Ferienfreizeiten für Flüchtlingskinder in Kroatien

von Albert Scherr
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Zu berichten ist hier von einer eher ungewöhnlichen Form des friedens-politisch-humanitären Engagements im ehemaligen Jugoslawien. Un­ter dem Motto "Urlaub vom Krieg" hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie im Sommer dieses Jahres in Zusammenarbeit mit verschie­denen kroatischen Initiativen Ferienfreizeiten für insgesamt 1.550 Flüchtlingskinder finanziert und organisiert, die in der in der Stadt Sla­vonski Brod und der umgebenden Region leben. Slavonski Brod liegt in Kroatien, direkt an den Grenze zu Bosnien-Herzegowina und ist immer wieder Objekt willkürlicher militärischer Attacken. Die Grundidee unse­rer Aktion war und ist es, den Kindern für eine befristete Zeit zu ermög­lichen, Abstand von der Kriegs- und Flüchtlingssituation zu gewinnen, ganz normal leben und spielen zu können, ohne einen spontanen Gra­nat- oder Gewehrbeschuß befürchten zu müssen.

Die Freizeiten auf den Adriainseln Hvar, Korcula und in dem Ferienort Makarska wurden durch eine Spendenaktion des Komitees finanziert, durch die insgesamt über 350.000 DM zusammenkamen. Darüber hinaus haben wir zwei Freizeiten auf Hvar auch aktiv pädagogisch begleitet. Auf dieser vor Split gelegenen Adriainsel ist vom Krieg nichts zu spüren. Zwar bleiben die deutschen und italienischen Touristen aus. Ansonsten aber herrscht eine mit Südfrankreich oder der italienischen Adria vergleichbare Urlaubsatmosphäre.

Unsere Anreise fand genau zu dem Zeitpunkt statt, als die von vornherein zum Scheitern verurteilten Verhandlun­gen über eine friedliche Beilegung des Konflikts um die Krajina geführt wur­den. Während also - veranlasst durch einen Aufruf des Auswärtigen Amtes - zahlreiche UrlauberInnen die kroatische Kü­ste verließen, reisten wir - fünf Erwach­sene und zwei Kinder - am 3./ 4. August über Rijeka und Split nach Hvar, um dort auf eine erste Gruppe von 270 Kindern zu treffen, die eigentlich am 5. August durch eine neue Gruppe abgelöst wer­den sollte. Schnell wurde jedoch deut­lich, daß der Krieg auch unsere Aktion nicht unberührt ließ. Wie wir vom Klaus Vack, der sich zu diesem Zeitpunkt in Slavonski Brod aufhielt (und der später über den Umweg Ungarn - Deutschland zu uns stieß), erfuhren, waren eine Rückreise der Kinder und eine Anreise der neuen Gruppe nicht möglich, da aufgrund der aktuellen Kriegs­handlungen zu gefährlich. Auf diesen Sachverhalt reagierten die Kinder nun nicht, wie wir erwarteten, panisch oder verängstigt, sondern mit der Gelassen­heit derjenigen, für die der Krieg zu Alltagswirklichkeit gehört. Zu dieser "Normalität" gehört es aber auch, daß zum Beispiel eines der Kinder am Tele­fon erfuhr, daß sein Vater an diesem Tag schwer verletzt worden war.

Überhaupt ist zu den nachhaltigen Ein­drücken unserer Reise die - wie immer auch vordergründige und demonstrative - Unaufgeregtheit zu rechnen, mit der die Kinder und die sie begleitenden LehrerInnen, die InselbewohnerInnen sowie ver­bleibende Kroatien-UrlauberInnen (letztere nahezu ausschließlich in Deutschland arbeitende KroatInnen) die Kriegsereig­nisse kommentierten. Während wir ängstlich und verschreckt auf die Mel­dungen über den Krieg in den Krajina und später die Bombardierungen von Dubrovnik reagierten, war dies für sie kein Grund zu offenkundiger Besorgnis. Es scheint sich eine merkwürdige Mi­schung von Gewöhnung und Verdrän­gung entwickelt zu haben, die es er­laubt, unter den Bedingungen des Krieges ein "normales" Leben weiterzu­führen. Darüber hinaus war festzustel­len, daß die massive nationalistische und Kriegspropaganda der kroatischen Medien bei vielen KroatInnen, mit denen wir sprachen, auf positive Resonanz stößt. Kaum eine/r äußerte Kritik an den aktu­ellen Militäraktionen, eher war zu hö­ren, daß ein Sieg in der Krajina ohnehin gewiss und "die Serben" keine andere Sprache als die der Waffen verstünden.

