Festung Europa?

von Katina Schubert
Schwerpunkt
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In ihrer Politik gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen gleicht Euro­päische Union (EU) eher einer Raubritterburg: Ökonomisch unerwünschte und unbrauchbare Lüchtlinge müssen draußen bleiben, Ar­beitsmigrantInnen dürfen strikt reguliert und dosiert kommen, wenn sie sicher wieder gehen. Gemeinsame Maßnahmen zur Regulierung der Ar­beitsmigration und den Umgang mit Illegalen, ob Flüchtlinge oder Ar­beitsmigrantIn, stehen auf fast jeder Tagesordnung, wenn die Innen- und Justizminister der europäischen Union zusammentreten. In Vorbe­reitung der Regierungskonferenz 1996, die Erfolg und Misserfolg des Maastrichter Vertrag überprüfen soll, rückt auch die Asylpolitik wieder stärker in den Blickpunkt kritischer Öffentlichkeit.

Im Maastrichter Vertrag ist die Asylpo­litik als Gegenstand "gemeinsamen In­teresses" benannt, die Zusammenarbeit beruht aber auf intergouvernementaler Ebene, dh. Die Regierungen einigen sich auf bestimmte Maßnahmen. Bis­lang haben sie es nur zur Dubliner Kon­vention gebracht, die regelt, welcher Staat für Asylverfahren zuständig ist. Danach führt dasjenige Land das Ver­fahren durch, das ein Flüchtling zuerst betreten hat. Alle anderen EU-Staaten müssen nach der Dubliner Konvention die Entscheidung des Erstlandes aner­kennen, ein Flüchtling hat nur noch eine Chance, in der EU Asyl zu beantragen. Bislang ist diese Konvention noch nicht in Kraft getreten, weil sie noch nicht alle Mitgliedsstaaten ratifiziert haben. Faktisch wird sie aber praktiziert, weil die asylrechtlichen Regelungen auch Bestandteil des Schengener Abkom­mens sind.

Dieses ist am 26. März 1995 nach lan­gen Anlaufschwierigkeiten in Kraft ge­treten. "Die Schengen-Philosophie lau­tet: mehr Freizügigkeit nach innen - mehr Grenzsicherheit nach außen", er­klärte dazu der Staatssekretär im Bun­desministerium Kurt Schelter. Binnen­grenzkontrollen fallen, dafür werden die Außengrenzen des Schengen-Gebiets hermetisch abgeschlossen gegen die drei Hauptbedrohungen der europäischen In­neren Sicherheit, nämlich

a) illegale Einwanderung, deshalb auch die restriktiven asylrechtlichen Re­gelungen,

b) organisierte Kriminalität, ohne diese exakt definieren zu können und

c) Terrorismus.

