiegende Teil der Bevölkerung in Österreichs südlichstem Bundesland einig. Wegen des Aufstellens zweisprachiger Ortsschilder war es vor knapp 20 Jahren in Kärnten zum "Ortstafelsturm" durch militante Deutsch-Kärntner gekommen, und auch heute besteht nach wie vor keine Aussicht auf eine baldige Einführung von Slowenisch als zweite Amtssprache. Insbesondere die Slowenen werden bis heute als "kommunistische Tito-Partisanen" und "Titos fünfte Kolonne" bezeichnet und dementsprechend behandelt. Dieser Umgang mit den eigenen Volksgruppen ist - wie der Politologe Anton Pelinka ironisch meint - "offenkundig eine besondere Legitimation, den Serben mangelnde Kroaten- und Slowenenfreundlichkeit vorzuwerfen" 12). Aber nunmehr geht es ja nicht um die Slowenen in Kärnten und die Kroaten in Burgenland, sondern um jene in Ljubljana und Zagreb. Und die euphorischen Sympathiebezeugungen für den kroatischen Nationalismus zwingen noch lange niemand, diese Sympathie auch im Verhalten gegenüber dem kroatischen Gastarbeiter von nebenan zu demonstrieren. Der wird wohl auch in Zukunft ein "jugoslawisch" sprechender "Tschusch" bleiben.

Die Hilflosigkeit, mit der die EG und die USA den Entwicklungen in Jugoslawien bis zum Aufmarsch der Bundesarmee in Slowenien begegneten, bot Österreich nach langem wieder die Möglichkeit, die Bühne der Weltpolitik zu betreten. Durch den Verzicht Waldheims auf eine zweite Präsidentschaftskandidatur aus der außenpolitischen Isolation befreit, schickt sich Österreich in Sachen Jugoslawiens an, in der Rolle eines politischen Oberlehrers aufzutreten, der gleichzeitig noch daraus aus ist, sich dafür gute internationale Zensuren zu holen. Doch der staatliche Auflösungsprozess in Jugoslawien ist viel zu kompliziert und gefährlich, um ihn zur Relativierung der eigenen nationalsozialistischen Geschichte mittels eines wieder hoch in Kurs stehenden vulgär totalitarismustheoretischen Ansatzes `a la FAZ zu instrumentalisieren. Ebenso wenig eignet er sich für die Reaktivierung des alten österreichischen "Feindbildes Serbien". Nicht zu Unrecht erklärte das französische Außenministerium dem österreichischen Botschafter in Paris, man gewinne in Frankreich den Eindruck, "daß Österreich den jugoslawischen Staat als künstliche und illegitime Konstruktion ansieht... einseitig Partei nimmt und zwischen `guten Jugoslawen` die zur Monarchie gehörten und katholisch sind` und den `schlechten` die unter ottomanischer Herrschaft standen` unterscheidet" 13).

Nach der verblüffend reibungslosen Auflösung der DDR entwickelt sich der Zerfall Jugoslawiens zu einem Präzedenzfall in der europäischen Nachkriegsgeschichte, der zweifellos Folgewirkungen haben wird. Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, ist er nur der Auftakt für ein viel globaleres Problem, das sich mit dem Zerfall der Sowjetunion anzubahnen scheint. Durch das unerwartet rasche Zusammenbrechen des Ostblocks (man denke nur an die sang- und klanglose Selbstauflösung des Warschauer Paktes) entstand in Europa ein sicherheitspolitisches Vakuum, dessen Auffüllung sich erst in vagen und noch keineswegs überzeugenden Ansätzen (KSZE) abzuzeichnen beginnt. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Entwicklung eines europäischen Sicherheitssystems mit den bedrohlichen nationalen Auflösungserscheinungen in Teilen Ost- und Südosteuropas Schritt zu halten vermag. Im Falle Jugoslawiens dürfte das Hinwirken auf eine Umwandlung der nur mehr auf dem Papier existierenden Föderation unabhängiger Republiken in eine Konföderation unabhängiger Staaten die einzige Möglichkeit sein, um eine Libanisierung der Gesamtregion zu vermeiden. Eine Politik, die sich völlig undifferenziert zum Sprachrohr Sloweniens macht, darf dabei keineswegs richtungsweisend werden. Denn so unschuldig scheint das Eintreten mancher österreichischer Politiker für Sloweniens Unabhängigkeit auch nicht zu sein. So spekulierte etwa der Völkerrechtsexperte der ÖVP, Professor Felix Ermacora, im Frühjahr 1991 über zukünftige österreichische Gebietszuwächse. Während Ermacora ein Anschluß Südtirols an Österreich als "nicht wahrscheinlich" erschien (den man aber dennoch als "Vision pflegen sollte"), könne er sich "in Hinblick auf Altösterreich... durchaus einen Anschluß Sloweniens vorstellen" 14).

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