Zu den Erfahrungen unserer Reise ist auch zu rechnen, daß die Zusammenar­beit mit den Kindern wesentlich leichter war, als wir erwarteten. Sie reagierten auf uns nicht misstrauisch oder gar ab­weisend, sondern waren sofort bereit, sich auf unsere Angebote einzulassen. Es war sehr einfach, mit ihnen zu sin­gen, zu tanzen, zu basteln, im Meer, Fußball oder mit dem Fallschirm zu spielen sowie in einer Mischung aus Deutsch und Englisch zu reden. Denn die Kinder waren froh, auf uns als Er­wachsene zu treffen, die im Unterschied zu ihren LehrerInnen nicht distanziert und autoritativ, sondern offen und freundlich mit ihnen umgehen. Auch die als Fami­lienmitglieder mitgereisten beiden deut­schen Kinder wurden seitens der kroati­schen Kinder sofort integriert. Erstaun­lich war für uns insgesamt, gerade vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen mit Kinder- und Jugendfreizeiten in Deutschland, der außerordentlich kon­flikt- und aggressionsfreie Umgang der Kinder miteinander. In den zwei Wo­chen, während deren wir in Hvar waren, war kaum ein Streit oder ein Konflikt zwischen den Kindern zu beobachten, der einen Eingriff durch Erwachsene er­fordert hätte. Wir sind nicht auf die "aggressiven Kriegskinder" getroffen, die wir erwartet hatten, sondern auf sehr freundliche und offene Kinder.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage nach dem Sinn unserer pädagogi­schen Begleitung zweier Freizeiten zu beantworten. Die Kinder erlebten es of­fensichtlich als sehr positiv, daß ihnen in Ergänzung zu den täglichen Strand­gängen und der abendlichen Disco im Freizeitheim verschiedene Aktivitäten angeboten wurden, die ihren "Urlaub vom Krieg" bereicherten. Und dieser Urlaub führt insgesamt dazu, das konn­ten wir beim Wechsel der Gruppen erle­ben, daß die Kinder wesentlich ent­spannter und fröhlicher werden.

Die eigentliche Schwierigkeit der Ak­tion "Urlaub vom Krieg" liegt vielmehr darin, daß ein solcher eben zeitlich be­fristet ist. Als schließlich am 12. August die Rückreise der ersten und die Anreise der zweiten Gruppe möglich war- die Krajina war inzwischen erobert -, bega­ben sich die Kinder zurück nach Sla­vonski Brod, eine Stadt mit ca. 60.000 Einwohnern, in der in den vergangenen Jahren 40 Schulkinder durch Kriegs­handlungen getötet wurden. Aber auch diesbezüglich wurden unsere Fragen an die LehrerInnen, ob sie denn keine Angst vor der Rückkehr hätten, mit der erwähnten Mischung aus Gewöhnung und Ver­drängung beantwortet. Deutlich wurde aber auch, daß hinter dieser Gelassen­heit erhebliche Ängste verborgen sind. Vielfach wurden wir z. B. nach den Chance gefragt, der Armut und dem Krieg durch eine Arbeitsaufnahme in Deutschland zu entfliehen. Gegenwärtig planen wir eine Fortführung der Aktion "Urlaub vom Krieg" - möglicherweise in veränderter Form - für das kommende Jahr. Angedacht ist eine Begegnungs­freizeit für kroatische, serbische und muslimische Kinder, die dann auch die Aufgabe hätte, der anhaltenden Erzeu­gung nationalistischer und ethnisieren­der Feindbilder entgegenzutreten.

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