Derzeit nehmen sieben Staaten am Schengener Abkommen teil, nämlich BRD, Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg, Spanien und Portugal. Ita­lien und Griechenland sind zwar Mit­glied, erfüllen aber die technischen und rechtlichen Voraussetzungen zur Teil­nahme noch nicht. Neu-EU-Mitglied Österreich bereitet derzeit seinen Beitritt vor. Auch Dänemark, Schweden und Finnland sind an Schengen interessiert, sie wollen aber die nordische Passunion mit Nicht-EU-Staaten Norwegen und Island nicht gefährden. Die Schengen-Staaten suchen deshalb händeringend nach einem Weg, auch Norwegen und Island an den Schengen-Mechanismen teilnehmen zu lassen, ohne daß sie mi­tentscheiden dürfen. Denn die Vollmit­gliedschaft in Schengen ist nur für EU-Staaten offen. Kernstück von Schengen ist das Schengener Informationssystem (SIS), ein Fahndungssystem, in das be­reits rund 10 Mio. Datensätze eingele­sen sind, die meisten durch die BRD. Die Schengen-Staaten kontrollieren ins­besondere Drittausländer an den Außengrenzen, auf den Flugplätzen und Seehäfen bei Transfers von außerhalb des Schengengebiets mit Abfrage des SIS, um so zur Einreiseverweigerung ausgeschriebene AusländerInnen, ge­stohlene KFZ oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen zu stellen. Nach knapp einem dreiviertel Jahr Laufzeit des SIS führen die unerwünschten Aus­länderInnen die Hitliste der "Treffer" der Grenztruppen schengenweit an. Während die Außengrenzabdichtung schon ganz gut funktioniert, ist es mit dem Wegfall der Binnengrenzkontrollen noch nicht so weit her. Frankreich wei­gert sich beharrlich, seine Kontrollen an den Landgrenzen einzustellen. Die fran­zösische Regierung begründet das, mit "Terrorismus-Problemen" im Inland und der ihrer Auffassung nach zu liberalen Drogenpolitik der Niederlande. Die trifft auch bei der deutschen Bundesregierung auf großes Unbehagen. Sie wird denn auch nicht müde, bei den Niederländern auf eine repressive Änderung ihrer Dro­genpolitik zu drängen. Frankreich hat für seine Binnengrenzkontrollen eine Ausnahmegenehmigung bis Ende des Jahres. Staatspräsident Jacques Chirac zweifelt aber jetzt schon, daß nach dem 1.1.1996 auf die Kontrollen verzichtet werden können. Somit trifft weitenteils nur der repressive Teil der Schengen-Philosophie die Wirklichkeit. Und auch die deutschen Binnengrenzen bleiben nicht unbewacht. Ein "Sicherheitsschleier" der Länderpoli­zeien entlang der Grenzen sorgt dafür, daß auch über die Schengengrenzen il­legale EinwanderInnen und Flüchtlinge aufgegriffen und direkt zurückgescho­ben werden. Denn sämtliche Nachbar­länder der BRD gelten als sichere Dritt­staaten. Asylanträge von Menschen, die über diese Staaten einreisen, gelten ent­sprechend als "offensichtlich unbegrün­det", die Einreise wird verweigert, eine bereits vollzogene Einreise unmittelbar beendet. Die restriktive deutsche Asyl­politik hat in Westeuropa Wirkung ge­zeigt. Die Niederlande, Frankreich, Großbritannien haben ihr Asylrecht ebenfalls verschärft, in den anderen Ländern laufen entsprechende Diskus­sionen. Auch das sichere Drittland Schweiz denkt intensiv darüber nach, wie es eine Entwicklung zum Restasyl­land angesichts der immer dichter wer­denden Grenzen der EU verhindern kann und sucht eine enge Zusammenar­beit insbesondere mit der BRD. Ende 1993 haben beide Länder ein Rüchüber­nahmeabkommen geschlossen, das die Abschiebung von Flüchtlingen regelt, die über die BRD in die Schweiz oder umgekehrt eingereist sind. Kürzlich ha­ben sie eine Vereinbarung getroffen, der zufolge die Schweiz 9000 Sätze per­sonenbezogener Daten einschließlich der Fingerabdrücke von Flüchtlingen aus dem Jahr 1993 erhält, um statistisch die Zahl der Mehrfachasylantragstellun­gen in der Schweiz und der BRD her­auszufinden. Diese Datenübermittlung erfolgt ohne klare rechtliche Grundlage. Der nächste Schritt ist vermutlich ein reger Datenaustausch oder eine Ausnahmegenehmigung für die Schweiz, auf die europäischen Informationsnetze zuzugreifen. In der Planung ist etwa derzeit ein europäisches automatisches Fingerabdruck-Identifizierungssystem wie es in den meisten Staaten national existiert. Damit wird die Suche nach untergetauchten Flüchtlingen, solchen, die unter verschiedenen Namen oder gefälschten Papieren mehrfach innerhalb der EU Asylanträge gestellt haben, ef­fektiviert, die Abschottung nach außen nach innen hin perfekt gemacht. Der Bundesregierung reicht das indessen noch lange nicht. Sie will auf der Regie­rungskonferenz 1996 das Asylrecht "vergemeinschaften", d.h. der Zustän­digkeit der EU unterstellen. Dazu muß das Asylrecht harmonisiert werden, was, wenn es stattfindet, sicher auf unterstem Niveau geschieht. Gelingt die Verge­meinschaftung nicht, will die Bundesre­gierung zumindest eine neuen EU-Kon­vention erreichen, die das Asylrecht materiell angleicht. Das bedeutet, daß die EU-Staaten sich nicht nur auf ein Verfahren gegenseitiger Anerkennung von Asylentscheidungen einigen, wie im Dubliner Abkommen vorgesehen und in Schengen praktiziert. Die EU-Länder sollen sich vielmehr auch über Verfah­renswege und Kriterien für die Asylge­währung einigen. Auch hier ist eine Ei­nigung nur auf unterstem Niveau zu er­warten. Die Regierungskonferenz 1996, die sich als rund einjähriger Prozess dar­stellen wird, wäre also ein guter Grund für Flüchtlingsgruppen, antirassistische Initiativen und BürgerInnenrechtsverei­nigungen, gegen eine weiter Verschär­fung des Asylrechts, gegen die Ab­schottung der EU gegen Flüchtlinge, gegen die Gleichstellung von Flücht­ling/MigrantIn mit einer Bedrohung der inneren Sicherheit zu mobilisieren. Der­zeit fehlt es noch an breiten Vernetzun­gen solcher Gruppen auf europäischer Ebene. Sehr aktiv auf diesem Feld ist aber "UNITED for intercultural Action. European network against nationalism, racism, fascism and in support of Mi­grants and refugees" in Amsterdam. UNITED hatte schon 1993 113 Unter­stützerorganisationen, archiviert die In­formationen von 470 Organisationen und steht in Austausch mit 1500 Grup­pen in ganz Europa.

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Katina Schubert ist Bonner Korrespon­dentin der Tageszeitung "Junge Welt"